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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Psychische Belastungen durch die Dissektion am Leichnam im anatomischen Präparierkurs bei Erstsemestern des Studienfachs Medizin

Forschungsarbeit Humanmedizin

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  • corresponding author Veronika Bernhardt - Sana Ohre-Klinikum, Haldensleben, Deutschland
  • Hermann Josef Rothkötter - Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, Institut für Anatomie, Magdeburg, Deutschland
  • corresponding author Erich Kasten - Universitätsmedizin Göttingen, Abt. für Med. Psychologie & Soziologie, Göttingen, Deutschland Externer Link

GMS Z Med Ausbild 2012;29(1):Doc12

doi: 10.3205/zma000782, urn:nbn:de:0183-zma0007821

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2012-29/zma000782.shtml

Eingereicht: 5. Juli 2011
Überarbeitet: 26. September 2011
Angenommen: 4. Oktober 2011
Veröffentlicht: 15. Februar 2012

© 2012 Bernhardt et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Ziel der Studie: Das Fachgebiet der Anatomie ist eines der wichtigsten und lernintensivsten Fächer im vorklinischen Studienabschnitt eines Medizinstudierenden. An der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg stellten sich im Oktober 2007 186 Studierende, davon 126 weiblich und 60 männlich, der Begegnung mit der anatomischen Dissektion von Verstorbenen. Das Ziel dieser Studie ist es, herauszufinden welche Rolle der emotionale Aspekt im Bezug auf diesen Kurs spielt. Es wurde untersucht, wie die Studierenden die erste Konfrontation und den weiteren Umgang mit den Präparaten von Verstorbenen subjektiv wahrnehmen und verarbeiten und inwieweit diesbezügliche Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen (Alter, Geschlecht, Vorerfahrung) aufzufinden sind.

Methoden: Die Studie wurde an 155 Erstsemestern durchgeführt (112 w, 43 m; 21,4±2,9 J.). Es wurden selbstkonstruierte Fragebögen benutzt, die schwerpunktmäßig Befürchtungen hinsichtlich des anatomischen Präparierkurses erfragen und mit Erfahrungen hinsichtlich des Sterbens und eigenen Ängsten vor dem Tod verglichen. Es wurde je ein Fragebogen zu Beginn des ersten Semesters und nach dem ersten Semester ausgehändigt (n=94, 66 w, 28 m), um Entwicklungen und Veränderungen erkennen zu können. Zur Erfassung der Persönlichkeitseigenschaften wurde außerdem zwei Skalen aus dem Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R) vorgelegt.

Ergebnisse: Der selbstentwickelte Fragebogen zeigte hohe Reliabilität. Der Präparierkurs stellte für einige Studierende eine subjektive psychische Belastung dar; rund 50% hatten sich Sorgen gemacht, wie sie die erste Begegnung vertragen, allerdings nur 12% in einem wirklich schweren Ausmaß. Die Korrelationen zwischen Alter, Extraversion, Emotionalität und dem Ausmaß der Befürchtungen waren entgegen bestehender Hypothesen nur gering. Annähernd 90% der Studierenden fanden es dennoch sinnvoll, schon im ersten Semester mit dem Präparieren zu beginnen. Die Verlaufsuntersuchung zwischen erster und zweiter Befragung zeigte einen deutlichen Rückgang dieser Befürchtungen.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse zeigten, dass rund 50% der Studierenden mit Befürchtungen an diesen Kurs herangegangen sind, hiervon haben sich rund ein Zehntel der Studierenden im Vorfeld zum Präparierkurs erhebliche Sorgen über die Begegnung mit den Leichen gemacht. Persönlichkeitstests eignen sich nur eingeschränkt, um die Betroffenen im Vorfeld herauszufiltern. Im Hinblick dieser Ergebnisse sollte über Möglichkeiten diskutiert werden, wie man die Erstsemester sinnvoll und unterstützend auf den Kurs vorbereiten kann.

Schlüsselwörter: Anatomie, psychische Belastung, Studenten, Studierende, Dissektion


Einführung und bisherige Studien

Das Fachgebiet der Anatomie ist eines der wichtigsten und lernintensivsten Fächer im ersten Abschnitt des Medizinstudiums. Einen wesentlichen Teil des Lehrgebietes der Anatomie stellt der Präparierkurs dar, welcher an vielen medizinischen Fakultäten in Deutschland bereits im ersten Semester beginnt. Ungefähr 186 Studierende mit den unterschiedlichsten individuellen Ausgangssituationen stellen sich jährlich der Begegnung mit den Leichen, an denen sie anatomisches Wissen erlangen sollen. Doch nicht nur das Erlangen anatomischen Wissens steht im Mittelpunkt, sondern „es findet auch die erste Auseinandersetzung mit dem Tod statt, die notwendig ist, um als Arzt dem Kranken, dem Sterbenden oder dem Toten mit Respekt zu begegnen (Mitfühlen lernen).“ [6].

Das Ziel dieser Studie ist es, herauszufinden welche Rolle der emotionale Aspekt im Bezug auf diesen Kurs spielt. Es soll untersucht werden, wie die subjektive Wahrnehmung der Studierenden bezüglich der ersten Begegnung und dem weiteren Umgang mit den menschlichen Leichen ist, wie diese verarbeitet werden und inwieweit diesbezüglich Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen aufzuweisen sind. Mit der Studie soll untersucht werden, wie viele der Studierenden Schwierigkeiten haben, das Arbeiten und den Umgang mit den Leichen psychisch zu verarbeiten. Oft kommt es vor, dass diese Probleme von keiner Seite direkt angesprochen werden und daher unentdeckt bleiben.

Die Literatur über medizinische Studienanfänger und die makroskopische Anatomie ist relativ umfangreich. In der Diskussion wird auch Bezug zu internationalen Arbeiten genommen. In ihrer Dissertation „Aspekte der Sozialisation zum Arzt: Eine empirische Studie über Auswirkungen der praktischen Makroanatomie auf Medizinstudierende und deren Einstellung zu Sterben und Tod“ hat Egbert [5] anhand von den Veränderungen und Einstellungen zu Sterben, Tod und Todesfurcht den prägenden Einfluss des Präparierkurses untersucht. Für ihre erste Hypothese: „Die Teilnehmer haben zu Beginn des Präpkurses eine andere Einstellung zu Tod und Sterben als am Ende des Kurses“ verwendete sie die Todesfurcht als Messgröße. Es konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Messpunkten bestätigt werden. Jedoch zeigte die Untersuchung ihrer zweiten Hypothese: „Die Einstellungen zu Tod und Sterben verändern sich bei den Teilnehmern, die berufliche Erfahrungen mit dem Thema Sterben und Tod gemacht haben weniger stark, als bei den Teilnehmern des Präpkurses ohne solche Erfahrungen“ eine Bestätigung dieser Aussage. Im Hinblick darauf ist es interessant zu erfahren, inwieweit Unterschiede bezüglich der Angst und der emotionalen Belastung zwischen weiteren Gruppen bestehen, wie z.B. Gruppen unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher emotionaler Prägungen.

In einem weiteren Artikel von Voltmer et al. [18] über „Studienbezogenes Erleben und Verhalten, Selbstaufmerksamkeit und soziale Unterstützung zu Beginn des Medizinstudiums“, zeigten die Autoren, dass Mediziner gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein größeres Risiko psychosozialer Belastungen und Erkrankungen aufweisen. Es wurde untersucht, inwieweit die Grundsteine dafür innerhalb des ersten Semesters des Medizinstudiums gelegt werden. Es zeigte sich bei 40% der untersuchten Studierenden „eine psychosoziale Belastungskonstellation mit gesundheitsgefährdenden Erlebens- und Verhaltensmustern“. In diesem Zusammenhang wäre es interessant herauszufinden, inwieweit der Präparierkurs dazu beiträgt, bzw. ob er dazu beiträgt.

Über die bisherigen Studien hinaus soll mit dieser Arbeit nicht nur aufgezeigt werden, ob eine emotionale Belastung der Studierenden im Bezug auf den Präparierkurs besteht, sondern auch der jeweilige Zusammenhang mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften, sowie die Entwicklung der emotionalen Belastungen im Verlauf des Kurses.


Hypothesen

Basierend auf der bisherigen Literatur wurden folgende Hypothesen entwickelt:

1. Erstsemester des Studienfaches Medizin geben an, zu Beginn des Studiums eine hohe emotionale Belastung im Bezug auf den Präparierkurs zu erleben.
2. Erstsemester des Studienfaches Medizin geben an, dass sich ihr emotionales Belastungsempfinden im Verlauf des ersten Semesters verringert.
3A. Erstsemester des Studienfaches Medizin mit einer extravertierten Persönlichkeit geben an, weniger emotionale Belastungen zu erleben als Studierende mit einer introvertierten Persönlichkeit.
3B. Erstsemester des Studienfaches Medizin mit emotionaler Stabilität geben an, weniger emotionale Belastungen zu erleben als Studierende mit emotionaler Labilität.
3C. Erstsemester höheren Alters des Studienfaches Medizin geben an, weniger emotionale Belastungen zu erleben als Studierende jüngeren Alters.
3D. Erstsemester des Studienfaches Medizin mit Vorerfahrungen im Sinne einer Ausbildung im medizinischen Bereich geben an, weniger emotionale Belastungen zu erleben als Studierende ohne Vorerfahrungen.
3E. Erstsemester männlichen Geschlechts des Studienfaches Medizin geben an, weniger emotionale Belastungen zu erleben als weibliche Studierende.
3F. Erstsemester mit Vorerfahrungen mit dem Thema Tod und Sterben geben an, weniger emotionale Belastungen zu erleben als Studierende ohne Vorerfahrungen.

Methoden

Stichprobenerhebung

Probanden der Studie sind die Medizinstudierenden der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg, die im Oktober 2007 ihr Medizinstudium begonnen hatten. Die Probanden wurden gebeten auf einer freiwilligen Basis und unter einem Pseudonym den Fragebogen auszufüllen. Die spätere Zuordnung der im Zuge einer Prä-/Post Untersuchung zu Beginn und zum Ende des ersten Semesters erhobenen Fragebögen erfolgte über eine Chiffre-Nummer, die sich die Studierenden selbst ausgedacht hatten. Jeder Proband hatte das Recht die Teilnahme an der Befragung zu verweigern. Die Studierenden wurden mündlich darüber aufgeklärt, dass sie sich durch Ausfüllen und Abgabe des Fragebogens damit einverstanden erklären, dass die Ergebnisse dieser Befragung ausgewertet und publiziert werden dürfen. Das Projekt wurde der Ethik-Kommission der medizinischen Fakultät Magdeburg vorgelegt, die keine Bedenken hatte.

Wünschenswert wäre eine Drop-out Analyse zur Erfassung derjenigen Studierenden gewesen, die das Studium zwischen der ersten und zweiten Befragung abgebrochen haben. Aufgrund der Pseudonymität der Chiffre-Nummern auf den Fragebögen war es jedoch nicht möglich, die Betreffenden nach Studienabbruch noch gezielt anzusprechen. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, bliebe die Frage offen, ob die Studierenden keine Lust hatten, krank waren oder vielleicht das Studium abgebrochen hatten. Darüber hinaus hatten wir diesbezüglich keine Grundlage für Hypothesen.

Messinstrument

Als Methode wurden selbstkonstruierte Fragebögen angewandt. Da die von uns benutzten Fragebogen-Items eine hohe logische Validität aufweisen, konnte auf ein Pre-Reviewverfahren verzichtet werden. Cronbach‘s Alpha für den Fragebogen liegt bei 0,55 und damit nicht besonders hoch, wurde aber für die umgrenzte Fragestellung mit einem selbstentworfenen Fragebogen als ausreichend erachtet. Eine erste Befragung erfolgte am Semesteranfang und umfasste 47 Fragen, die Bearbeitungszeit betrug 40 Minuten. Eine weitere wurde nach dem ersten Semester durchgeführt und umfasste 21 Fragen, die Bearbeitungszeit betrug 20 Minuten. Mittels der Durchführung der Befragung zu zwei unterschiedlichen Messpunkten, sollten Entwicklungen und Veränderungen erkannt werden.

Zur Erfassung der Persönlichkeitseigenschaften (Extra-/Introversion und emotionale Stabilität/Labilität) wurden die jeweiligen Skalen mit je 14 Items aus dem Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R) vorgelegt. Benutzt wurden aus Zeitgründen hier nur Fragen zu den Persönlichkeitsfaktoren Extraversion/Introversion und emotionale Labilität/Stabilität. Die interne Konsistenz des FPI-R wurde durch Cronbach‘s Alpha ermittelt und liegt je nach Skala zwischen 0,73 und 0,83 [7]. Der FPI ist ein bewährtes Verfahren und weist entsprechend einer Fülle wissenschaftlicher Studien eine hohe externe und interne Gültigkeit der Skalen auf.

Versuchsablauf

Wünschenswert wäre eine Befragung der Studierenden vor der ersten Lehrveranstaltung im Präparierkurs gewesen. Aus technischen Gründen war dies leider nicht möglich. Der erste Fragebogen wurde den Erstsemestern nach ihrem ersten Kurstag in der makroskopischen Anatomie ausgehändigt. Die Anweisung besagte, den Fragebogen hinsichtlich möglicher Befürchtungen retrospektiv auszufüllen. Zusätzlich konnte durch diese Konstellation hier dann auch erfragt werden, ob die Befürchtungen mit dem realen Befinden während des ersten Präparierkurses übereingestimmt hatten. Gleichzeitig wurde der Persönlichkeitsfragebogen an die Studierenden verteilt. Um Veränderungen und Entwicklungen erkennen zu können, wurde nach Beendigung des ersten Semesters die zweite Befragung durchgeführt. Den Probanden wurde in beiden Fälle eine ausreichende Zeit zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung gestellt.

Statistik

Die Daten wurden mit SPSS Statistics Version 18 erfasst und ausgewertet. Die Prä-Daten haben überwiegend Nominal- und Ordinalniveau. Als Mittelwerte werden daher Mediane angegeben. Die Post-Daten wurden auf Ordinalskalenniveau erhoben. Dieses Skalenniveau erlaubt streng genommen nur die Berechnung von Medianen, nicht aber des arithmetischen Mittelwertes. Allerdings verschwinden bei Berechnung des Median als „mittelster“ Wert kleinere Differenzen. Nach Beratung durch das Institut für Biometrie der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg (Prof. Kropf) ist es aber durchaus üblich, bei derartigen Fragebogendaten mit mehrstufigen Antwortmöglichkeiten auch Mittelwerte zu berechnen. Im Folgenden werden daher auch Mittelwerte ± Standardabweichung angegeben.

Die Signifikanzprüfungen wurden mit dem Wilcoxon-Test für verbundene Stichproben und dem Median-Test für unverbundene Stichproben durchgeführt. Die Signifikanzen wurden mittels Bonferroni korrigiert. Vorab festgelegt wurde die allgemein übliche Grenze für das Signifikanzniveau von p<0,05. Die Berechnung von Korrelationen erfolgte mit dem Spearman Rangkorrelationskoeffizienten


Resultate

Betrachtung der Alters- und Geschlechts-Mittelwerte der Gesamtstichprobe

In der ersten Befragung im Oktober 2007 wurden insgesamt 155 Fragebögen von Medizinstudierenden ausgefüllt, die den praktischen Teil der Anatomie gerade begonnen hatten. Nach der zweiten Befragung lagen von 94 Probanden vollständige Datensätze aus beiden Befragungen vor, deren Daten in diese Arbeit eingingen. Hiervon waren 66 weiblich (70,2%) und 28 männlich (29,8%). Der Altersbereich der Frauen lag zwischen 18-27 Jahren (Mittelwert 20,03 Jahre, Standardabweichung±1,66 Jahre). Der Altersbereich der Männer lag zwischen 18-31 Jahren (Mittelwert 21,36±2,97 Jahre). 30% der Befragten stammten aus den alten und 70% aus den neuen Bundesländern, 7,1% der Studierenden stammten aus dem Ausland. Erreicht werden konnten nur die Studierenden, die in den entsprechenden Anatomieveranstaltungen anwesend waren. Dies waren 83,3% aller für das Semester immatrikulierter Studierenden in der Erstbefragung, allerdings nur noch 50,5% für die Befragung am Semesterende, trotz der hohen Beteiligung sind Fehler durch eine selektive Stichprobe bei der letzten Testung daher nicht auszuschließen.

Ergebnisse der ersten Befragung

Prüfung der Testgütekriterien

Die Items konnten entweder mit „Ja/Nein“ angekreuzt werden oder auf einer siebenstufigen Skala von -3 bis +3. Hinsichtlich der Durchführungsobjektivität ist der von uns selbst entwickelte Fragebogen als objektiv zu betrachten, da lediglich Antwortkategorien oder Skalen in einem standardisierten Fragebogen angekreuzt werden sollten. Auch die Auswertungsobjektivität war durch reine Häufigkeitsauszählungen gegeben. Für die Reliabilitätsberechnung wurden zwei Fragen in ähnlicher Form doppelt gestellt. Der Spearman’s Korelationskoeffizient betrug R=0.77 und R=0.71; es ist also eine hohe Reliabilität gegeben. Eine Validitätsprüfung mit einem ähnlichen Fragebogen wie z.B. dem von Egbert war aus zeitlichen Gründen nicht möglich. Hinsichtlich der Gültigkeit kann aber auf das Konstrukt der inhaltlichen Validität verwiesen werden [9]; ein externes Kriterium anzulegen war anhand der Größe der Stichprobe nicht möglich.

Ergebnisse des retrospektiven Fragebogens vor dem ersten Präparierkurstag

Hinsichtlich unserer ersten Hypothese, ob die Studierenden eine hohe emotionale Belastung in Bezug auf den Präparierkurs erleben, wurde exploriert, ob die Studienteilnehmer sich schon vor dem Studium Sorgen darüber gemacht haben, wie sie auf den Kurs reagieren würden? In Abbildung 1 [Abb. 1] ist zu sehen, dass 50,4% sich vor dem Studium Gedanken darüber gemacht hatten, wie sie auf die menschlichen Präparate reagieren würden (Skalenwerte:-1 bis -3), von Ihnen hatten sich 11% sehr viele Gedanken gemacht (Skalenwert: -3). 36,2% hatten sich eher keine Gedanken gemacht (Skalenwerte:+1 bis +3), 11% davon gar keine (Skalenwert: +3). 13,5% haben den Skalenwert 0 angekreuzt (Median: -1,0±0,16).

In der folgenden Frage sollten die Studierenden die Wichtigkeit des Präparierkurses beurteilen. Wie man in Abbildung 2 [Abb. 2] sieht, sahen nur 1,8% der Studierenden den Präparierkurs eher als unangenehmes Hindernis auf dem Weg zum Arzt an (Skalenwerte: -1 bis -3), 0,6% von ihnen als sehr unangenehmes Hindernis (Skalenwert: -3). 94,8% sahen den Kurs eher als interessante Erfahrung an (Skalenwerte: +1 bis +3), der sie gespannt entgegen sahen, wobei 54,8% von ihnen diese Meinung in hohem Maß vertraten (Skalenwert: +3). 3,2% hatten den Skalenwert 0 angekreuzt, (Median: 3,0±0,08).

Eine wesentliche Frage dieser Studie bezog sich auf die Gefühle, mit denen die Erstsemester dem ersten Präparierkurs entgegen sahen. Die Ergebnisse zeigen, dass 38,8% der Studierenden dem Präparierkurs mit Angst begegneten (Skalenwerte: -1 bis -3). 8,4% sahen dem Kurs sogar mit großer Angst entgegen (Skalenwert: -3). 46,4% sahen dem Kurs eher gelassen entgegen (Skalenwerte: +1 bis +3), 14,2% sogar sehr gelassen Skalenwert: +3). 14,8% kreuzten den Skalenwert 0 an, (Median: 0,0±0,15).

Eine ähnliche Frage befasste sich damit, ob die Befragten sich direkt vorher Sorgen darüber gemacht hatten, wie sie auf die menschlichen Präparate reagieren werden. Hier konnte gezeigt werden, dass sich 50,4% der Studierenden im Vorfeld des ersten Präparierkurses Sorgen darüber gemacht haben, wie sie auf den menschlichen Leichnam reagieren würden (Skalenwerte: -1 bis -3), 12,3% haben sich sehr große Sorgen gemacht (Skalenwert: -3). 36,2% haben sich eher keine Sorgen gemacht (Skalenwerte: +1 bis +3), 11% davon gar keine (Skalenwert: +3). 13,5% haben Skalenwert 0 angekreuzt (Median: -1,0±0,15).

Ein weiteres Item unseres Fragebogens hinterfragte Angst vor dem Anblick des Leichnams. Bei dieser Frage zeigte sich, dass 44,5% der Studierenden Angst vor dem Anblick der Leichen hatten (Skalenwerte: -1 bis -3), 10,3% hatten sogar sehr große Angst (Skalenwert: -3). 45,2% hatten eher geringe Angst (Skalenwerte: +1 bis +3), 22,6% davon überhaupt keine (Skalenwert: +3). In 10,3% wurde der Skalenwert 0 angekreuzt (Median: 0,0±0,17).

Laut der Ergebnisse der Frage, ob die Studierenden schon früher Erfahrungen mit dem Tod einer Person hatten, waren es 57,4%, die zuvor schon einmal eine menschliche Leiche gesehen hatten. 42,6% hatten dies verneint (Median: 1,0±0,04).

17,3% der Studierenden hatten bereits vor Beginn des Studiums eine Ausbildung in einem der folgenden medizinischen Bereiche absolviert: Krankenpfleger/-schwester, Rettungssanitäter, Rettungsassistent, Physiotherapeut, MTA, Arzthelfer.

58,7% der Studierenden hatten schon einmal über den Tod nachgedacht, oder mit Familie/Freunden darüber gesprochen (Skalenwerte: +1 bis +3), siehe Abbildung 3 [Abb. 3]. 12,9% hatten sogar vor Beginn des Kurses sehr häufig darüber nachgedacht (Skalenwert: +3). In 23,9% wurde jedoch eher nicht darüber nachgedacht oder mit Familie/Freunden darüber gesprochen (Skalenwerte: -1 bis -3). 3,9% hatten noch nie darüber nachgedacht (Skalenwert:-3). 17,4% kreuzte den Skalenwert 0 an. (Median: 1,0±0,13).

Ergebnisse der zweiten Befragung:

Zu Beginn des ersten Semesters vor Kursbeginn hatten 95,8% der Studierenden den Präparierkurs eher als interessante Erfahrung angesehen (Mittelwert: 2,34 ±0,97). Nach beendetem ersten Semester in der Anatomie stieg der Anteil derer, die den Kurs nun eher als interessante Erfahrung ansahen auf 100% (Skalenwerte: +1 bis +3), 63,8% waren sogar fest davon überzeugt (Skalenwert: +3), (Mittelwert: 2,60 ±0,57), die Differenz beträgt 0,26 ± 0,98, der Bonferroni-korrigierte WILCOXON-Test für verbundene Stichproben ergab keine Signifikanz.

Unsere 2. Hypothese gab vor, dass sich das emotionale Belastungsempfinden im Verlauf des ersten Semesters verringern würde. 74,5% hatten zu Beginn des Kurses erwartet, dass sie beim Präparieren lockerer als gedacht sein werden (Mittelwert: 1.34±1,67). Bei der zweiten Befragung zeigte sich dann, dass die Studierenden im Durchschnitt noch bedeutend gelassener beim Präparieren der Leichen geworden sind. 95,8% waren letztendlich lockerer als erwartet (Skalenwerte: +1 bis +3), 61,7% waren extrem gelassen (Skalenwert: +3). Nur 1,1% gaben an, doch nicht so entspannt gewesen zu sein (Skalenwert: -2) und 3,2% kreuzten den Skalenwert Null an, (Mittelwert: 2,47±0,86), die Differenz beträgt -1,13±1,84, der Bonferroni-korrigierte WILCOXON-Test für verbundene Stichproben ergab eine hohe Signifikanz (p<0,005).

Nach dem ersten Kurstag waren es 33% der Befragten, denen beim Anblick der Leichen eher unwohl oder übel wurde (Skalenwerte: -1 bis -3), der Mittelwert betrug 0,90±1,83. Die Zahl derer, denen unwohl wurde ging im Verlauf des ersten Semesters signifikant zurück und zu Beginn des zweiten Semesters waren es nur noch 6,4% die während des Kurses Unwohlsein verspürten (Skalenwerte: -1 bis -3), keiner mehr in extremer Form. 87,2% gaben derartige Beschwerden eher nicht mehr an (Skalenwerte: +1 bis +3), davon 50% gar nicht mehr (Skalenwert: +3) und 6,4% kreuzten den Skalenwert 0 an, (Mittelwert: 2,10±1,22), die Differenz beträgt -1,19±1,69, der Bonferroni-korrigierte WILCOXON-Test für verbundene Stichproben ergab eine hohe Signifikanz (p<0,005).

Die Ergebnisse zeigten, dass 26,6% der Studierenden nach dem ersten Kurs eher mit einem positiven Gefühl an den Leichen präpariert hatten (Mittelwert: 0,09±1,25), siehe Abbildung 4 [Abb. 4]. Es zeigte sich bei der zweiten Befragung eine signifikante Veränderung dahingehend, dass die Studierenden im Laufe des ersten Semesters durchschnittlich eher positive Gefühle beim Sezieren entwickelten. Nach dem ersten Semester waren es 33%, die eher ein positives Gefühl bei der Präparation hatten (Skalenwerte: +1 bis +3), davon 3,2% in besonders hohem Maß (Skalenwert: +3) und nur noch 4,3% verspürten negative belastende Gefühle (Skalenwerte: -1 bis -3), jedoch keiner in einem hohen Maß. 62,8% gaben weder negative noch positive Gefühle an (Skalenwert: 0), (Mittelwert: 0,48±0,89), die Differenz beträgt -0,39±1,44, der Bonferroni-korrigierte WILCOXON-Test für verbundene Stichproben ergab jedoch keine Signifikanz.

Korrelationen

Anhand der Daten der ersten Befragung (Gesamtstichprobe, n=155) wurde untersucht, ob extravertierte Studierende weniger Probleme bei der Verarbeitung des Kurses haben als introvertierte, emotional stabile Studierende weniger Probleme haben als emotional instabile und ältere weniger Probleme haben als jüngere Erstsemester. Anhand der abgelesenen Staninwerte aus den Tabellen des FPI-R waren 10,97% der Studierenden als eher introvertiert (Stanine 1-3), 69,03% als eher durchschnittlich (Stanine 3-6) und 20% als eher extravertiert eingeordnet (Stanine 7-9). Bezüglich der emotionalen Stabilität waren 30,32% der Erstsemester als eher emotional stabil (Stanine 1-3), 57,42% als eher durchschnittlich (Stanine 4-6) und 12,26% als eher emotional instabil einzuordnen. Die jeweiligen Relationen zu den Referenzgruppen sind den Tabellen 1 [Tab. 1] und 2 [Tab. 2] sowie deren Erläuterungen zu entnehmen. Berechnet wurde der nonparametrische Spearman’s Rho Rangkorrelationskoeffizient für einseitige Fragestellungen, da die Hypothesen nur in eine Richtung gehen. Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die Daten.

Die Daten zeigen, dass die Korrelationen keine Signifikanzen aufweisen. Extravertierte Studierende hatten nicht weniger Schwierigkeiten mit Ängsten und Befürchtungen im Bezug auf den Präparierkurs als introvertierte Studierende. Emotional stabile Erstsemester waren diesbezüglich ebenfalls nicht weniger beeinträchtigt als emotional labile und auch beim Alter zeigte sich, dass ältere Studierende sich mit ihren erwarteten Sorgen nicht von denen der Jüngeren unterschieden. Unsere Hypothesen 3a bis 3c sind daher nicht zutreffend.

An den Daten der ersten Befragung (Gesamtstichprobe, n=155) wurde außerdem untersucht, ob vorangegangene Auseinandersetzung mit dem Gebiet Sterben und Tod die Einstellung zum Präparierkurs beeinflusst. Berechnet wurde wieder der Spearman’s Rho-Korrelationskoeffizient für einseitige Fragestellungen. Tabelle 2 [Tab. 2] zeigt die Daten.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Gruppe der Studierenden, die noch nie eine Leiche gesehen haben signifikant mit der Gruppe korrelierte, die Angst vor dem Anblick der Leichen hatten. Eine hochgradig signifikante Korrelation war auch zwischen denjenigen Erstsemestern aufzuweisen, die Furcht vor der Tatsache hatten, dass jeder irgendwann sterben muss, mit denjenigen, die Angst vor dem Anblick der Leichen hatten. Ebenfalls mit hochgradiger Signifikanz korrelierte die Gruppe der Erstsemester, die Furcht vor dem Tod hatte, mit der, die dem Präparierkurs eher mit negativen und belastenden Gefühlen entgegen sahen. Unsere Hypothese 3f ist damit zutreffend.

Eine weitere Untersuchung der ersten Befragung (Gesamtstichprobe, n=155) zielte darauf ab herauszufinden, ob Unterschiede in der psychischen Belastung bei Studierenden unterschiedlichen Geschlechts (w=112, m=43) oder zwischen jenen mit und ohne medizinischer Vorausbildung (mit=27, ohne=128) bestehen. Berechnet wurden die Signifikanzen mittels des Median-Tests für unverbundene Stichproben, nach Bonferroni Korrektur liegt das Signifikanzniveau bei p<0,01. Tabelle 3 [Tab. 3] zeigt die Daten.

Die Ergebnisse zeigen, dass es zwischen den Studierenden mit und ohne einer vorherigen Ausbildung im medizinischen Bereich keine signifikanten Unterschiede im Bezug auf Sorgen und Gedanken über Tod und den Präparierkurs gibt. Die Hypothese 3d ist damit anhand unserer Daten als nicht zutreffend abzulehnen.

Betrachtet man die Unterschiede im Hinblick auf das Geschlecht, zeigen die Ergebnisse signifikante Unterschiede auf. Frauen haben sich im Durchschnitt mehr Sorgen darüber gemacht, wie sie auf die menschlichen Präparate reagieren werden, hatten durchschnittlich mehr Angst beim Anblick der Leichen und im Vergleich zu den Männern durchschnittlich eher negative und belastende Gefühle beim ersten Präparierkurs. Die Hypothese 3e ist damit zutreffend.

Hinsichtlich Gefühlen und Gedanken vor dem ersten Kurstag gab es keine geschlechterspezifischen signifikanten Unterschiede.


Diskussion

Unsere Daten zeigen, dass zwar ein nicht unbeträchtlicher Teil der Studierenden sich in der von uns erfragten subjektiven Selbsteinschätzung vor dem ersten Kontakt mit den Verstorbenen erhebliche Sorgen darüber gemacht hat, ob und wie dieses Erlebnis verkraftet wird. Die Vergleichsdaten zeigen aber auch, dass die meisten Studierenden sich emotional rasch beruhigen und den Präparationskurs dann als einen der wichtigsten Bestandteile ihres Studiums ansehen. Zu diesem Ergebnis gelangte auch Schneller [15]: „Vor dem Kurs erleben 42 Prozent der Studierenden eigenen Angaben nach deutlich, starke oder sehr starke Befürchtungen, Hemmungen oder Ängste.“ „Dennoch gelang den meisten Studierenden die Kursanpassung viel schneller und unproblematischer als erwartet.“ Nicht außer Acht lassen darf man die Tatsache, dass die erste Befragung nach dem ersten Kurstag im Präpariersaal erfolgte und die dadurch teils auch retrospektiv erhobenen Daten fehlerbehaftet sein können. Die Fragen zu Sorgen und Ängsten vor dem Kurs könnten aufgrund von aktuellen Emotionen und Reaktionen auf den ersten Kontakt mit den Verstorbenen im Affekt in übertriebenem Maße beantwortet worden sein. Es ist durchaus möglich, dass dadurch die Anzahl derer, die angaben sich vor dem Kurs Sorgen gemacht zu haben, höher ausgefallen ist, als wenn die Befragung vor dem ersten Kurstag stattgefunden hätte.

Auch wenn für einen nicht unerheblichen Teil der Studierenden der Präparierkurs zunächst eine emotionale Belastung dargestellt hatte, darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass insgesamt gesehen der Großteil der Erstsemester keine Schwierigkeiten im Bezug auf die Vorbereitung und die Verarbeitung der neuen Eindrücke des Kurses hatte. Des Weiteren sollte man dem Ergebnis Beachtung schenken, dass die meisten derer, die im Vornherein psychischen Stress hatten, nach Beendigung des Kurses kaum noch unter einer emotionalen Belastung litten. Diese Ergebnisse gleichen denen verschiedener Publikationen zu dieser Thematik. Boeckers et al. [2] fanden heraus, dass die Hälfte der Studierenden, die den Präparierkurs vorher als Belastungsfaktor sahen, im Verlauf zunehmend von dieser Ansicht Abstand nahmen. Mc Garvey et al. [11] schrieben in ihrer Studie: „Most students (95%) found the prospect of their first visit to the anatomy room exciting. A small number initially experienced physical symptoms, but these had improved significantly 10 weeks later.” Auch Dinsmore, Daugherty und Zeitz [3] fanden heraus, dass ein Großteil der Studierenden ihrem ersten Anatomiekurs mit einer positiven Einstellung entgegen gesehen hatten, jedoch der Kurs für einen geringen Prozentsatz der Erstsemester ein traumatisches Erlebnis darstellte. Diese Ergebnisse zeigten sich auch schon in einer früheren Studie von Nnodim [12], in welcher herauskam, dass zu Beginn des Kurses viele negative Reaktionen standen, die im Verlauf durch neutrale bis positive Reaktionen ersetzt wurden. Ein Grund für die nachlassende emotionale Belastung der Studierenden im Verlauf des Kurses kann die Gewöhnung an eine Situation sein, mit der sie bis zum Zeitpunkt des ersten Kurses noch keinen Kontakt hatten. Im Verlauf des ersten Semesters können Erfahrungen gesammelt werden, wie jeder für sich individuell mit seinen Gefühlen umgeht und sie verarbeitet. Mit jedem Kurs wird der Fokus mehr und mehr auf den praktischen Teil als auf den emotionalen gelegt, was die Gefühle jedes einzelnen in den Hintergrund weichen lässt. Das fanden auch Arráez-Aybar, Castaño-Collado und Cascado-Morales [1] in ihrer Studie heraus. Sie schrieben, dass sich die emotionalen Reaktionen verringerten und die Einstellungen und Meinungen der Studierenden änderten, sobald sie mehr Erfahrungen beim Präparieren gesammelt hatten. Auch andere Verarbeitungsmechanismen, z.B. Verdrängung, Rationalisierung oder Distanzierung, können eine Rolle gespielt haben. Man muss allerdings im Auge behalten, dass nur diejenigen in die Gesamtstichprobe mit eingeflossen sind, welche sowohl an der ersten, als auch an der zweiten Befragung teilnahmen. Somit werden in diesem Durchschnitt möglicherweise einige nicht erfasst, die von Beginn an eher skeptisch und mit Zweifeln dem Arbeiten an den Leichen gegenüberstanden. Ob es zu Studienabbrüchen kam, weil die Arbeit an den Leichen als unüberwindbares Hindernis angesehen wurde, ist nicht bekannt.

Desweiteren wurde untersucht, in wieweit bei den Studierenden Vorerfahrungen im Bezug auf den Umgang mit dem Thema Tod und Sterben bestanden und wie hoch der Prozentsatz derer mit bereits abgeschlossenen Ausbildungen im medizinischen Bereich ist.

Betrachtet man die Ergebnisse kann man sehen, dass viele der Erstsemester schon vor Studienbeginn mit dem Thema Tod und Sterben Kontakt hatten, teils direkt, teils aber auch durch Beschäftigung mit dem Thema. Daneben existiert aber eine ungefähr genauso große Gruppe, die vorher noch in keinerlei Hinsicht mit diesem Thema in Kontakt stand und für die der Präparierkurs die erste Konfrontation mit dem Tod darstellt. In dieser Hinsicht erscheint es verständlich, dass bei einigen Studierenden eine emotionale Belastung im Hinblick auf den Kurs besteht. Wenn ein Medizinstudierender zum ersten Mal in seinem Leben mit einer Leiche im Kurs konfrontiert wird, an der er das nächste Semester über in die Kenntnisse der Anatomie des menschlichen Körpers eingeführt werden soll, so wird bei den meisten ein Schwall an Emotionen ausgelöst. Man fängt an, sich z.B. mit seiner eigenen Sterblichkeit auseinander zu setzen und damit, was Menschen dazu bewegt ihren Körper einem anatomischen Institut zur Verfügung zu stellen. Das beschrieben auch Wagoner und Romero-O`Connell [19] in ihrer Arbeit: “For many, facing a dissection for the first time elicits a wide range of emotions. These may include thoughts of their own mortality to the sheer admiration of knowing that someone cared enough to help others learn about the body, even in death.”

Dass eine Korrelation zwischen den Studierenden ohne vorherigen Leichnamkontakt und Ängsten vor dem ersten Kurstag besteht, beschrieb auch Schneller [15][: „Die 30% der Kursteilnehmer, die noch nie zuvor eine Leiche gesehen hatten, hatten es am ersten Kurstag besonders schwer und zeigten zahlreiche körperliche und psychische Symptome.“

Allerdings muss man der Tatsache Beachtung schenken, dass die Studierenden im weiteren Verlauf ihres Studiums mit dem Tod von Patienten konfrontiert werden. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass die Studierenden durch das Arbeiten an den menschlichen Präparaten auf die späteren Erfahrungen mit dem Ableben der Patienten vorbereitet werden. Dies beschrieb auch Skandalakis [17] in seiner Arbeit: “Cadavers offer surgical skill-building opportunities and confrontation with death. “

Außerdem wurde untersucht, ob es hinsichtlich Sorgen und Ängsten vor und beim Kurs geschlechterspezifische Unterschiede gibt. Unsere Ergebnisse, dass Frauen hinsichtlich des Kurses einer stärkeren emotionalen Belastung unterliegen als Männer, korrelieren mit denen aus anderen Arbeiten. So fanden Shindel et al heraus: „Depressive symptoms are common in female medical students.“ [16]. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass die weiblichen Studierenden eher bereit waren, ihre Sorgen und Ängste bei der Bearbeitung der Fragebögen zuzugeben. Auch Schneller [15] schrieb: „Jüngere und weibliche Studenten gaben dabei häufiger ihre Ängste zu als ältere, männliche Studenten.“

Schließlich muss man sich die Frage stellen, wie man denjenigen Studierenden Unterstützung bieten kann, die dem Kurs mit Angst entgegentreten und Schwierigkeiten bei der Verarbeitung jeglicher neuer Eindrücke aus dem Kurs haben. Dabei muss abgewogen werden, ob die erwogenen Methoden im Rahmen der Möglichkeiten der Universität liegen.

Ein relativ einfaches Verfahren, das den Studierenden die Möglichkeit zur Verarbeitung der Eindrücke geben kann wäre das Gefühlte sowie das Erlebte in Worte zu fassen und nieder zu schreiben. Das fällt leichter, als das Anliegen mit anderen Personen zu diskutieren, die im Zweifelsfall zudem noch fremd sind. Dies wurde auch von Doll et al. [4] beschrieben: „Previous research suggests that students may be more willing to discuss issues associated with death through written correspondence rather than through oral communication.” Auch Wagoner und Romero-O´Connell [19] fanden Folgendes heraus: „Students often attain memorable experiences from cadaver dissections through reflective writing.” Neben der Tatsache, dass es den Studierenden hilft, sich ihr Inneres von der Seele zu schreiben, könnten andere Studierenden von den Erfahrungen profitieren. Jede Universität würde eine Art Berichtssammlung anlegen. Neue Erstsemester könnten dann darauf zugreifen und es würde ihnen vielleicht helfen zu lesen, dass sie nicht allein mit ihren Befürchtungen sind. Dabei wäre es wichtig die universitätsbezogenen Erfahrungen auch nur an der jeweiligen Universität anzubieten, da sich die Erfahrungen auch auf die individuelle Art und Weise zu unterrichten und den Ablauf bezieht, der ebenfalls an jeder Fakultät individuell verläuft. Auch Pabst [13] schrieb: „Due to the great variability in the number of teaching hours, type of teaching methods, previous qualifications of medical students, number and qualification of demonstrators and several other parameters it is impossible to assume experiences in one institute and/or country to be valid for another.”

Ein Ansatz zur besseren Verarbeitung der Sorgen und Ängste rund um das Thema Tod und Sterben ist die Zusammenkunft in Peergroups. Dass solch ein Konzept Erfolg verspricht zeigte jüngst eine Studie zur Untersuchung des Nutzens von Peer Mentoring bei Studierenden der Zahnmedizin. Hier kamen Lopez, Johnson und Black [10] zu dem Ergebnis, dass den Studierenden auf diese Weise geholfen werden konnte mit Stress umzugehen.

Ein weiterer Ansatz zur Prävention psychischer Belastung von Erstsemestern im Bezug auf den Präparierkurs ist die Betreuung durch ältere Studierende aus dem klinischen Abschnitt des Medizinstudiums (Tutoring). Diese stellen für die jüngeren Studierenden keine Autoritätspersonen dar, so dass es den Erstsemstern leichter fallen würde über ihre Gefühle zu sprechen als mit den Dozenten. Eine Studie von Houwink et al. [8] hat gezeigt, dass Erstsemester die beim ersten Präparierkurs von älteren Studierenden begleitet wurden unter weniger Ängsten und Stress litten, als eine Vergleichsgruppe ohne Begleitung.

Zudem wird den Studierenden kein direkter Ansprechpartner für Probleme außerhalb des Fachwissens zugeteilt und es besteht Unsicherheit, an wen sich gewendet werden soll. Auch in einer Arbeit von Petersen-Ewert et al. [14] wird beschrieben: „Außerdem wissen viele der Studierenden nicht, welche Beratungsangebote an ihrer medizinischen Fakultät vorhanden sind und holen sich eher Rat bei Gleichaltrigen.“ Die nicht so lange zurückliegenden individuellen Erfahrungen der Studierenden im klinischen Abschnitt könnten den Studienanfängern Unterstützung bieten. Es könnte seminargruppenbezogen einen studentischen Betreuer geben, mit dem sich an regelmäßigen Terminen über Ängste und Erfahrungen ausgetauscht werden kann. Das Wichtigste und Schwierigste dabei würde sein, die Studierenden dazu zu bringen sich für das Thema Tod und Sterben zu öffnen und ihnen zu verstehen zu geben, dass sie kein Schamgefühl entwickeln müssen, wenn Probleme zu dieser Thematik bestehen. Das setzt eine gut funktionierende Seminargruppe voraus, in der jeder akzeptiert und ernst genommen wird.

Als Fazit dieser Studie lässt sich sicherlich ziehen, dass viele Studierenden sich vor dem ersten Kontakt mit menschlichen Leichen erhebliche Sorgen über eigene Emotionen machen. Auch wenn diese Emotionen sich bei fast allen im Verlauf des Kursus beruhigen, sollte man sich dennoch Gedanken über eine bessere Vorbereitung der Studierenden auf diese Art von Konfrontation mit dem Tod machen.


Danksagung

Wir danken allen Studenten für die Teilnahme an dieser Studie. Wir danken den Mitarbeitern des Instituts für Anatomie in Magdeburg für ihr Angebot, die Studie durchzuführen.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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