gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Evidenzbasierte Pflegeausbildung - ein systematisches Review zur empirischen Forschungslage

Forschungsarbeit Humanmedizin

Suche in Medline nach

  • corresponding author Karin Reiber - Hochschule Esslingen, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, Esslingen, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2011;28(2):Doc27

doi: 10.3205/zma000739, urn:nbn:de:0183-zma0007391

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2011-28/zma000739.shtml

Eingereicht: 24. September 2010
Überarbeitet: 21. Dezember 2010
Angenommen: 22. Dezember 2010
Veröffentlicht: 16. Mai 2011

© 2011 Reiber.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Das Projekt „Evidenzbasierte Pflegeausbildung – Vorbereitungsstufe“, das von der Landesstiftung Baden-Württemberg im Rahmen des Programms „Impulsfinanzierung Forschung“ gefördert wurde, zielt darauf ab, die aktuelle Forschungslage zur Pflegeausbildung zu erfassen und die vorhandenen Daten aufzubereiten. Bereits vorliegende Ergebnisse empirischer Forschung wurden systematisch ausgewertet, wobei weiterführende Themen, Felder und Gegenstandsbereiche für die empirische Forschung zur Pflegeausbildung identifiziert werden sollten. Im Verlauf des Projekts wurden verfügbare empirische Studien zur Pflegeausbildung wissenschaftlich analysiert und systematisiert. Das übergeordnete und über das Projekt hinausreichende Ziel des Ansatzes „Evidence based Training“ ist die Konzeption, Gestaltung und Evaluation berufsqualifizierender Lehr- und Lernprozesse in den Pflegeberufen auf der Basis empirischer Daten.

Der nachfolgende Beitrag stellt zunächst einen theoretisch-systematischen Bezug zum übergeordneten Referenzrahmen her, da der Ansatz der Evidenzbasierung aus thematisch verwandten Fachgebieten adaptiert wird. Das Untersuchungsdesign des Projekts orientiert sich an eingeführten Kriterien der Studienauswahl und führt mit den ausgewählten Studien in einem zweischrittigen Verfahren ein systematisches Review durch. Daraus resultierend wird der aktuelle Forschungsstand sowohl zu Organisation und Struktur der Pflegeausbildung als auch zu fachdidaktischen und bildungskomparativen Fragestellungen vorgestellt und diskutiert. Abschließend wird die empirische Forschung zur Pflegeausbildung als ergänzendes Element der lerntheoretischen bzw. lernpsychologischen sowie bildungstheoretischen und ethischen Forschungstradition kritisch gewürdigt.

Der Beitrag zielt einerseits darauf ab, die eingesetzte Methode herzuleiten, zu beschreiben und die damit verbundenen Erhebungs- und Auswertungsschritte vorzustellen. Zum anderen möchte er einen systematisierenden Überblick über empirische Forschungsarbeiten zur Pflegeausbildung geben. Auf die Darstellung von detaillierten Einzelergebnissen wird zugunsten der Gesamtdarstellung von Forschungsmethode und Forschungsfeld verzichtet.

Schlüsselwörter: Evidenzbasierte Ausbildung, Pflegeausbildung, Berufsausbildung, empirirsche Bildungsforschung


Theoretischer Referenzrahmen

Während der Begriff „Evidenz“ in der deutschen Umgangssprache mit der Konnotation „Augenscheinlichkeit“ bzw. „einleuchtende Erkenntnis“ benutzt wird1, bedeutet Evidence im angloamerikanischen Sprachraum Gültigkeit auf empirischer Basis [1]. Im Kontext des hier vorzustellenden Forschungsvorhabens wird der deutsche Begriff Evidenz im Sinne von Evidence verwendet, was eben gerade nicht der Bedeutung von „dem Augenschein trauen“ entspricht, sondern vielmehr meint, die Phänomene wissenschaftlich – hier insbesondere empirisch – zu hinterfragen. Das Konzept der Evidenzbasierung stammt zunächst aus dem klinischen Kontext und wurde nachfolgend für hochschuldidaktische Fragestellungen adaptiert.

Klinische Referenzmodelle

In der Medizin bezeichnet „Evidence based Medicine“ (EbM) ein Verfahren, bei dem die individuelle klinische Expertise der ärztlich oder therapeutisch behandelnden Person und die bestmögliche externe Evidenz im Hinblick auf eine konkrete Behandlungsentscheidung integriert werden. Die externe Evidenz resultiert dabei aus Ergebnissen der Forschung. Das ärztliche Handeln stützt sich in diesem Ansatz sowohl auf das Wissen und die Erfahrung der Ärztin oder des Arztes (interne Evidenz) als auch auf neueste Befunde aus der empirischen Forschung. Beides soll gleichermaßen als Basis einer medizinischen Entscheidung für einen ganz bestimmten Patienten dienen, wobei jeweils die Rahmenbedingungen zu berücksichtigen sind [2]. Analog dazu steht Evidence based Nursing and Caring (EbN) für eine Pflegepraxis, die bei pflegespezifischen Entscheidungen externe Evidenz einbezieht, d.h. vorliegende Ergebnisse der Pflegeforschung im Rahmen eines elaborierten Verfahrens erschließt und implementiert. Neben der Expertise und Erfahrung der Pflegeperson und den Rahmenbedingungen pflegerischen Handelns spielt dabei die zu pflegende Person eine zentrale Rolle – zumal sich die interne Evidenz, wie Behrens und Langer (2006) formulieren, in der „Kommunikation mit unserer jeweiligen einzigartigen Patientin“ [3] erschließt. In diesem Konzept hat die zu pflegende Person einen großen Einfluss auf die zu treffende Pflegeentscheidung. Neben die professionelle Beziehung zwischen Pflegeperson und zu pflegender Person tritt die personale Beziehung [3] 2. In beiden Ansätzen (EbM und EbN) geht es um die Entscheidung für eine konkrete therapeutische oder pflegerische Intervention. Evidenzbasierte Medizin bzw. Pflege bezeichnet also sowohl eine Haltung als auch die daraus resultierende Handlung.

Pädagogische Referenzmodelle

Mediziner/-innen, die an der Ausbildung des Nachwuchses beteiligt und an Evidenzbasierung interessiert sind, fragen nach der Evidenz ihrer Lehre. „Best Evidence Medical Education“ (BEME) ist die Adaption von EbM an die medizinische Hochschulausbildung. Verstanden wird darunter das Ethos und die Praxis von Lehrenden, Ansätze und Methode mit höchstmöglicher Evidenz anzuwenden [4].

Gleichermaßen in hochschuldidaktischer Perspektive suchen Winteler und Forster (2007) nach empirischen Antworten auf die Frage, was eigentlich gute Lehre sei. Während der bisherige Diskurs zu dieser Frage eher bildungstheoretisch ausgerichtet ist, fragen diese Autoren nach den Effektstärken bereits verfügbarer Studienergebnisse. Sie definieren Evidenzbasierte Lehre (EbL) als „die bewusste, explizite und wohlbegründete Anwendung der gegenwärtig besten Evidenz für Entscheidungen darüber, welche Lernerfahrungen für die Lernenden bereitgestellt werden“ [1].

Bei dieser Anwendung des Prinzips der Evidenzbasierung auf Lehren und Lernen geht es nicht um einen konkreten Fall, für den es eine Entscheidung zu treffen gilt. Bezugspunkt ist vielmehr die kontinuierliche Qualitätsentwicklung der Lehre durch die Ausrichtung des pädagogischen Handelns an Befunden der empirischen Lehr-Lern-Forschung. Die Perspektive der Lernenden fließt hier nur insoweit mit ein, als die rezipierten Studien direkte und indirekte Lerneffekte messen.


Methode

Der Gegenstand des hier beschriebenen Projekts wird als „Pflegeausbildung“ bezeichnet. Begrenzt wird dieser Gegenstandsbereich auf diejenige pflegeberufliche Ausbildung, die zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führt; ausgenommen sind also Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Der Begriff „Pflegeausbildung“ subsumiert die Ausbildungen zu den Berufen Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie Altenpflege. Diese drei Berufe weisen die größten Gemeinsamkeiten auf, weshalb für sie in unterschiedlichen Modellprojekten integrierte bzw. generalistische Ausbildungskonzepte erprobt werden [5].

Die Fragestellung ist durch das Rahmenkonzept „Evidenzbasierte Pflegeausbildung“ auf empirisch gesicherte Daten zur Pflegeausbildung fokussiert. Dabei sind drei Dimensionen zu unterscheiden: schulische Lernprozesse, betriebliche Lernprozesse und der Theorie-Praxis-Transfer. Diese drei Dimensionen werden hinsichtlich empirischer Befunde von Bedingungen, Verlauf und Ergebnissen berufsqualifizierender Bildungsprozesse untersucht.

Die Studienauswahl und -bewertung wird anhand der QUESTS-Kriterien aus dem BEME-Ansatz vorgenommen [4]:

  • QUALITY: Art der Studie & Reliabilität
  • UTILITY: Allgemeine Nützlichkeit der Ergebnisse
  • EXTENT: Umfang der Studie
  • STRENGTH: Aussagekraft, Klarheit & Widerspruchsfreiheit
  • TARGET: Allgemeingültigkeit der Studienziele
  • SETTING: Allgemeingültigkeit von Situation & Kontext

Die Kriterien Qualität (Quality), Umfang (Extent) und Aussagekraft/Widerspruchsfreiheit (Strength) sind studienimmanente Kriterien (ebd.). Sie werden in einem ersten Schritt durch die Studienauswahl sichergestellt: Aus der Fragestellung des Projekts ergibt sich zunächst die Beschränkung auf empirische Studien zur Pflegeausbildung. In die Untersuchung einbezogen werden Veröffentlichungen, deren Qualität, Reichweite und Aussagekraft durch die bewährten Qualitätssicherungsprozesse der Wissenschaft abgesichert sind:

1.
Dissertationen: wissenschaftlicher Qualitätssicherungsprozess in Form der Begutachtung (N=10)
2.
Begleitforschung und evaluative Forschung im Rahmen von Modellprojekten sowie Ausbildungsstudien, deren Ergebnisse in Form einer wissenschaftlichen Publikation vorliegen: wissenschaftlicher Qualitätssicherungsprozess in Form von methodisch abgesichertem Vorgehen unter Einhaltung der wissenschaftlichen Gütekriterien (N=9)
3.
weitere referierte Publikationen aus Zeitschriften, Tagungsbänden o.ä. über empirische Forschungsergebnisse zum Gegenstandsbereich: wissenschaftlicher Qualitätssicherungsprozess in Form von Peer Review (N=4)

Im zweiten Schritt erfolgt die Studienbewertung anhand der Kriterien Allgemeine Nützlichkeit (Utility) und Allgemeingültigkeit (Target) sowohl hinsichtlich der Studienziele als auch in Bezug auf Situation und Kontext (Setting). Zur Gewährleistung der Aktualität wird eine zeitliche Eingrenzung auf die letzte Dekade festgelegt. Einbezogen werden also empirische Arbeiten mit einem Veröffentlichungsdatum ab dem Jahr 2000.

Winteler und Forster (2007) nennen generell zwei Möglichkeiten der Analyse und Synthese empirischer Befunde für evidenzbasiertes Lehren: Systematische Überblicksartikel (Reviews) und Meta-Analysen. Letztere definieren sie als „Goldstandard“ [1], wobei die Studienergebnisse mit Hilfe von statistischen Verfahren kombiniert werden, um Effektstärken zu ermitteln (ebd.)3. Da die hier zu berücksichtigenden Ergebnisse sowohl aus quantitativer als auch aus qualitativer Forschung stammen, scheidet eine Meta-Analyse aus. Die Analyse und Synthese erfolgt im Rahmen eines systematischen Reviews.

Zur Datenauswertung wurden die Auswertungsdimensionen zunächst theoriegeleitet, dann aus dem Material heraus empiriegeleitet deduziert [6]. Eine erste Sichtung des Materials ergab folgende Evidenzbereiche:

  • Ausbildungsinhalte
  • Ausbildungsstrukturen und -bedingungen, auch im historischen bzw. internationalen Vergleich
  • Umsetzung veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen
  • Theorie-Praxis-Transfer
  • Wirkungen spezifischer methodisch-didaktischer Ansätze

In diesen Evidenzbereichen sind die Dimensionen Struktur, Prozess und Ergebnis erkennbar, die als theoriegeleitete Dimensionen genutzt wurden.

  • Struktur: Hierunter wurden Studienergebnisse subsumiert, die Auskunft darüber geben, welche Strukturmerkmale sich hemmend oder fördernd auf die Pflegeausbildung auswirken.
  • Prozess: Zu dieser Dimension wurden Untersuchungsergebnisse gerechnet, die empirisch abgesicherte Daten zum lernwirksamen Einfluss von Prozessmerkmalen liefern. Unterschieden wurde dabei zwischen inhaltlichen und methodischen Aspekten.
  • Ergebnis: Hierzu wurden die Ergebnisse gezählt, die einen Zusammenhang zwischen positiven bzw. negativen Einflussfaktoren und den Ausbildungsergebnissen sichtbar machten.

Diese Erstcodierung wurde innerhalb der Studien- bzw. Publikationsarten vorgenommen (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Dazu wurden die Primärstudien mit einem Codierbogen erfasst und die erhobenen Daten in Form einer Synopse nach einem einheitlichen Schema dargestellt (vgl. zu diesem methodischen Vorgehen [7]):

Es entstanden in diesem Schritt also drei Synopsen zu

1.
Dissertationen,
2.
Begleit- und Evaluationsstudien und
3.
weiteren referierten Publikationen

mit Paraphrasen der Ergebnisse empirisch gesicherter Untersuchungen von Ausbildungsstrukturen, Ausbildungsprozessen in inhaltlicher und in methodischer Hinsicht sowie Ausbildungsergebnissen. Unter „Sonstige“ konnten Ergebnisse festgehalten werden, die in keine der anderen Kategorien passten.

Ebenfalls innerhalb der Unterteilung nach Studien- bzw. Publikationsarten erfolgte nun in einem zweiten Schritt eine empiriegestützte Codierung zu Oberbegriffen, die aus dem Datenmaterial abgeleitet wurden. Diese Oberbegriffe, die sich auf die Studien- bzw. Publikationsarten bezogen, wurden sodann studienartenübergreifend nach Querverbindungen ausgewertet. So ließen sich übergreifende Kategorien ableiten, nach welchen das Gesamtmaterial ausgewertet wurde:

  • Strukturelle Rahmenbedingungen und Berufsprofil
  • Didaktische Rahmenbedingungen
  • Anforderungen an den Lernort Schule
  • Anforderungen an die praktischen Ausbildungsphasen
  • Theorie-Praxis-Transfer
  • Die Auszubildenden in den Pflegeberufen
  • Ausbildungsinhalte

Dieses Erhebungs- und Auswertungsprocedere ist ein eigenständiges methodisches Verfahren, das bei Weitem über das Referieren des Forschungsstandes zu Beginn jeder neuen Studie hinausgeht (vgl. zu dieser Kritik an „evidenzbasierter Bildungsforschung“ [8]).


Ergebnisse zum Forschungsstand

Da die Darstellung der Ergebnisse in den o.g. Dimensionen den Umfang eines Zeitschriftenbeitrags sprengen würde, wird an dieser Stelle das übergeordnete Projektergebnis in Form eines systematischen Überblicks über aktuelle empirische Forschungsarbeiten zu den Pflegeausbildungen vorgestellt.

Es gibt eine Reihe von empirischen fachdidaktischen Forschungsarbeiten, die Auskunft über konstitutive Ausbildungsinhalte und deren Anordnung im Ausbildungslehrplan geben [9], [10], [11], [12], [13]. Des Weiteren finden sich Ergebnisse evaluativer Forschung zu Modellprojektverbünden, in denen integrierte bzw. generalistische Ausbildungsformen erprobt wurden (z. B. [14]). Daraus lassen sich Befunde zur Umsetzung veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen ableiten. Weiterhin existieren Evaluationsstudien zu einzelnen Modellprojekten, z. B. zum Theorie-Praxis-Transfer [15], [16], zur Gestaltung der praktischen Ausbildung im Berufsfeld Pflege [17] oder zu innovativen Ausbildungsformen [18], [19]. Die beiden bundesweiten Pflegeausbildungsstudien BEA [20] und PABIS [21] geben Auskunft über Ausbildungsstrukturen und -bedingungen in den Pflegeberufen; die Studie des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes informiert speziell über die Ausbildungssituation in Schulen und Ausbildungsstätten in evangelischer Trägerschaft [22]. Außerdem liegen empirische Arbeiten vor, welche die Pflegeausbildung international [23], [24] bzw. historisch [25] vergleichen und der komparativen Bildungsforschung zugeordnet werden können. Zur Bedeutung der beruflichen Sozialisation während der Ausbildung gibt nur eine Untersuchung Auskunft [26]. Darüber hinaus gibt es einzelne Studien z. B. zur Unterrichtswirkungsforschung [27], zur Weiterentwicklung der Pflegeausbildung vor dem Hintergrund gravierender gesellschaftlicher Veränderungen [28] sowie zum Einfluss informeller Lernprozesse auf die formale Kompetenzentwicklung [29].


Diskussion

Das Projekt weist nach, dass im Rahmen von Qualifikationsarbeiten vorwiegend qualitative empirische Verfahren zum Einsatz kommen. Damit sind in der pflegepädagogischen Forschung gängige empirische Methoden wie die qualitative oder hermeneutische Analyse von Interviews gut eingeführt. Die Qualifikationsarbeiten fokussieren auf die soziale Dimension der Pflegekompetenz, wie kommunikative Kompetenz, Fürsorgekompetenz und Subjektorientierung. Fünf der in diese Untersuchung einbezogenen Studien haben einen fachdidaktischen Zuschnitt [9], [10], [11], [12], [13], woraus sich ein entsprechender Forschungsschwerpunkt in den Qualifikationsarbeiten ableiten lässt. Die Aneignungsperspektive nehmen nur drei Dissertationen genauer in den Blick [26], [29], [13], indem sie nach der subjektiven Verarbeitung von Praxiserfahrungen und den mit der Ausbildung verbundenen Denk- und Lernprozessen fragen. Dringend erforderlich wären hier weitere Untersuchungen zur Innenseite des Lernens, die Aufschluss geben über individuelle kognitive Konstruktionen und Deutungsmuster sowie deren Abgleich in sozialen Aushandlungsprozessen. Darauf aufbauend sind Forschungsvorhaben sinnvoll, die den Zusammenhang von Lernen und Kompetenzentwicklung mit Lehren, Anleiten, Beraten und Begleiten untersuchen – also das interdependente Zusammenspiel von Instruktion und Konstruktion beleuchten.

Bei der Begleit- und Evaluationsforschung handelt es sich sowohl um qualitative als auch um quantitative Forschungsarbeiten. Positiv zu würdigen ist, dass die zahlreichen Modellprojekte, die seit der Reform des Altenpflege- sowie des Gesundheits- und des Krankenpflegegesetzes initiiert wurden, wissenschaftlich evaluiert werden. In den hier betrachteten Evaluationsergebnissen schneiden diese Modellprojekte gut ab, was als Hinweis auf die Zukunftsfähigkeit solcher Ausbildungsformen gewertet werden kann.

Ebenfalls wird deutlich, dass diese Ausbildungsformen voraussetzungsreich und anspruchsvoll für die Lernenden sind: Die Ausbildungskandidaten benötigen eine gute Vorbildung, um die quantitativ und qualitativ hohen Herausforderungen einer zeitgemäßen Pflegeausbildung zu bewältigen. Dieser Befund ist von großer bildungspolitischer Bedeutung im Hinblick auf die Zugangsvoraussetzung zu den Pflegeausbildungen: Ein mittlerer Bildungsabschluss ist hier die Mindestvoraussetzung.

Durch die neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung ist ein deutlicher Forschungsbedarf im Hinblick auf die inhaltliche Ausrichtung der Pflegeausbildungen zu konstatieren. Hier wäre zu fragen, wie sich die stärker sozialwissenschaftliche Ausrichtung der Curricula auf das Berufsprofil auswirkt und ob sich durch die veränderte Ausbildung auch das Tätigkeitsspektrum von Pflegekräften verändert.

Bei den weiteren verwendeten Forschungsarbeiten, die sich mit der Pflegeausbildung beschäftigen, handelt es sich um qualitative und quantitative Studien. Untersuchungsgegenstand ist entweder die Qualität der Ausbildung insgesamt oder es werden einzelne Aspekte wie spezielle Methoden bzw. einzelne thematische Inhalte betrachtet. Dabei werden nicht nur die Auszubildenden selbst, sondern auch die Lehrkräfte und retrospektiv bereits examinierte Pflegekräfte miteinbezogen.

Die Ergebnisse stellen eine Übersicht über den aktuellen Stand der traditionellen Pflegeausbildung an Pflegeschulen dar. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Qualität der Ausbildung als hoch eingeschätzt wird und die Identifikation mit dem Pflegeberuf im Verlauf der Ausbildungszeit wächst. Jedoch sind bei einer differenzierteren Betrachtung Defizite innerhalb der Ausbildung vor allem im Theorie-Praxis-Transfer sowie bei den verwendeten Methoden und Inhalten zu erkennen. Neben den kaum vorhandenen Forschungen zum fachlichen Inhalt der Pflegeausbildung sollten diese qualitativen und methodischen Defizite Gegenstand weiterer Untersuchungen werden. Über eine Fokussierung auf die Ursachen dieser Defizite könnte eine Qualitätssteigerung erreicht werden.


Fazit und Ausblick

Die Zusammenschau und Systematisierung von empirischen Studien zur Pflegeausbildung und ihren Ergebnissen trägt dazu bei, die Forschungslage einschätzen und bewerten zu können. Das ist deshalb umso wichtiger, als dieses Feld eine erst junge Forschungstradition aufweist. Es handelt sich hier also um eine Vermessung des Feldes mit dem Ziel, den bisherigen Ertrag empirischer Forschung zu bündeln und Forschungsdesiderata zu ermitteln. Abschließend soll betont werden, dass die Fokussierung auf empirische Forschung keineswegs andere Forschungsverdienste geringschätzt. Es gibt eine Reihe wegweisender Arbeiten zur Pflegeausbildung, die an lern- und bildungstheoretische Diskurse anknüpfen bzw. lernpsychologische und bildungsethische Diskurse für die Weiterentwicklung der Pflegeausbildung anschlussfähig machen . Sie haben neben den hier verhandelten empirischen Studien eine wesentliche Bedeutung für die Theorieentwicklung, waren jedoch nicht Gegenstand dieses Projekts.


Anmerkung

1 Explizit ausgeklammert wird an dieser Stelle die Begriffsgeschichte von „Evidenz“ in der Philosophie.

2 Zu der damit korrespondierenden Unterscheidung von Nursing und Caring dieser Autoren

3 Zur uneinheitlichen Verwendung des Begriffs „Meta-Analyse“ vgl. [30].


Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Winteler A, Forster P. Wer sagt was gute Lehre ist? Evidenzbasiertes Lehren und Lernen. Das Hochschulwesen. Forum Hochschulforsch Praxis Politik. 2007;55(4):102-109.
2.
Sackett DL, Rosenberg WM, Gray JA, Haynes RB, Richardson WS. Evidence based medicine: what it is and what it isn’t. Br Med J (BMJ). 1996;31(7023):71-72.
3.
Behrens J, Langer G. Evidence-based Nursing and Caring. Interpretativ-hermeneutische und statistische Methoden für tägliche Pflegeentscheidungen. Vertrauensbildende Entzauberung der „Wissenschaft“. 2., vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage. Bern: Huber; 2006.
4.
Hart IR, Harden RM. Best evidence medical education (BEME) a plan for action. Med Teach. 2000;22(2):131-135.
5.
Winter MH. Anforderungsveränderungen an die Qualifizierung der Gesundheitsberufe. In: Kuhlmey A, Schaeffer D (Hrsg). Alter, Gesundheit und Krankheit. Handbuch Gesundheitswissenschaften. Bern u.a.: Huber; 2002. S.412-419.
6.
Früh W. Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis. 6. überarbeitete Auflage. Konstanz: UKV; 2007.
7.
Fromm S, Sproß C. Ein systematischer Review von Aktivierungsprogrammen für Wohlfahrtsempfänger. Oder: Was man tun kann, wenn eine statistische Metaanalyse nicht möglich ist. Soz Fortschritt. 2008;57(10/11):256-263. DOI: 10.3790/sfo.57.10-11.256 Externer Link
8.
Jornitz S. Was bedeutet eigentlich „evidenzbasierte Bildungsforschung“? Über den Versuch, Wissenschaft für Praxis verfügbar zu machen am Beispiel der Review-Erstellung. Dtsch Schule. 2008;100(2):206-216.
9.
Darmann I. Kommunikative Kompetenz in der Pflege – ein pflegedidaktisches Konzept auf der Basis einer qualitativen Analyse der pflegerischen Kompetenz. Stuttgart: Kohlhammer; 2000.
10.
Ertl-Schmuck R. Pflegedidaktik unter subjekttheoretischer Perspektive. Reihe Wissenschaft, Band 55. Frankfurt/M.: Mabuse; 2000.
11.
Fichtmüller F, Walter A. Pflege gestalten lernen: Empirische pflegedidaktische Befunde und Theoriebildung zum Wirkgefüge von Lernen und Lehren beruflichen Pflegehandelns. Göttingen: V&R unipress; 2007.
12.
Holoch E. Situiertes Lernen und Pflegekompetenz. Entwicklung, Einführung und Evaluation von Modellen Situierten Lernens für die Pflegeausbildung. Robert Bosch Stiftung: Reihe Pflegewissenschaft. Bern: Huber; 2002.
13.
Schwarz-Govaers R. Subjektive Theorien als Basis von Wissen und Handeln. Ansätze zu einem handlungstheoretisch fundierten Pflegedidaktikmodell. Bern: Huber; 2005.
14.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Pflegeausbildung in Bewegung. Schlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung. Vorgelegt vom Wissenschaftlichen Institut der Ärzte Deutschlands (WIAD) gem. e.V. und dem Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip). Berlin: BMFSFJ; 2008.
15.
Görres S, Keuchel R, Roes M, Scheffel F, Beermann H, Krol, M. Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur: Wissenstransfer in der Pflege. Bern u.a.: Huber; 2002.
16.
Roes M. Wissenstransfer in der Pflege. Neues Lernen in der Pflegepraxis. Bern u.a.: Huber; 2004.
17.
Müller K, Koeppe A. Abschlussbericht des Modellprojekts zur Gestaltung der praktischen Ausbildung. In: Müller K, Koeppe A (Hrsg). In guten Händen: Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Handbuch für die praktische Ausbildung. Berlin: Cornelsen; 2008. Teil C der beigefügten CD-ROM.
18.
Loewenhardt C, Bleses HM, Behrens J. Evaluation der klinisch-praktischen Ausbildung von Pflegestudierenden in den Laboren des Lernortes Hochschule. Der primärqualifizierende Studiengang Pflege B.Sc. an der Hochschule Fulda. PrInterNet. Z Pflege Gesundheitswissenschaft. 2007;9(7):398-405.
19.
Stöver M, Schmitt S, Görres S. Relevanz und Tragweite der Integrativen Pflegeausbildung: Das Stuttgarter Modell. Ergebnisse der externen Evaluation. PrInterNet. Z PflegeGesundheitswissenschaft. 2008;10(6):325-331.
20.
Görres S, Panter R, Mittnacht B. Bundesweite Erhebung der Ausbildungsstrukturen an Altenpflegeschulen (BEA). Gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Berlin: BMFSFJ; 2006.
21.
Blum K, Isfort M, Schilz P, Weidner F. Pflegeausbildung im Umbruch – Pflegeausbildungsstudie Deutschland (PABIS). Düsseldorf: Deutsche Krankenhaus Verlagsgesellschaft; 2006.
22.
Deutscher Evangelischer Krankenhausverband e.V. (DEKV). Zukunftsorientierte Pflege. Studie des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes e.V. (DEVK) zur Qualität der Ausbildung an evangelischen Pflegeschulen. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft; 2004.
23.
Behrendt H. Analyse, Vergleich und Perspektiven zur Pflegeausbildung in den europäischen Ländern. Göttingen: Cuvillier; 2008.
24.
Landenberger M, Stöcker G, Filkins J, Jong AD, Them C, Selinger Y, Schön P. Ausbildung der Pflegeberufe in Europa. Vergleichende Analyse und Vorbilder für eine Weiterentwicklung in Deutschland. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft; 2005.
25.
Thiekötter A. Pflegeausbildung in der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Beitrag zur Berufsgeschichte der Pflege. Reihe Wissenschaft, Band 92. Frankfurt/M.: Mabuse; 2006.
26.
Kersting K. Berufsbildung zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Eine Studie zur moralischen Desensibilisierung. Robert Bosch Stiftung: Reihe Pflegewissenschaft. Bern: Huber; 2002.
27.
Darmann-Finck I, Boonen A. Problemorientiertes Lernen auf dem Prüfstand. Erfahrungen und Ergebnisse aus Modellprojekten. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft; 2008.
28.
Stöver M, Weiss S. Wahrnehmung von Tätigkeitsspielräumen in der Pflegepraxis: Relevanz und Nutzen für die Pflegeausbildung. Saarbrücken: Vdm Verlag Dr. Müller; 2007.
29.
Kirchhof S. Informelles Lernen und Kompetenzentwicklung für und in beruflichen Werdegängen. Münster u.a.: Waxmann; 2007.
30.
Meißner A. Meta-Studien und ihre Synonyme. Pflege. 2008; 21: 31-36. DOI: 10.1024/1012-5302.21.1.31 Externer Link