gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Kinder- und jugendgesundheitsbezogene Unterrichtsinhalte im Querschnittsbereich Prävention und Gesundheitsförderung

Addressing child and youth health-related topics in the medical curriculum with the interdisciplinary subject “prevention and health promotion”

Forschungsarbeit/research article Humanmedizin

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  • corresponding author Martina Plaumann - Medizinische Hochschule Hannover, Stiftungslehrstuhl Prävention und Rehabilitation in der System- und Versorgungsforschung, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland
  • author Richard Lux - Medizinische Hochschule Hannover, Stiftungslehrstuhl Prävention und Rehabilitation in der System- und Versorgungsforschung, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland
  • author Ulla Walter - Medizinische Hochschule Hannover, Stiftungslehrstuhl Prävention und Rehabilitation in der System- und Versorgungsforschung, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2009;26(4):Doc39

doi: 10.3205/zma000632, urn:nbn:de:0183-zma0006324

Eingereicht: 13. Juli 2008
Überarbeitet: 4. August 2009
Angenommen: 11. August 2009
Veröffentlicht: 16. November 2009

© 2009 Plaumann et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Ärztinnen und Ärzte sind für bestimmte Bereiche der Prävention bei Kindern und Jugendlichen außerhalb ihrer konventionellen Tätigkeitsfelder unzureichend ausgebildet. Dem kann im humanmedizinischen Studium begegnet werden, indem medizinisch-klinische durch Public Health-nahe Disziplinen wie dem Querschnittsbereich Prävention und Gesundheitsförderung ergänzt werden. Die Seminare dieses Querschnittsbereiches an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) werden hinsichtlich ihrer kinder- und jugendgesundheitsrelevanten Aspekte vertieft dargestellt. Diese Seminarinhalte werden den Themen in den Teilmodulen des Stoffkataloges der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) gegenübergestellt.

Seminarübergreifend werden fünf Bereiche der Verhaltens- und Verhältnisprävention im Kindes- und Jugendalter behandelt. Die Inhalte berücksichtigen alle kinder- und jugendgesundheitsrelevanten Themen, die in den Teilmodulen des Stoffkataloges der DGSMP gelistet sind. Darüber hinaus werden in den Seminaren auch solche Themen des Stoffkataloges mit kinder- und jugendgesundheitsrelevanten Inhalten belegt, die im Stoffkatalog nicht explizit für diese Inhalte vorgesehen sind. Zudem werden Themen miteinander kombiniert, die im Stoffkatalog getrennt voneinander behandelt werden.

Vor dem Hintergrund des deutschlandweit fakultätsspezifischen Umgangs mit kinder- und jugendgesundheitsrelevanten Themen in der Lehre empfiehlt sich angesichts zeitlich und personal begrenzter Ressourcen eine hochschulübergreifende Standardisierung. Hierbei sind eine Priorisierung kinder- und jugendorientierter Präventionsthemen und eine Abstimmung bezüglich der Instrumente, mit denen die Inhalte den Studierenden vermittelt werden sollen, erforderlich.

Schlüsselwörter: Querschnittsbereich Prävention und Gesundheitsförderung, Seminare, Kinder und Jugendliche, Curriculum, Sozialmedizinischer Stoffkatalog

Abstract

Beyond the scope of their respective specialities, physicians are not sufficiently trained in preventive strategies in the area of child and adolescent health. To address this problem within medical education, clinical disciplines should be supplemented with public health-related disciplines such as the interdisciplinary subject “prevention and health promotion”. This paper takes a detailed look at prevention and health promotion seminars conducted at the Hanover Medical School in regard to child and youth health-related topics. These topics were compared with those listed in the sub-modules of the Catalogue of Subjects in the Socio-medical Sciences developed by the German Society for Social Medicine and Prevention (DGSMP).

Five areas of behavioural and environmental prevention in childhood and adolescence were covered in the seminars. The seminars comprised all child and youth health-related topics listed in the sub-modules. Further topics of the Catalogue which are not intended explicitly for child and youth health were also included in the seminars in relation to child and youth health. Additionally, topics that are dealt with separately in the Catalogue of the DGSMP are combined with one another at the Hanover Medical School.

Due to faculty-specific approaches to child and youth health-related topics in German medical education, standardization of topics and content can solve the problem of limited resources including time and staff. Therefore, prioritisation of such topics and agreement on the instruments to be used for the transfer of knowledge to students are needed.

Keywords: interdisciplinary subject "prevention and health promotion", seminars, children and adolescents, curriculum, Catalogue of Subjects in the Socio-medical Sciences


Einleitung

Prävention bei Kindern und Jugendlichen wird durch die Ärztin/den Arzt außer in den konventionellen Tätigkeitsgebieten wie der stationären und ambulanten Versorgung oder dem Öffentlichen Gesundheitsdienst in vielen unterschiedlichen Bereichen ausgeübt. Hierzu gehören

1.
Settings wie Kindertagesstätten, Schulen und Betriebe [1],
2.
unterschiedliche soziokulturelle Kontexte einschließlich Familie oder Wohnumfeld und
3.
Kooperationen beispielsweise mit Sportvereinen sowie der Kinder- und Jugendhilfe [2], [3], [4], [5].

Gerade hinsichtlich dieser Bereiche sind jedoch in der Ärzteschaft trotz etablierter Ansätze und Hinweise zur Evidenz populations- bzw. subpopulationsbezogener oder individuumszentrierter Präventionsstrategien einerseits häufig das Gefühl der unzureichenden Kompetenz, andererseits Defizite sowie Optimierungsbedarfe bei der Umsetzung anzutreffen [6], [7]. Ziel in der humanmedizinischen Ausbildung sollte es daher sein, diesen Defiziten frühzeitig zu begegnen. Dies kann dadurch erfolgen, dass medizinisch-klinische Fächer wie beispielsweise die Pädiatrie durch Public Health-nahe Disziplinen wie dem Querschnittsbereich Prävention und Gesundheitsförderung unter den Rahmenbedingungen der jeweils aktuellen Approbationsordnung ergänzt werden. Eine solche fächerübergreifende Kombination verfolgt das Ziel, die Studierenden der Humanmedizin möglichst frühzeitig mit ihrer späteren Rolle als Schlüsselfigur (sogenannter „Key Player“), die sie innerhalb der auf Kinder- und Jugendgesundheit präventiv ausgerichteten Netzwerken einnehmen könnten, vertraut zu machen [8].

Die aktuelle ärztliche Approbationsordnung (ÄAppO) trat zum 1. Oktober 2003 in Kraft [9]. Neben elf weiteren, fächerübergreifenden und interdisziplinären Querschnittsbereichen wurde damit „Prävention und Gesundheitsförderung“ zu einem leistungsnachweispflichtigen und zu benotenden Teil des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung. Die Teilbereiche Prävention und Gesundheitsförderung, die zuvor im ökologischen Stoffgebiet Sozialmedizin verortet waren, erfuhren hierdurch eine deutliche Aufwertung. Die Universitäten regeln in ihren jeweiligen Curricula die Art der Wissensvermittlung in den Querschnittsbereichen sowie die Anforderungen und Verfahren, die zur Erbringung von Leistungsnachweisen eingehalten werden müssen.


Hintergrund und Grundlagen

Die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention e.V. (DGSMP) hat in einer fächerübergreifenden Stoffsammlung Unterrichtsinhalte u. a. für „Prävention und Gesundheitsförderung“ zusammengestellt [10]. Für den Querschnittsbereich Prävention und Gesundheitsförderung werden sieben Module empfohlen (sechs Kernmodule und ein ergänzendes Modul), die sich jeweils aus einer unterschiedlichen Anzahl von Teilmodulen zusammensetzen. Die Module und explizit aufgeführten, kinder- und jugendgesundheitsbezogenen Themen sind aus Tabelle 1 [Tab. 1] ersichtlich. Ob und in welchem Umfang kinder- und jugendgesundheitsbezogene Themen in weiteren Modulen gedacht waren, kann dem DGSMP-Stoffkatalog nicht entnommen werden.

In einer 2007 publizierten, deutschlandweiten Umfrage zur Umsetzung des Querschnittsbereiches Prävention und Gesundheitsförderung an allen 36 medizinischen Fakultäten wurden Kinder und Jugendliche mit Abstand am häufigsten als Zielgruppe benannt. Die Umfrage lässt offen, in welchen Bereichen und in welchem Umfang sich kinder- und jugendgesundheitsbezogene Themen wiederfinden. Nur „Gesunde Schule“ wird als eindeutig kinder- und jugendgesundheitsassoziierter Bereich gelistet und von knapp der Hälfte der Fakultäten in ihren Unterricht integriert. Unabhängig von dem Integrationsgrad wird „Gesunde Schule“ von der Mehrzahl der Befragten als sehr oder eher wichtig erachtet [11]. Eine Analyse des Praxisbezuges und der Handlungsorientierung ergab, dass bei zwei Dritteln der befragten Fakultäten fakultätsexterne Experten bzw. Vertreter von Institutionen im Gesundheitswesen bzw. im Bildungsbereich in die Lehre involviert sind. Exkursionen als Instrument der Wissensvermittlung führen zehn Fakultäten durch.


Projektbeschreibung

An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) obliegt die Organisation und Durchführung des Querschnittsbereiches Prävention und Gesundheitsförderung dem Stiftungslehrstuhl Prävention und Rehabilitation in der System- und Versorgungsforschung am Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung (http://www.mh-hannover.de/lehre-praevention.html). Ein Studienjahr an der MHH besteht aus Tertialen, in denen insgesamt ca. 360 Studierende unterrichtet werden. Pro Tertial werden im Querschnittsbereich Prävention und Gesundheitsförderung zehn Vorlesungen (à 45 Minuten) sowie fünf Seminare mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten parallel angeboten. Jedes Seminar besteht aus vier Unterrichtseinheiten (à 90 Minuten). Die etwa 120 Studierenden pro Tertial verteilen sich gleichmäßig auf die modular aufgebauten Pflichtseminare; das bedeutet ca. 24 Teilnehmer pro Seminar.

Einen Überblick über die kinder- und jugendgesundheitsspezifischen Lernziele im Querschnittsbereich Prävention und Gesundheitsförderung gibt Abbildung 1 [Abb. 1].

Kurzbeschreibungen der Vorlesungs- und Seminarinhalte können auf der institutseigenen Homepage eingesehen werden. Die Seminare dienen der praxisorientierten Anwendung und damit einem Transfer des in der Vorlesung erworbenen, theoretischen Wissens. Die Informationsvermittlung basiert in den Seminaren auf papierenen Unterrichtsmaterialien wie Arbeitsblättern und Folien (Overheadprojektor und PowerPoint); Inhalte werden in unterschiedlichen Lehr- und Sozialformen wie fragenentwickelnder Frontalunterricht, Gruppenarbeiten und Plenumsdiskussionen aufbereitet. Zur Gewährleistung eines stärkeren Praxisbezugs werden Fallbeispiele genutzt und Rollenspiele durchgeführt.

Die Vorlesungen bauen aufeinander auf: Die ersten beiden Vorlesungen widmen sich den Definitionen, Grundsätzen und Prinzipien der Prävention und Gesundheitsförderung. In den nachfolgenden Vorlesungen werden diese Grundlagen auf prävenierbare, physische und psychische Gesundheitsstörungen und Erkrankungen angewandt. Die den Vorlesungen zugrundeliegenden PowerPoint Präsentationen stehen den Studierenden im Anschluss als passwortgeschützte PDF-Version über die institutseigene Internetseite zur Verfügung. Die Vorlesungen, die u.a. auch explizit kinder- und jugendgesundheitliche Aspekte beinhalten, bilden die Grundlage für den Leistungsnachweis. Dieser wird in Form einer 23 Fragen umfassenden Short-Answer-Klausur erbracht. Die Antworten sind dabei hinsichtlich der Wortzahl begrenzt. Die Klausurfragen werden in Absprache mit den Dozenten der Vorlesungen erarbeitet. Die Seminare sind für die Studierenden anwesenheitspflichtig. Die Erfüllung dieser Anwesenheitspflicht wird mittels Anwesenheitsliste kontrolliert; die Teilnahme an einem Seminar ist Voraussetzung für die Zulassung zur Klausur.

Die Seminare zeichnen sich durch Exkursionen u. a. in ambulante, für Alkohol- und Medikamentenabhängige zuständige Einrichtungen aus, die sich zudem mit der Nikotinentwöhnung bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Darüber hinaus werden Seminare und Vorlesungen von Dozenten gestaltet, die ihre praktischen Erfahrungen in ihren Unterricht einfließen lassen. Beispiele hierfür sind Vertreter von Fachbehörden im Gesundheitsbereich auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, die Gesundheitskampagnen und -konzepte präsentieren. Des Weiteren stellt ein Facharzt für Allgemeinmedizin und gleichzeitig Inhaber einer Diabetologischen Schwerpunktpraxis, das von ihm entwickelte Konzept zur Vermittlung von Ernährungswissen an Kinder, Jugendliche und Erwachsene vor. Unter Berücksichtigung soziokultureller Aspekte wurde dieses Konzept über die deutschsprachige Version hinaus auf die türkische und russische Zielgruppe ausgerichtet.

Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend die Seminare an der MHH vertieft dargestellt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Seminare auf ihre kinder- und jugendgesundheitsrelevanten Aspekte systematisch zu untersuchen. Den Inhalten des DGSMP-Stoffkataloges werden die Lehrinhalte an der MHH gegenübergestellt (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Die fünf angebotenen Seminare werden durch Wissenschaftler/innen aus unterschiedlichen Disziplinen betreut. Diese kommen aus dem ärztlichen sowie aus dem nicht-ärztlichen Bereich wie der Ökotrophologie, der Soziologie, der Physiotherapie und weisen teilweise eine Zusatzqualifikation in Public Health auf.

Das Seminar 1 „Prävention durch den Arzt“ beschäftigt sich neben den gesetzlich verankerten Früherkennungsmaßnahmen mit den Möglichkeiten der ärztlichen Präventionsberatung sowie mit fördernden Faktoren und Barrieren ihrer Umsetzung. Lebensstilinterventionen werden aus Arzt- und Patientenperspektive thematisiert. Hinsichtlich Kinder und Jugendlichen werden Aspekte wie die rechtlichen Grundlagen der U-Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten und Entwicklungsstörungen sowie die Inanspruchnahme dieser Früherkennungsuntersuchungen erarbeitet (P 2.1). Zudem werden die Möglichkeiten der HPV-Impfung und die mit ihr einhergehende, kritische Diskussion gemeinsam mit den Studierenden besprochen (P 2.1).

Dem „Risikofaktor Rauchen“ und der „Förderung des Nichtrauchens“ widmet sich das Seminar 2 (P 3.4). Es beinhaltet die Ziele diesbezüglicher Präventionsansätze und die Wege, die zu einer primären Vermeidung bzw. sekundären Reduktion des Tabakkonsums bis hin zu einem gänzlichen Rauchverzicht beschritten werden können (P 3.4, P 4.1). Hierbei werden nicht nur schicht- und geschlechtsspezifische, sondern auch altersgebundene Aspekte besprochen (P 3.4, P 5.4). In diesem Rahmen werden insbesondere der Raucheinstieg, das Beibehalten des Tabakkonsums und der Ausstieg im Kindes- und Jugendalter diskutiert (P 3.4, P 5.2).

Das Seminar 3 vertieft „Ansätze und Strategien einer zielgruppenorientierten Prävention am Beispiel Patientenschulung“. Diesbezügliche Programme und die an ihre Umsetzung gekoppelten Chancen und Barrieren sowie Strategien zu ihrer Überwindung werden erörtert (P 2.1). Die Notwendigkeit für solche Programme wird auch für den Bereich Kinder und Jugendliche unter Berücksichtigung verschiedener Kontextfaktoren (z. B. sozioökonomische Einflussparameter und Migrationshintergrund) aufgezeigt (P 5.5).

Dem weiten Themenfeld der „Erreichung von Zielgruppen“ wendet sich das Seminar 4 zu. Es umfasst das Setting Schule (P 4.5), die ärztliche Praxis und die Lebenswelten von Migranten (P 5.5). Als Beispiel für ein schulisches Konzept und dessen Notwendigkeit werden ein Projekt für mehr Bewegung in der Schule sowie die KiGGS-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland vorgestellt (P 5.4). Migrationsbezogenes Gesundheitsverhalten wird beispielhaft an Daten zu U-Untersuchungen, zur Prävalenz von Übergewicht bzw. Adipositas bei Jungen und Mädchen (P 3.6) sowie zu Sprachkenntnissen bzw. motorischen Befunden im Rahmen von Schuleingangsuntersuchungen vorgestellt.

Das Seminar 5 „Kindergesundheit“ vermittelt den Studierenden die Instrumente, mit denen sie in ihrer späteren beruflichen Praxis einen Präventionsbedarf erkennen und diesem Bedarf systematisch gerecht werden können (P 2.1). Über das ärztliche Umfeld hinaus werden Tätigkeitsfelder benannt, in denen gesundheitsförderliche Maßnahmen für verschiedene Lebenswelten und über unterschiedliche Kommunikationswege initiiert werden können (P 5.6). Dies beinhaltet kinder- und jugendgerechte Maßnahmen gegen Übergewicht bzw. Adipositas (z. B. Konzepte zur Verringerung von Bewegungsmangel im Setting Schule) und Tabakkonsum (z. B. Aufbereitung von bundesweiten Kampagnen) (P 3.2, P 4.5; P 3.6; P 3.4).

Insgesamt bilden sich in den fünf Seminaren fünf große Bereiche der Verhaltens- und Verhältnisprävention im Kindes- und Jugendalter ab, die seminarübergreifend in unterschiedlicher Intensität behandelt werden:

1.
U-Untersuchungen,
2.
Tabakkonsum,
3.
Übergewicht bzw. Adipositas,
4.
Bewegung und
5.
soziokulturelle Hintergründe.

Damit werden alle Teilmodule des Stoffkataloges berücksichtigt, in denen explizit kinder- und jugendgesundheitsrelevanten Themen aufgeführt sind. Darüber hinaus werden innerhalb der MHH-Seminare weitere Teilmodule mit kinder- und jugendgesundheitsbezogenen Themen belegt, die im Stoffkatalog nicht explizit für kinder- und jugendgesundheitsorientierte Inhalte vorgesehen sind. Zudem wird auf einige Themen detaillierter eingegangen als im Stoffkatalog vorgegeben. Die Detailliertheit spiegelt sich auch durch die Kombination einiger im Stoffkatalog getrennt voneinander behandelter Teilmodule wider. Somit wird anhand der Verknüpfung mehrerer Teilmodule wie z. B. Rauchen und Schichtzugehörigkeit von Kindern und Jugendlichen oder Kinder mit Migrantionshintergrund die Komplexität wirksamer Präventionsangebote und ihrer Barrieren aufgezeigt [12].

Die U-Untersuchungen finden sich seminarübergreifend in den meisten Seminaren wieder. Tabakkonsum wird in den Seminaren am zweithäufigsten thematisiert. Übergewicht bzw. Adipositas, Bewegung und soziokulturelle Hintergründe sind über alle Seminare hinweg mit der geringsten Häufigkeit anzutreffen. In welchen Seminaren diese Bereiche thematisiert werden, ist in Abbildung 2 [Abb. 2] dargestellt.

Seminare und Vorlesungen beziehen sich in einigen Fällen inhaltlich auf dieselben Themen zur Kinder- und Jugendgesundheit. Dazu gehören die Seminarinhalte Tabakkonsum und Setting Schule. Sie ergänzen und vertiefen thematisch die Vorlesungen „Tabakprävention unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte“ und „Das WHO-Konzept der Gesundheitsförderung“. Außerdem wird das Themengebiet Prävention in der Zielgruppe Kinder und Jugendliche um die HIV-Problematik durch die Vorlesung „Konzepte und Ansätze bevölkerungsbezogener Präventionsstrategien“ erweitert.


Diskussion

Bei einer hochschulübergreifenden Standardisierung der Lehre mit einem Fokus auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen ist das jeweilige fakultätsspezifische Profil im Querschnittsbereich Prävention und Gesundheitsförderung zu berücksichtigen. Damit diese Standardisierung nicht alleine von der institutseigenen Kompetenz und Schwerpunktsetzung abhängt, empfiehlt sich eine Abstimmung der Inhalte in einschlägigen Fachgesellschaften. Die Vielzahl an kinder- und jugendorientierten Präventionsthemen bei begrenzten, zeitlichen und personalen Ressourcen macht dabei eine Priorisierung erforderlich. Diese könnte sich beispielsweise in Anlehnung an die vom Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen genannten Voraussetzungen für eine bevölkerungsweite oder risikogruppenspezifische Prävention orientieren. Dazu gehören die Häufigkeit der Gesundheitsstörungen bzw. Erkrankungen, ihre Relevanz im späteren ärztlichen Berufsalltag und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung. Weitere Kriterien sind zudem die Angemessenheit, Risikobehaftetheit, Wirksamkeit und Zuverlässigkeit der präventiven oder gesundheitsförderlichen Interventionen [13].

Eine über die Kriterien des Sachverständigenrates hinausgehende Strukturierung könnte auf den Modulen des DGSMP-Stoffkataloges basieren. Ergebnis dieses Strukturierungsprozesses könnten zwei unterschiedliche Modelle zur Seminarerstellung sein. Das eine Modell könnte die Entwicklung eines Seminars beinhalten, welches alle Module des DGSMP-Stoffkataloges mit kinder- und jugendgesundheitsrelevanten Themen abdeckt. Das andere Modell könnte aus Seminaren bestehen, die sich ausschließlich einem bestimmten Modul widmen und dieses anhand unterschiedlicher Alters- oder Zielgruppen durchdekliniert. Zu diesen Alters- und Zielgruppen müssten dementsprechend auch Kinder und Jugendliche gehören.


Schlussfolgerung

An der MHH soll in Zukunft die Vermittlung ausgewählter Themen standardisiert erfolgen im Sinne einer alle Seminare betreffenden Vereinheitlichung von Struktur, Inhalt und Methodik sowie in Abstimmung mit den Vorlesungen. Dies beinhaltet zum Beispiel den Ablauf der Seminare, die Einbindung von Exkursionen, die Verwendung etablierter Unterrichtsmaterialien und didaktischer Methoden sowie einen durchgängig präsenten Seminarverantwortlichen.

Zudem wird mit dem Ziel der Qualitätsverbesserung und Qualitätssicherung eine vom Stiftungslehrstuhl durchgeführte Evaluation angestrebt, die es ermöglicht, sowohl die Konzeption der Seminare und Vorlesungen als auch deren Methoden und Inhalte – inklusive derjenigen an den Aspekten von Kinder- und Jugendgesundheit ausgerichteten – zu beurteilen. Kriterien im Rahmen der Evaluation sollten dabei die Dimensionen Struktur,- Prozess- und Ergebnisqualität erfassen.


Danksagung

Die Autoren danken Susanne Bisson hinsichtlich ihrer Bereitschaft, sich für Gespräche zur Verfügung zu stellen, und für ihre ideenreichen Anregungen, die zum Gelingen des Projektes beigetragen haben.


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