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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Gesprächsführung in der medizinischen Ausbildung im Lehr- und Lerncurriculum: Eine qualitative Analyse der Sicht Studierender auf den Leipziger Gesprächsführungskurs

Communication training in medical education in the teaching and learning curriculum: A qualitative analysis of the students' view on the communication training programme in Leipzig

Forschungsarbeit/research article Humanmedizin

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  • corresponding author Clara Glenewinkel - Universität Leipzig, Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Leipzig, Deutschland
  • author Katrin Rockenbauch - Universität Leipzig, Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Leipzig, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2009;26(3):Doc33

doi: 10.3205/zma000625, urn:nbn:de:0183-zma0006250

Eingereicht: 14. August 2008
Überarbeitet: 5. Mai 2009
Angenommen: 12. Juni 2009
Veröffentlicht: 17. August 2009

© 2009 Glenewinkel et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Zielsetzung: In der hier vorgestellten Untersuchung geht es um das Lernen von Gesprächsführung. Ausgangspunkt ist dabei die Auseinandersetzung mit der Sicht der Studierenden auf den Leipziger Gesprächsführungskurs und somit das Ziel, Einblick in ihren Lernprozess zu erhalten.

Methodik: Die Gesprächsführungskurse an der Universität Leipzig wurden im Wintersemester 2005/2006 mithilfe von onlinebasierten Lerntagebüchern begleitet, die wöchentlich von den Studierenden auszufüllen waren. Durch die qualitative Analyse einer Auswahl dieser Lerntagebucheinträge wurde die Sicht der Studierenden hinsichtlich bestimmter Aspekte des Lernens von Gesprächsführung erarbeitet. Diese wurde anschließend mit den aus dem Lehrcurriculum hervorgehenden Auffassungen der Lehrenden verglichen.

Ergebnisse und Fazit: Es zeigt sich, dass es neben grundsätzlichen Übereinstimmungen mit dem Inhalt und der Gestaltung des Faches einige Differenzen gibt. Zum einen betreffen diese den von Seiten der Studierenden ausgeprägten Wunsch nach dem Lernen von Gesprächsführung anhand medizinisch relevanter Themen sowie die Bewertung der Lerntagebücher als lernunterstützendes Element. Diese Aspekte können als Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung des Kurses und der Ausbildung kommunikativer Fähigkeiten im Medizinstudium insgesamt genutzt werden.

Schlüsselwörter: Medizinstudium, kommunikative Kompetenzen, Curriculum, Lerntagebücher

Abstract

Purpose: The presented survey deals with the learning of communication skills. The aim of this research paper is to provide an insight into students’ learning process by analyzing their views on the communication training program in Leipzig.

Methods: The communication training program for medical students in Leipzig in the winter term 2005/2006 was supported by Web-based learning diaries (portfolios), which had to be filled in weekly by the students. By means of a qualitative analysis of a cross section of the contents of these learning diaries, it was possible to establish the students’ point of view concerning certain aspects of learning communication skills. Finally, these results were compared to the teachers’ aims and objectives with respect to the communication training program.

Results and conclusion: Besides broad consensus concerning content and composition of the training program, the results show that both students’ and teachers’ views differ in some aspects, especially concerning the students’ request for dealing with medically relevant topics as well as the assessment of the learning diaries. These findings can be used to improve the training program as well as for the teaching of communication skills in medical education in general.

Keywords: medical education, communication skills, curriculum, portfolios


Einleitung

Der Bedeutung von Gesprächsführung in der medizinischen Ausbildung wird im Rahmen der Umsetzung der neuen Approbationsordnung von 2002 zunehmend Rechnung getragen1. An der Universität Leipzig erfolgt die Ausbildung in Gesprächsführung seit dem Wintersemester 2003/2004 von Seiten der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie in einem zwei Semester dauernden Gesprächsführungskurs. In diesem werden die Studierenden in Kleingruppen von studentischen TutorInnen (peer assisted learning) betreut und mit den Grundlagen der Gesprächsführung vertraut gemacht. Die studentischen TutorInnen wiederum werden durch intensive Vorbereitung, regelmäßige Rücksprachen und Supervision durch die MitarbeiterInnen der Abteilung betreut. Im Verlauf des Kurses erfolgt zunehmend die Auseinandersetzung mit medizinischen Themen, sowie Kontakt mit SchauspielpatientInnen und echten PatientInnen [1]. Die hier vorgestellte Untersuchung hatte zum Ziel, den Lernprozess der Studierenden im Verlauf des Kurses zu untersuchen, um besser verstehen zu können, welche Eindrücke letztlich zur abschließenden Beurteilung des Kurses führen und wie die Aneignung des Stoffes vor sich geht. Dieser Eindruck wird in einem weit gefassten Sinn als Lerncurriculum bezeichnet und wurde abschließend mit dem Lehrcurriculum des Leipziger Gesprächsführungskurses verglichen. Mit der Erstellung eines Lehrcurriculums wird von Seiten der Lehrenden (in diesem Fall bezieht sich Lehrende nicht allein auf die studentischen TutorInnen, sondern vor allem die dahinter stehenden universitären Lehrkräfte) festgelegt, wie Gesprächsführung vermittelt werden soll. Das Lerncurriculum wird von der Art und Weise der Lehre beeinflusst, es ist jedoch verschiedenen Einflüssen unterlegen und spiegelt nicht notwendigerweise das Lehrcurriculum eins zu eins wider [2], [3]. Bei der Vermittlung kommunikativer Kompetenzen und der anwendungsorientierten Gestaltung dieser ist es sinnvoll, sich mit beiden Perspektiven zu beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit diesen und der Versuch der Vermittlung zwischen ihnen dienen nicht nur der Weiterentwicklung des Leipziger Gesprächsführungskurses in diesem speziellen Fall, sondern auch der Entwicklung von Lehren und Lernen von Gesprächsführung insgesamt.


Methoden

Zur Auswertung wurde ein qualitatives Verfahren gewählt, das die bisherige quantitative Abschlussevaluation des Kurses aufgreift und vertieft. Zur Datenerhebung wurden Lerntagebücher (Portfolios) eingesetzt. Es handelt sich dabei um ein von den Lernenden zu führendes Protokoll des eigenen Lernprozesses [4]. Ziele dieses lernunterstützenden Elementes sind in erster Linie die Reflexion über das eigene Lernen sowie die Förderung von Eigenverantwortung. Im Leipziger Gesprächsführungskurs erfüllte das Lerntagbuch somit eine Doppelfunktion, indem es zum einen im Sinne des Kurskonzeptes selbständiges Lernen fördern sollte und zum anderen als Mittel der Datenerhebung diente. Während des Kurses im Wintersemester 2005/2006 gehörte es zu den Aufgaben der Studierenden wöchentlich ein solches onlinebasiertes Lerntagebuch zu führen, wobei vier qualitative Fragen zu beantworten waren (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Die Auswertung der Lerntagbücher erfolgte unter Berücksichtigung vier ausgewählter Aspekte: zwei inhaltlicher (Aktives Zuhören und Überbringen schlechter Nachrichten) und zwei didaktischer (Gruppenprozesse und Rollenspiele). Die Auswahl geht auf die quantitative Evaluation zurück. Es handelt sich um Aspekte, die von Seiten der Studierenden als am Wichtigsten bewertet wurden. In der qualitativen Analyse konnte somit der Frage nachgegangen werden, wie die Studierenden letztlich zu dieser Auffassung gelangt sind. Zugleich sind die vier Aspekte auch aus Sicht der Lehrenden von Bedeutung und bieten somit einen guten Ansatzpunkt, für den Vergleich zwischen Lehr- und Lerncurriculum. Die qualitative Analyse der Lerntagebücher erfolgte methodisch in Anlehnung an die Inhaltsanalyse nach Phillip Burnard (1991). Das Verfahren dient dazu, Textmaterial zu ordnen und einen Überblick über die Schwerpunkte der Aussagen der Interviewten/Schreibenden zu erhalten. Dies geschieht mithilfe eines zu entwickelnden Kategoriensystems, welches man sich vereinfacht als eine Zusammenfassung der thematischen Oberbegriffe vorstellen kann [5]. Dies entspricht dem grundsätzlichen Verständnis qualitativer Forschung, wobei es in erster Linie um das Verstehen von Vorgängen geht. Da ein Überblick über den Umgang aller Studierenden mit dem Gesprächsführungskurs angestrebt wurde, ist der Einsatz von Lerntagebüchern zur Datenerhebung, wenn auch ungewöhnlich, hier sinnvoll. Die ausgewerteten Daten bestehen aus den Lerntagebucheinträgen von 207 Studierenden über sieben Kurstermine hinweg2. Zur Auswahl des auszuwertenden Materials wurden unter den jeweiligen Stichworten „Aktives Zuhören“, „Überbringen schlechter Nachrichten“, „Gruppenprozesse“ und „Rollenspiele“ die betreffenden Lerntagebucheinträge ausfindig gemacht. Dieses Verfahren weicht von Burnard insofern ab, als dass die Oberthemen der Kategoriensysteme vorgegeben und nicht frei entwickelt wurden. Dieses Abweichen ergibt sich in diesem Fall aus der Formulierung der Lerntagebuchfragen im Sinn der Doppelfunktion des Lerntagebuchs und im Sinn einer weiteren zu dem Thema entstandenen Arbeit [6]. Nach der Auswahl der Lerntagbucheinträge anhand der oben erwähnten Aspekte wurden per Zufallsstichprobe maximal zwanzig Einträge ausgewählt. Stellvertretend für alle vier Aspekte wurde der der Rollenspiele zudem anhand weiterer Einträge hinsichtlich der Sättigung untersucht. Unter Sättigung wird die Bestätigung der entwickelten Kategorien verstanden, indem keine wesentlich neuen Aspekte mehr auftreten, sondern sich die bereits herausgearbeiteten wiederholen [7]. Da die Studierenden sich in allen vier qualitativen Lerntagebuchfragen mit den zu untersuchenden Aspekten auseinandersetzten, erfolgte keine Beschränkung auf einzelne Fragen. Die Validierung der Arbeit beruht in erster Linie auf Regelgeleitetheit. Die etwas verkürzte Anwendung des Verfahrens begründet sich dadurch, dass es sich nicht um die Auswertung von Transkripten zuvor geführter Interviews, sondern um viele oft kurze Textpassagen handelt. Zudem wurde das Verfahren dokumentiert und die Kategoriensysteme zur weiteren Validierung stichprobenartig durch eine nicht in den Forschungsprozess eingebundene Person abgeglichen. Weiterhin wurden die einzelnen Kategorien gezählt und die Häufigkeit der jeweiligen Nennungen in die Auswertung miteinbezogen [8]. Diese Form der Methodentriangulation geht auf einem Vorschlag Mayrings zur Einbeziehung quantitativer Aspekte in eine qualitative Inhaltsanalyse zurück [9]. Das hier vorgestellte methodische Vorgehen bezieht sich auf die Erarbeitung der Sicht der Studierenden. Die Sicht der Lehrenden auf den Leipziger Gesprächsführungskurs hingegen wurde in erster Linie aus dem im Zusammenhang mit dem Gesprächsführungskurs entstandenen Buch „Kompetent kommunizieren in Klinik und Praxis“ gezogen [10].


Ergebnisse

Im weiteren Text sind die zum jeweiligen Aspekt herausgearbeiteten Kategorien fett hervorgehoben.

Hinsichtlich des Lernens von Aktivem Zuhören wurde das Zusammenspiel von Theorie und Praxis von den Studierenden positiv wahrgenommen. Sie stimmen somit mit den Lehrenden in Bezug auf die Bedeutung von problem- und anwendungsorientiertem Lernen beim Lernen von Aktivem Zuhören überein. Hinsichtlich der Anwendungsbereiche und Auswirkungen von Aktivem Zuhören hingegen zeigt sich, dass die Studierenden den Schwerpunkt auf den Bezug zur späteren ärztlichen Tätigkeit legten. So erschien ihnen Aktives Zuhören vor allem im ärztlichen Gespräch sinnvoll und hilfreich, um ein Vertrauensverhältnis herzustellen und möglichst viel von der PatientIn zu erfahren. Die Auffassung der Lehrenden hingegen beruht darauf, dass Aktives Zuhören keine bloße Gesprächtechnik ist und Anwendung nicht nur im ärztlichen Gespräch findet. Hinsichtlich der Bewertung zeigt sich, dass auch die Studierenden Aktives Zuhören als wichtig ansahen, allerdings in erster Linie in Bezug auf ihre spätere ärztliche Tätigkeit. Zudem erlebten sie Aktives Zuhören in der Anwendung als schwierig. Dies findet sich auch als Bewertung in den Lerntagebucheinträgen, allerdings weitgehend ohne genauere Ausführungen, was diese Schwierigkeit für die Studierenden letztlich ausmacht.

Die Studierenden sahen das Thema Überbringen schlechter Nachrichten als bedeutsam an und äußerten bereits zu Beginn des Kurses den Wunsch nach der Auseinandersetzung damit. Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem Überbringen schlechter Nachrichten findet sich ebenso wie bezüglich Aktiven Zuhörens Übereinstimmung in den Auffassungen Lehrender und Lernender. Die Studierenden waren zufrieden mit der Art der Vermittlung, ließen sich emotional auf das Thema ein und wurden insbesondere durch das eigene Einfühlen in die PatientInnenrolle berührt. Dies zeigt sich auch in der Bewertung des Themas als wichtig und als schwer. Auffallend ist an dieser Stelle der häufig geäußerte Wunsch nach einer klaren Vorgehensweise und mehr Anleitung von Seiten der TutorInnen.

Die jeder Gruppe inhärenten gruppendynamischen Prozesse wurden von den Studierenden wahrgenommen und in den Lerntagebüchern ausgedrückt: Die anfänglich nahezu uneingeschränkt als angenehm und vertraut wahrgenommene Stimmung war im Verlauf des Kurses Schwankungen unterworfen, die auf thematische und teilweise persönliche Differenzen im Kurs zurückzuführen sind. Letztlich wurde die Stimmung jedoch trotz teilweise auftretender Unstimmigkeiten weitgehend positiv wahrgenommen, wozu aus Sicht der Studierenden auch die geringe Gruppengröße beitrug. Insbesondere die Möglichkeit durch ausreichendes Vertrauen innerhalb der Gruppe die eigene Meinung frei äußern zu können, wurde von den Studierenden positiv hervorgehoben. Auftretende Spannungen hingegen wurden in hohem Maß als belastend wahrgenommen: Eine gute Stimmung in der Gruppe war für die Studierenden Voraussetzung für Diskussionen und gelungene Zusammenarbeit. Dies ist verständlich und im Sinn der Lehrenden, die viel Wert auf die Arbeit in der Gruppe legen. Allerdings sind notwendigerweise in einer Gruppe auftretende Auseinandersetzungen mit Spannungen und Konflikten und die Bewältigung dieser auch als ein Teil des Lernprozesses und nicht als bloße Beeinträchtigung anzusehen. Weiterhin zeigt sich ein Unterschied in der Bedeutung, die den Spielen (interaktive Übungen) beigemessen wurde. So dienten diese aus Sicht der Studierenden in erster Linie der Auflockerung und Verbesserung der Stimmung, während ihnen aus Sicht der Lehrenden auch inhaltliche Bedeutung zukommt. Feedback wird im Kategoriensystem unter „Zusammenarbeit in der Gruppe“ eingeordnet: Es wurde von den Studierenden dann als wichtig wahrgenommen, wenn es sich um eine Rückmeldung an die eigene Person handelte, nicht jedoch, wenn man selbst Feedback an andere gab. Hier kann die mit Bezug zur SchauspielpatientIn gebildete Kategorie aufgegriffen werden. Sie erscheint zunächst nicht stimmig, da es sich anders als bei den übrigen Kategorien wie „Stimmung“, „Diskussion“ etc. nicht um einen Aspekt im Rahmen der Gruppenprozesse handelt. Es zeigt sich jedoch, dass es in diesem Zusammenhang vor allem um die Rückmeldung von Seiten der SchauspielpatientIn geht. Diese war für die Studierenden sehr wichtig und wurde insbesondere als bedeutender als Rückmeldungen aus der Gruppe wahrgenommen. Erneut zeigt sich die große Bedeutung, die der Auseinandersetzung mit ärztlichen Themen beigemessen wurde: Das Feedback der SchauspielpatientIn wird als „echte“ Übung zum Umgang mit PatientInnen und somit als hilfreich und wichtig für die spätere Tätigkeit gesehen.

Die Auffassung der Studierenden zum Lernen mithilfe von Rollenspielen entspricht in Bezug auf die Anwendung der Rollenspiele der Sicht der Lehrenden. Rollenspiele erschienen den Studierenden als sinnvolle und vielfältige Vorbereitungsmöglichkeit auf die spätere Tätigkeit. Es fand sich jedoch insbesondere im Verlauf des Kurses Kritik an zu ausführlichen Theorieeinführungen und an der Auswertung der Rollenspiele. Sowohl anschließende Diskussionen als auch die Auswertung der Videoanalysen wurden von vielen zunehmend als zu ausführlich und langweilig eingeschätzt. Wichtig war für die Studierenden die Möglichkeit, selbst auf die Themenauswahl einzuwirken sowie die eigene Rolle im Rollenspiel. Auch an dieser Stelle zeigte sich erneut der Wunsch sich insbesondere mit ärztlichen, welches im Sinn der Studierenden „relevante“ Themen sind zu befassen. Der von Seiten der Lehrenden favorisierte Beginn mit alltagsrelevanten Themen zur Einführung hingegen wird mehrfach kritisiert. Die SchauspielpatientIn wurde von den Studierenden überwiegend positiv wahrgenommen und vor allem im Vergleich mit den Rollenspielen die noch größere Authentizität hervorgehoben. Insgesamt traten im Laufe der Auseinandersetzung mit Rollenspielen zwei Tendenzen in der Haltung der Studierenden zutage: Zum einen nahm das Interesse an Rollenspielen und der Spaß dabei weiter zu, zum anderen fand sich eine Art „Übersättigung“, die vor allem mit Realitätsferne der Rollenspiele begründet wurde.


Diskussion

Methodenkritik

Methodisch ist das gewählte Verfahren hinsichtlich der nur stichprobenartig erfolgten Validierung durch „inter-rating“ und das nicht gleichzusetzende Datenniveau von Lehr- und Lerncurriculum zu kritisieren. Als Gütekriterien hingegen wurden Regelgeleitetheit, Verfahrensdokumentation und Methodentriangulation qualitativer und quantitativer Verfahren gewählt. Die Lerntagebucheinträge sind zum Teil sehr knapp gehalten. Neben Kritik in den Einträgen selbst tritt diese insbesondere in einem am Ende erhobenen „Nachfragebogen“ auf die Frage nach der Bewertung des Lerntagebuchs zutage. Viele der Studierenden sehen im Führen der Lerntagebücher weniger eine Unterstützung ihres Lernprozesses als vielmehr eine zusätzliche Belastung. Dies zeigt sich auch darin, dass die Studierenden sich wenig an die vorformulierten Fragen halten. In der hier vorgestellten Untersuchung wurde die Sicht der Studierenden auf den Gesprächsführungskurs mithilfe der Lerntagebucheinträge untersucht und diese Sicht wird notwendigerweise auch von der Haltung, mit der die Lerntagebücher geführt werden, geprägt. So ist auf diese Haltung als ein Einflussfaktor auf die Ergebnisse und die daraus folgende Interpretation hinzuweisen.

Konsequenzen für den Umgang mit Lerntagebüchern

Für die weitergehende Arbeit mit Lerntagebüchern stellt sich die Frage, welche Konsequenzen aus der Haltung der Studierenden gezogen werden können und wie die lernunterstützende Funktion zukünftig besser zum Tragen kommen kann. Dabei soll kurz auf zwei Aspekte eingegangen werden: auf den Aufbau der Lerntagebücher und auf das Erteilen von Rückmeldungen hinsichtlich des Geschriebenen. Für das Lerntagebuch zur Begleitung des Leipziger Gesprächsführungskurses wurden vier offene Fragen formuliert, die wöchentlich zu bearbeiten waren. Diese Gestaltung wurde gewählt, um die Studierenden nicht in eine bestimmte Richtung zu lenken, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, wirklich das zu schreiben, was ihnen zur jeweiligen Frage relevant erschien. Aus didaktischer Sicht scheint eine solche, als „naive“ Lerntagebücher bezeichnete Vorgehensweise jedoch zu suboptimalem Lernerfolg zu führen, und es wird die Verwendung so genannter „prompts“ empfohlen. Darunter sind Aufforderungen zu verstehen, die sich auf kognitive (z.B. „Wie könnte ich die Hauptpunkte in eigenen Worten zusammenfassen?“) und metakognitve (z.B. „Welche Punkte habe ich noch nicht verstanden?“) Bereiche beziehen, wobei insbesondere die Verwendung kognitiver „prompts“ hilfreich ist [11]. Weiterhin erhielten die Studierenden über ihre Lerntagebucheinträge keine Rückmeldung von Seiten der TutorInnen. Die Studierenden sollten auch hier nicht über die vorgegebenen Fragen hinaus in eine bestimmte Richtung geleitet werden und zum anderen sollten sie sich nicht durch das Wissen, dass ihre TutorInnen das Geschriebene lesen, beeinträchtigt fühlen. Rückblickend lässt sich jedoch feststellen, dass der Erhalt einer Rückmeldung für die Motivation der Studierenden weitaus wichtiger zu sein scheint, als das freie Schreiben und die Wahrung ihrer Anonymität. Von Seiten der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie in Leipzig wurde der Einsatz von Lerntagebüchern mit Ende des Sommersemesters 2006 aus organisatorischen Gründen vorläufig nicht fortgesetzt [1]. Sollte dies jedoch wieder aufgegriffen werden, könnte es hilfreich sein, den Studierenden in Form kognitiver „prompts“ mehr Strukturierung und Unterstützung zur Verarbeitung des Gelernten zu geben. Außerdem müsste, um das Potential, das in dieser Methode steckt, wirklich nutzen zu können, eine angemessene Form der Rückmeldung an die Studierenden gefunden werden.

Konsequenzen für den Leipziger Gesprächsführungskurs

An dieser Stelle zur Übersicht zunächst noch einmal eine Gegenüberstellung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Auffassungen Lehrender und Lernender (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Auf der inhaltlichen Ebene des Kurses hat sich gezeigt, dass die Studierenden das Lernen von Gesprächsführung insgesamt als wichtig erachten und den hier untersuchten Inhalten des Gesprächführungskurses Interesse entgegenbringen. Differenzen zwischen Lehr- und Lerncurriculum zeigen sich am deutlichsten anhand des immer wieder geäußerten Wunschs der Studierenden nach Bezug zu ärztlichen Themen. Weiterhin bestätigen sich die Schwierigkeiten der Diskussion inwieweit Aktives Zuhören als Technik bzw. vielmehr als Haltung vermittelt werden muss [12]. So stellt die Vermittlung und das Lernen von Aktivem Zuhören eine ständige Gratwanderung zwischen den beiden Ansätzen dar. Dies muss den Studierenden noch deutlicher gemacht werden, da sie Aktives Zuhören zwar als schwer empfinden, jedoch nicht ausdrücken können, worin die Schwierigkeit, also insbesondere die Fähigkeit sich empathisch zu verhalten letztlich besteht [13]. Dabei scheint es wichtig, den Studierenden auch deutlich zu machen, dass Aktives Zuhören nicht innerhalb einiger Kursstunden erlernt werden kann. Vielmehr muss es wieder und wieder geübt werden, im Kurs mit KommilitonInnen, SchauspielpatientInnen und echten PatientInnen und eben auch im Alltag. Auch hinsichtlich des zweiten inhaltlichen Aspektes, dem Überbringen schlechter Nachrichten, zeigt sich wie wichtig für die Studierenden die Auseinandersetzung mit Themen ist, die sie als relevant für ihre spätere Tätigkeit erachten. Hier stellt sich im Vergleich mit der Einschätzung der Lehrenden vor allem die Frage nach dem Stellenwert, den das Thema bereits im ersten Teil des Gesprächsführungskurses einnehmen soll. Zwar sind die Studierenden ausdrücklich an der Auseinandersetzung damit interessiert, zugleich ruft diese jedoch Unsicherheit und den Wunsch nach strukturierten Verhaltensanweisungen hervor. Es ist daher zu überlegen, ob neben Interesse und Aufgeschlossenheit dem Thema gegenüber nicht auch ein gewisser Druck empfunden wird, möglichst schnell möglichst gut auf diesen sicher schwierigen Aspekt der ärztlichen Tätigkeit vorbereiten werden zu müssen.

Bezüglich der untersuchten didaktischen Elementen des Kurses ist deutlich geworden, dass die Studierenden mit der Gestaltung des Gesprächsführungskurses in anwendungsorientierter Kleingruppenarbeit zufrieden sind. Allerdings haben sich neben dieser grundsätzlichen Übereinstimmung einzelne Aspekte ergeben, die unterschiedliche Auffassungen zwischen Lehrenden und Lernenden aufzeigen. Möglicherweise ist hier deutlichere Vermittlung von Seiten der Lehrenden erforderlich, um so den Lernprozess noch übereinstimmender zu gestalten. Es hat sich gezeigt, dass die Studierenden recht empfindlich auf Spannungen in der Gruppe reagieren. Dementsprechend ist es wichtig, in Zukunft ausdrücklicher auf die in Gruppen ablaufenden Prozesse und damit verbundene mögliche Schwierigkeiten hinzuweisen. So bieten Konflikte und Meinungsverschiedenheiten, einen angemessenen Umgang vorausgesetzt, Chancen zur Weiterentwicklung. Da die Studierenden sehr viel Wert auf den Bezug zu medizinisch relevanten Themen legen, könnte es außerdem hilfreich sein, verstärkt die Bedeutung von Teamfähigkeit im Arztberuf hervorzuheben [12]. Auch konstruktives Feedback innerhalb der Gruppe kann insgesamt zu einem besseren Klima beitragen und darf somit nicht nur als Möglichkeit einer Rückmeldung bezüglich des eigenen Verhaltens verstanden werden. In Bezug auf das Lernen mit Rollenspielen wurde neben großem Interesse an den Rollenspielen selbst Kritik an zuviel Theorie und an der Auswertung geäußert. Der Leipziger Gesprächsführungskurs ist jedoch anwendungsorientiert gestaltet, und die Auseinandersetzung mit theoretischen Aspekten findet immer dann statt, wenn Theorie als Grundlage für anschließende Übungen oder Rollenspiele benötigt wird oder aber, wenn sich aus diesen Bedarf nach Besprechung theoretischer Aspekte ergibt [14]. Daher handelt es sich vermutlich um ein Kommunikations- und Organisationsproblem. Die notwendige Verbindung von Theorie und Praxis muss ebenso wie die Bedeutung der Auswertung der Rollenspiele besser deutlich gemacht werden. Es bietet sich an, die Auswertung insgesamt stärker zu systematisieren, so dass sie den Studierenden weniger willkürlich erscheint, sondern deutlich wird, dass es wichtig und Teil des Lernprozesses ist, bestimmte Aspekte nochmals hervorzuheben und auszuwerten.


Schlussfolgerungen

Die Auseinandersetzung mit der Sicht der Studierenden auf den Leipziger Gesprächsführungskurs und dem Vergleich dieser mit der Sicht der Lehrenden hat Ansatzpunkte aufgezeigt, an denen noch bessere Vermittlung des Lehrcurriculums an die Lernenden notwendig ist. Auf diese Weise kann der Kurs weiterentwickelt und die Zufriedenheit aller Beteiligten mit dem Lernprozess vertieft werden. Zwar beziehen sich die hier vorgestellten Ergebnisse im Einzelnen auf den Leipziger Gesprächsführungskurs, der Hintergrund der Untersuchung, die Vermittlung von kommunikativen Kompetenzen im Medizinstudium ist jedoch keineswegs spezifisch. Daher sind zwei Aspekte nochmals hervorzuheben: Zum einen hinsichtlich des Umgangs mit Lerntagebüchern. Diese finden vermehrt auch hochschuldidaktisch Verwendung und sind sicherlich gerade in anwendungsorientierten Vermittlungsweisen ein interessantes Lernelement [15]. Hier zeigt sich jedoch in besonderem Maß die mögliche Differenz zwischen Lehr- und Lerncurriculum. Ein aus Sicht der Lehrenden sinnvolles Lehr- und Lernelement muss nicht notwendigerweise auch aus Sicht der Lernenden so bewertet werden. Gerade Lerntagebücher können jedoch nur lernunterstützend wirken, wenn ihr Einsatz von den Studierenden verstanden und zumindest im Ansatz akzeptiert wird. Somit erfordert die Einführung und Verwendung von Lerntagebüchern zugleich einen intensiven Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden.

Zum anderen muss der in mehrfacher Hinsicht von den Studierenden geäußerte Wunsch nach medizinischer Relevanz der Themen im Gesprächsführungskurs ernst genommen werden. Sollte aus Sicht der Lehrenden dennoch ein Ansatz, der zunächst die Erarbeitung allgemeiner Grundlagen favorisiert, gewählt werden, so erfordert dies eine Offenlegung des Vorgehens und intensive Rücksprache mit den Lernenden. Die Ausbildung kommunikativer Kompetenzen kann nicht losgelöst vom Zusammenhang des gesamten Medizinstudiums gesehen werden. So ist es wichtig, dass sich die im Kurs erlernten Inhalte und Fertigkeiten auch im weiteren Verlauf des Studiums und den zukünftigen praktischen Erfahrungen widerspiegeln. Es kommt darauf an, dass den Studierenden keine zweideutigen Botschaften vermittelt werden und Gesprächsführung als ein zwar interessantes aber letztlich weniger relevantes Fach abgetan werden kann. In einigen Lerntagebucheinträgen wurde Kritik am Realitätsbezug der Rollenspiele geäußert, und es besteht die Gefahr, dass sich dieser Eindruck von Seiten der Studierenden fortsetzt, wenn ihre zukünftigen klinischen Erfahrungen von dem im Gesprächsführungskurs Erlernten zu sehr abweichen. So muss es langfristig darum gehen, die Bedeutung kommunikativer Kompetenzen im gesamten Curriculum zu verankern und die Umsetzung immer wieder, auch in Form ärztlicher Vorbilder im klinischen Unterricht zu gewährleisten [16]. Das Anliegen der Studierenden nach medizinischer Relevanz der Themen ist zudem grundsätzlich nachvollziehbar und als ein weiterer Anstoß in der Diskussion inwieweit auch die Ausbildung in Gesprächsführung durch MedizinerInnen selbst erfolgen muss, anzusehen [12].


Anmerkung

1 Grundlage für diese Entwicklung bildet die langjährige Auseinandersetzung mit dem kommunikativen Aspekt der medizinischen Ausbildung und späteren ärztlichen Tätigkeit, zu Beginn insbesondere in Form von Anamnese- und Balint-Gruppen. Zu erwähnen sind hier stellvertretend z.B. [17], [18].

2 Die Gesamtzahl der Studierenden betrug N= 413. Aufgrund der Seminargruppenteilung für die Gesprächsführungskurse ergeben sich zwei Durchgänge. Hier wurde nur der erste untersucht.


Literatur

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