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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Wie kann der adäquate ärztliche Umgang mit Emotionen im Medizinstudium vermittelt werden? Ein Erfahrungsbericht aus dem Strang "Ärztliche Interaktion" im Modellstudiengang Medizin der Ruhr-Universität Bochum

How to teach the adequate handling of emotions during medical studies? A field report on "Medical Interaction" as part of a problem-based curriculum at the Ruhr University in Bochum, Germany

Projekt/project Humanmedizin

  • author Iris Veit - Fachärztin für Allgemeinmedizin/Psychotherapie, Herne, Deutschland
  • corresponding author Bert Huenges - Ruhr-Universität Bochum, Abteilung für Allgemeinmedizin, Bochum, Deutschland
  • Ute Köster - Ruhr-Universität Bochum, Büro für Studienreform, Bochum, Deutschland
  • author Michaela Pieper - Ruhr-Universität Bochum, Büro für Studienreform, Bochum, Deutschland
  • author Herbert Rusche - Ruhr-Universität Bochum, Abteilung für Allgemeinmedizin, Bochum, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2009;26(3):Doc30

doi: 10.3205/zma000622, urn:nbn:de:0183-zma0006221

Eingereicht: 9. Oktober 2008
Überarbeitet: 16. April 2009
Angenommen: 11. Mai 2009
Veröffentlicht: 17. August 2009

© 2009 Veit et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Der adäquate Umgang mit Emotionen wie Trauer, Wut, Scham und Angst bei Patienten mit körperlichen Erkrankungen spielt für den werdenden Arzt eine Schlüsselrolle. Dieser Aspekt der Arzt-Patient-Beziehung wird allerdings im Medizinstudium bislang wenig berücksichtigt. Aus diesem Grunde wird der Umgang mit Emotionen im dritten Semester des Stranges „ärztliche Interaktion“ im Modellstudiengang Medizin der Ruhr-Universität Bochum thematisiert. Der vorgestellte Kurs wird von der Abteilung für Allgemeinmedizin durchgeführt.

Zielsetzung ist die Verbesserung der emotionalen und kommunikativen Kompetenz des Studierenden. Um dies zu erreichen soll dem eigenen emotionalen Erleben in der Arzt-Patient-Beziehung Raum gegeben werden. Der Kurs gliedert sich in 6 Module in dem realistische Patientenszenarien in Rollenspielen gespielt und aufgezeichnet werden. Ein zentrales Ziel ist, dass jeder Studierende eine Arzt- und eine Patientenrolle selber gespielt hat. Jedes Rollenspiel wird von einem in der psychosomatischen Medizin erfahrenen Allgemeinmediziner eingeleitet und ausgewertet. Die Evaluation spricht für eine hohe Akzeptanz der Lehrveranstaltung von Seiten der Studierenden die uns dazu ermutigt, öffentlich darüber nachzudenken, in wie fern ein solches Konzept in andere Medizinstudiengänge übertragen werden könnte.

Schlüsselwörter: Interaktion, professionelles Verhalten, Arzt-Patienten Beziehung, Rollenspiele, Videofeedback, Allgemeinmedizin

Abstract

Handling strong emotions like sorrow, anger, shame, and fear in patients with somatic disease in an adequate way is a key issue for the future physician. Up to now, this aspect of the doctor?patient relationship has played a minor role in medical studies. To address this shortcoming, the handling of emotions is the focus of the third semester in the “Medical Interaction” course of the Modellstudiengang Medizin, the problem-based track of the medical faculty in Bochum, Germany. The course presented is given by the Department of General Medicine.

The main objective is the recognition and correct interpretation of patients’ emotional expressions. The course is composed of six modules (one introductory and one for each leading affect). The main teaching methods are realistic role plays in a small group setting with video feedback, whereby one main requirement is that each student plays the role of both the patient and the doctor. Each session is introduced and analyzed by a general practitioner experienced in psychosomatic medicine. Evaluation of the course has shown a high acceptance among students. This motivates us to conduct a public discussion on the possibilities of applying this concept in other medical studies as well.

Keywords: interaction, professional behaviour, doctor-patient relationship, role plays, video feedback, general medicine


Einleitung

Im Modellstudiengang Medizin der Ruhr-Uni Bochum wird die „ärztliche Interaktion“ in Form eines sog. „Stranges“ vom 1. bis zum 9. Semester gelehrt. Übergeordnete Ziele dieser Veranstaltungsreihe sind die kommunikative und emotionale Kompetenz vom Beginn des Studiums an zu schulen und im Laufe des Studiums weiter auszubauen um den Studierenden die Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung als diagnostisches und therapeutisches Instrument erfahrbar zu machen und im eigenen emotionalen Erleben Raum zu geben. Dies gilt als eine Grundvoraussetzung für ein patientenorientiertes Vorgehen [1].

Im Gegensatz zur traditionellen Vermittlung medizin-psychologischer Inhalte in Vorlesungen oder Seminaren und ggf. anschließender Kleingruppenarbeit über 1-2 Semester ohne direkte Verknüpfung mit klinischen Fächern, haben wir für den Modellstudiengang Medizin ein anderes Konzept entwickelt. Das erste Semester wird einleitend von niedergelassenen Psychotherapeuten und das 2. Semester von Seiten der Abteilung für Medizinische Psychologie gestaltet. In beiden Semestern werden allgemeine Kommunikationstechniken vermittelt und das Verhalten in bestimmten Gesprächssituationen trainiert. Im 3. Semester wird unter Leitung der Abteilung für Allgemeinmedizin der Umgang mit Emotionen bei körperlichen Erkrankungen geübt. Dies wird im 4. Semester von der Psychiatrischen und der Psychosomatischen Abteilung der Medizinischen Fakultät aufgegriffen, die mehr auf pathologische Interaktionen und psychiatrische und psychosomatische Krankheitsbilder fokussieren. Im 5. Semester werden die Studierenden auf Gespräche mit Angehörigen und Gespräche über Sexualität vorbereitet.

Ab dem 6. Semester werden den Studenten von unterschiedlichen Klinikern und Praktikern Fallsupervisionen angeboten im Sinn einer Balintgruppe, um Patientenbegegnungen zu reflektieren. Das Konzept der ärztlichen Interaktion stützt sich auf Erfahrungen wie z.B. der Universität Maastricht in denen schon seit den 80er Jahren vergleichbare Trainings stattfinden [2]. Die Planung und inhaltliche Absprache der Module erfolgt analog zur interdisziplinären Blockplanung im Modellstudiengang Medizin [3].

Im Folgenden wird exemplarisch der Umgang mit Emotionen bei körperlichen Krankheiten (3. Semester) vorgestellt.

Kernaspekte der vorgestellten Lehrveranstaltung sind

1.
von Beginn des Studiums an Aufmerksamkeit auf das Training kommunikativer Fertigkeiten zu legen,
2.
sich dazu an Leitaffekten zu orientieren und
3.
diese mit Fällen aus den allgemeinmedizinischen Praxen in Kleingruppen im Rollenspiel zu simulieren. Es liegt ein biopsychosoziales Modell des Krankheitsverständnisses zugrunde [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11].

Übergeordnete Ziele des Semesters sind die Wahrnehmung und den Umgang mit Emotionen bei somatischen Erkrankungen zu erlernen, eine Haltung des Verstehen Wollens des Patienten zu entwickeln und die Beziehungsmuster ihrer Patienten zu erkennen und sich darauf einzustellen. Diese Beziehungsmuster sind verbunden mit Leitaffekten.

Warum orientieren wir uns an den Leitaffekten?

Neurobiologische und Emotionsforschung unterstreichen die Bedeutung der Affekte für unsere Wahrnehmung, Erinnerungen und Gedächtnis, kognitiven Fähigkeiten und Handeln. Emotionen sind die Organisatoren von Denk-, Fühl- und Verhaltensschemata und damit auch von Verhalten zu anderen. Sie sind eng verbunden mit typischen Beziehungsmustern, die in früher Kindheit gelernt, auch unser jetziges Verhalten bestimmen. Leitaffekte bestimmen auch die Wahrnehmung des Patienten, seine Beziehungskonstruktionen und damit auch das Verhalten zu seinem Arzt und seiner Krankheit. Zur kurzen Illustration: der ängstliche Patient wird bei Erkrankung an einem Diabetes mellitus eine katastrophale Entwicklung für die Zukunft befürchten. Der von abgewehrtem Ärger bestimmte Patient wird mit dem Arzt in fortwährenden Streit treten, was die beste Therapie des Diabetes mellitus ist. Oder in der mehr angepassten, passiven Variante leidenschaftlich Tagebücher und Protokolle führen und dies zu seinem lebensbestimmenden Inhalt machen. Der mehr traurige Patient wird im Diabetes seine gerechte oder auch ungerechte Bestrafung sehen. Der von Scham bestimmte Patient wird eher dissimulieren und dabei vorgeben, ihm würde alles nichts ausmachen oder dass er immer „Herr der Lage“ sei. Die Gefühle zu erkennen und sich darauf einzustellen ist Aufgabe eines jeden Arztes, der eine hilfreiche Beziehung aufbauen will. Dies gilt insbesondere für die Allgemeinmedizin, denn sie arbeitet mit der langfristigen Nutzung der Arzt-Patient-Beziehung. Gefühle wahrzunehmen, zu erkennen, sich selbst beobachtend darauf einzustellen und auch selber im Rollenspiel zu erleben, ist das Ziel dieser Lehrveranstaltung. Wenn der künftige Arzt lernt, eine Haltung der Selbstbeobachtung einzunehmen statt zu agieren, dient dies auch seinem eigenen Wohlbefinden und nicht nur dem seiner Patienten. Diese Grundhaltung sollte gleichwertig wie Auskultation und Anatomie am Beginn der beruflichen Ausbildung zum Arzt stehen.


Projektbeschreibung

Die vorgestellte Lehrveranstaltung besteht aus sechs Modulen zu je 4 Unterrichtseinheiten.

Im ersten Modul wird die Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung als ein wichtiges Instrument zur Diagnostik und Therapie vermittelt. Emotionen beim Arzt sollten nicht unterdrückt, sondern wahrgenommen und für das Verstehen des Patienten genutzt werden. Die folgenden Module sind Umgang mit Angst, Ärger, Trauer und Umgang mit Scham. Im 6. Modul „Gesprächsführung zur Förderung von Compliance in der Arzt-Patient-Beziehung“ wird die Bedeutung der Affekte und insbesondere der aggressiven Verstrickung (entlehnt nach Willi systemischer und psychoanalytischer Paartherapeut) zwischen Arzt und Patient noch einmal aufgegriffen. Um Motivation für gesundheitsförderliches Verhalten zu begründen und zu unterstützen reicht Wissensvermittlung in der Regel nicht aus; damit der Patient tut, was auch gut für ihn ist, muss eine positiv gestimmte Arzt-Patient-Beziehung bestehen.


Didaktische Methoden

Zu jedem Modul wurden detaillierte Ausbildungsziele entwickelt, die von den Studenten eingesehen werden können. Die Ausbildungsziele sind nach den Fragen, „Was soll gewusst werden?“, „Was soll im Umgang mit den Patienten gekonnt werden?“ und „Welche Haltung soll vermittelt werden?“ gestaltet (Die detaillierten Ausbildungsziele sind in Tabelle 1 [Tab. 1] exemplarisch für das 1. Modul wiedergegeben).

Der Unterricht findet in sechs Kleingruppen von 6-8 Studierenden statt. Jede Kleingruppe wird durch einen festen Dozenten das Semester hindurch betreut, damit sich eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre entwickeln kann.

Jedes Modul beginnt mit einer 45 minütigen theoretischen Einleitung, die von den Selbsterfahrungen und Selbstreflektionen der Studenten ausgeht.

Leitfrage zu Modul 1 ist beispielsweise: Was würden Sie sich wünschen von ihrem betreuenden Arzt, wenn Sie heute mitgeteilt bekämen, dass Sie eine chronische körperliche Erkrankung hätten, wie z.B. eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung oder einen Diabetes? Im Modul, das sich mit der Emotion Scham beschäftigt, wird zusammengetragen, was es an beschämenden Situationen im medizinischen System gibt, sowohl auf Seiten des Patienten (z.B. Verletzung der Intimsphäre in Untersuchungssituation, Beschämung durch die soziokulturelle Wertung der Diagnose oder die Krankheit selbst beschämt das Selbstwertgefühl), aber auch Schamgefühle auf Seiten des Arztes (z.B. durch Distanzlosigkeit oder Verführungsverhalten von Patienten oder der Arzt schämt sich, dem Patienten die Wahrheit ins Gesicht zu sagen).

Wesentliches didaktisches Mittel sind Rollenspiele. Sie nehmen den größten zeitlichen Raum ein. Die Rollenspiele orientierten sich an dem jeweiligen Leitaffekt. Sie basieren auf realen Fallsituationen aus der allgemeinmedizinischen Praxis. Die Studierenden erhalten eine ausführliche Regieanweisung mit Hintergrundinformationen zur Biographie des Patienten, die sein aktuelles Beziehungsmuster gegenüber dem Arzt erklärt.

Im Modul Angst gilt es, einen Patienten mit koronarer Herzkrankheit zu spielen, der die Sicherheit des Krankenhauses nicht verlassen will und mit dem Arzt über das Entlassungsdatum feilschen will.

Im Modul Scham handelt es sich um eine Patientin mit Hämatomen an den Unterarmen, die mit dem Vorwand, die Treppe hinuntergestürzt zu sein, häusliche Gewalt verbergen will.

Im Modul Trauer geht es um den Verlust von Selbstwert, den eine chronische körperliche Erkrankung wie Colitis ulcerosa bei einem jungen Patienten hervorruft. Die körperlichen Beeinträchtigungen setzen die Lebensfreude herab und führen zu Gefühlen der Ohnmacht.

Im Modul Ärger und Motivation geht es um eine ältere, phlegmatische übergewichtige Diabetikerin, die in den möglichen Vorhaltungen der Ärztin die Stimme ihrer eigenen Tochter hört, die als Ökotrophologin alles besser weiß und keinen Respekt vor den mühsamen Lebensleistungen ihrer Mutter hat.

Die Rollenspiele werden mit der Kamera aufgenommen und danach gemeinsam angesehen, um Schritt für Schritt das interaktionelle Geschehen gemeinsam zu erarbeiten. Sie werden von den Studenten mal in der Rolle des Patienten, mal in der Rolle des Arztes gespielt.

Didaktisches Material, Arbeitsblätter zum theoretischen Hintergrund, Rollenspiele mit Regieanweisungen und Hintergrundinformationen sowie Arbeitsanweisungen für die Dozenten zum Ablauf der Unterrichtsstunde und zusätzliches Informationen liegen in schriftlicher Form vor und sind von den Studierenden über eine Internet-Plattform abrufbar.


Erfahrungen und Evaluation

Die Teilnehmer des Modellstudiengangs haben insgesamt begeistert und dankbar mitgemacht. Ausgesprochen offen waren sie in Bezug auf die eigene Selbsterfahrung. Sie berichteten über eigene Erfahrungen in ihren Praktika, aber auch über eigene Erfahrungen als Patienten und waren sehr zur Selbstreflektion bereit. Die Variationen im Rollenspiel waren oft erstaunlich.

Insbesondere waren die Studenten darüber erleichtert, dass sie Emotionen nicht unterdrücken müssen, sondern dass sie durch die selbst beobachtende Haltung diese Emotionen nicht nur beachten dürfen sondern sogar sollen, um eine hilfreiche Beziehung für den Patienten zu gestalten.

Es wurde den Studierenden ein Fragebogen vorgelegt, in dem die Studierenden fünf Items zur Lehrveranstaltung mit einer Schulnote (1-6) bewerten konnten und zusätzlich die Möglichkeit haben, zu jedem Item Freitextkommentare (Als Lob bzw. konstruktive Kritik) zu formulieren

Im WS 2007 / 2008 wurden von 40 Teilnehmern 29 auswertbare Fragebögen zurückgegeben. Insgesamt wurde die Lehrveranstaltung überwiegend mit sehr gut und gut bewertet. In Freitextkommentaren gelobt wurde insbesondere, dass in den mit Video aufgenommenen Rollenspielen verbale Interventionstechniken Schritt für Schritt bearbeitet werden konnten und gesehen werden konnte, wie sich Emotionen nonverbal äußern und welchen „Tanz“ es zwischen Arzt und Patient in jeder Sekunde gibt.

„Sehr gut war die intensive Besprechung der Rollenspiele und auch die Klärung der Hintergründe der jeweiligen Patientengeschichten, um ein besseres Verständnis zu erlangen.“

Die Auswahl der Dozenten wurde überwiegend mit großer Zufriedenheit kommentiert. Insbesondere wurde in den Freitexten die langjährige Erfahrung der Dozenten in den eigenen Praxen als hilfreich betont.

Sehr wichtig erscheint uns, dass die Veranstaltung in den Freitexten als „Hilfestellung für „echte“ Kontakte mit Patienten“ bezeichnet wurde. Die Auswahl der Themen wurde als gut bewertet. In den Freitexten und im persönlichen Feedback bestanden an der Verteilung zwischen Theorie und praktischen Übungen keine Änderungswünsche. Die als gut bewertete Arbeitsatmosphäre wird auf die kontinuierliche Betreuung einer Kleingruppe durch einen Dozenten zurückgeführt. Die meisten Studierenden halten das Angebot an sich als sinnvoll (siehe Abbildung 1, Grafik 1-6 [Abb. 1]).


Diskussion

Der Vergleich der Rollenspiele am Beginn des Studiums mit den Rollenspielübungen im Curriculum der psychosomatischen Grundversorgung der Facharztweiterbildung Allgemeinmedizin zeigt, dass im Laufe des traditionellen Medizinstudiums emotionale Kompetenz eher behindert wird und von einer distanzierten ("harten") Haltung dem Patienten gegenüber verdrängt wird [12], [13].

Es gab von Seiten der Teilnehmer immer wieder die Rückmeldung, wie wichtig es ist, sich in die Rolle des Patienten hinein zu versetzen. Aufzuzeigen, welche vielleicht intuitiv nahe liegenden Strategien ungeeignet sind, um Motivation und Compliance zu fördern, erübrigte sich allein schon dadurch, dass der Patient in seiner Rolle wiedergab, wie er das z.B. Drohen mit Folgeerkrankungen empfunden hat. Wir halten unser Modell daher zielführend für die Vermittlung einer patientenzentrierten Medizin. Im Gegensatz zu anderen Projekten verzichteten wir auf den zusätzlichen Aufbau eines Simulationspatientenprogrammes, da uns dieses für das Erreichen der oben geschilderten Zielsetzung nicht als zentral erschien [14].

Fast alle Teilnehmer hielten die Veranstaltung für sehr sinnvoll. Diese Bewertung sollte Anlass sein, darüber nachzudenken, wie eine solche Veranstaltung auch in den Regelstudiengang übernommen werden kann. An unterschiedlichen Standorten werden derzeit unterschiedliche Konzepte für Interaktionstrainings pilotiert, die zum Ziel haben, den professionellen Umgang werdender Ärzte zu verbessern. Diesen konkret zu beschreiben, nachvollziehbar zu messen und somit den Effekt unterschiedlicher Interaktionstrainings objektivierbar und miteinander vergleichbar zu machen ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft [15], [16], [17].

Wesentlicher Bestandteil, der zum Erfolg der Lehrveranstaltung beiträgt, ist die longitudinale interdisziplinäre Verknüpfung verschiedener Lehrangebote zum Thema „Interaktion“ in einem Strang. Durch die genaue inhaltliche Abstimmung mit vorausgegangenen und folgenden Unterrichtsveranstaltungen kann eine sog. „Lernspirale“ mit wachsender Komplexität der Anforderungen an die Studierenden im Bereich der Interaktion gewährleistet werden. Dies stellt eine der wesentlichen Schwierigkeiten bei der Integration von miteinander vernetzten Interaktionsprogrammen in traditionelle, fächerbezogene Studiengänge dar, die durch die Anbindung an ein Fachgebiet die Gefahr in sich bergen, auf einen bestimmten Studienabschnitt begrenzt zu bleiben [18].

Der Aufbau einer hilfreichen Arzt-Patient-Beziehung kann gelehrt – und gelernt werden. Wichtig für die Effektivität von Interaktionstrainings sind Möglichkeiten zur Selbstbeobachtung und Selbstreflexion und Tausch mit der Patientenrolle, wozu es einer Kleingruppe bedarf. Weitere Faktoren sind die kontinuierliche Betreuung durch einen Dozenten, das Feedback z.B. durch Videoprotokolle der Rollenspiele [4] und das modellhafte Lernen an Fallbeispielen aus dem ärztlichen Alltag. Hier müssen äquivalente Lösungen für größere Semesterstärken gefunden werden, z.B. durch die Integration von geschulten studentischen Tutoren höherer Jahrgänge zur Unterstützung der Dozenten bei größeren Studierendenzahlen (Peer Teaching).


Schlussfolgerungen

1.
Für die Implementierung von Lehrveranstaltungen zum Thema Interaktion ist die interdisziplinäre Abstimmung aufeinander aufbauender Lehrinhalte zu empfehlen. Die Allgemeinmedizin bietet sich hierfür durch den direkten langfristigen Patientenkontakt als Kooperationspartner an.
2.
Der Beginn von Kommunikationstrainings im ersten Semester sowie die longitudinale Verknüpfung der Aspekte der ärztlichen Interaktion in Form eines „Stranges“ machen sich im vorgestellten dritten Semester bezahlt.
3.
Die vorgestellte Lehrveranstaltung, die sich mit den Emotionen und der Arzt-Patient-Beziehung beschäftigt, hat sich als Modul für das 3. Semester bewährt.
4.
Die Lehrveranstaltung bedarf des Übens in der Kleingruppe, da selbstreflexive Momente in einer Großgruppenveranstaltung schwer realisierbar sind.
5.
Videokontrollierte Rollenspiele sind hierfür eine wirksame und von Studierenden akzeptierte Methode.
6.
Dozenten aus den niedergelassenen Praxen mit psychotherapeutischem Hintergrundwissen haben sich als Dozenten bewährt.
7.
Für einen nachhaltigen Lernerfolg wird eine inhaltliche Vertiefung des vorgestellten Umganges mit Grundemotionen in späteren Semestern (z.B. in Form von Balintgruppen, die den erlebten Alltag reflektieren oder durch Einsatz von standardisierten Patienten) empfohlen.
8.
Es sollte angestrebt werden, ähnlich ausgerichtete Interaktionstrainings auch für Studierende aus Regelstudiengängen anzubieten.

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