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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Private Medizinische Hochschule - Initiativen, Erfolge und Pitfalls: So hieß der Titel eines Symposiums am 16.01.2009 in der Bibliothek des Grand Hyatt in Berlin

Kongressbericht/kongress report Humanmedizin

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GMS Z Med Ausbild 2009;26(2):Doc15

doi: 10.3205/zma000607, urn:nbn:de:0183-zma0006078

Eingereicht: 26. Februar 2009
Überarbeitet: 10. März 2009
Angenommen: 10. März 2009
Veröffentlicht: 15. Mai 2009

© 2009 Kleber.
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Gliederung

Kongressbericht

Im heutigen Europa gewinnen private Bildungsstätten vom Kindergarten bis zur Universitätsausbildung rasch an Bedeutung, und die Bereitschaft, persönliche Mittel für die eigene Bildung und die Bildung der eigenen Kinder zu investieren, steigt. Gerade in dem seit Jahrzehnten von Reformbemühungen geprägten Bereich der Hochschulmedizin jedoch spielen privat getragene Initiativen für grundsätzliche Reformen im deutschsprachigen Raum kaum eine Rolle.

Mit dem Symposium „Private Medizinische Hochschule – Initiativen, Erfolge und Pitfalls“ am 16.1.09 verfolgten die Organisatoren die Absicht, die Kräfte, die im Bereich der deutschsprachigen Hochschulmedizin eine Erneuerung hinsichtlich Inhalt und Struktur suchen, zusammen zu führen. Dabei kam es weniger auf die privatwirtschaftliche Organisationsform per se als vielmehr die Innovationskraft neu zu etablierender, flexibler Strukturen an. Die Referenten kamen aus der Politik, aus Wissenschaft, aus den staatlichen universitären Einrichtungen wie aus den privaten deutschsprachigen Initiativen. Politische und rechtliche Rahmenbedingungen, Landesinteressen, universitäre Standpunkte, und Projekte mit europäischen Partnern kamen ebenso zur Sprache wie Finanzierungsmodelle, curriculare Neuerungen und die studentische Sicht.

Damit wurde ein Forum geschaffen, das die Weiterentwicklung der Hochschulmedizin fördern und fordern und einen wichtigen Beitrag für den Medizin- und Gesundheitsstandort Berlin-Brandenburg und darüber hinaus modellhaft für Deutschland liefern könnte.

Prof. Dr. phil. Joachim-Felix Leonhard, der als Staatssekretär die Zusammenführung und Privatisierung der Hochschulmedizin in Hessen betreut hat und jetzt Präsident der von Behring-Röntgen-Stiftung ist, stellte das Modell der Fusionierung und Privatisierung der Hochschulkliniken Gießen-Marburg vor. Er zeigte auf, wie die Entflechtung der wirtschaftlichen Strukturen von Forschung und Krankenversorgung zur Rentabilität der Kliniken bei gleichbleibendem Forschungsetat führen kann. Er betont, dass Kostendruck, Wirtschaftslage, Investitionsbedarf und internationaler Wettbewerb mehr denn je unsere Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit fordern. „Es braucht politischen Mut, jenseits von Gewohnheitsdenken und Beharrungsvermögen die Dinge grundlegend zu überdenken“ führte er aus. Dabei bedeutet ihm die Vernetzung von Gesundheitsstrukturen besonders viel, „nicht, wer wo ist, sondern wer mit wem zusammenarbeitet, bestimmt das sich entwickelnde Netzwerk zur Exzellenzbildung“. Die Einbeziehung unternehmerischen Handelns zur Gewinnung von Mitteln und Innovationskraft – im Fall von Gießen–Marburg durch die Privatisierung der Kliniken, in anderen Fällen durch andere Ideen ist ein bedeutsamer Punkt. Im Ausland ist zum Teil auch die Forschung in privatrechtlicher Trägerschaft. Die Organisationsform ist zweitrangig und am jeweiligen Standort zu erörtern, die Neuorganisation mit unabhängigen, schnellen Finanzströmen und rascher Reaktionsfähigkeit auf die sich stetig wandelnde, in Netzwerken agierende Forschungswelt ist das Gebot der Zeit.

„Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es notwendig, dass sich alles ändert“ zitierte Prof. Leonhard Giuseppe die Lampedusa in „Der Leopard“.

Innovative Ansätze sind auch in der Curricularstruktur wichtig. Die stärkere Gewichtung der Nosologie forderte Prof. Franz X. Kleber, Direktor der Klinik für Innere Medizin des ukb (Unfallkrankenhaus Berlin) in seinen Ausführungen. Man kann die naturwissenschaftlichen Grundlagen für den Lernenden viel besser und dauerhafter verfügbar machen, wenn sie an praktischen Arbeitsfeldern ihre Anknüpfung und mnemotechnische Verortung erfahren. Daher bietet die Nosologie eine hervorragende Ordnungsgrundlage für Struktureinheiten eines Studiums, das sich die dauerhafte wechselseitige Integration aller wichtigen medizinischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und deren Transfer in das ärztliche Berufsleben zum Ziel gemacht hat. Die frühe Heranführung an den Patienten am Krankenbett und in der ambulanten Medizin bietet ebenso wie die Beibehaltung der Lehre der Grundlagen bis in die hohen Semester die Möglichkeit klinisches und naturwissenschaftliches Wissen dauerhafter als bisher zu verknüpfen und verfügbar zu halten.

Memotechnisch und erkenntnistheoretisch ist zudem die stärkere Betonung der intuitiven Beobachtung und des Immersionsprinzips des Lernens als Ergänzung des kognitiven naturwissenschaftlich analytischen Prinzips ein wichtiger Faktor der medizinischen Ausbildung. Das Erkennen von Mustern von Präsentationssyndromen oder Krankheiten (patterns in cognitive sciences) und Schlussfolgerungen, die aus wiedererkennenden Erinnerungsleistungen resultieren (sogenannte short cuts), sind wertvolle, teilweise unbewusste und erfahrungsbasierte Wege zur richtigen Einschätzung, die intensiv aktiv in die Lehre einbezogen werden müssen.

Naturwissenschaftliche Denkweisen passen nur teilweise zur Medizin, daher muss die Agenda des Medizinstudiums von Ärzten geschrieben sein, forderte Prof. Kleber. Curricula, Lehralltag und Prüfungsstoff würden heute großenteils an Nicht-Mediziner delegiert. Das von diesen angebotene Wissen, das für das Verständnis eine große Bedeutung hätte, folgt jedoch in der Lehrsystematik naturwissenschaftlichem Bedarf und nicht ärztlichen Maßgaben und Anforderungen. Infolgedessen geht ein sehr großer Teil dieses Wissens bereits beim weiteren Studium bis zum Staatsexamen und ein noch größerer Teil in den ersten Berufsjahren verloren.

Mit der Erkenntnis, dass lexikalisches Wissen heute weniger bedeutet als Wissensbewertung wird gedankliche Kapazität frei für Kontextualisierung und Bedeutungsbewertung von Krankheiten in ihrer Auswirkung auf die individuelle Lebensgestaltung. Auf dieser Grundlage kann jene Empathiefähigkeit wieder entstehen, die die technisch-naturwissenschaftliche Medizin in ihrer Bedeutung für ärztliches Handeln in der Ausbildung zu unterschätzen neigt, die aber für die richtige Deutung von Beschwerden, Symptomen und Krankheitszeichen sowie für die Anerkennung der schicksalhaften Dimension von Leiden und Sterben so wertvoll ist.

Die Sorge des Flächenlandes um den quantitativ und qualitativ ausreichenden Mediziner-Nachwuchs wurde am Beispiel des Landes Brandenburg von mehreren Vortragenden verdeutlicht. Mit der niedrigsten Vertragsarztdichte in der Bundesrepublik hat Brandenburg unter dem gegenwärtigen Ärztemangel besonders zu leiden. Während es einen weitgehenden Konsens darüber gab, dass das Fehlen einer eigenen Medizinischen Fakultät in Brandenburg entsprechend den Absprachen der Bundesländer Berlin und Brandenburg nicht für die Versorgungssituation in dem Flächenland verantwortlich ist, wurden einige Initiativen und Ideen zur Sprache gebracht, wie die Kliniken von Bandenburg stärker von der Ausbildung junger Mediziner in Berlin profitieren können. Positiv bewertet wurden die Forderung, die Kliniken von Brandenburg in die Lehre mit einzubinden, ebenso wie die Idee, durch ortsgebundene Stipendienvergabe und damit der Erstattung eines Teils der Ausbildungskosten junge Absolventen zum Berufsbeginn in der Brandenburger Region zu verpflichten.

Gegenwärtig gibt es mehrere Initiativen für eine länderübergreifende oder länderintegrierende Medizinerausbildung in oder für Brandenburg, die jedoch noch im Entwicklungstadium sind, bzw. Randgebiete der Medizin abdecken wie das Postgraduate Master Studium „ Komplementäre Medizin - Kulturwissenschaften - Heilkunde“ an der Europa-Universität Viadrina. Das Brandenburgische Wissenschaftsministerium sieht v.a. in der Kooperation der Brandenburgischen Maximalversorgungskliniken mit der Berliner Charité eine Möglichkeit für Fortschritte.

Viel Aufgeschlossenheit für neue Wege der Lehre, universitäre Netzwerkbildung und fächerspezifische Kooperation zeigte die Freie Universität Berlin im Vortrag ihrer Vizepräsidentin Frau Prof. Dr. Monika Schäfer-Korting. Dabei kommt der unter die neun Exzellenz-Universitäten gewählten FU ihre internationale und regionale Netzwerkstruktur sehr zugute. Die FU kann angesichts Ihrer außerordentlich starken Biomedizinischen Forschungsschwerpunkte mit Fächern von der Biophysik bis zur Ökologie und von der Bioinformatik bis zur Pharmazie sowie mit ihren Schwerpunkten in der Biokommunikation und Umweltforschung in besonderer Weise der Innovation in der Grundlagenforschung und deren Anwendung gerecht werden.

Deutlich kritisiert wurde auch die derzeitige deutsche Gesetzgebung inklusive der Approbationsordnung. Prof. Peter Dieter, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung urteilte: „diese Gesetzgebung erlaubt keine Ausbildung der Exzellenz“. Mit den jetzigen Bedingungen ist die Anzahl der Studenten am Krankenbett durch das Universitätsklinikum limitiert, die Anzahl der zugelassenen Studenten ist oftmals gerichtlich festgelegt und die Auswahl der Studierenden nicht nach deren Begabungen, Interessen und Anforderungsprofil steuerbar. Die Prüfungen sind an die Reformbemühungen nicht anpassbar, internationale Ausbildung scheitert teilweise an juristischen Sprachbarrieren und Landesbudgets wie auch Budgetverteilung sind zu begrenzt. Prof. Dieter sieht europäische Lösungen und marktgerechte Studiengebühren als einen Weg um diese Hindernisse zu überwinden und skizzierte die Gründung einer „International Medical School of Excellence“ aus einer gemeinsamen Anstrengung von Initiativen in Berlin, Brandenburg und Sachsen im kommenden Jahrzehnt.

Während die Finanzierung der Lehre aus Studiengebühren nicht völlig unerreichbar erscheint, ist die privat getragene Spitzenforschung in Deutschland noch ein Novum. Prof. Battmer vom Zentrum für Klinische Technologieforschung des Unfallkrankenhauses Berlin nannte als Voraussetzungen Kooperationswillen, Spitzenexpertise in einem klar umrissenen, gut definierten Spezialgebiet und Vernetzung in einer wissenschaftsinteressierten, exzellenten Infrastruktur. Er warnte deutlich vor überambitionierten Ansprüchen und Auftragsforschung. Am Beispiel der Hörforschung des ukb (Unfallkrankenhaus Berlin) zeigte er eindrücklich auf, dass privat getragene Spitzenforschung realisierbar ist.

Die Finanzierung privater Bildungseinrichtungen wurde auch in Vorträgen von Dr. Alexander von Friesen (PricewaterhouseCoopers) und Prof. Johann Löhn (Steinbeis Hochschule) erläutert. Von Friesen erläuterte, dass nur 7-35 % der Kosten deutscher Privatuniversitäten von Gebühren gedeckt werden, 30-74 % kommen aus Spenden und Stiftungsgeldern. Demzufolge sind durchschnittlich nur 45 % des Budgets fest planbar und so verwundert es wenig, dass nur 1 % der deutschen Studenten an privaten Einrichtungen studieren und manche der privat getragenen Einrichtungen erhebliche finanzielle Schwierigkeiten haben. Von Friesen nannte als solide Finanzierungssäulen private und öffentlich-rechtliche Partner, angemessene Studiengebühren, professionelles Fundraising, und Vermarktung von Dienstleistungen.

Ganz andere Wege ist die Steinbeis Hochschule gegangen, wie Prof. Löhn ausführte. Ausgehend von einem Startkapital von 9 Millionen Euro hat die Steinbeis Hochschule seit 1983 ein Imperium aufgebaut, das keinen Erfolgsvergleich zu scheuen hat. Die Eigenfinanzierung erscheint Prof. Löhn durch Einhaltung einfacher Regeln, Einkauf von Expertise, Dezentralisierung, Entscheidungs- und Verantwortungsübertragung, Beteiligung, Flexibilität, „Fehlen von Bürokratie“ und rasche Entscheidungswege möglich. Steinbeis hat den Erfolg gezeigt.

Nicht zuletzt kamen die Studenten und das Ausland zu Wort. Anna Stretz, Studentin im Reformstudiengang der Berliner Charité, legte dar, welche Motivation Studierende haben könnten, in ein privat getragenes und ergo teures Studium zu investieren. Mit der Kernthese, dass „Ein Studium, das sich für die Studierenden lohnen soll, zu ärztlichem Handeln befähigen muss“ ,zeigte sie beispielhafte Veränderungen auf, die private Initiativen verwirklichen müssten, um für Studierende attraktiv zu werden. Stretz zeigte Daten, aus denen hervorgeht, dass der heilkundliche und kurative Aspekt für drei Viertel der Studenten die wesentliche Motivation darstellt, das Studium der Humanmedizin anzufangen. Sie kritisierte die Lehre durch Jungassistenten, die in letzter Minute und ohne nennenswerte didaktische Erfahrung in den Hörsaal geschickt werden. Demotivation und Demoralisierung, unrealistisch hohe Erwartungen, Stress, übersteigerter Wettbewerb, Mangel an persönlicher Kontrolle und Kommunikation bestimmen nicht nur in ihrer und ihrer Kommilitonen Erfahrungen den Studienalltag, sondern sind in der medizinischen Literatur zur Metasicht des Studiums gut belegt (Sawa Medical Teacher 2006). Frau Stretz fasste mit einem Satz von Sir Andrew Mac Phail zusammen: „Ich bin mir wohl bewusst, dass heutzutage, da man aus einem Studenten einen Physiologen, Physiker, Chemiker, Biologen, Pharmakologen und einen Elektriker machen muss, keine Zeit bleibt, aus ihm auch noch einen Arzt zu machen. Dieser krönende Abschluss kann erst erfolgen, wenn er hinaus in die Welt der Krankheit und des Leides gegangen ist, es sei denn, sein Geist ist von der langen Ausbildung in jenen Wissenschaften so verwirrt, dass er auf immer für die Kunst der Medizin verloren ist….“

Prof. Weidenhammer stellte die Asklepius Medical School in Hamburg vor und berichtete von den Erfahrungen mit der ungarischen Akkreditierung. Da der Campus Hamburg eine „außersitzliche“ Einrichtung der Semmelweis Universität Budapest ist, hatte der Nachweis gegenüber ungarischen Behörden nach ungarischem Recht zu erfolgen. Damit betrat Weidenhammer absolutes Neuland. Dennoch gelang es ihm in einem recht kurzen Zeitraum vom Akkreditierungsantrag im Frühjahr 2008 bis Sommer 2008 eine Genehmigung zu erreichen und im Herbst die ersten 20 Studenten am Campus aufzunehmen. Damit ist Weidenhammer ein Meilenstein in der Entwicklung alternativer und innovativer Konzepte gelungen. Weidenhammer berichtete, dass neben der Lehre auch eine privat finanzierte Forschung mit bedeutenden finanziellen Mitteln ausgestattet ist und gleichzeitig aufgebaut wird. Über ähnliche Kooperationsbereitschaft verfügen auch diverse andere Universitäten im europäischen Ausland. Neben der Universität Szeged in Ungarn, deren Lehrkonzept der Dekan Prof. Dr. György Benedek vorstellte, sind das Einrichtungen in den Niederlanden, in der Tschechei, in England u.a.m. Zu bedauern ist, dass offenbar bisher ein eigenständiges in Deutschland akkreditiertes Konzept von den Entscheidungsträgern in Politik und Wissenschaftsadministration noch nicht genug gefördert wird, um eine realistische Chance auf Umsetzung in absehbarer Zeit zu haben. In Salzburg/Österreich ist dies mit der Paracelsus Universität offenbar gelungen, wie der Dekan Prof. Michael Studnicka ausführt. Die Einrichtung läuft stabil seit 2003 mit 42 Studenten pro Studienjahr, erste Absolventen im Jahr 2008 mehren den Ruf einer hervorragenden Ausbildung.

Neue Ansätze sind möglich, Initiativen sind nötig, Zusammenarbeit zwischen den Initiativträgern ist ein wichtiger Meilenstein im Erfolg auf dem Weg zu einer Verbesserung des Medizinstudiums. Dieses Treffen hat dazu einen Beitrag geleistet.