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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Implementierung eines Längsschnittscurriculums zur Gesprächsführung für Medizinstudierende im Grundstudium

Ankündigung/note Humanmedizin

  • corresponding author Katrin Rockenbauch - Universitätsklinikum Leipzig, Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Leipzig, Deutschland
  • author Oliver Decker - Universitätsklinikum Leipzig, Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Leipzig, Deutschland
  • author Yve Stöbel-Richter - Universitätsklinikum Leipzig, Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Leipzig, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2008;25(1):Doc66

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/zma/2008-25/zma000550.shtml

Eingereicht: 10. Dezember 2007
Überarbeitet: 11. Dezember 2007
Angenommen: 11. Dezember 2007
Veröffentlicht: 15. Februar 2008

© 2008 Rockenbauch et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Inhaltsbeschreibung

Der Gesprächsführungskurs (GF-Kurs) in Leipzig ist Teil der Ausbildung in den Fächern Medizinische Psychologie und Medizinischer Soziologie und findet im Grundstudium nunmehr im vierten Jahr statt. Im Folgenden werden die Besonderheiten des Kurses sowie Lehrziele und Didaktik, Evaluation und erstellte Lehrmittel kurz umrissen.

Ziel des Kurses

Die neue Approbationsordnung sieht eine Stärkung psychosozialer Kompetenzen und den Erwerb praktischer Handlungsstrategien für zukünftige Ärzte vor. AbsolventInnen der Medizin haben in Befragungen nach dem Studium einen Mangel an Gesprächsführungskompetenzen beklagt [1]. Zudem trugen eigene Lehrerfahrungen im Rahmen der alten AO dazu bei, das Erlernen von Gesprächsführungskompetenzen stärker zu wichten und entsprechend auszubauen [2]. Ziel des aktuellen Kurses ist es, Medizinstudierenden Möglichkeiten zu eröffnen, das eigene Gesprächsführungsverhalten selbstkritisch zu betrachten und zu reflektieren, ggf. neue Handlungskompetenzen zu erlernen und zu üben und diese neu angeeigneten Kompetenzen in ihr Alltags- und Berufshandeln zu implementieren. Diese Handlungskompetenzen umfassen sowohl allgemeine Gesprächsführungskompetenzen, als auch spezielle Anforderungen im Arztberuf.

Organisatiorisches

Der GF-Kurs umfasst zwei Semester. Die Seminargruppen werden geteilt und bekommen in Kleingruppen von 8-12 Personen im dritten Semester sieben und im vierten Semester fünf Wochen lang jeweils vier SWS Grundlagen der Gesprächsführung vermittelt. Der Besuch des Kurses ist obligatorisch, es werden pro Semester also rund 400 Studierende ausgebildet.

Der GF-Kurs wird von studentischen TutorInnen geleitet, die aus unterschiedlichen Fachrichtungen kommen (z. B. Medizin, Psychologie, Geisteswissenschaften, Erziehungswissenschaften). Insgesamt sind rund 20 TutorInnen tätig.

Lehrziele des Kurses

Der erste Teil des Gesprächsführungskurses (3. Semester) umfasst die folgenden kognitiven, affektiven und psychomotorischen Lehrziele1:

  • Kennen lernen von Kommunikationstheorien und diese auf Kommunikationsbeispiele übertragen und üben
  • Sensibilisieren für gute und kritische Gesprächssituationen
  • Grundlagen der Arzt-Patienten-Interaktion kennen lernen und Sensibilität für die jeweilige Situation entwickeln
  • einen optimalen Gesprächsverlauf erarbeiten und im Rollenspiel selbst umsetzen
  • die Methode des Aktiven Zuhörens kennen lernen, üben und angemessen im Rollenspiel anwenden
  • die Funktion des „Befinden Mitteilens“ begreifen, üben und angemessen im Rollenspiel anwenden
  • die Bedeutung des Settings für Gespräche verstehen und selbst aktiv das Setting im Rollenspiel gestalten
  • die Bedeutung des nonverbalen Verhaltens im Gespräch erkennen, das eigene nonverbale Verhalten und das von anderen beobachten und dessen Wirkung analysieren
  • über das Rollenverständnis von Arzt und Patientin nachdenken, und diese Rollen im Rollenspiel selbst einnehmen
  • das eigene Gesprächsführungsverhalten betrachten und analysieren
  • Anderen angemessenes Feedback zum Gesprächsführungsverhalten geben
  • Erkennen von Problemen der Kommunikation in Gruppen und Teams
  • die eigene Rolle in der Gruppenkommunikation reflektieren und ggf. ändern
  • Analyse des eigenen Lernfortschrittes in Form von Lerntagebüchern (war 2005/2006 verpflichtend für alle - internetbasiert, 2006/2007 je nach Tutorin direkt im jeweiligen Kurs)

Im vierten Semester (zweiter Teil des Kurses) stehen folgen Lehrziele im Mittelpunkt:

  • Wiederholen und Festigen des im dritten Semester erworbenen Wissens und der erworbenen Fähigkeiten
  • Reflektion des (eigenen) Gesprächsführungsverhaltens und bewusst werden über die Wirkung
  • Die Bedeutung der Gesprächsatmosphäre erfassen und analysieren lernen
  • Sensibilität für Gesprächsbrüche (Atmosphärische Wechsel) entwickeln und Brüche im Gespräch erkennen
  • die Sensibilität für spezifische ärztliche Kommunikationsfähigkeiten ausbauen durch den Erwerb von Fähigkeiten in speziellen Gesprächssituationen wie z.B.:
1.
Verhaltensänderung und motivierende Gesprächsführung
2.
Aufklärung bei infauster Prognose und schlechten Nachrichten
3.
Shared decision Making im Gespräch
4.
Angehörigengespräche
5.
Interkulturelle Kommunikation
6.
Ansprechen von Tabuthemen
  • Gespräch mit Schauspielpatientin zu unterschiedlichen Themen führen bzw. beobachten und analysieren
  • ein Gespräch zum Erleben der eigenen Krankheit und Behandlung, subjektiver Krankheitstheorie und Wohlbefinden im Krankenhaus mit einer Patientin führen bzw. beobachten und analysieren
  • den Zusammenhang zwischen angewendeter Gesprächsführungs“technik“ und atmosphärischen Brüchen im Gespräch erkennen und analysieren können
  • die eigene Identifikation mit Personen in Gesprächen reflektieren und die mögliche Wirkung bewusst machen
  • Sensibilisieren für die Konzepte der Übertragung und Gegenübertragung
  • Kennenlernen und Anwenden einer wohltuenden Feedbackkultur

Didaktik bzw. spezifische Methodik

Die Inhalte des jeweiligen Kurses sind stark abhängig von den Bedürfnissen der Studierenden, der TutorIn und der spezifischen Situation (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Der Kurs erfolgt in kleineren Gruppen von 8-12 Studierenden. Folgende weitere didaktische Elemente erscheinen uns interessant und spezifisch:

  • Rollenspiele
  • Kleingruppenarbeit
  • Gruppendiskussionen
  • Übungen
  • Spiele zur Auflockerung
  • Arbeit mit Videofeedback
  • Einsatz von SchauspielpatientInnen
  • Gespräch mit PatientIn
  • Arbeit mit Videobeispielen zum Analysieren von Situationen und ggf. zu Vorbildwirkung

Ingesamt wird davon ausgegangen, dass das Problembewusstsein für Kommunikation und Gesprächshaltung nur bedingt vorhanden sind, weshalb zu Beginn des Kurses das eigene Kommunikationsverhalten durch eine schwierige Situation problematisiert wird. Im Folgenden werden einzelne „Kommunikationstechniken“ erlernt und in komplexeren Situationen (Rollenspiele) angewandt. Das Gespräch mit der Schauspielpatientin (SP) stellt eine komplexere und realitätsnähere Situation dar, in der das Erlernte weiter geübt werden kann. Das Feedback der fremden Person (SP) trägt dazu bei, das eigene Verhalten erneut zu überprüfen. Um die Transferlücke in die Praxis möglichst klein zu halten, wird zum Ende des vierten Semesters ein Gespräch mit einer Patientin geführt. Außerdem wird darauf geachtet, dass die Studierenden die medizinische Realität und die Schwierigkeiten der Umsetzung des im Kurs Erlernten realisieren und geeignete Kompensationsstrategien hierzu erarbeiten.

Qualitätssicherung

Die TutorInnen erhalten alle vor dem Beginn ihrer Tätigkeit ein einiwöchiges Kommunikationstraining in welchem sie das Konzept zunächst als Teilnehmende erfahren. Im Anschluss daran erhält jede/r TutorIn die Möglichkeit, sich mit einer speziell vorbereiteten Unterrichtseinheit vor der Gruppe der TutorInnen als TutorIn auszuprobieren und hierfür stärkendes Feedback zu bekommen (2 Tage). Schließlich erfolgt eine drei- bis vier-tägige weitere Vorbereitungsschulung für alle TutorInnen (diejenigen, die neu einsteigen und diejenigen, die bereits länger dabei sind). Semester begleitend erhalten die studentischen TutorInnen regelmäßig Gruppensupervision in zwei Teilgruppen mit jeweils zwei DozentInnen der Abteilung, eine Methodenschulung, in der über didaktische Anliegen gesprochen bzw. diese ausprobiert werden können und haben darüber hinaus die Möglichkeit, Rücksprache mit ihrem jeweiligen „Vertrauensdozenten“ zu halten. Die Veranstaltungen werden in jedem Semester evaluiert, die TutorInnen erhalten eine individuelle Rückmeldung. Inhaltliche Rückmeldungen der Studierende werden ebenfalls ausgewertet und ggf. in entsprechenden Konzeptänderungen – nach Rücksprache im Team – umgesetzt. Die Hauptinitiatoren des Kurses haben außerdem ein Manual zur Gesprächsführung erarbeitet, in dem die wichtigsten Inhalte und bewährte Methoden niedergeschrieben sind, diese Manual ist 2006 auch als Buch unter dem Titel: „Kompetent kommunizieren in Klinik und Praxis“ [3] erschienen.

Evaluation

Die Kurse werden nach jedem Semester von den Studierenden summativ evaluiert. Der eingesetzte Evaluationsbogen enthält sowohl qualitative als auch quantitative Frageformate. Im Wintersemester 2005/2006 und im Sommersemester 2006 wurde die summative Abschlussevaluation mit den obligatorisch auszufüllenden internetbasierten Lerntagebüchern verknüpft. Da die internetbasierte Form des Lerntagebuchs vorerst wieder abgeschafft2 wurde, erfolgte die Evaluation im folgenden Jahr wieder schriftlich zum Ende des Kurses.

Die Evaluationsergebnisse werden den einzelnen TutorInnen zurück gemeldet. Die Durchschnittswerte der Evaluation werden im Kollegenkreis besprochen, um daraus ggf. Änderungen abzuleiten.

Einsatz von SchauspielpatientInnen

Innerhalb der Medizinischen Fakultät Leipzig erfolgt der Einsatz von SchauspielpatientInnen bisher leider nur in der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie im Rahmen des Gesprächsführungskurses. Diese momentan 19 Personen spielen jeweils eine Rolle. Die Rollenentwicklung und Schulung der SP’s erfolgt in der Abteilung.

Erstellte Lehrmittel

Als wichtigsten Impuls zur Verbreitung des Konzeptes sehen wir momentan die Publikation unserer Manuals [3] an. Dieses kann sowohl innerhalb des Faches, als auch innerhalb der gesamten medizinischen Ausbildung zur weiteren Verbreitung von Theorie und Didaktik der Gesprächsführung beitragen. Die Besonderheit des Buches liegt darin, dass die Theorie zu Kommunikation und zur Arzt-Patienten-Beziehung immer mit praktischen Übungen zum jeweiligen Thema verknüpft wird. Das Buch enthält außerdem erprobte Rollenspiele sowie weitere für den Seminarverlauf förderliche Spiele [4].


Anmerkung

1Wir verwenden hier bewusst den Begriff Lehrziel, da wir uns natürlich nicht sicher sein können, was gelernt wird. Außerdem weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass die Lehrziele in Absprache mit den Studierenden festgelegt werden, insofern größtenteils auch Lernziele sind.

2Die Lerntagebücher wurden in dieser Form vorerst wieder abgeschafft, da es in dieser Form nicht möglich war, den Studierenden persönlich Rückmeldung zu geben, was bei Lerntagebüchern vor allem in der Einführungsphase ein wichtiger Motivationsfaktor für die Studierenden ist. Zudem mussten, da es sich um eine obligatorische Aufgabe handelte, alle Säumigen zu einer adäquaten Leistungserbringung bestellt werden, was aufwändig und aus Studierendensicht reine Formsache war. Dies entsprach nicht dem eigentlichen Ansinnen der Lerntagebücher, die ja zur vermehrten Selbstreflektion beitragen sollten.


Literatur

1.
Jungbauer J, Kamenik C, Alfermann D, Brähler E. Wie bewerten angehende Ärzte rückblickend ihr Medizinstudium? Ergebnisse einer Absolventenbefragung. Gesundheitswesen. 2004;66(1):51-56.
2.
Decker O, Rockenbauch K. Das neue Lehrkonzept für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Universität Leipzig - erste Eindrücke und Evaluation. Z Med Psychol. 2006;15(1):27-30.
3.
Rockenbauch K, Decker O, Stöbel-Richter Y. Kompetent kommunizieren in Klinik und Praxis. Lengerich: Pabst Science Publishers; 2006.
4.
Philipp S. Katrin Rockenbauch/Oliver Decker/Yve Stöbel-Richter: Kompetent kommunizieren in Klinik und Praxis. GMS Z Med Ausbild. 2007;24(2):Doc13.