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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Bernd Hontschik: Körper, Seele, Mensch. Versuch über die Kunst des Heilens

Buchbesprechung Humanmedizin

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  • corresponding author Wilhelm Rimpau - Park-Klinik Weißensee, Abteilung Neurologie, Berlin, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2007;24(3):Doc119

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/zma/2007-24/zma000413.shtml

Eingereicht: 11. April 2007
Veröffentlicht: 15. August 2007

© 2007 Rimpau.
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Bibliographische Angaben

Bernd Hontschik

Körper, Seele, Mensch. Versuch über die Kunst des Heilens

Frankfurt: Suhrkamp-Verlag

ISBN-13: 978-351845818, 142 Seiten, € 6,50

Erscheinungstermin: 2006


Rezension

„Der Mensch ist weit mehr als eine `triviale Maschine´, und die Kunst des Heilens besteht darin, ihn auch so zu behandeln: als Einheit von Körper und Seele.“ Diese Quintessenz des Buches hat schon so viele Leser angesprochen, dass bereits mehrere Nachdrucke aufgelegt wurden. Schon das Buch von Bernard Lown 1996 (2004 in Deutsch: „Die verlorene Kunst des Heilens. Anstiftung zum Umdenken“) hatte eine große Leserschaft gefunden. Vielleicht werden gerade wegen der Verunsicherung, die die erneute Debatte um eine Gesundheitsreform hervorgerufen hat, die Menschen bewegt, inhaltlichen Fragen nachzugehen. Politik und Lobbyismus verhandeln die Verteilung von Geld, welches für Gesundheit ausgegeben werden muss. Auch diese „Reform“ geht am Kern der Sache vorbei, der darin liegt, Bedürfnissen und Notwendigkeit einer medizinischen Versorgung zu entsprechen. Vor einer Kostenverteilung sollte die Analyse stehen, welche Art Medizin bezahlt werden muss. Soll noch mehr Technik, noch mehr Tabletten, noch mehr Verwaltungsaufwand bezahlt werden, obwohl schon jetzt die Daten zeigen, dass Labor und Technik nach der Schrotschussmethode angewandt und nicht eingenommene und fehlindizierte Pharmaka mehr schaden als helfen? Oder soll eine „sprechende Medizin“, an der sozialen Wirklichkeit orientiert, Anamnese, einfache klinische Untersuchung und das Gespräch mit dem Kranken bezahlt werden? Eine qualifizierte Allgemeine Medizin, vernünftig bezahlt, kann zur Eintrittspforte in den weiten Bereich des medizinischen Spezialistentums werden, wo differenziert und gezielt Technik, Labor, Pharmako- oder Psychotherapie eingesetzt und angewandt wird. Hontschiks Patientengeschichten und sein Erfahrung legen Zeugnis ab dafür, dass das möglich ist.

Hontschik plädiert für ein Umdenken. Der Chirurg erzählt zunächst aus seinem Alltag. Die hier gemachten Erfahrungen sind Zeugnis für die „Zerstörung der Solidarsysteme“ infolge „Globalisierung, Industrialisierung, Entsolidarisierung“. Hontschik konstatiert eine Verschiebung des Ziels der ärztlichen Aus- und Weiterbildung „vom Heilkünstler zum Medizintechniker“. Im Kapitel „Psychotherapie mit dem Skalpell und Ikarus-Syndrom“ greift er seine, schon seit 1994 bekannte, „historische, psychosoziale und klinische Studie zur Theorie und Praxis der Appendektomie“ auf. Er wies damals nach, dass die Fehldiagnoserate bei weiblichen Jugendlichen um 60 Prozent liegt. Hinter dem Bauchschmerz dieser Mädchen, verschleiert mit der Diagnose „chronisch Appendizitis mit akutem Schub“, stecken Probleme der Familiendynamik und des ärztlichen Umgangs damit. Die so einfach klingende Frage, warum Wunden nicht immer gleich heilen, ist dem erfahrenen Arzt und Chirurgen Anlass, nicht allein „das Wunder der Wundheilung“ anhand der biologischen Vorgänge zu beschreiben, sondern erweitert das Konzept um einen Funktionskreis, der das Subjekt des Kraken mit einbezieht. Der Leser wird durch anschaulich geschilderte Krakengeschichten in das Konzept der Integrierten Medizin eingeführt, die sich in den letzten Jahren noch unter der Moderation Thure von Uexkülls entwickelt hat (http://www.int-med.de). Damit ist der bisherige Begriff der Psychosomatik überwunden, der als „Notlösung“ häufig falsch oder missbräuchlich verwendet wurde, „solange sich die Schulmedizin am zweigliedrigen Modell vom Menschen als einer trivialen Maschine orientiert“, also am Dualismus von Körper und Seele festhält, der mit dem Bergriff von Psycho-Somatik eher perpetuiert als überwunden war. Gäbe „man dieses Leitbild aber auf, so könnte die Psychosomatik schlicht zu einem Synonym für menschliche, für Humanmedizin werden.“

Das leicht lesbare Büchlein ist praxis- und am Patienten orientiert. Es verzichtet bewusst auf eine theoretische Debatte. Unmittelbare Anschauung medizinischer Wirklichkeit ermöglicht es jedem Laien, Pflegenden und angehenden Arzt nachzuvollziehen, wohin die Reise zu einer menschengemäßen Medizin führen kann. Der erfolgreiche Band 1 der dankenswerterweise vom Suhrkampverlag gestarteten Reihe „medizinHuman“ eröffnet dem Projekt eine vielversprechende Zukunft. Drei weitere Bände sind bislang erschienen, andere in Vorbereitung. Ziel ist es, einen breiten Diskurs zu eröffnen, der uns wieder fragen und beantworten lässt, was Medizin eigentlich ist (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).