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Konzept und studentische Evaluation der Integrierten Seminare im Studienabschnitt "Medizin I" der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg
Concept and evaluation of the integrated seminars during pre-clinical studies ("Medicine I") at Hamburg Medical School
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Autoren
Eingereicht: | 16. März 2007 |
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Veröffentlicht: | 23. Mai 2007 |
Gliederung
Zusammenfassung
Zielsetzung: Die neue ÄAppO (2002) fordert für den ersten Studienabschnitt (Medizin I) die Einrichtung von mindestens 98 Stunden Integrierter Seminare unter Einbezug geeigneter klinischer Fächer. Das an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg zur Reform des Studienabschnitts Medizin I eingesetzte Curriculum-Komitee erarbeitete ein Konzept für Integrierte Seminare, die in den ersten vier Semestern in 14-tägigem Rhythmus durchgeführt werden. Die Themen orientieren sich inhaltlich an parallel stattfindenden Unterrichtsveranstaltungen. Wichtige didaktische Elemente der Integrierten Seminare sind Interdisziplinarität und das fallbasierte Lernen. Darüber hinaus prägen die Veranstaltung Kleingruppenarbeit, Selbststudium und Kurzreferate. Vertreter naturwissenschaftlicher und medizinischer Grundlagenfächer sowie klinischer Fächer erarbeiteten durch das Seminar horizontale und vertikale inhaltliche Verknüpfungen im Abschnitt Medizin I.
Methodik: Zur Qualitätskontrolle wurden die Integrierten Seminare der ersten Studierendenkohorte von Wintersemester 2003/04 bis Sommersemester 2005 wissenschaftlich begleitet. Anhand spezieller Instrumente wurde die Veranstaltung mit Terminevaluationen formativ und mit Abschlussevaluationen summativ evaluiert. Neben einer deskriptiven Darstellung wurden die Daten auf systematische Zusammenhänge und Unterschiede analysiert.
Ergebnisse: Die Evaluation der Integrierten Seminare durch die erste Studierendenkohorte belegt eine große Akzeptanz des Konzepts und eine hohe Zufriedenheit mit zentralen Einzelaspekten der Veranstaltung, z. B. Verdeutlichung der Praxisrelevanz der Grundlagenfächer, Aufzeigen der Vernetzung der Grundlagenfächer und subjektiver Lernerfolg.
Schlussfolgerung: Die Integrierten Seminare an der Hamburger Medizinischen Fakultät liefern ein schlüssiges und von den Studierenden akzeptiertes Konzept für horizontale und vertikale inhaltliche Verknüpfungen von Grundlagenfächern mit klinischen Fächern. Außerdem zeigen die Evaluationsergebnisse Verbesserungsmöglichkeiten auf, die u. a. durch Modifikationen einzelner Fallgeschichten und im Faculty-Development-Programm der Fakultät umgesetzt werden können.
Abstract
Aims: The new law for medical education (ÄAppO 2002) requires the establishment of at least 98 hours of integrated seminars with inclusion of appropriate clinical subjects. The newly established curriculum committee for the reform of pre-clinical studies (Medicine I) developed a concept for these integrated seminars at Hamburg Medical School. The seminars are taught during the first four semesters every fortnight. Subjects of the seminars are related to other courses taking place at the same time. Important didactic elements of the seminars are multidisciplinarity and case based learning. Other elements are small group work, self- study and short student presentations. Representatives from the different scientific and clinical subjects developed horizontal and vertical connections within Medicine I by planning these seminars.
Methods: Integrated seminars were evaluated by the first cohort of students between 2003 and 2005 for quality control. With special instruments seminars were evaluated formatively for each seminar and summatively at the end of every semester. Besides descriptive explanations data were analyzed for systematic connections and differences.
Results: Evaluation of the integrated seminars at Hamburg Medical School by students from the first cohort demonstrated high acceptance of the concept. Certain aspects of the course like practical relevance of basic sciences, integration of basic sciences and individual learning progress reached high marks of satisfaction.
Conclusion: The integrated seminars at Hamburg Medical School represent a coherent concept for horizontal and vertical connection of scientific and clinical aspects which is well accepted by the students. Evaluation results also indicate possibilities of improvement which will be addressed by modification of individual cases and in the faculty development program.
Einleitung
Die neue Approbationsordnung für Ärzte vom 27.06.2002 (ÄAppO) stellte die medizinischen Fakultäten in Deutschland vor die Aufgabe einer umfassenden Reform ihrer Curricula. Zu den Forderungen der Gesetzesvorlage gehören u. a. die Förderung fachübergreifenden und problemorientierten Lernens, die Reduktion naturwissenschaftlicher und theoretischer Grundlagen auf medizinisch relevante Ausbildungsinhalte sowie die Verknüpfung von theoretischem und klinischem Wissen [1].
Für den vorklinischen Studienabschnitt Medizin I verlangt die ÄAppO die Durchführung von mindestens 98 Stunden Integrierter Seminare. Diese Vorgabe unterstützt das Ziel, Medizinstudierende von Beginn an fächerübergreifend und an klinischen Inhalten orientiert auszubilden. Die nachfolgende Arbeit beschreibt Hintergrund, Konzept und Evaluationsergebnisse der Integrierten Seminare an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg.
Für die Planung und Umsetzung der Studienreform setzte der Prodekan für Lehre der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg im Oktober 2002 zwei Curriculum Komitees (CK-I und CK-II) ein. Für den ersten Ausbildungsabschnitt war das CK-I verantwortlich [2], für den zweiten Abschnitt das CK-II [3], [4]. Neben der Erarbeitung von Studienplan, Semesterplänen, Stundenplänen und einer Studien- und Prüfungsordnung für den Abschnitt Medizin I hatte das CK-I u. a. den Auftrag, ein Konzept für die Integrierten Seminare zu erstellen.
Die Integrierten Seminare beginnen für die Medizinstudierenden in Hamburg im ersten Semester und durchziehen den Abschnitt Medizin I in 14-tägigem Rhythmus bis ins vierte Semester. Pro Semester finden insgesamt sieben Seminartermine à 4 Unterrichtsstunden (2 SWS) statt, die im Wechsel durch die medizinischen Grundlagenfächer Anatomie, Biochemie, Physiologie, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie ausgerichtet werden. Zwei der 28 Termine werden durch mehrere der oben genannten Fächer gemeinsam zu einem Thema gestaltet (vergleiche Tabelle 1 [Tab. 1]).
Die fachübergreifenden Ausbildungsziele wurden durch das CK-I in Zusammenarbeit mit Vertretern der naturwissenschaftlichen und medizinischen Grundlagenfächer sowie einiger klinischer Fächer erarbeitet. Didaktisch ist das Seminarkonzept durch das fallbasierte Lernen geprägt, eine dem problemorientierten Lernen nahe stehende Methode, bei der die Studierenden unter Anleitung klinische Patientengeschichten anhand von "Papier-Fällen“ bearbeiten. Methodisch entspricht dieser Zugang den späteren Anforderungen der ärztlichen Praxis, in der Ärzte symptomorientiert vorgehen. Das fallbasierte Lernen bildet einerseits die zentrale Grundlage der horizontalen Verknüpfung aller am Studienabschnitt Medizin I beteiligten Fächer. Andererseits werden durch diese didaktische Methode Inhalte aus den naturwissenschaftlichen und medizinischen Grundlagenfächern mit denen klinischer Fächer vernetzt. Das Ziel dieses vertikalen Bezugs besteht darin, dass die Studierenden die Relevanz der Grundlagenfächer für das Verständnis klinischer Fragestellungen von Ausbildungsbeginn an erkennen, da dies das Lernen fördert [5]. Konzeptionell wird die inhaltliche Vernetzung der beiden Studienabschnitte durch die Einbindung klinisch tätiger Dozenten im Rahmen von „team teaching“ unterstützt.
Weitere Lehr- und Lernformen der Integrierten Seminare sind u. a. die eigenständige Vorbereitung der Studierenden anhand online verfügbarer Fallmaterialien sowie Kurzreferate, Kleingruppenarbeit, Präsentationen der Studierenden und Impulsvorträge der Dozenten in den Unterrichtsstunden.
Die Fallgeschichten sind thematisch auf die in den jeweiligen Unterrichtswochen stattfindenden Lehrveranstaltungen der beteiligten Fächer abgestimmt. Dies unterstützt die Studierenden bei der Bearbeitung der Fragestellungen. Einen Themenüberblick der Integrierten Seminare und der jeweils ausrichtenden Fächer gibt Tabelle 1 [Tab. 1].
Während am ersten Seminartermin Inhalte zu Studienorganisation, -beratung und lerntheoretischen Hintergründen bearbeitet werden, sind die nachfolgend behandelten Fälle in der Regel an praxisrelevanten klinischen Erkrankungen ausgerichtet. In Ausnahmefällen wurden auch seltenere Krankheitsbilder ausgewählt, die relevante naturwissenschaftliche Zusammenhänge besonders gut darstellen. Zur Veranschaulichung des Seminarkonzepts werden im Folgenden exemplarisch das Konzept des Seminartermins "Osteopetrose“, die curriculare Einbindung und interdisziplinäre inhaltliche Verknüpfungen dargestellt.
Die Ausarbeitung des Fallbeispiels "Osteopetrose“ erfolgte durch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Humangenetikern, Anatomen, Physiologen und Biochemikern. Das Ziel bestand darin, einen fächerübergreifenden Fall mit klinischem Hintergrund und entsprechenden Arbeitsaufträgen für die Studierenden zu entwickeln. Außerdem waren die parallel laufenden Lehrveranstaltungen von Humangenetik (als Teil der Biologie), Anatomie, Biochemie und Molekularbiologie thematisch einzubinden. An die Fallbeschreibung eines Kleinkindes mit infantiler maligner Osteopetrose, bedingt durch eine Mutation im Chlorid-Kanal ClC-7, schließen sich vier Arbeitsaufträge für die Studierenden an. Bearbeitet werden Erbgänge bei hereditären Erkrankungen (Humangenetik), das zentrale Dogma der Molekularbiologie, also der Informationsfluss von der DNA über die RNA zum Protein, und verschiedene Mutationstypen (Biochemie und Molekularbiologie), der Aufbau des Knochens durch Zellen und Extrazellularsubstanz (Anatomie) sowie Anämieformen und Reizleitung (Physiologie). Die inhaltliche Komplexität erfordert von den Studierenden eine intensive Vorbereitung anhand der im Vorbereitungsmaterial angegebenen Literatur inklusive des Internets. Dies gilt auch für die beteiligten Dozenten, um als kompetente Ansprechpartner für ihr eigenes und alle anderen eingebundenen Fächer auftreten zu können (vergleiche Abbildung 1 [Abb. 1]).
Methode
In Zusammenarbeit mit dem CK-I wurden für die Integrierten Seminare von der Arbeitsgruppe Lehrevaluation des Prodekanats für Lehre ein spezielles Evaluationskonzept und Erhebungsinstrumente entwickelt. Da es sich um eine neu eingeführte Lehrveranstaltung handelte, wurde die erste Studierendenkohorte (Beginn WS 2003/04) über die vier Semester des Abschnitts Medizin I begleitet. Eine formative Evaluation erfolgte durch Befragungen an jedem einzelnen Seminartermin (Terminevaluation), zusätzlich wurden die Studierenden am Ende jedes Semesters um eine summative Evaluation der Integrierten Seminare gebeten (Abschlussevaluation).
Die Auswahl und Validierung der zu evaluierenden Merkmale von Lernverhalten, Prozess- und Ergebnisqualität erfolgte durch das CK-I in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Lehrevaluation. Die Studierenden bewerteten die Merkmale anhand einer sechsstufigen Likertskala mit verbal verankerten Endpunkten (1=negativ, 6=positiv). Zusätzlich konnten die Befragten in offenen Kommentaren Lob, Kritik und Anregungen formulieren, über die in dieser Arbeit jedoch nicht berichtet wird. Die Auswertung der Evaluationsergebnisse erfolgte mit SPSS 13.0 und Microsoft Excel 2000. Dargestellt werden mit Häufigkeiten, Maßen der zentralen Tendenz (arithmetisches Mittel, M) und der Dispersion (Standardabweichung, SD) deskriptive Statistiken sowie Aussagen über Zusammenhänge (bivariate Korrelation nach Pearson, r, Signifikanzprüfung auf 1%-Niveau) und Unterschiede (univariate, einfaktorielle ANOVA, Signifikanzprüfung auf 5%-Niveau, Korrektur nach Bonferroni). Die grafische Darstellung der Resultate erfolgt anhand einer Verlaufsgrafik von Mittelwerten bzw. anhand von Boxplots.
Ergebnisse
Grundlage der Ergebnisdarstellung bilden die Daten der Erhebungen vom Wintersemester 2003/04 bis zum Sommersemester 2005.
Terminevaluation
Insgesamt liegen die Evaluationsergebnisse für 27 Seminartermine vor, der letzte Termin im vierten Semester fiel aus organisatorischen Gründen aus. Der Befragungsrücklauf liegt bei durchschnittlich 78% und ist damit sehr zufriedenstellend.
Betrachtet man die Bewertungen der Einzeltermine über die ersten vier Semester hinweg, ergibt sich zusammenfassend ein positives Bild. Die Beurteilungen sämtlicher Merkmale liegen zum Teil deutlich über dem Skalenmittel von 3.5 Punkten. Die Studierenden gaben an, mit der eigenständigen Vorbereitung der Fälle gut zu Recht gekommen zu sein, die Einführung durch den Dozenten als hilfreich und die Arbeit in der Kleingruppe als effektiv erlebt zu haben. Die Einbindung klinisch tätiger Dozenten wurde von den Befragten als sehr sinnvoll betrachtet. Die Mehrheit gab an, dass die Fragen zum Fall ausreichend geklärt wurden und das Seminar die Relevanz der Grundlagenfächer für die medizinische Praxis verdeutlichte. Die Gesamtzufriedenheit mit den Seminarterminen fiel entsprechend der positiven Einzelbewertungen hoch aus (vergleiche Tabelle 2 [Tab. 2]).
Vergleicht man die Zufriedenheit der Studierenden mit den Einzelterminen miteinander, ergeben sich deutliche Schwankungen zwischen einem Minimum von M=3.5 und einem Maximum von M=5.4. Dabei lässt sich für die ersten beiden Semester keine durchgängige Tendenz ausmachen. Obwohl sich die Evaluationsergebnisse im dritten und vierten Semester tendenziell etwas verschlechtern, liegt die Mehrheit der Beurteilungen oberhalb des Skalenwerts von 4.5 Punkten (vergleiche Tabelle 1 [Tab. 1]).
Die Betrachtung der Gesamtzufriedenheit der Studierenden mit den einzelnen Terminen in Abhängigkeit von dem jeweils ausrichtenden Fach ergibt einen deutlichen Vorsprung der Anatomie (M=5.3; SD=.86; n=2143) gegenüber den durch verschiedene Fächer gestalteten Terminen (M=4.7; SD=1.23; n=731) bzw. der Physiologie (M=4.5; SD=1.19; n=2079), Biochemie (M=4.4; SD=1.24; n=2081), Medizinischen Soziologie (M=4.2; SD=1.28; n=235) und Medizinischen Psychologie (M=4.0; SD=1.35; n=989) (vergleiche Tabelle 1 [Tab. 1] und Abbildung 2 [Abb. 2]). Die einfaktorielle Varianzanalyse erbrachte signifikante Unterschiede zwischen den mittleren Zufriedenheitswerten der beteiligten Fächer, diese Differenzen sind jedoch von nur kleinem Effekt (F=244.88; df=5/8261/8266; p<.05; d=.13).
Obwohl die Korrelationsanalyse für einen schwachen Zusammenhang zwischen dem Fach und der Gesamtzufriedenheit spricht (r=.21, p<.01), scheinen didaktische Aspekte wie z. B. die ausreichende Klärung der Fragen zum Fall (r=.70, p<.01), die Verdeutlichung der Relevanz der Grundlagenfächer (r=.61, p<.01) sowie die Einführung durch den Dozenten (r=.60, p<.01) von zentralerer Bedeutung für die Zufriedenheit der Teilnehmer zu sein.
Abschlussevaluation
Für die Abschlussevaluation liegen die Ergebnisse aus insgesamt vier Erhebungen vor. Im ersten bis dritten Semester evaluierten die Studierenden die Veranstaltung rückblickend am jeweils letzten Seminartermin. Hier fiel der Rücklauf mit 89% (n=345), 76% (n=287) bzw. 80% (n=296) sehr zufriedenstellend aus. Da der kurzfristige Ausfall des letzten Seminartermins im vierten Semester eine methodisch konsistente Durchführung der Abschlussevaluation verhinderte, erfolgte die Evaluation des Integrierten Seminars im Rahmen der allgemeinen Semesterabschlussevaluation, bei der die Studierenden die Pflichtveranstaltungen sämtlicher Fächer des Semesters anhand eines einzelnen Fragebogens beurteilten. Dieses Vorgehen stellt eine methodisch grundlegend andere und damit letztlich nicht vergleichbare Art der Datenerhebung dar. Darüber hinaus wurde bei dieser Befragung wegen organisatorischer Probleme ein Rücklauf von nur 32% (n=116) erzielt. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend nur die Resultate der Abschlussevaluationen aus den ersten drei Semestern dargestellt.
Betrachtet man die Resultate der Abschlussevaluation über die ersten drei Semester hinweg, zeigen sich die Studierenden insgesamt zufrieden mit dem Konzept der Integrierten Seminare. Insbesondere Merkmale der Prozessqualität werden positiv bewertet, darunter das „team teaching“, die Erleichterung der Einordnung des in den Grundlagenfächern vermittelten Wissens, das Aufzeigen horizontaler Vernetzungen im Abschnitt Medizin I, die Organisation und die Abstimmung der Seminarthemen mit den zeitlich parallel vermittelten Inhalten. Kritischer und weniger homogen beurteilten die Studierenden Aspekte, die sich eher auf sie selbst beziehen, darunter den Motivationsschub für das weitere Studium, die Heranführung an eigenständiges Arbeiten und die Angemessenheit des Vorbereitungsaufwands. Positiver fällt wiederum die Evaluation der Ergebnisqualitätsaspekte Lernerfolg und Gesamtzufriedenheit aus (vergleiche Tabelle 3 [Tab. 3]). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Studierenden das Seminarkonzept insgesamt positiv bewerten. Die Beurteilungen aller erfassten Merkmale von Prozess- und Ergebnisqualität liegen klar in der positiven Skalenhälfte. Weniger einig und kritischer zeigen sich die Teilnehmer bei der Einschätzung von Aspekten, die das eigene Studierverhalten betreffen.
Betrachtet man die Entwicklung der Bewertungen in der Abschlussevaluation im zeitlichen Verlauf, zeigt sich bei sämtlichen Merkmalen der Prozess- und Ergebnisqualität sowie bei den studierendenbezogenen Aspekten in den ersten drei Semestern eine leicht absteigende Tendenz (vergleiche Tabelle 4 [Tab. 4]).
Aus den beschriebenen methodischen Gründen werden die Ergebnisse der Abschlussevaluation des vierten Semesters, die - obwohl die entsprechenden Terminevaluationen diese Entwicklung nicht widerspiegeln - im Vergleich mit den ersten drei Fachsemestern deutlich schlechter ausfielen, nicht explizit dargestellt.
Diskussion
Ziel der Entwicklung und Einführung der Integrierten Seminare auf der Basis der neuen ÄAppO war die fächerübergreifende Vermittlung von Lerninhalten [2]. Moderne didaktische Lehr- und Lernmethoden bildeten hierfür neben der curricularen Entwicklung nach Kern et al. die Grundlage [6]. Die Veranstaltung wurde mit Umsetzung der neuen ÄAppO zum Wintersemester 2003/04 für das erste Fachsemester eingeführt und mit einem speziellen Evaluationskonzept über vier Semester hinweg wissenschaftlich begleitet.
In der Literatur zur vorklinischen Ausbildung finden sich bislang keine Ergebnisse über die Struktur, Inhalte oder Evaluationsergebnisse Integrierter Seminare nach der ÄAppO von 2002. Auch zu in den ersten beiden Jahren in traditionellen humanmedizinischen Curricula implementierten modernen didaktischen Lernformen, wie sie im Studienabschnitt Medizin 1 an der Fakultät in Hamburg z. B. mit fallbasiertem Lernen und team teaching angewendet werden, finden sich sehr wenige Arbeiten. Dieser Befund spiegelt die Innovativität und den Forschungsbedarf zu diesem Veranstaltungskonzept und den didaktischen Methoden in der (deutschen) Hochschullandschaft wider. Eine zentrale Forderung der neuen ÄAppO und der Studierenden an das Medizinstudium besteht in einer stärkeren Praxisrelevanz. Dies gilt insbesondere für den vorklinischen Abschnitt [7]. Für die spätere ärztliche Tätigkeit wird neben einem breiten Grundlagenwissen u. a. interdisziplinärem Denken eine zentrale Rolle eingeräumt. Dies sollte in allen Phasen des Studiums deutlich mehr Gewicht bekommen [8]. In diesem Zusammenhang wird v. a. der vertikalen Verknüpfung von Inhalten der Grundlagenfächer mit Inhalten klinischer Fächer eine besondere Rolle zugesprochen [9], [10], [11]. Für Medizinstudierende ist nachgewiesen, dass sie mit ihrem "geheimen Curriculum“ eine interne Rangfolge von Studienfächern erstellen, die sogenannten Kernfächern einen höheren Wert beimisst als anderen [12]. Die Erfahrungen mit den Integrierten Seminaren in Hamburg sprechen dafür, dass der Einsatz moderner didaktischer Konzepte solchen unerwünschten Gewichtungen entgegenwirken und den Studierenden die Relevanz jedes einzelnen Faches verdeutlichen kann. Bezogen auf diese Überlegungen bilden der neu gestaltete Abschnitt Medizin I und insbesondere die Integrierten Seminare in Hamburg mit dem fallbasierten Lernen, den horizontalen und vertikalen inhaltlichen Vernetzungen sowie der Einbindung klinisch tätiger Dozenten ein schlüssiges Konzept.
Für den Unterricht im klinischen Studienabschnitt wurde sowohl für die Human- als auch für die Zahnmedizin vielfach belegt, dass Wissenszuwachs, Anwendung von Gelerntem, selbstgesteuertes Lernen und Motivation durch eine Kombination didaktischer Methoden im Allgemeinen [13], [14] und insbesondere durch den Einsatz fallbasierten Lernens [15], [16], [17], [18] verbessert werden können. Zahlreiche Arbeiten beziehen sich dabei auf computergestütztes fallbasiertes Lernen [19], [20]. Die Evaluationsergebnisse der Integrierten Seminare in Hamburg belegen die Zufriedenheit der Studierenden mit verschiedenen Einzelaspekten und eine hohe Akzeptanz des neuen Veranstaltungskonzepts. Dies betrifft z. B. die Einbindung einer zweiten, klinisch tätigen Lehrperson, das Aufzeigen der inhaltlichen Vernetzung der Grundlagenfächer oder die verbesserte Einordnung des im Abschnitt Medizin I vermittelten Wissens. Angesichts dieser positiven Evaluationsergebnisse scheinen die zentralen Ausbildungsziele der Integrierten Seminare erreicht worden zu sein.
Gleichzeitig dokumentiert die Evaluation der Einzeltermine eine unterschiedlich hohe Zufriedenheit der Studierenden in Abhängigkeit vom ausrichtenden Fach, wenn auch andere Faktoren einen gewichtigeren Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit der Studierenden hatten. Die besten Werte erzielte in Hamburg die Anatomie, am schlechtesten schnitten die Medizinische Soziologie und die Medizinische Psychologie ab. Auch andere Arbeiten berichten über Evaluationen, bei denen die Anatomie durchweg bessere studentische Bewertungen erzielte als andere Fächer des vorklinischen Studienabschnitts [21], [22], [10]. Dieser Befund ist jedoch nicht zwangsläufig durch eine tatsächlich höhere Lehrqualität in anatomischen Veranstaltungen zu erklären, sondern könnte auch in einem Bias zu Lasten patientenferner bzw. theoretischer Fächer begründet liegen [23].
Die Evaluation der Integrierten Seminare in Hamburg zeigt eine leicht sinkende Zufriedenheit der Studierenden im Verlauf der einzelnen sowie über die vier erfassten Semester hinweg. Hier stellt sich die Frage, auf welche Ursachen sich diese Entwicklung zurückführen lässt. Wir vermuten mit Seminarkonzept, Lehrkörper und Studierenden drei Haupteinflussfaktoren. So könnte die Verschlechterung darin begründet liegen, dass das Veranstaltungskonzept die Beteiligten vier Semester mit nahezu identischen Abläufen konfrontiert und die eventuelle anfängliche Begeisterung über Interdisziplinarität und Praxisbezug allmählich Langeweile weicht. Seitens der Lehrenden wird dieser Motivationsverlust in der Phase der Konsolidierung von Reformprozessen als performance dip beschrieben [24]. Zudem wäre denkbar, dass sich die ernüchternde Einsicht der Studierenden, trotz neuer didaktischer Methoden ein hohes Maß an Eigenengagement aufbringen zu müssen, um Wissen zu erlangen und anzuwenden, in ihren Evaluationen niederschlägt. Eine weitere denkbare Erklärung besteht in der kontinuierlich steigenden Arbeitsbelastung im Abschnitt Medizin I, z. B. durch den zeitaufwändigen Präparierkurs der Anatomie im dritten oder das Lernen für den Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung nach dem vierten Semester. Bezüglich der erwähnten Resultate der Abschlussevaluation nach dem vierten Fachsemester ist von einem methodischen Bias auszugehen, der durch die unterschiedlichen Datenerhebungswege entstanden sein und die deutlichen Verschlechterungen gegenüber den vorhergegangenen Befragungen erklären könnte. So deuten Studien und Einzelergebnisse darauf hin, dass Evaluationen von Veranstaltungen anders ausfallen, wenn diese nicht am letzten Termin, sondern im Rahmen retrospektiver, veranstaltungsübergreifender Befragungen erhoben werden und dabei Vergleiche mit anderen Lehrangeboten des jeweiligen Studienabschnitts erfolgen [23], [25], [10], [26]. Schließlich könnte auch der deutlich geringere Rücklauf im vierten Fachsemester einen systematischen Effekt gehabt und die Verschlechterung verursacht haben.
Die Ergebnisse aus den Termin- und Abschlussevaluationen der Integrierten Seminare wurden an das CK-I zurückgemeldet, dessen Mitglieder die Ergebnisse an die beteiligten Mitarbeiter an den Abteilungen kommunizierten. Auf Basis der Resultate aus den Terminevaluationen wurden einzelne Fallgeschichten überarbeitet. Interessierte Lehrende erfragten bei der Arbeitsgruppe Lehrevaluation zudem ihre individuellen quantitativen Bewertungen und Erwähnungen in den Freitextkommentaren der Studierenden, um Anregungen für die Gestaltung zukünftiger Seminartermine zu erhalten.
Die größte Bedeutung für die Güte der Seminare scheint nach den Erfahrungen an der Hamburger Fakultät den didaktischen Kompetenzen der eingebundenen Dozenten zuzukommen. Im Juni 2006 startete in Hamburg das Faculty-Development-Programm mit einem ersten dreitätigen Workshop. Das Programm zielt darauf ab, dem Lehrkörper flächendeckend grundlegende didaktische Fähigkeiten zu vermitteln, u. a. zum Einsatz von Impulsvorträgen, Kleingruppenarbeiten und anderen Lehrmethoden, sowie zu lernpsychologischen Hintergründen und praktischen Durchführung problembasierten Lernens, wie es auch für die Integrierten Seminaren von Relevanz ist. Ein weiteres Ziel des Trainings besteht darin, dem möglichen performance dip entgegen zu wirken. Zusammen mit den inhaltlichen Veränderungen der Integrierten Seminare strebt dieses Fortbildungsprogramm also an, die hohe Zufriedenheit der Studierenden mit der neuen Veranstaltung zu erhalten und weiter auszubauen.
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