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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Naturwissenschaftliche Vorkenntnisse deutscher Studienanfänger in der Humanmedizin

Natural sciences knowledge of first year students in medicine

Projekt Humanmedizin

  • author Marina von Dülmen - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main, Fachbereich Medizin, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Chris Koliussis - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main, Fachbereich Medizin, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Rene Ludwig - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main, Fachbereich Medizin, Frankfurt/Main, Deutschland
  • corresponding author Johannes Schulze - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main, Dekanat des Fachbereich Medizin, Frankfurt/Main, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2006;23(4):Doc64

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/zma/2006-23/zma000283.shtml

Eingereicht: 20. Juli 2006
Veröffentlicht: 15. November 2006

© 2006 von Dülmen et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Gute naturwissenschaftliche Vorkenntnisse sind insbesondere für den vorklinischen Studienabschnitt wichtig. Wegen der heterogenen Auswahl von Leistungskursen und Abituranforderungen kann jedoch nicht unbedingt von einem einheitlichen Wissensstand ausgegangen werden. Daher wurde versucht, mit einem Testbogen aus insgesamt 40 Aufgaben zur Biologie, Chemie, Mathematik und Physik den Wissensstand der Studienanfänger in Humanmedizin in Deutschland zu quantifizieren. Der Fragebogen enthielt neben Faktenaufgaben auch Anwendungen vor allem mathematischer und chemischer Prinzipien. Alle Fragen mussten durch Freitextantworten oder Skizzen beantwortet werden. Teilgenommen haben insgesamt 2 935 Studienanfänger des Wintersemesters 2004/2005 von 14 deutschen Universitäten (etwa 40% des Jahrganges). Im Mittel wurden 14,34 der 40 Aufgaben richtig beantwortet; etwas bessere Kenntnisse wurden in den 15 Biologiefragen (6,89) und den 8 Mathematikfragen erreicht (3,23), während vor allem in Chemie (2,18 von 10 Fragen) und Physik (1,55 von 8 Fragen) große Wissenslücken bestehen. Die Ergebnisse bestätigen, dass die naturwissenschaftlichen Vorkenntnisse der Studienanfänger schlecht sind; sie erfordern einen größeren Zeitaufwand für die Vermittlung des Abiturwissens im ersten vorklinischen Semester. Sinnvoll erscheint alternativ die verpflichtende Teilnahme an Zusatzkursen in diesen Fächern vor Aufnahme des eigentlichen Fachstudiums.

Schlüsselwörter: Zulassung zum Medizinstudium, Eingangstest, Vorkenntnisse, Naturwissenschaften

Abstract

Fundamental knowledge in natural sciences is important especially during preclinical studies. In order to graduate with the German "Abitur" students may select major courses; subsequently grading requirements vary among selected major courses and schools. Therefore, a comparable knowledge base among beginning students cannot be assumed. We tried to assess the knowledge base of first year medical students with a test containing a total of 40 questions in biology, chemistry, mathematics and physics. Besides factual knowledge the test also contained the application of principles, especially in mathematics and chemistry. A total of 2 935 students beginning in the winter term 2004/2005 participated from 14 universities (appr. 40% of all newly enrolled students). They answered correctly an average of 14,34 out of 40 questions. Above average results were achieved in biology (6,89 out of 15 questions) and mathematics (3,23 out of 8 questions), whereas major knowledge gaps were present especially in chemistry (2,18 out of 10 questions) and physics (1,55 out of 8 questions). These results confirm that first year students start with a low knowledge base in natural sciences; this requires a major effort by medical faculties to cover topics normally expected to be present after high school graduation (Abitur). Alternatively, the mandatory additional courses covering these topics would be advantageous before the start of medical studies.

Keywords: medical studies admission, admission test, prior knowledge, natural sciences


Einleitung

Spätestens seit der Einführung von Grund- und Leistungskursen sind die Leistungen der deutschen Abiturienten nicht mehr vergleichbar, wie die Ergebnisse der PISA-Studie dokumentieren. Diese Heterogenität beruht auf der konkreten Auswahl der Oberstufenfächer, der Tiefe der Stoffvermittlung, der Auswahl der Oberstufenthemen sowie dem Engagement und den Schwerpunkten der Lehrer. Andererseits findet die Auswahl der Medizinstudierenden weitgehend bzw. ausschließlich auf der Basis der erzielten Abiturnoten statt. Dies führt dazu, dass vor allem die vielen Aspiranten mit eher mittleren schulischen Leistungen ihre Oberstufenfächer primär nach dem Kriterium guter Noten auswählen. Nur wirklich gute Schüler können sich den "Luxus" leisten, Oberstufenfächer nach den später geforderten Wissensbereichen auszuwählen.

Das Prinzip "Note vor Fach" hat dazu geführt, dass die Studienanfänger vor allem in zulassungsbeschränkten Fächern mit zunehmend schlechteren Vorkenntnissen an die Universitäten strömen. Dieses Faktum wird von den Dozenten beklagt, es existieren aber bisher kaum konkrete Daten zum Wissensstand oder der Problemlösungskompetenz der Studierenden. Andererseits wird aus England, den USA und Australien belegt, dass vor allem gute Kenntnisse in Mathematik, Chemie und Physik den Studienerfolg und die Abbrecherquote vorhersagen können [1], [2]; auch die Korrelation der Abiturnote mit dem Physikumserfolg [12] kann gleichartig interpretiert werden.

Um einen Überblick über das bei den Studienanfängern vorhandene und nutzbare naturwissenschaftliche Wissen zu bekommen, wurden im WS 2003/2004 am Fachbereich Medizin die Studienanfänger auf freiwilliger Basis gebeten, den im Folgenden vorgestellten Fragebogen (in nur leicht modifizierter Form) zu beantworten (Schulze, unveröffentlichte Daten). Obwohl nur etwa 20% der Studienanfänger an diesem Test teilnahmen, waren die Ergebnisse ernüchternd. Um diese Befunde zu bestätigen (oder zu falsifizieren), wurden zum WS 2004/2005 alle Studiendekanate gebeten, ihre Studienanfänger an einem bundesweiten Test teilnehmen zu lassen. Insgesamt 14 Fachbereiche und Fakultäten kamen dieser Bitte nach. Im Folgenden werden die im Fragebogen verwendeten Aufgaben sowie die summativen Ergebnisse dargestellt.


Methoden

Teilnehmer

Alle Dekanate der medizinischen Fachbereiche und Fakultäten wurden angeschrieben, ob ein Interesse an der Teilnahme dieser Studie besteht. An der Studie nahmen insgesamt 2.935 Studierende teil, die zum Wintersemester 2004/2005 neu zum Medizinstudium zugelassen worden waren. Alle Teilnehmer schrieben den unangekündigten Test in den ersten 4 Semesterwochen während einer Pflichtlehrveranstaltung, um eine mögliche Verfälschung der Antworten durch den Unterrichtsstoff der ersten Wochen zu minimieren. Durch die Verankerung an eine Pflichtveranstaltung wurde sichergestellt, dass kein Teilnahmebias auftrat. Während der Testdurchführung wurden nur geringe Kontrollen auf Abschreiben durchgeführt, um Freiwilligkeit und Kooperation der Studierenden sicherzustellen.

Fragebogen

Die Fragen wurden von J. Schulze formuliert auf der Basis des Oberstufenlehrstoffes deutscher Gymnasien, und im WS 2003/2004 an freiwilligen Teilnehmern des 1. vorklinischen Semesters der J.W.G-Universität Frankfurt getestet. Die Fragen wurden so formuliert, dass eine Antwort nicht vorgegeben war. Sie decken Lehrstoff der Gymnasien bis zur Klasse 12 ab, sie enthalten keine Lehrinhalte, die nur in Leistungskursen vermittelt werden. Um eine eindeutige Auswertung zu ermöglichen, wurden die Inhalte auf die Fächer Biologie, Chemie, Mathematik und Physik beschränkt. Sprachliche Kenntnisse, vor allem Englischkenntnisse, wurden nicht gefragt. Um das Abschreiben etwas zu erschweren, wurden etliche Fragen leicht variiert und die Klausur in zwei Versionen A und B gestellt.

Biologie

Entsprechend der Gewichtung der Biologie als Grundlage für das Studium der Humanmedizin, aber auch wegen des häufig gewählten Leistungskurses Biologie wurden aus diesem Fachgebiet 15 Fragen ausgewählt (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Dabei entfielen 4 Fragen auf Zellaufbau und -funktion (Fragen 1, 4, 8, 9), 5 Fragen auf Genetik (Fragen 2, 6, 7, 10, 11), 3 Fragen auf Anatomie (Fragen 12, 13 und 14) sowie 3 sonstige Fragen (Fragen 3, 5 und 15). Während die Fragen 1, 5, 7, 9, 10 und 11 gut beantwortet werden konnten, wenn das Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen vorliegt, befassen sich die übrigen 9 Fragen mehr mit Faktenlernen und dem Wissen der grundlegenden Nomenklatur.

Chemie

10 Fragen wurden aus der Chemie gewählt (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Hiervon waren drei Fragen zum enzyklopädischen Wissen (Fragen 2, 5 und 6), vier Fragen zur Struktur (Fragen 1, 3, 4 und 9). Chemisches Rechnen wurde in drei Fragen verlangt (Fragen 7, 8 und 10). Das Verständnis chemischer Konzepte war für die Beantwortung der Fragen 1, 3, 4, 7, 9 und 10 wichtig, während die anderen vier Fragen auch ohne Verständnis der Zusammenhänge beantwortet werden konnten.

Mathematik

Sieben Fragen aus der Mathematik sind in der Tabelle 3 [Tab. 3] zusammengestellt. Für alle Aufgaben war mathematisches Verständnis erforderlich, teilweise umfassten diese Aufgaben Lernstoff der Mittelstufe (binomische Formeln - Frage 2; Kreis- und Trapezgeometrie - Frage 1 und 7; Dreisatz - Frage 5). Die Frage 7 der Chemie - Wissen um den negativen dekadischen Logarithmus zur Berechnung der Protonenkonzentration bei pH 5 bzw. pH 3 - ist inhaltlich identisch zur Frage 3 in der Mathematik. Für die summative Auswertung des mathematischen Wissens wurden die Ergebnisse dieser Frage bei beiden Wissensbereichen berücksichtigt.

Physik

Aus der Physik wurden 8 Fragen gestellt (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]). Dabei waren 4 (bzw. 5) Fragen durch Faktenwissen zu beantworten (Fragen 2, 3, 4 und 5, evtl. Frage 1), während für die übrigen Fragen (6, 7 und 8) die physikalischen Prinzipien der Wärmeaufnahme, Parallelschaltung von Widerständen und Lichtbrechung verstanden sein mussten.

Auswertung

Alle Fragebögen wurden in eine Datenmaske übertragen; die Bewertung der Lösungen als falsch oder richtig erfolgte automatisch. Unklare Antworten wurden durch einen Bewerter (J. Schulze) von Hand nachkorrigiert. Jede Antwort wurde nur als "falsch" oder "richtig" gewertet. Die Versionen A und B wurden getrennt ausgewertet und Mittelwert und Standardabweichung errechnet. Als gewichteter Mittelwert wurde die Summe der mit der Teilnehmeranzahl der Version multiplizierten Prozentzahlen, dividiert durch die Gesamtzahl der Teilnehmer errechnet.


Ergebnisse

Die Version A wurde von insgesamt 1827 Studierenden bearbeitet, die Version B von 1108 Studierenden. Die teilnehmenden Fakultäten sowie die Anzahl der von jeder Universität teilnehmenden Studierenden sind in der Tabelle 5 [Tab. 5] zusammengestellt. Die Gesamtzahl der Teilnehmer entspricht etwa 40% der Studienanfänger in Humanmedizin, die Ergebnisse können damit als repräsentativ gelten.

Die Auswertung erfolgte getrennt für jede Frage und für jede Version. Die Tabelle 6 [Tab. 6] gibt die Anzahl der richtigen Antworten für die vier Themenbereiche wieder (jeweils Angabe von Mittelwert und Standardabweichung für die beiden Versionen, sowie gewichteter Mittelwert). Die Fragen der Version B waren für die Studierenden offensichtlich etwas schwerer als in der Version A; während von den 40 Fragen der Version A im Mittel 15,02 von 40 Fragen (37,55%) richtig beantwortet wurden, sind dies in der Version nur 12,40 Fragen (31,0%). Diese Unterschiede sind vor allem auf die Fragen zur Biologie und Mathematik zurückzuführen, während die Chemiefragen der Version B offensichtlich leichter waren.

Sowohl insgesamt, als auch in den einzelnen Fächern wurden von den Studierenden im Mittel weniger als die Hälfte der Aufgaben richtig beantwortet. Dies trifft insbesondere für Physik (Version A: 1,60 von 8 Fragen = 20% richtig Antworten; Version B: 1,38 von 8 Fragen = 17,25%) und Chemie (Version A: 1,86 von 10 Fragen = 18,6%, Version B: 2,55 von 10 Fragen = 25,5%) zu; in diesen Fächern wurden weniger als ein Viertel der Fragen von den Studierenden gekonnt. Etwas besser waren die Ergebnisse in Mathematik (Version A: 3,37 von 8 Fragen = 42%; Version B: 2,81 von 8 Fragen = 35%) und Biologie (Version A: 7,41 von 15 Fragen = 49,4%; Version B: 5,66 von 15 Fragen = 37,7%). Andererseits ist hierbei zu berücksichtigen, dass insbesondere in diesen beiden Bereichen Fragen zum Mittelstufenstoff verstärkt vertreten waren (Biologie Fragen 12, 13, 14; Mathematik: Fragen 1, 2, 5, 7).

Aufschlussreich ist auch eine Aufschlüsselung der Punktzahlen nach Einzelfragen. In den Tabellen 7 - 10 [Tab. 7] [Tab. 8] [Tab. 9] [Tab. 10] ist diese für die vier Themenbereiche wiedergegeben. Weitgehend übereinstimmende Ergebnisse werden erhalten, wenn die Fragen identisch gestellt waren (Fragen Biologie 1, 3, 7, 9; Chemie 6) oder sehr eng zusammenhängendes Wissen oder Fähigkeiten abfragten (Biologie 10 bis 15; Chemie 4, 7 bis 10; Mathematik 1 bis 7, Physik 1 bis 3, 6 bis 8), waren die Unterschiede zwischen den Versionen meist geringer als 10% des größeren Prozentwertes. Die Unterschiede zwischen den Gruppen können auf die nicht intensiv durchgeführten Aufsicht und ein unterschiedliches Ausmaß an Kopieren zurückgeführt werden. Aufgrund der insgesamt niedrigen Quoten richtiger Antworten führte dies allerdings im Wesentlichen zum Fehlerkopieren, wie aus den Einzelergebnissen gut zu ersehen ist. Ein größerer Einfluss auf das Ergebnis erscheint allerdings unwahrscheinlich, insbesondere bei den Fragen, bei denen ein sehr niedriges Wissen vorhanden war.

Auffallend ist die sehr geringe Rate richtiger Antworten in der Chemie. Weniger als 10% richtige Antworten wurden in den Fragen 5 (Hybridisierungszustand von Ethylen bzw. Azetylen) und 9 (Zeichnen einer Esterstruktur) erzielt; beide Inhalte sind z.B. im Lehrplan Bayerns als Stoff der Klasse 12 angegeben (http://www.isb.bayern.de/isb/index.asp). Auch andere Fragen zum chemischen Verständnis (1, 3, 4, 10) konnten nur von 25% der Studienanfänger oder weniger zutreffend beantwortet werden. Der geringe Anteil richtiger Antworten beim chemischen Rechnen (Fragen 7 und 8) korrespondiert gut mit der entsprechenden, fast inhaltsgleichen Frage in der Mathematik (Frage 3).

Aufschlussreich waren die in der Biologie, Frage 9 (Zeichnen einer Synapse) erhaltenen Skizzen. Zum Teil liebevoll angefertigte Skizzen zeigten ausschließlich das Prinzip der motorischen Endplatte; diese Frage kann bei einer weitergehenden Auswertung offensichtlich als Kriterium gewertet werden, ob der Test ernsthaft bearbeitet worden ist. Der vergleichbar hohe Anteil an Studierenden, die alle vier Basen der DNA angeben konnten, kontrastiert mit der wesentlich geringeren Anzahl richtiger Angaben für die Basen der mRNA; die Unterschiede waren fast ausnahmslos darauf zurückzuführen, dass Uracil nicht gewusst wurde. In ähnlicher Weise war die Kenntnis einzelner Halogenen deutlich besser als die der Alkalimetalle. In beiden Fragen war auffällig, dass zwar einige der geforderten Namen gewusst wurden (Adenin, Cytosin, Guanin; bzw. Natrium und Kalium), die vierte Base bzw. das dritte Alkalimetall aber größere Schwierigkeiten bereitete.

Für die Autoren überraschend war das Ergebnis bei den Fragen, bei denen die Anwendung mathematischer Regeln gefordert wurde. Ein etwas komplizierterer Dreisatz, bei der aus den gegebenen Angaben die Umformulierung der Fragestellung auf die relevante Größe von Mannstunden (Anzahl Arbeiter x Arbeitstage x Stunden) gefordert wurde, wurde von mehr als der Hälfte der Teilnehmer nicht richtig gelöst. Auch die Kenntnis logarithmischer Zahlen erscheint nicht unbedingt gegeben. Dies zeigt sich sowohl in der Frage 3 der Mathematik als auch bei der umgekehrt formulierten Frage zum pH-Wert (Mathematik 8 bzw. Chemie 7).

Die relativ besten Ergebnisse wurden erhalten, wenn nach allgemein bekannten Fakten gefragt wurde. So kennen fast alle Studierenden Mitochondrien, ein fast gleich großer Anteil kennt Chloroplasten. Selbst die Avogadro'sche Konstante wurde von 33% richtig angegeben. Dies trifft jedoch nur begrenzt auf physikalische Begriffe zu. Reibungsarten bzw. Strömungsarten wurden kaum richtig angegeben; auch bei Dimensionen konnten nur wenige Studierende den Zahlen 10-9 bzw. 10-12 die richtige Vorsilbe nano bzw. pico zuordnen. Es bleibt spekulativ, ob die höhere Kenntnis von nano dem Begriff Nanotechnologie zuzuschreiben ist.


Diskussion

Von der Durchführung des unangekündigten Tests her wird nur gut verfügbares Wissen gemessen, welches bei den Studierenden präsent ist und mit denen sie jederzeit arbeiten können. Unter Prüfungsbedingungen (Abitur, Klausur) ist davon auszugehen, dass bei Kenntnis der Themen fast alle Studierenden in der Lage gewesen wären, alle Fragen richtig zu beantworten. Ein Blick in die Abituraufgaben der Länder mit Zentralabitur zeigt dies deutlich. Andererseits zeigen die Ergebnisse, dass eine intensive Wiederholung sinnvoll ist bzw. eine explizite Benennung der Fähigkeiten, die für ein erfolgreiches Studium gefordert werden, den Studierenden als Leitfaden dienen kann. Trotz der subjektiven und nicht vollständigen Abdeckung der Anforderungen sind alle abgefragten Fakten oder Prinzipien für den vorklinischen Lehrinhalt relevant; die meisten Fähigkeiten sind auch im klinischen Studium immer wieder in unterschiedlichen Fächern notwendig. Die erhobenen Daten dienen als Ausgangspunkt für eine Korrelation der vorhandenen Kenntnisse mit den Abiturnoten, dem fachspezifischen Studienerfolg und dem Studienabbruch.

In vielen Artikeln und Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass belegbare naturwissenschaftliche Kenntnisse zu Studienbeginn zwar den Studienerfolg der ersten Semester vorhersagen, jedoch zu späteren Zeitpunkten nicht mehr mit dem Erfolg korrelieren. In angelsächsischen Ländern erfolgt die Zulassung vielfach über einen spezifischen Test (Medical college admission test MCAT - USA; graduate Australian medical school admission test GAMSAT; Medical school admission test MSAT - Großbritannien; [11]). Julian [6] findet, dass durch den MCAT-Test der Studienerfolg besser vorhergesagt wird als durch die den Schulnoten äquivalenten "undergraduate grade point average"-Werte (uGAP). Entsprechendes gilt für die Noten naturwissenschaftlicher Fächer bei der Zulassung zum Medizinstudium in Großbritannien; sie erklären etwa 50% der Varianz in den Examensleistungen [4], [7]. Auch die Studienabbrecherquote ist bei Studierenden mit guten Vornoten geringer [8], der spätere Studienerfolg bzw. die berufliche Karriere wird wiederum nur unzureichend prognostiziert [10]. Unklar ist, ob die Defizite von den Studierenden durch einen erhöhten Lernaufwand ausgeglichen werden, oder ob nichtakademische Faktoren einen wesentlichen Einfluss auf den Studienerfolg haben. Bisherige Untersuchungen zu Persönlichkeitskriterien (emotionale Stabilität, Extroversion, Experimentierfreudigkeit, Umgänglichkeit, Verantwortungsbewusstsein), Geschlecht, Herkunft, Lernstil, Interviews, Referenzen, Bewerbungsschreiben haben (noch?) keinen besseren Prädiktor gefunden. Die Diskussion über den geeigneten Zulassungstest ist noch nicht abgeschlossen und wird gelegentlich auch emotional geführt [5], [9], [11].

Es bleibt abzuwarten, ob ein analoger Test einen besseren prädiktiven Wert hat als die ungewichtete, länder- und/oder fächerspezifisch gewichtete Abiturnote. Der bis 1997 durchgeführte "Medizinertest" (TIMSS), der ebenfalls naturwissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten als Teil enthielt, wurde abgeschafft, weil aufgrund gesunkener Bewerberzahlen keine Notwendigkeit mehr gesehen wurde [3]. In der Schweiz, Belgien und neuerdings in Österreich wurde bzw. wird dieser Test derzeit verwendet.

Unabhängig von einer Nutzung als Selektionsinstrument erscheint es für die medizinischen Fachbereiche und Fakultäten sinnvoll, Eingangsqualifikationen spezifisch und explizit zu benennen. Hierdurch kann den Studienbewerbern ein Anhalt gegeben werden, welches Schulwissen relevant ist und ggfs. - auch nach dem Abitur bzw. während der ersten Studienwochen - vertieft werden muss. Hierdurch würde ein deutliches Signal an die Studienbewerber gesandt, dass die Auswahl der Leistungskurse einerseits für den Notendurchschnitt, andererseits aber auch für die Studienvoraussetzungen relevant ist. Die bisherige Aufgabe des ersten vorklinischen Semesters, gleichmäßige Vorkenntnisse herzustellen, würde damit zugunsten des Fachstudiums verringert. In analoger Weise zeigen die Daten auf, in welchen Bereichen derzeit zu Studienbeginn ein Nachholbedarf, zumindest aber ein Übungsbedarf für die Studierenden besteht. Das langfristige Ziel muss dabei sein, dass durch die Abituranforderungen ein gleichmäßigerer Kenntnisstand erreicht wird, die Universitäten die Mindestanforderungen bei Studienbeginn definieren und eine größtmögliche Übereinstimmung der Studienbeginn erleichtert wird.


Literatur

1.
Arulampalam W, Naylor R, Smith J. Factors affecting the probability of first year medical student dropout in the UK: a logistic analysis for the intake cohorts of 1980-92. Med Educ. 2004;38(5):492-503.
2.
Craig PL, Gordon JJ, Clark RM, Langendyk V. Prior academic background and student performance in assessment in a graduate entry programme. Med Educ. 2004;38(11):1164-1168.
3.
Driesen, O. "Mediziner-Test": Nicht aus der Welt. Dtsch Arztebl. 1997;94:A-1186.
4.
Ferguson E, James D, Madeley L. Factors associated with success in medical school: systematic review of the literature. Br Med J. 2002;324(7343):952-957.
5.
Howes, D. Selection of medical students - How can medical schools produce good doctors if political dogma restricts them? BJM. 2002;325(7362):495.
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Julian ER. Validity of the Medical College Admission Test for predicting medical school performance. Acad Med. 2005;80(10):910-917.
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McManus IC, Powis DA, Wakeford R, Ferguson E, James D, Richards P. Intellectual aptitude tests and A levels for selecting UK school-leaver entrants for medical school. Br Med J. 2005;331(7516):555-559.
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McManus IC, Smithers E, Partridge P, Keeling A, Fleming PR. A levels and intelligence as predictors of medical careers in UK doctors: 20 year prospective study. Br Med J. 2003;327(7407):139-142.
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Nicholson S. Commentary: The benefits of aptitude testing for selecting medical students. Br Med J. 2005;331(7516):559-560.
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Rolfe IE, Pearson S, Powis DA, Smith AJ. Time for a review of admission to medical school? Lancet. 1995;346(8986):1329-1333.
11.
Story M, Mercer A. Selection of medical students: an Australian perspective. Int Med J. 2005;35(11):647-649.
12.
Voigtmann, K. Welche Möglichkeiten bietet die Prüfungsstatistik den Hochschulen für ihre Evaluationsprogramme? Mainz: IMPP; 1997.