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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Patientenkontakte im ersten Abschnitt der ärztlichen Ausbildung: Der Hamburger Kurs in Medizinischer Soziologie

Contact with patients in the preclinical term of medical education: the Course in Medical Sociology in Hamburg

Projekt Humanmedizin

  • corresponding author Alf Trojan - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Institut für Medizin-Soziologie, Hamburg, Deutschland
  • author Thomas Schulz - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Institut für Medizin-Soziologie, Hamburg, Deutschland
  • author Katja Weidtmann - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Prodekanat für Lehre der Medizinischen Fakultät, Hamburg, Deutschland
  • author Maike Frost - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Prodekanat für Lehre der Medizinischen Fakultät, Hamburg, Deutschland
  • author Hanneli Döhner - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Institut für Medizin-Soziologie, Hamburg, Deutschland
  • author Nils-Jens Albrecht - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Institut für Medizin-Soziologie, Hamburg, Deutschland
  • author Olaf von dem Knesebeck - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Institut für Medizin-Soziologie, Hamburg, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2006;23(4):Doc62

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/zma/2006-23/zma000281.shtml

Eingereicht: 17. August 2006
Veröffentlicht: 15. November 2006

© 2006 Trojan et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Im Institut für Medizin-Soziologie der Medizinischen Fakultät Hamburg wurde ein Kurskonzept für das erste Semester entwickelt, das die Arzt-Patienten-Interaktion ins Zentrum stellt. Rahmenbedingungen für die Umsetzung sind: 0,8 Semesterwochenstunden (= ca. 12 Untersichtsstunden), 20 Kurs-Gruppen jährlich einmal im Wintersemester, kontinuierliche studentische Evaluationen.

Als Kernelement des Kurses wird von jedem Studierenden ein Interview mit einem (Ex-)Patienten geführt. In je einem Zeitblock von ca. 4 Unterrichtsstunden wird das Interview vor- und nachbereitet. Als Hilfestellung dient ein Skript zum Thema des Kurses "Kranksein und Krankenbehandlung aus Patientensicht". Das Konzept berücksichtigt sowohl den Gegenstandskatalog der Medizinischen Soziologie als auch die Forderung der Approbationsordnung nach stärkeren klinischen Bezügen im Abschnitt Medizin 1.

Als Schlussfolgerungen lassen sich festhalten: Ein Kursmodell für ca. 400 Studierende, in dessen Zentrum die erste Erfahrung eines strukturierten Gesprächs mit (Ex-)Patienten steht, ist machbar. Die Ergebnisse der studentischen Evaluation zeigen, dass der Kurs im Verlauf von vier Semestern zunehmend positiv bewertet wird. Im letzten Wintersemester 2005/2006 wird ein Wert von knapp 5 auf einer 6-stufigen Zustimmungsskala im Hinblick auf verschiedene Merkmale der Prozess- und Ergebnisqualität erreicht. Das Konzept ist mit Anpassungen an andere Rahmenbedingungen auch andernorts verwendbar.

Schlüsselwörter: Medizinische Soziologie, Kurs, Arzt-Patient-Interaktion, Evaluation

Abstract

The Department of Medical Sociology as part of the Medical Faculty of the University of Hamburg has developed a teaching concept focussing on doctor-patient-communication. Elements of the framework for implementing the concept are: 12 hours for the whole course, teaching has to be provided for 20 groups per year, continuous evaluation by students. Each student has to conduct an interview with an (ex-)patient on "patient's view of illness and health care". There is one teaching session about 4 hours for preparation, and another one for discussion of experiences with and results of the interviews.

The concept takes into consideration the requirements both of the official curriculum for medical sociology and the new national regulations for physicans' examinations (Ärztliche Appprobationsordnung). In conclusion, a teaching model which is based on having the first experience of a structured patient interview is feasible for about 400 students in their first semester. The concept and in particular the interview are well accepted and positively evaluated by the students. In the last term, mean of overall satisfaction is about 5 on a 6-point agreement scale. The concept of the course in medical sociology (conducting a patient interview) can be applied in other universities. However, transferability depends on a time frame of about 0,75 hours per week during the semester.

Keywords: Medical Sociology, Course, Cotor-Patient-Interaction, Evaluation


Einleitung

Ein wesentlicher spezifischer Inhalt medizinsoziologischer Veranstaltungen ist die Vermittlung von kommunikativen und sozialen Kompetenzen in der Arzt-Patienten-Interaktion [1]. Diese Inhalte sind in Reformstudiengängen deutlich stärker akzentuiert als im Regelstudium [2]. Trotz zahlreicher empirisch abgesicherter Gründe für solche neuen Akzente im Medizinstudium sind frühe Patientenkontakte als Fundament kommunikativer und sozialer Lehrinhalte in den psychosozialen Fächern eher die Ausnahme als die Regel. Die wenigen in der Literatur dokumentierten empirischen Befunde aus psychosozialen Fächern über Patientenkontakte im Medizinstudium beziehen sich auf die Allgemeinmedizin [3], [4], die Fächer Medizinische Psychologie, Psychosomatik/ Psychotherapie [5], [6] und sind meist klinisch-anamnestisch und psycho-therapeutisch ausgerichtet. Alle diese Studien über Patientenkontakte im Medizinstudium zeigen eine hohe Akzeptanz auf Seiten der Studierenden. Generell vermitteln die Berichte den Eindruck, einmalige experimentelle Veranstaltungsformen oder einmalige Evaluationen zu beschreiben. Jedenfalls scheint es sich nicht um etablierte Unterrichtskonzepte mit kontinuierlicher Qualitätsverbesserung durch regelmäßige Evaluationen zu handeln.

Zunächst vor dem Hintergrund der langjährigen Diskussionen um eine neue Approbationsordnung (ÄAppO), später dann auf Basis des vorliegenden aber noch nicht verabschiedeten Textes und schließlich nach in Krafttreten der neuen Approbationsordnung wurde an der Hamburger Medizinischen Fakultät versucht, in verschiedenen Schritten den ersten Ausbildungsabschnitt systematisch zu verbessern und zu evaluieren.

In diesem Zusammenhang wurden die Medizinische Soziologie und Psychologie mit ihren Unterrichtsveranstaltungen vor neue Herausforderungen gestellt: Die vorher freiwillige Veranstaltung der Medizin-Soziologie wurde auch scheinpflichtig; die Veranstaltungen Kurs und Seminar wurden von einander getrennt und in unterschiedliche Semester gelegt; seit dem Wintersemester (WS) 2002/2003 gibt es eine jährliche Zulassung von ca. 400 Studierenden pro Semester. Gemeinsamer Fokus sowohl der Medizinischen Psychologie [7] als auch der Soziologie wurde die Verbesserung der Arzt-Patient-Kommunikation.

Im Zentrum des Kurses Medizin-Soziologie steht für jeden Studierenden ein Interview mit einem (Ex)-Patienten. Seit ca. fünf Jahren wird an der Weiterentwicklung und Verbesserung des Unterrichtskonzepts gearbeitet; quantitative und qualitative Evaluationen haben zur kontinuierlichen Verbesserung in allen zentralen Dimensionen beigetragen. In diesem Beitrag werden das Unterrichtskonzept und ausgewählte Ergebnisse der studentischen Evaluation des Kurses dargestellt.


Beschreibung des Unterrichtskonzepts

Hinsichtlich der Lernziele ist das Konzept in zweifacher Weise verankert: Die Inhalte des durchzuführenden Interviews beziehen sich auf die drei großen Bereiche des Gegenstandskatalogs der Medizinischen Soziologie und Psychologie, nämlich "Entstehung und Verlauf von Krankheiten", "Ärztliches Handeln" sowie "Förderung und Erhaltung von Gesundheit". Mit dem Titel des Kurses "Kranksein und Krankenversorgung aus Patientensicht" ist jedoch ein besonderer Fokus gesetzt, der vorsieht, dass der Umgang mit Krankheit, das ärztliche Handeln und die Kommunikation des Arztes mit dem Patienten Kernelemente des Berichts über das Interview darstellen.

Eine zweite Verankerung findet das Konzept in den "allgemeinen Lernzielen" des Hamburger Lernzielkatalogs Klinisches Curriculum Medizin ("KliniCuM"). Ergebnis gemeinsamer Absprachen der psychosozialen Fächer in Hamburg ist es, Kommunikation mit Patienten als Lernschleife bzw. roten Faden durch das ganze Medizin-Studium präsent zu halten. Dabei werden drei Stufen unterschieden:

  • Stufe 1: Kennen lernen der Patientenperspektive in einem strukturierten Gespräch (vorwiegend in der Rolle eines soziologischen Interviewers, im ersten Semester im Kurs Medizin-Soziologie),
  • Stufe 2: probeweise die Rolle eines Arztes einnehmen, um Arzt-Patient-Kommunikation allgemein zu üben (in den späteren Medizin I-Kursen und Seminaren der Medizinischen Psychologie),
  • Stufe 3: fachspezifische und situationsbezogene Kommunikationsfertigkeiten erlernen (im späteren Studium des Abschnitts Medizin II).

Strukturell hat der Kurs drei große Einheiten:

1.
die Vorbereitungssitzung (vier Unterrichtsstunden),
2.
das selbständig durchgeführte Gespräch mit einem (Ex)-Patienten und den Bericht darüber sowie
3.
die Nachbereitungssitzung (vier Unterrichtsstunden).

Die Vorbereitungssitzung beginnt mit einer Vorstellungsrunde, bei der vor allem nach Vorerfahrungen der Studierenden mit dem Gesundheitssystem gefragt wird. Die erheblich differierenden Vorerfahrungen (von Berufsabschlüssen im Gesundheitswesen bis hin zu kompletter Unkenntnis) werden bei der späteren Aufteilung in Arbeitsgruppen nach Möglichkeit berücksichtigt. Nach der Erläuterung des gesamten Kurses und seiner Ziele wird ein Interview-Beispiel in Tonbandausschnitten vorgestellt und in Kleingruppen im Hinblick auf das eigene Interview diskutiert. Im Anschluss an die Berichte der Kleingruppen und eine Diskussion im Plenum wird ein Skript ausgegeben und ausführlich erläutert.

Das Skript besteht aus einem ersten Teil, in dem Grundlagenwissen und Hintergrundinformationen in Textauszügen präsentiert werden. Leitthema dabei ist "Der gute Arzt" aus der Sicht von Ärzten selbst und aus der Sicht von Patienten, ergänzt durch Basisinformationen zur Arzt-Patient-Kommunikation. Der zweite Teil des Skripts hat eher Anleitungscharakter ("Das Interview: Vom Gesprächsleitfaden zum Interview-Bericht"). Dieser Teil des Skripts wird besonders intensiv besprochen. Schwerpunkte dabei sind:

  • Wer kommt als Interview-Partner in Frage und wie finde ich jemanden? Wie nehme ich mit dem Interview-Partner Kontakt auf?
  • Welches sind die Unterschiede zwischen der Praktikumssituation (studentische Patientenbefragung) und einer Real-Situation (Arzt-Patient-Gespräch)?
  • Wie führe ich das Gespräch? Wie beende ich es?
  • Welche Ängste und Unsicherheiten gibt es bzgl. praktischer Durchführungsprobleme, Sorgen um die Gesprächspartner/Patienten, Sorgen um sich selbst und die eigene Rolle?
  • Wie verfasse ich den Bericht?

Die Frage nach Ängsten und Unsicherheiten der Studierenden wird besonders ausführlich behandelt - in Kleingruppen und im Plenum. Eine der immer wiederkehrenden Ängste ist z. B., dass das Gespräch für den Patienten zu schmerzhaft sein könnte oder der Interviewpartner eventuell zu weinen beginnt. In der Diskussion zeigt sich meistens, dass aus dem Kreis der älteren Studierenden, die schon im Gesundheitssystem Erfahrungen gesammelt haben, wertvolle Hilfestellungen für den Umgang mit einer solchen oder ähnlichen kritischen Gesprächssituation gegeben werden können.

Den Abschluss der Vorbereitungen zum Interview bilden die Informationen zu dem als Leistungsnachweis geforderten Bericht über die Patienten-Befragung. Aus den Berichten wissen wir, wie positiv die Interviews sowohl von (Ex-)Patienten als auch Studierenden erlebt werden. Zitat-Beispiele: "Anfangs war ich zwar nicht sonderlich begeistert, ein solches Interview führen zu müssen, aber entgegen meinen Erwartungen betrachte ich das Interview nun doch als sehr ergebnisreich, ..." ; "... und wir hatten beide viel Spaß dabei."

In den in der Regel vier zur Verfügung stehenden Wochen bis zur Nachbereitungssitzung führen die Studierenden das Gespräch mit einem Patienten oder einem ehemaligen Patienten und schreiben den Bericht über dieses Gespräch. Zu dieser Aufgabe gehört auch, sich selbst einen geeigneten Interview-Partner zu suchen. Jede Einrichtung wäre überfordert, solche Interviews für ca. 400 Studierende zu organisieren. Eine realistische Alternative dazu, dies den Studierenden selbst zu überantworten, gab es also nie. Allerdings hatten wir im ersten Durchgang des Kurses Hilfe explizit angeboten, die jedoch für uns überraschend nicht benötigt wurde. Hierfür sind vor allem die intensive Besprechung des Punktes "Wie finde ich einen Interview-Partner" in der Vorbereitungssitzung aber sicher auch die hohe Motivation der Studierenden, sich der Aufgabe eines Interviews mit (Ex-)Patienten zu stellen, verantwortlich. Wegen der entlastenden Funktion wird diese Unterstützung aber weiterhin angeboten. Im Zentrum des Interviews stehen die Entstehung und der Verlauf der Erkrankung(en), die medizinische Versorgung (u. a. Arzt-Patienten-Interaktion) sowie die Förderung und Erhaltung von Gesundheit jeweils aus der Sicht des Patienten.

Eine Woche vor der Nachbereitungssitzung geben die Studierenden ihren Bericht ab, damit die Lehrenden diesen lesen können. Die Nachbereitung beginnt mit einer Nachfrage nach eventuellen besonderen Vorkommnissen oder Problemen. Die gelegentlich von Kollegen geäußerte Sorge, dass man Studierende des ersten Semesters nicht auf Patienten "loslassen könne", hat sich als völlig unberechtigt erwiesen. Es gibt unseres Wissens bei den annähernd 3000 Studierenden, die unser Kursprogramm bisher durchlaufen haben, keinen einzigen Fall, bei dem ein nennenswertes Problem für den Patienten oder den Studierenden aufgetaucht wäre.

Die Schwierigkeit der Nachbereitungssitzung besteht darin, einerseits die Erfahrungen der Studierenden mit den Interviews aufzunehmen, andererseits aber nicht ca. 20 Patientengeschichten ausführlich erzählen zu lassen. Einige willkürlich herausgegriffene Beispiele für so genannte Schlüsselsätze stimmen recht gut überein mit dem Gesamttenor vieler Interview-Berichte:

  • "Die Ärzte begreifen das Elend meiner Situation gar nicht, die Einschränkungen, die sie für mich beinhalten." (51 Jahre, weibl., Hypertonus)
  • "Nehmt stets den Patienten ernst, egal mit was er kommt und lasst ihn Vertrauen fassen, dann wird er sich öffnen." (54 Jahre, weibl., Otitis externa)
  • "Wenn ich nicht im Gesundheitswesen tätig gewesen wäre, hätte ich niemals alle Informationen und Angebote erhalten." (55 Jahre, weibl., Lupus Erythematodes).

Nach dem anfänglichen Plenumsgespräch gehen die Studierenden für ca. 45 bis 55 Minuten in drei bis vier Kleingruppen. Jede Gruppe fasst anfangs Probleme und Lernerfahrungen zur Kommunikation mit den Patienten zusammen. Für die weiteren Aufgaben in den Kleingruppen gibt es verschiedene Varianten.

Den Abschluss dieser letzten Sitzung bilden die schriftliche Beantwortung des Evaluationsbogens und eine anschließende Diskussion über Verbesserungsmöglichkeiten. Gerade diese unmittelbaren Diskussionen mit den Studierenden haben zur heutigen Gestalt und Durchführungsform des Kurses Medizinsoziologie in Hamburg erheblich beigetragen.


Evaluation des Kurses

Seit dem Wintersemester (WS) 2002/2003 ist das Instrument für die studentische Bewertung des Kurses Medizinische Soziologie weitgehend gleich geblieben. Die folgenden Analysen beziehen sich somit auf vier Kohorten (WS 2002/2003 bis WS 2005/2006, ca. 1600 Studierende). Der Fragebogen besteht aus verschiedenen Items zu prozess- und ergebnisbezogenen Merkmalen der Veranstaltung. Beispiele für prozessbezogene Items sind: "Das bearbeitete Thema der Medizin-Soziologie wurde im Kurs gut veranschaulicht" oder "Der Kurs war gut organisiert". Ergebnisbezogene Items sind: "Ich habe durch diesen Kurs viel dazugelernt" oder "Mit dem Kurs Medizin-Soziologie bin ich insgesamt zufrieden" (vgl. Tabelle 1 [Tab. 1]).

Die Studierenden wurden gebeten, anzugeben, wie stark diese Aussagen auf einer 6-stufigen Skala zutreffen (1=trifft nicht zu (negative Bewertung) bis 6=trifft sehr zu (positive Bewertung)). Neben diesen standardisierten Items gab es bei der Evaluation die Möglichkeit, durch offene Kommentare Kritikpunkte zu äußern und Anregungen zu geben (1. An dieser Veranstaltung fand ich besonders gut..., 2. An dieser Veranstaltung fand ich besonders schlecht..., 3. Für kommende Semester möchte ich folgende Anregungen geben…). Die Fragebögen wurden von den Dozenten am Ende der Nachbereitungssitzung verteilt und von den Studierenden beantwortet. Die ausgefüllten Bögen wurden eingesammelt und erst danach bekamen die Studierenden den Schein für die Veranstaltung. Dies hat zu einer vollständigen Beteiligung geführt, bei der es lediglich einzelne Ausfälle durch Krankheit oder nicht auswertbare Fragebögen gegeben hat. Die ausgefüllten Fragebögen wurden an das Prodekanat für Lehre geschickt und dort ausgewertet.

Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die Mittelwerte und Standardabweichungen ausgewählter Items im Verlauf von vier Jahren. Es wird deutlich, dass die studentische Beurteilung der Prozessqualität (Veranschaulichung des Stoffes, Herstellung medizinischer Bezüge, gute Organisation) besser ausfällt als die der Ergebnisqualität (Lernerfolg, Gesamtzufriedenheit). Insbesondere der subjektiv wahrgenommene Lernerfolg wurde zu Beginn im WS 2002/2003 mit einem durchschnittlichen Wert von etwa 3,5 vergleichsweise kritisch gesehen. Betrachtet man die Werte im Zeitverlauf, so wird ersichtlich, dass die Beurteilung bei allen Items kontinuierlich positiver wird; es ergibt sich ein Mittelwertzuwachs zwischen 0,7 und 1,0 vom WS 2002/2003 bis zum WS 2005/2006.


Diskussion und Schlussfolgerungen

Das beschriebene Unterrichtskonzept "Kranksein und Krankenversorgung aus Patientensicht" geht von den immer wieder und immer noch berichteten kommunikativen Mängeln in der medizinischen Versorgung aus. Im Zentrum des im ersten Semester stattfindenden medizinsoziologischen Kurses am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf steht die praktische Erprobung der eigenen kommunikativen Kompetenz in einer Rolle, die bewusst vermeidet, in diesem frühen Stadium des Studiums auf die Simulation einer Arzt-Patient-Beziehung abzustellen. Vielmehr wird die Rolle und Perspektive eines soziologischen Interviewers betont. Trotzdem ist der Kerninhalt die Arzt-Patient-Beziehung und -Interaktion, da sowohl in der Vor- und Nachbereitung als auch in der thematischen Ausrichtung des Interviews mit (Ex-)Patienten dieser Bereich fokussiert wird. Mit dieser Schwerpunktsetzung wird die Forderung nach einer stärkeren Thematisierung klinischer Belange eingelöst. Unsere Erfahrungen zeigen, dass das Unterrichtskonzept bei einer Anzahl von etwa 400 Studierenden pro Semester realisierbar ist.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage der Übertragbarkeit des Konzeptes auf andere Universitäten. Hinsichtlich des Kernbestandteils, nämlich der selbst organisierten Interviews und des Berichts, sehen wir keine Probleme mit der Anwendung des Konzepts in anderen Universitäten. Das erstellte Kurs-Skript, ein dazugehöriges Interviewbeispiel und Powerpoint-Präsentationen werden von uns gern zur Verfügung gestellt. Die konkrete Ausgestaltung der Unterrichtseinheiten ist im Rahmen des allgemeinen Konzeptes den einzelnen Dozenten überlassen. Hierbei hat es vielerlei individuelle Variationen und Experimente gegeben. Dies spricht dafür, dass das Rahmenkonzept in verschiedenen individuellen oder lokalen Varianten "funktionieren" kann.

Wir gehen davon aus, dass die Übertragbarkeit an einen zeitlichen Rahmen gebunden ist. Der Zeitrahmen im Studienplan der Medizinischen Fakultät Hamburg sieht für den Kurs ca. 0,8 Semester-Wochenstunden (SWS) vor. Um eine angemessene Vor- und Nachbereitung zu leisten, sollte die für den Kurs zur Verfügung stehende Lehrzeit nicht weniger als eine 3/4 SWS betragen. Mehr Zeit im Studienplan wäre zu begrüßen, da bei einer Gruppengröße von 15 bis 20 Studierenden sehr umfangreiches Material entsteht, das in verschiedene Richtungen und mit verschiedenen Akzenten nachbereitet werden kann. Es lassen sich jedoch auch weniger aufwändige Variationsmöglichkeiten vorstellen, die den Kerngedanken erhalten, z.B. Interviews durch jeweils zwei Studierende, was das Material für die Nachbereitung halbieren würde.

Die Ergebnisse der studentischen Evaluation zeigen, dass der Kurs im Verlauf von vier Semestern zunehmend positiv bewertet wird. Im letzten Wintersemester 2005/2006 wird ein Wert von knapp 5 auf einer 6-stufigen Zustimmungsskala erreicht. Diese Durchschnittswerte sind mit denen aus der Evaluation naturwissenschaftlicher Fächer (Kurse bzw. Praktika in Anatomie, Biochemie oder Physiologie) vergleichbar (ohne tabellarische Darstellung). Hinsichtlich verschiedener prozessbezogener Merkmale (z. B. Veranschaulichung des Stoffes, Organisation) sind die im Kurs Medizin-Soziologie erzielten Werte sogar besser.

Angesichts der voraussehbaren Entwicklungen zu öffentlichen Vergleichen zwischen Universitäten ist es wichtig zu betonen, dass direkte Vergleiche von Evaluationen im strengen Sinne nur mit identischer Methode möglich sind. Einflussgrößen sind hier insbesondere Skalenmerkmale, Item-Formulierungen und Befragungs-Kontext [8]. Bei den Skalenmerkmalen wissen wir aus früheren Evaluationsansätzen mit einer Vierer-Skala, dass diese für uns positivere Ergebnisse brachte als die spätere sechsstufige Zustimmungs-Skala. In anderen Veranstaltungen haben wir gesehen, dass eine sechsstufige "Zensuren-Skala" (1 als beste Stufe ohne explizite Verbalisierung der sechs Zensurenstufen) systematisch bessere Ergebnisse erbringt als die (umgedrehte) Zustimmungs-Skala zur Gesamtzufriedenheit.

Im Hinblick auf die Item-Formulierung haben wir festgestellt, dass die Erfassung des Lernerfolgs durch das Item "Ich habe durch den Kurs viel dazu gelernt" zu einer schlechteren Bewertung medizinsoziologischer Veranstaltungen führt als das Item "Ich habe durch den Kurs neue Kenntnisse gewonnen" (vgl. auch Tabelle 1 [Tab. 1]). Möglicherweise führt die quantitative Akzentuierung des ersten Items dazu, dass bei Veranstaltungen, die über ein relativ geringes Stundenvolumen verfügen und in denen nicht allein die Vermittlung von Faktenwissen im Vordergrund steht, der Lernerfolg von den Studierenden geringer eingeschätzt wird. Es sei darauf hingewiesen, dass bei der Weiterentwicklung des Kurses systematisch auf der offenen und standardisierten Evaluation vorangegangener Kurse aufgebaut wurde. Hierbei wurde auch an dem zu Beginn eher gering eingeschätzten Lernerfolg angesetzt und in den Vor- und Nachbereitungssitzungen vermehrt theoretisches und empirisches Wissen über die Arzt-Patienten-Beziehung vermittelt.

Befragungszeitpunkt und -kontext scheinen ebenfalls systematische Einflüsse auszuüben. Als Hypothese, die weiter zu prüfen wäre, schlagen wir vor: Je größer der Zeitraum zwischen Veranstaltung und Evaluation und je komplexer der Kontext (Evaluation mehrerer Fächer gleichzeitig) ist, desto weniger positiv beurteilen Studierende Veranstaltungen der Medizin-Soziologie (bzw. psychosoziale Fächer allgemein). Für diese Hypothese gibt es verschiedene Einzelbefunde, die zeigen, dass Studienabschnitts-Evaluationen (z.B. nach dem Physikum) ungünstiger ausfallen als Evaluationen zum Semesterabschluss und diese wiederum ungünstiger als Evaluationen in der letzten Sitzung einer Veranstaltung.

Abschließend sei auf ein grundsätzliches Problem verwiesen: Die neue ÄAppO fordert für alle Veranstaltungen im Abschnitt Medizin I "klinische Bezüge". Damit verknüpft sind sicher auch Lernziele, die weniger greifbar sind, z. B. in unserem Kurs ärztliche Werthaltungen und Kommunikationskompetenz. Die Prüfungen im 1. Abschnitt der ärztlichen Prüfung hingegen sind sehr stark auf Faktenwissen abgestellt. Entsprechend orientieren sich die Studierenden in ihren Erwartungen und Wünschen an Lerninhalt und "Lernerfolg". Die Balance zwischen diesen z. T. widersprüchlichen Anforderungen ist von den Lehrenden manchmal nicht leicht zu halten. Im Zweifelsfall geben wir in unserem Kurs dem Ziel der Vermittlung von Kommunikations- und Interaktionskompetenz mit den dazugehörigen ärztlichen Werthaltungen den Vorrang.


Literatur

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Siegrist J, von dem Knesebeck O, Pfaff H. Die Bedeutung des Faches "Medizinische Soziologie" für Lehre und Forschung an medizinischen Fakultäten in Deutschland. Gesundheitswesen. 2005;67(8-9):312-314.
2.
Terzioglu P, Jonitz B, Schwantes U, Borga W. Kommunikative und soziale Kompetenzen - Vermittlung muss im Medizinstudium beginnen. Dtsch Arztebl. 2003;00:A2777-A2279.
3.
Hannich HJ, Wiesmann U. Das Lehrkonzept der Community Medicine in Greifswald und eine erste studentische Evaluation des "frühen Patientenkontaktes". Z Allgemeinmed. 2001;77:24-27.
4.
Wiesemann A, Engeser P, Barlet J, Muller-Buhl U, Szecsenyi J. Was denken Heidelberger Studierende und Lehrärzte über frühzeitige Patientenkontakte und Aufgaben in der Hausarztpraxis? Gesundheitswesen. 2003;65(10):572-578.
5.
Kaluza G, Baum E, Schuffel W, Basler HD. "Gespräche mit chronischen Kranken" - ein innovatives Lehrangebot für Medizinstudierende im vorklinischen Studienabschnitt. Z Med Psychol. 2002;11:3-10.
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Stößel U, von Troschke J. Innovative Ansätze zur Lehre in den psychosozialen Fächern der ärztlichen Ausbildung. Freiburg: Deutsche Koordinierungsstelle für Gesundheitswissenschaften; 2002.
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Petersen C, Busche W, Bergelt C, Huse-Kleinstoll G. Kommunikationstraining als Teil des Medizinstudiums: ein Modellversuch. GMS Z Med Ausbild. 2005;22(1):Doc 08.
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van den Bussche H, Weidtmann K, Kohler N, Frost M, Kaduszkiewicz H. Evaluation der ärztlichen Ausbildung: Methodische Probleme der Durchführung und der Interpretation von Ergebnissen. GMS Z Med Ausbild 2006;23(2):Doc 37.