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Ein Durchbruch für taub geborene Kinder: Erste erfolgreiche Gentherapie für Gehörlosigkeit
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Veröffentlicht: | 13. August 2024 |
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Gliederung
Zusammenfassung
In mehreren klinischen Studien wurden bis heute (Stand Juni 2024) mehr als ein Duzend gehörlos geborene Kinder mit einer spezifisch dafür entwickelten Gentherapie behandelt – und können nun mit ihren eigenen Ohren hören, zu Musik tanzen, Worte nachsprechen, Fragen beantworten. Um dies zu erreichen, wurde eine Gen-Ersatztherapie für Kinder mit OTOF-bedingter Gehörlosigkeit angewendet. Dieser Übersichtsartikel erklärt, wie gut die Kinder nach bisherigem Kenntnisstand hören und welche Hörtests in Folgestudien weitere Erkenntnisse liefern könnten. Zuletzt wird ein Ausblick auf die breitere Anwendung dieser Gentherapie und den in Entwicklung befindlichen Gentherapien für weitere Formen der Gehörlosigkeit gegeben.
Die Gentherapie-Strategie für OTOF-bedingte Taubheit
Die Gentherapie gegen OTOF-bedingte Gehörlosigkeit (DFNB9) markiert den Beginn einer neuen Epoche: Zum ersten Mal ist es gelungen, vormals nahezu taube Kinder hörend zu machen. Praktisch über Nacht kann damit eine angeborene, genetisch bedingte Sinneseinschränkung kausal therapiert werden, wenn auch zunächst nur im Rahmen von klinischen Studien. Bei dieser Form der Taubheit liegt mechanistisch ein Defekt der synaptischen Übertragung von den inneren Haarzellen auf den Hörnerv vor, was sich typischerweise in einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit mit intakter Funktion der äußeren Haarzellen äußert, daher auch „auditorische Synaptopathie“ genannt [1], [2]. Therapeutisch wird das Fehlen des Proteins Otoferlin, das vom Gen OTOF kodiert wird, durch eine Gen-Ersatztherapie kompensiert. Zwei Adeno-assoziierte Viren (AAVs) schleusen je eine Hälfte der kodierenden Sequenz für Otoferlin in die inneren Haarzellen ein. Diese „Dual-AAV“-Strategie war erforderlich, da die kodierende Sequenz zu lang für den Transport mit einem AAV war [3], [4]. Im Zellkern werden die beiden kodierenden Sequenzen zusammengesetzt und sorgen für die Transkription und Translation des Proteins. Zunächst war in unabhängigen Studien gezeigt worden, dass nach Injektion dieser therapeutischen AAVs in das Innenohr von Otof-knock-out Mäusen diese hören können ([5], [6], später auch in [7], [8]). In den letzten Monaten wurde auf Konferenzen und in Fachzeitschriften berichtet, dass diese Strategie auch bei gehörlos geborenen Kindern funktioniert: Die Hörschwellen lagen einige Wochen nach der Gentherapie im besten Fall bei 38 dB HL (pure tone average, PTA), und die Kinder reagierten auf ihren Namen und konnten fast durchweg mindestens einfache Wörter wiederholen [9], [10], [11].
Wie gut hören die Kinder mit dieser Gentherapie?
Nachdem jetzt die ersten Ergebnisse dieser klinischen Studien veröffentlicht sind, sollten wir diese genau ansehen und klug nutzen, um gegebenenfalls die Gentherapie weiter zu verbessern. Gezeigt wurden die Schwellen aus Hirnstammaudiometrie (Brainstem evoked response audiometry/BERA und auditory steady state response/ASSR) sowie bei den älteren Kindern die Tonaudiometrie, die auf Hörschwellen von 38–75 dB HL hindeuten. Allerdings sind nur in wenigen Studien auch die Rohdaten der BERA abgebildet und werden auch hier nicht mit den BERA-Wellen normalhörender Kinder verglichen. Für wirklich gute Hörergebnisse ist es jedoch entscheidend, ob genügend Otoferlin-Protein in den inneren Haarzellen produziert wird, was wir bei den Kindern jedoch nicht direkt ermitteln können. Auf welche zusätzlichen Parameter daher ein besonderes Augenmerk gelegt werden sollte, wissen wir aus den Beschreibungen von Betroffenen mit (wahrscheinlich) niedrigeren Otoferlin-Mengen, die durch Punktmutationen in Otoferlin bedingt sind. Ein Geschwisterpaar mit einer solchen Mutation, OTOF-p.Ile515Thr, zeigte beispielsweise nur geringfügig erhöhte Hörschwellen in der Tonaudiometrie, jedoch eine deutlich abnorme Hirnstammaudiometrie [12]. In der BERA war lediglich eine Welle V erkennbar, diese zudem verzögert und mit deutlich verringerter Amplitude [13]. Bei einer Serie von Click-Stimuli wurde zwar der erste Click recht zuverlässig in Welle V abgebildet, die nachfolgenden jedoch mit abnehmender Amplitude, sodass die Welle V bei nachfolgenden Clicks immer seltener detektierbar war [13]. Auch die Adaptation an längere, konstante Stimuli war deutlich verstärkt; im Hochtonbereich noch ausgeprägter als im Tieftonbereich – so konnten diese Betroffenen einen (deutlich überschwelligen) 8 kHz-Ton nach 90 Sekunden kaum noch wahrnehmen [13]. Während das Sprachverstehen für einfache Wörter bei 88–100% lag, war das Sprachverstehen im Alltag deutlich stärker beeinträchtigt und betrug im Störgeräusch (HINT-C Test) unter 10% [12], [14]. Neben dem beschriebenen Geschwisterpaar fanden sich ähnliche Hörprobleme in fünf Patienten mit anderen Mutationen in OTOF [15]. Die Ausprägung einer derartigen Hörstörung wurde in einem Mausmodell näher untersucht, in welches gentechnisch die Otof-p.Ile515Thr-Mutation eingebracht wurde [16]. Während in der Hirnstammaudiometrie eine deutliche Hörstörung gefunden wurde, mit reduzierten Amplituden und erhöhten Schwellen, zeigten die Mäuse in Verhaltensexperimenten fast normale Hörschwellen [16]. Somit scheint das Mausmodell den Phänotyp der Betroffenen gut zu rekapitulieren. Mittels Immunhistochemie stellten wir fest, dass die Menge an Otoferlin-Protein in den inneren Haarzellen um etwa 65% reduziert war [16]. Da Otoferlin für die synaptische Übertragung von Haarsinneszellen auf den Hörnerv benötigt wird [1], bestimmten wir auch bei dieser Mauslinie, inwiefern die synaptische Funktion durch die verringerte Menge an (mutiertem) Otoferlin beeinträchtigt ist. Hier zeigte sich, dass die Synapse auf kurze Stimuli zwar noch angemessen reagieren konnte, jedoch war die Nachlieferung von synaptischen Vesikeln bei länger andauernden Stimuli stark verlangsamt [16]. Dies hat zur Folge, dass ein zweiter Stimulus nur dann mit gleicher Intensität synaptisch übertragen wird, wenn die Synapse sich lange genug erholen kann. Auf das Sprachverstehen im Hintergrundgeräusch übertragen bedeutet dies, dass bereits durch das Störgeräusch die synaptische Übertragung an einer solchen Synapse ausgereizt wird, sodass zusätzliche Signale von der Sprache nicht mehr weitergegeben werden können. Zudem gaben die Synapsen einer Zelle ein Signal an die nachfolgenden Nervenzellen mit einer breiteren zeitlichen Streuung wieder. Dies bedeutet, dass Konsonanten „verwaschen“ wahrgenommen werden, und damit das Sprachverstehen, selbst ohne Hintergrundgeräusch, eingeschränkt sein kann. Beides zusammen erklärt auch, weshalb diese und weitere Betroffene mit ähnlichem Phänotyp nicht von Hörgeräten profitieren – lautere Stimuli führen eben zu einer schnelleren Ermüdung der Haarzellsynapsen und erklären daher, warum höhere Schalldrücke das Sprachverstehen nicht verbessern [15].
Wie hoch die Otoferlin-Mengen in den inneren Haarzellen der gentherapeutisch behandelten Kinder sind, wissen wir derzeit nicht. Auch wenn ein Defizit in den besonders sensitiven Hörtests nur indirekt Rückschlüsse auf die Otoferlin-Menge geben würde und zudem durch viele Faktoren bedingt sein kann, sollten solche Tests dennoch unbedingt durchgeführt werden, um gegebenenfalls an einer Verbesserung der Therapie selbst oder einer spezifischen Nachsorge wie z.B. gezielten Hörtrainings arbeiten zu können. In Mäusen wurde nach einer solchen Gentherapie Otoferlin-Proteinmengen von ca. 35% der normalen Menge gemessen, was ziemlich genau der Proteinmenge entspricht, die bei den Otof-p.Ile515Thr-Mäusen gefunden wurde [4], [5]. Beim Menschen könnte diese Protein-Menge nach der Gentherapie höher oder auch niedriger sein. Neben potentiellen Problemen beim Sprachverstehen im Störgeräusch könnte sich eine leicht schwächere Synapsenleistung auch darin äußern, dass die mit Gentherapie Behandelten höhere kognitive Leistungen aufbringen müssen, um das verwaschene Sprachsignal zu dekodieren und damit das Gehörte zu verstehen. Aufgrund der Problematik einer möglicherweise schneller ermüdenden Synapse ist es voraussichtlich auch nicht zielführend, die gentherapeutisch behandelten Personen mit Hörgeräten zu versorgen, um die mit 38–75 dB HL bei weitem nicht optimalen Hörschwellen zu korrigieren – zumindest solange noch regelrechte otoakustische Emissionen (OAE) nachweisen, dass die cochleäre Verstärkungsfunktion erhalten ist.
Für welche Kinder mit DFNB9 ist die Gentherapie geeignet?
Wie gut die Gentherapie für OTOF-Taubheit derzeit wirklich ist, müssen also nachfolgende Studien mit detaillierteren Messungen des Hörvermögens und Sprachverstehens zeigen. Zudem wird die Langzeitbeobachtung der bereits behandelten Kinder aufschlussreich sein. Durch den Einschluss weiterer Kinder werden möglicherweise auftretende seltene Nebenwirkungen und Limitationen entdeckt. Von höchstem Interesse ist für die Familien vieler Betroffener, ob eine Gentherapie auch dann möglich ist, wenn bereits ein Cochlea-Implantat (CI) eingesetzt wurde. Die aktuellen schonenden OP-Verfahren sollten prinzipiell dazu geeignet sein, dass das Sinnesepithel intakt bleibt, was durch die Messung von OAEs bestätigt werden kann. Wenn dies der Fall ist, sollte eine Gentherapie möglich sein. Ein kritischer Prädiktor für eine erfolgreiche Gentherapie der OTOF-bedingten Gehörlosigkeit ist daher – bei implantierten wie bei nicht implantierten Ohren – das Vorhandensein von OAEs. Auch bei nicht implantierten Ohren gehen bei OTOF-Patienten die OAEs häufig innerhalb der ersten zwei Lebensjahre verloren; nur in seltenen Fällen sind sie im Erwachsenenalter nachweisbar [17], [18], [19]. In Mausmodellen wurde zudem gezeigt, dass auch innere Haarzellen bei Abwesenheit von Otoferlin absterben; dies ist jedoch bisher nur im Tiermodell eindeutig nachgewiesen [20]. Die derzeit laufenden klinischen Studien machten die erhaltenen OAEs zum Einschlusskriterium und schlossen CI-versorgte Ohren aus, da bei diesen das Risiko besteht, dass aufgrund der implantierten Elektrode und der dadurch hervorgerufenen Veränderung der Innenohrmechanik die Gentherapie nicht mehr so gut wirkt wie in nicht implantierten Ohren.
Eine plausible Einschränkung für zukünftige Studien und Anwendungen der Gentherapie lässt sich aus Studie von Lv et al. [9] ableiten: Hier konnte bei einem vom 6 behandelten Kindern keine Verbesserung der Hörfähigkeit festgestellt werden. Dieses Kind hatte, im Gegensatz zu den anderen Kindern, eine bereits bestehende, wenn auch nicht sehr starke, Immunität gegen die Oberflächenproteine der hier eingesetzten viralen Vektoren, den AAVs des Serotyp 1 (AAV1). Bei allen Kindern stieg die Immunität gegen das verwendete Virus innerhalb weniger Tage nach der Behandlung stark an [9], [10], [11]. Entscheidend für den Erfolg der Gentherapie scheint zu sein, dass die viralen Vektoren ihre Zielzellen erreichen, bevor sie vom Immunsystem abgefangen werden. Sind die Viren erst einmal im Zytoplasma, sind sie vor dem unmittelbaren Angriff der zellulären und humoralen Immunreaktion geschützt. Die Oberflächenproteine der Viren werden abgebaut, und können von diesen Gentherapie-Viren nicht wiederhergestellt werden. Die Virus-DNA, die überwiegend aus dem therapeutischen Gen besteht, verbleibt über viele Jahre im Zellkern. Bei Zellen, die sich nicht mehr teilen – was auf die Sinneszellen des Innenohrs zutrifft – kann man daher davon ausgehen, dass einmal transduzierte Zellen über Jahre das therapeutische Gen exprimieren werden, sodass eine Wiederholung der Behandlung im Idealfall nicht notwendig ist. Die nach einer einmaligen Injektion von therapeutischen Viren in das Innenohr erwachte Immunität hat jedoch erhebliche Bedeutung für die Planung der Behandlung: Soll zunächst nur ein Ohr behandelt werden, könnte die danach bestehende Immunität gegen die Oberflächenproteine des Virus verhindern, dass das zweite Ohr erfolgreich behandelt werden kann – es sein denn, man verwendet Virus-Oberflächenproteine von anderen Serotypen, die keine Kreuzimmunität aufweisen. Interessanterweise werden in klinischen Studien derzeit mindestens zwei verschiedene Varianten von Oberflächenproteinen verwendet, die jedoch zumindest teilweise eine Kreuzimmunität erzeugen [21]. Die Entwicklung von neuen Serotypen, die einer vorliegenden Immunität entkommen, ist im Gange. Mit diesen wäre es möglich, das zweite Ohr mit anderen Gentherapie-Vektoren zu behandeln. Weiterhin wäre auch denkbar, eine weitere Variante gentherapeutischer Vektoren in ein bereits behandeltes Ohr zu injizieren, um die Proteinmenge an Otoferlin in den inneren Haarzellen zu steigern. Eine Überexpression durch eine Otoferlin-dual-AAV-Transduktion von normalhörenden Mäusen und Primaten erwies sich als unkritisch [5], [8], während eine zu niedrige Proteinmenge vermutlich zur oben beschriebenen Hörermüdung führt.
Konsequenzen der neuen Gentherapie für die Diagnostik von Schwerhörigkeit bei Neugeborenen und Kleinkindern
Trotz möglicher Einschränkungen ist diese erste erfolgreiche Gentherapie gegen Gehörlosigkeit ein Durchbruch. Damit wird ein Paradigmenwechsel für die Diagnostik und Behandlung gehörlos geborener Kinder eingeläutet: Während es bisher weitgehend irrelevant war, welche genetische Disposition ursächlich für die Hörminderung war, sollte ab jetzt mindestens für die Betroffenen mit auditorischer Synaptopathie/Neuropathie eine humangenetische Analyse durchgeführt werden, um zu prüfen, ob es für dieses Kind eine Gentherapie als Alternative zur Cochlea-Implantation gibt. Da ausgerechnet diese Form der Gehörlosigkeit jedoch in Neugeborenen-Hörscreenings, die auf OAEs basieren, übersehen wird [22], [23], ist es jetzt angebracht, den Einsatz von (aufwendigeren) hirnstammaudiometrischen Verfahren in Hörscreenings neu zu bewerten. In Deutschland werden pro Jahr schätzungsweise 60–90 Kinder mit auditorischer Synaptopathie/Neuropathie geboren, die nur mit diesen Verfahren sicher erkannt werden können – einschließlich der ca. 15–25 pro Jahr geborenen Kinder mit OTOF-bedingter Schwerhörigkeit [22], [23], [24], [25].
Nicht nur im Hinblick auf die Generierung des Hörvermögens in diesen Kindern sind diese Studien ein Durchbruch: Zum ersten Mal wurde die Dual-AAV-Strategie am Menschen angewendet, die es erlaubt, große Gene mit Hilfe von kleinen, nicht-pathogenen AAV-Viren in Zellen zu transportieren. Hier werden zwei Teilstücke der DNA mit zwei verschiedenen Viren in die Ohren gespritzt, die sich im Zellkern der Zellen wieder zusammenlagern und zur Transkription der intakten mRNA führen [26], [27], [28], [29]. Damit eröffnet die OTOF-Gentherapie neue Möglichkeiten für weitere genetisch bedingte Erkrankungen, die auf große Gene zurückzuführen sind, nicht nur auf Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit begrenzt.
Welche Formen der Schwerhörigkeit oder Taubheit werden als Nächstes gentherapeutisch behandelt?
Höchst wünschenswert wäre es, die häufigste genetisch bedingte Form der Schwerhörigkeit/Taubheit behandeln zu können: die rezessiv vererbte Form DFNB1, die auf Mutationen im Gen GJB2 zurückgeht, und ca. 25% der gehörlos oder schwerhörig geborenen Kinder betrifft [30]. Dieses Gen kodiert für das Protein Connexin26, welches für den Kaliumionen-Transport innerhalb der Cochlea benötigt wird. Für die Entwicklung einer Gentherapie gibt es jedoch ein Problem: Für Mäuse ist das komplette Fehlen des GJB2-Gens embryonal lethal [31]. Studien an neueren Mausmodellen, bei welchen das Gen GJB2 nur lokal im Innenohr oder erst nach der kritischen Phase der Embryonalentwicklung inaktiviert wurde, deuten darauf hin, dass Connexin26 sowohl während der Entwicklung des Innenohrs als auch für die Funktion des reifen Innenohrs benötigt wird [32]. Es ist jedoch nicht bekannt, weshalb die gleichen Mutationen bei den einen Betroffenen zu angeborenem starkem bis hochgradigem Hörverlust führt, bei ca. 25% der Betroffenen jedoch nur zu einer milden bis moderaten, mitunter progressiven Schwerhörigkeit [33]. Es gibt jedoch Hoffnung: Sowohl die neuen Mausmodelle als auch ein von einer Firma (Sensorion, Montpellier, Frankreich) entwickeltes Primaten-Modell für die GJB2-Hörstörung wird weitere Forschung ermöglichen und es erlauben, gentherapeutische Vektoren zu testen. Eine Schwierigkeit für die Entwicklung der Gentherapie wird hier sein, dass das Gen nicht in den Sinneszellen des Innenohrs exprimiert werden soll, welche aber aufgrund ihrer zellulären Eigenschaften die gentherapeutischen Viren besonders gut aufnehmen. Hier müssen spezielle Viruskonstrukte entwickelt werden, um eine spezifische Expression in den Stützzellen und der Stria vascularis zu erreichen. Dies ist prinzipiell möglich, erfordert jedoch besonders sorgfältige toxikologische Tests in Primatenmodellen, sodass klinische Studien nicht unmittelbar bevorstehen. Letzteres gilt genauso für weitere Formen der genetisch bedingten Schwerhörigkeit: Während in vielen Fällen die betroffenen Gene während der Entwicklung des Innenohrs benötigt werden und daher beim Menschen pränatal verabreicht werden müssten, gab es in präklinischen Gentherapiestudien mit dem Gen Tmprss3, welches bei DFNB8/10 betroffen ist, das Problem, dass sich Überexpression als toxisch erwies, und eine niedrige Expression als wenig effektiv [34]. Eine Gentherapie für eine zweite Form der Schwerhörigkeit, die beim Menschen erfolgreich ist, wird daher voraussichtlich noch etwas auf sich warten lassen.
Anmerkungen
Förderung
Ich danke der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Unterstützung über das Heisenberg-Programm (Projektnummer 416097726).
Danksagung
Ich danke Nicola Strenzke herzlich für ihre hilfreichen Kommentare zum Manuskript im Review-Verfahren.
Interessenskonflikt
Die Autorin gibt an, Co-Autorin auf einem Patent zur Dual-AAV Gentherapie zu sein, welches die Universitätsmedizin Göttingen an die Firma Akouos Inc. lizensiert hat.
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