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GMS Zeitschrift für Audiologie — Audiological Acoustics

Deutsche Gesellschaft für Audiologie (DGA)

ISSN 2628-9083

Wer darf sich in Deutschland Audiologe nennen?

Editorial

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  • corresponding author Inga Holube - Institut für Hörtechnik und Audiologie, Jade Hochschule, Oldenburg, Deutschland

GMS Z Audiol (Audiol Acoust) 2023;5:Doc05

doi: 10.3205/zaud000031, urn:nbn:de:0183-zaud0000316

Veröffentlicht: 5. April 2023

© 2023 Holube.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Editorial

Diese Frage stellte ich ChatGPT und bekam zur Antwort: „In Deutschland darf sich nur eine Person als Audiologe bezeichnen, die einen anerkannten akademischen Abschluss sowie eine entsprechende Zulassung als Hörakustiker vorweisen kann. Diese Zulassung wird von den jeweiligen Landesärztekammern ausgestellt“ [1]. Ich glaube, da ist ChatGPT auf dem Holzweg. Nur die wenigsten Personen dürften diese Anforderungen erfüllen.

Um sich der Frage, wer ein Audiologie sei, zu nähern, könnte man sich danach fragen, was der Begriff „Audiologie“ bedeutet. Laut Enzyklopädie Medizingeschichte [2] setzt er sich aus dem lateinischen audire (hören) und dem griechischen logos (Lehre) zusammen. Audiologie ist also die Lehre vom Hören und damit eine wissenschaftliche Disziplin. Weiter weiß die Enzyklopädie zu berichten, dass die Audiologie „in manchen Ländern – nicht in Deutschland – eine geschützte Berufsbezeichnung mit spez. Berufsausbildung, oft Hochschulstudium mit einem akad. Grad“ [2] sei. In Deutschland ist also der Beruf des Audiologen nicht gesetzlich geregelt. Im Prinzip darf sich jeder so nennen.

Als ich vor langer Zeit in der Hörgeräteindustrie zu arbeiten begann, wurde ich als neue Audiologin vorgestellt. Zunächst fremdelte ich mit der Bezeichnung. Ich hatte ja nicht Audiologie studiert, sondern Physik. Auch wenn ich sicherlich etwas vom Hören verstand, habe ich durch den intensiven Austausch mit meinen damaligen amerikanischen Audiologiekollegen viel dazugelernt. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Bezeichnung Audiologin und wurde zur Professorin für Audiologie an die Jade Hochschule berufen. Aber noch heute möchte ich nicht von mir behaupten, alle Aspekte der Audiologie abdecken zu können. Kolleginnen und Kollegen aus der Physik oder der Medizin werden aber vermutlich auch nicht behaupten, in ihrem Fachgebiet allwissend und allkönnend zu sein.

Man kann sich die Frage stellen, wer sich in Deutschland mit dem „Teilgebiet der Medizin, auf dem man sich mit den Funktionen und den Erkrankungen des menschlichen Gehörs befasst“ [3], wirklich vollständig auskennt: vermutlich niemand. Laut Enzyklopädie handelt es sich um ein „multidisziplinäres Arbeitsgebiet“ [2]. „Mit audiologischen Themen befassen sich versch. Berufsgruppen, z.B. aus der Med., Technik, Psychologie, Pädagogik“ [2]. Diese Charakterisierung entspricht der Beschreibung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie (DGA). Laut Programm der 25. Jahrestagung reicht das Spektrum der Wissenschaftsdisziplinen und Berufsgruppen in der Audiologie von der Medizin, den Natur- und Geisteswissenschaften, Ingenieurwissenschaften und der Hörgeschädigtenpädagogik bis hin zur Hörgeräteakustik und zu medizinisch-technischen Assistenzberufen [4]. Die DGA lebt laut Ulrich Eysholdt von der „Interdisziplinarität und wertschätzenden Kollegialität ohne berufspolitische Dominanz“ [5].

Keine Disziplin sollte die Audiologie für sich vereinnahmen, insbesondere dann nicht, wenn sie nur einen Teilbereich, z.B. den handwerklichen Aufgabenbereich, abdeckt. Ausgebildete Hörakustiker sind und bleiben eine wichtige Berufsgruppe innerhalb der DGA. Sie können jedoch nur den Status „außerordentlicher“ Mitglieder erhalten, da die DGA als wissenschaftliche Fachgesellschaft nur wissenschaftlich tätige Personen als ordentliche Mitglieder aufnehmen kann. Der Wissenschaftsrat definiert Fachgesellschaften als „auf der Grundlage von Satzungen auf Dauer angelegte Zusammenschlüsse von Fachwissenschaftlern, die an Hochschulen oder in anderen Bereichen wissenschaftlich tätig sind“ [6]. Die Einschränkung der ordentlichen Mitglieder der DGA auf wissenschaftlich tätige Personen ist also notwendig, um als wissenschaftliche Fachgesellschaft anerkannt zu sein und z.B. bei Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AMWF) mitwirken zu können. Ein Bachelor Professional als Abschluss der Berufsbildung und ein Bachelorabschluss an einer Hochschule (z.B. Bachelor of Engineering, Bachelor of Science) sind gleichwertig, aber verschiedenartig [7]. Der Bachelor Professional kann in Deutschland den Zugang zu einer Hochschule ermöglichen [7], jedoch nicht den direkten Zugang zu einem Masterstudium oder sogar zur Promotion.

Eine Aufgabe der DGA besteht darin, die Qualifikation ihrer Mitglieder durch Fortbildung und die Verleihung von Zertifikaten zu fördern. So wurden mit hohem Aufwand Weiterbildungsordnungen für CI-Audiologen und Audiologische CI-Assistenten eingeführt, die festgelegten Berufsgruppen den Nachweis ihrer Qualifikation in der Audiologie ermöglichen. Die bei dem jeweiligen Qualifikationsgrad nicht berücksichtigten Berufsgruppen leisten ebenfalls wertvolle Arbeit im Tätigkeitsfeld der Audiologie und dürfen dies natürlich auch weiterhin tun, jedoch ohne Zertifikat der DGA.

Wir dürfen stolz darauf sein, dass wir innerhalb der DGA durch kollegiales Miteinander die Integration von audiologisch-wissenschaftlich interessierten Personen ungeachtet ihrer fachlichen Provenienz aktiv gestalten. Nur gemeinsam sind wir stark – zum Wohle der Patientinnen und Patienten.


Literatur

1.
ChatGPT. [installiert und abgerufen am 2023 Feb 11]. Verfügbar unter: https://openai.com/blog/chatgpt Externer Link
2.
von Deuster C. Audiologie. In: Gerabek WE, Bernhard D, Haage BH, Keil G, Wegner W, editors. Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin, New York: De Gruyter; 2005. p. 116.
3.
„Audiologie“ auf Duden online. [abgerufen am 2023 Mrz 26]. Verfügbar unter: https://www.duden.de/node/9661/revision/1394857 Externer Link
4.
Deutsche Gesellschaft für Audiologie. Programmheft der 25. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie „Hören – von jung bis alt“. In: 25. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie „Hören – von jung bis alt“. 2023 Mrz 1–3; Köln. Verfügbar unter: https://www.dga-ev.com/fileadmin/daten/downloads/bisherige_Jahrestagung/DGA2023_Hauptprogramm__WEB.pdf Externer Link
5.
Eysholdt U. Die deutsche Audiologie – vom individuellen Interessensgebiet zum interdisziplinären Querschnittsfach. In: 25. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie „Hören – von jung bis alt“. 2023 Mrz 1–3; Köln.
6.
Wissenschaftsrat. Zur Förderung von Wissenschaft und Forschung durch wissenschaftliche Fachgesellschaften. Köln: Wissenschaftsrat; 1992. p. 4.
7.
BMBF. Die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG). 2023 [abgerufen am 2023 Mrz 26]. Verfügbar unter: https://www.bmbf.de/bmbf/de/home/_documents/die-novellierung-des-berufsbildungsgesetzes-bbig.html Externer Link