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GMS Zeitschrift für Audiologie — Audiological Acoustics

Deutsche Gesellschaft für Audiologie (DGA)

ISSN 2628-9083

Besseres Hören mit neuen Verfahren – ein Rück- und Ausblick

Editorial

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  • corresponding author Uwe Baumann - Goethe-Universität Frankfurt, Universitätsklinikum, Klinik für HNO-Heilkunde, Schwerpunkt Audiologische Akustik, Frankfurt a.M., Deutschland

GMS Z Audiol (Audiol Acoust) 2023;5:Doc02

doi: 10.3205/zaud000028, urn:nbn:de:0183-zaud0000282

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zaud/2023-5/zaud000028.shtml

Veröffentlicht: 20. Januar 2023

© 2023 Baumann.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Editorial

In GMS Zeitschrift für Audiologie – Audiological Acoustics finden Sie einen Übersichtsbeitrag mit dem Titel „Mit Lichtstrahlen das Gehör wiederherstellen“ [1]. Hierin verschafft Tobias Moser unseren Lesern aus erster Hand einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zur optogenetischen Stimulation der Hörbahn des Göttinger Teams, das an diesem Projekt seit 2007 mit großem Einsatz arbeitet. Die Hoffnungen und Erwartungen sind groß. Mit der punktgenauen Stimulation durch Licht soll eine gegenüber dem herkömmlichen Cochlea-Implantat (CI) verbesserte Kodierung der spektralen Information gelingen und so eine deutliche Qualitätssteigerung der Übertragung von Sprache und Musik erreicht werden. Der Weg zum angestrebten Ziel der klinischen Prüfung ist jedoch mühsam: Die für Entwicklung und Prüfung der geplanten Kombination aus Gentherapie und Medizinprodukt erforderlichen Anstrengungen in den verschiedensten Forschungsbereichen sind erheblich und müssen vor der ersten klinischen Prüfung intensiviert werden.

Dies gibt Anlass, auf einige in der Vergangenheit verfolgte Ideen und Konzepte zurückzublicken, die allesamt als Alternativen zu konventionellen Hörhilfen oder schlichtweg zur Verbesserung von Hörproblemen aller Art „in den Ring“ der klinischen Erprobung gegangen sind oder noch immer darauf warten.

Zum Beispiel „digitale Hörgeräte“. Das Zauberwort „volldigital“ wurde erstmals 1995 als Attribut einer besonderen Hörgeräte-Innovation vergeben. Tatsächlich waren bis zu diesem Zeitpunkt Hörgeräte zwar „digital“ programmierbar und die Nutzung von winzigen Schraubendrehern zur mitunter nur ungenauen Einstellung der Miniatur-Potentiometer wurde überflüssig. Das Signal selbst wurde jedoch weiterhin durch konventionelle analoge Signalverarbeitung an das schwerhörige Ohr übertragen. Das erste voll digitale Hörgerät beinhaltete nun als große Innovation einen analog-digital-Wandler und einen Signalprozessor, womit der Grundstein für die digitale Signalverarbeitung in Hörgeräten gelegt wurde. Nicht nur die Fachpresse schürte große Erwartungen – man erhoffte sich einen ähnlichen Erfolg der digitalen Technik wie in der Unterhaltungselektronik; auch die Erwartungen der von Schwerhörigkeit Betroffenen waren sehr hoch. Tatsächlich jedoch war der erreichte Fortschritt zunächst eher bescheiden. Nicht wenige erfahrene Hörgerätenutzer blieben bei ihren bewährten analogen Geräten und es waren noch einige Jahre Entwicklungsarbeit erforderlich, um mit der Digitaltechnik die Erwartungen zu erfüllen.

Nur ein paar Jahre später (1997) wurde mit dem TICA (totally implanted cochlea amplifier) ein hochinnovatives Konzept zur Versorgung der Innenohr-Schwerhörigkeit vorgestellt. Ein an der TU München promovierter Ingenieur, der sich in seiner Dissertation mit piezoelektrischen Wandlern beschäftigt hatte, verfolgte in Kooperation mit der Univ.-HNO-Klinik Tübingen (Prof. Zenner) mit der von ihm gegründeten Firma die Idee, ein vollständig implantierbares Hörgerät in die klinische Anwendung zu bringen. Zahlreiche Hindernisse und Schwierigkeiten waren auf diesem Weg zu bewältigen. Unerwartet schwierig erwies sich die Ankopplung des eigentlichen Piezowandlers an die Gehörknöchelchenkette mittels einer kleinen Verbindungsstange, denn es kam zu Rückkopplungseffekten. Das Trommelfell strahlte als mitschwingende Struktur Schall in Richtung des implantierten Mikrofons ab, und als Gegenmaßnahme musste die Gehörknöchelchenkette operativ unterbrochen der werden. Diese und viele weitere Schwierigkeiten führten am Ende dazu, dass das TICA-System sich nicht klinisch etablieren konnte.

Nicht nur das TICA, sondern auch viele weitere voll- oder teil-implantierbare Hörgeräte-Entwicklungen sind mittlerweile Geschichte. Neben dem „Carina“ und den „MET“-Geräten, deren Entwicklung und Patente von einem namhaften CI-Hersteller übernommen wurden, ist auch die vielversprechende direkte akustische Stimulation der Cochlea durch das „CoDACS“-System nicht mehr am Markt. Diese Technik sollte bei Patienten mit einer ausgeprägten kombinierten Hörschädigung die für eine CI-Versorgung „noch zu gute“ Innenohrfunktion besser nutzen können und die als cochleäre Reserve bezeichnete Resthörfunktion optimal anregen. Über die Gründe, die die Firmen bewogen haben, diese interessanten Produkte nicht weiter anzubieten, kann man nur spekulieren. Allgemein sind die aktuellen Fördermöglichkeiten zur direkten Überführung innovativer Medizinprodukte oder Gentherapien aus der akademischen Grundlagenforschung in die klinische Prüfung unzureichend.

Neben den Entwicklungen im Bereich der technischen Versorgung von Hörstörungen waren in der Vergangenheit immer wieder Fortschritte im Bereich der pharmakologischen oder genetischen Forschung ein Nährboden für die Hoffnung, durch die Entwicklung von medikamentösen Behandlungen eine Wiederherstellung der Hörfunktion erreichen zu können. Besonders im Bereich der Gentherapie für die Neugenerierung oder Reparatur von Sinneszellen wurden beeindruckende Fortschritte erzielt. Die klinische Untersuchung von gentherapeutischen Verfahren zur Hörverbesserung steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Die einzige bisher an hochgradig schwerhörigen Menschen durchgeführte Studie mit dem rekombinanten Adenovirus CGF166 und dem Transkriptionsfaktor ATOH1 (Haarzelldifferenzierung) wurde im Jahr 2014 in den USA begonnen und Ende 2019 abgeschlossen. Auch wenn die Nebenwirkungen der Behandlung erfreulicherweise überschaubar waren, sind die bisher unveröffentlichten Ergebnisse noch nicht überzeugend. Wie sich aus den bei „Clinicaltrials.gov“ aufgeführten Ergebnissen entnehmen lässt, zeigte kein einziger der behandelten schwerhörigen Patienten eine klinisch signifikante Verbesserung des Sprachverstehens oder der Hörschwelle. Auch die ebenfalls mit großen Erwartungen betrachtete Stammzelltherapie wurde immer noch nicht in einer humanen klinischen Studie untersucht. Ob tatsächlich defekte Haarsinneszellen durch neue ersetzt werden können, steht also noch in den Sternen.

Mit dem neuartigen Ansatz der optischen Stimulation des Hörorgans öffnet sich nun eine neue Perspektive für weitreichende Verbesserungen der Hörfunktion. Anders als bei anderen Innovationen, wie etwa der zukünftigen Gentherapie einer relativ kleinen Gruppe mit einem spezifischen Gendefekt geht es hier um die Verbesserung des Hörens mit einem optischen CI, also um einen breit anwendbaren Ansatz der auf bewährter Technologie und Chirurgie aufbaut. Ich wünsche dem Projekt ausreichend langen Atem und das notwendige Glück bei der weiteren Entwicklung und Prüfung. Die präklinischen Daten sind vielversprechend und ich bin schon gespannt auf die weiteren Ergebnisse, insbesondere der klinischen Prüfung, die auf die bewährte Zusammenarbeit von engagierten Patienten, Ärzten und Audiologen setzen kann.

Uwe Baumann


Literatur

1.
Moser T. Mit Lichtstrahlen das Gehör wiederherstellen. GMS Z Audiol (Audiol Acoust). 2023;5:Doc01. DOI: 10.3205/zaud000027 Externer Link