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Konzeption und prototypische Implementierung eines Verfahrens zur Übernahme von medizinischen Daten in Virtuelle Patienten
Design and prototypical implementation of a method to transfer data of medical records to virtual patients
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Veröffentlicht: | 13. November 2018 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Virtuelle Patienten spielen in der medizinischen Lehre eine wichtige Rolle. Die Autoren von Virtuellen Patienten benötigen viel Zeit für die Erstellung, es ist daher von großem Interesse, die Erstellung von Virtuellen Patienten automatisiert durchzuführen. Diese Arbeit untersucht, ob es praktisch möglich ist, die relevanten Informationen aus medizinischen Informationssystemen abzufragen und implementiert prototypisch ein System, das medizinische Dokumentationsdaten aus der standardisierten HL7 FHIR Schnittstelle abfragt und in das eViP-Format für Virtuelle Patienten überführt.
Abstract
Virtual patients play an important role in medical teaching. The authors of virtual patients spend a lot of time to create virtual patients. Therefore, there is a great interest to generate virtual patients automatically using the content of medical information systems. This work researches the feasibility of requesting the relevant information from medical information systems. It furthermore implements a prototype system that requests medical data from the standardised HL7 FHIR interface and transfers it to the eViP format for virtual patients.
Motivation und Fragestellung
Virtuelle Patienten sind eine spezifische Art von Computerprogramm, mit der reale klinische Szenarien simuliert werden können [1]. Sie sind u.a. in der medizinischen Lehre bedeutend, da gerade bei speziellen Krankheitsbildern nur eine geringe Anzahl an Patienten zur Verfügung steht. Eine reduzierte Aufenthaltszeit des Patienten im Krankenhaus [2] sowie das saisonale Auftreten von bestimmten Krankheitsbildern erschweren die ausreichende Übung an realen Patienten. Virtuelle Patienten können hier Abhilfe schaffen [3]. Sie werden von den Medizinstudenten gut angenommen [4].
Diese Arbeit untersucht folgende Fragestellungen, um die automatisierte Erstellung von Virtuellen Patienten näher zu betrachten:
- Aus welchen Elementen besteht ein Virtueller Patient?
- Eignet sich die HL7 FHIR Schnittstelle dafür, diese Informationen aus vorhandenen Informationssystemen abzurufen?
- Können die Daten aus der HL7 FHIR Schnittstelle somit verwendet werden, um Virtuelle Patienten zu erstellen?
Nach Beantwortung dieser Fragen wird ein Prototyp entwickelt, um die Machbarkeit und technische Umsetzung zu überprüfen.
Stand der Wissenschaft und Technik
Klinische Routinedaten dienen oft als Ausgangsbasis für die Erstellung von Virtuellen Patienten. Diese werden typischerweise manuell von den Autoren in Virtuelle Patienten überführt, die automatische Übernahme wäre aber wünschenswert [5].
Das eViP-Format stellt einen Standard für Virtuelle Patienten dar. Dieses definiert eine Datenstruktur für die Austauschbarkeit von Virtuellen Patienten. Verschiedene E-Learning-Systeme (z.B. CAMPUS [3] oder CASUS [6]) unterstützen diesen Standard bereits. Eine Bereitstellung von klinischen Routinedaten in diesem Format ermöglicht es diesen Softwaresystemen, auf diese Daten zugreifen zu können [7].
Mit der HL7 FHIR Schnittstelle kann auf klinische Routinedaten zugegriffen werden. Diese definiert im Gegensatz zu den älteren HL7 Standards ein Datenmodell zur Übermittlung von klinischen Daten. Das Datenmodell besteht aus Ressourcen, dies sind Objekte, die im Datenmodell modelliert werden. Die einzelnen Ressourcen sind dabei über Beziehungen verknüpft. Diese Ressourcen bestehen aus unterschiedlichen Attributen und sind über einen Webservice erreichbar [8].
Zur automatisierten Erstellung Virtueller Patienten aus Patientendokumentationen sind Datenschutzbestimmungen einzuhalten. Nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte (z.B. Name, Anschrift) oder identifizierbare natürliche Person („betroffene Person“) beziehen. Identifizierbar ist eine Person bereits dann, wenn die Möglichkeit besteht, ihre Identität festzustellen [9]. Mögliche Identifizierungsmerkmale können daher auch eine Kombination verschiedener – auf den ersten Blick unbedenklich wirkender – Kriterien (z.B. Alter, Beruf, Haarfarbe, Wohnort) einer Person sein, wenn diese dadurch im Einzelfall bestimmbar wird. Dabei werden insbesondere Gesundheitsdaten (z.B. Diagnosen, Untersuchungen und Ergebnisse), genetische Daten oder biometrische Daten durch Art. 9 DSGVO als besondere Kategorie von personenbezogenen Daten angesehen, wenn sie Rückschlüsse auf eine betroffene Person ermöglichen, so dass hierfür erhöhte Datenschutzanforderungen gelten.
Forschungsmethodik und Vorgehen
Zunächst wurde eine Literaturrecherche zu der oben aufgeführten Fragestellung durchgeführt. Dabei wurde folgendes Suchprofil in der Literaturdatenbank Pubmed verwendet:
Das Ergebnis brachte 70 Treffer. Die Ergebnisse wurden anhand der Abstracts auf Relevanz geprüft. Die relevanten Artikel wurden anschließend komplett gelesen. Außer der Motivation, dass es wünschenswert wäre, Virtuelle Patienten automatisiert zu erstellen (vgl. oben), berichtete keine Publikation von dem Versuch, relevante Informationen aus der HL7 FHIR Schnittstelle abzufragen.
Daher wurden zunächst Strukturelemente identifiziert, aus denen Virtuelle Patienten bestehen. Anschließend wurde mit der HL7 FHIR Dokumentation (vgl. oben) herausgearbeitet, wie diese Informationen abgerufen werden können. Dabei wurden HL7 FHIR Ressourcen identifiziert, die diese Informationen liefern. Im Anschluss wurde mit dem Autorensystem (dient zur Erstellung von Lernfällen) des CAMPUS-Systems ein Template mit folgender Struktur erstellt, das unterschiedliche Bestandteile eines Virtuellen Patienten umfasst: Basisdaten (Alter, Körpergröße, Körpergewicht), Medien und Diagnose. Anschließend wurde ein Prototyp entwickelt, der dieses Template mit abgefragten Daten aus der HL7 FHIR Schnittstelle überschreibt. Dieser wurde in der Programmiersprache JAVA entwickelt und verwendet das Retrofit Framework [10] für den Zugriff auf den Webservice, der HL7 FHIR Ressourcen abfragt.
Ergebnisse und Diskussion
Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die identifizierten Strukturelemente von Virtuellen Patienten. Die Strukturelemente (1. Spalte) Virtueller Patienten wurden im Rahmen dieser Arbeit ermittelt. Anschließend wurden HL7 FHIR Ressourcen und die dazugehörigen Attribute (2. Spalte) identifiziert, die diese Informationen liefern. Somit wird angegeben, wie die Strukturelemente (1. Spalte) abgerufen werden können. Sollten zusätzliche Bedingungen gelten (3. Spalte), sind diese zusätzlich aufgeführt.
Der oben beschriebene Prototyp fragt für Demonstrationszwecke exemplarisch die Basisdaten (Alter, Geschlecht und Gewicht des Patienten), die Medien sowie die Diagnose aus der HL7 FHIR Schnittstelle ab und überführt diese in das eViP-Format. Um dies zu ermöglichen, werden Platzhalter in einer Vorlage überschrieben. Anschließend werden diese Informationen im CAMPUS System angezeigt.
Nach der Ausführung des Prototyps ist das Platzhalterbild in Abbildung 1 [Abb. 1] durch das über die HL7 FHIR Schnittstelle abgefragte Röntgenbild des Patienten ersetzt.
Der Prototyp zeigt, dass sich dokumentierte Daten und Medien über die HL7 FHIR Schnittstelle von einem externen System in das eViP-Format überführen lassen.
Dabei kann der Fall auftreten, dass Daten transformiert werden müssen. Dies ist beispielsweise bei der Berechnung des Patientenalters aus dem Geburtsdatum erforderlich. Der erstellte Prototyp arbeitet im jetzigen Stand mit den aufgezeigten Platzhaltern, welche mit den von der HL7 FHIR Schnittstelle gelieferten Daten überschrieben werden. Die Verwendung von Platzhaltern bringt jedoch Nachteile mit sich. Vor der Ausführung des Prototyps ist nicht bekannt, wie viele Platzhalter beispielsweise für Medien benötigt werden. Dieses Vorgehen wurde vereinfacht gewählt, um die grundsätzliche Machbarkeit zu überprüfen. Für spätere Versionen sollte die Vorlage dynamisch erstellt werden.
Da in der DSGVO u.a. das sogenannte Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt gilt, ist die Verarbeitung von personenbezogenen Daten grundsätzlich verboten und nur dann erlaubt, wenn eine Rechtsgrundlage gegeben ist oder die betroffene Person ausdrücklich ihre Einwilligung erteilt hat.
In vielen Fällen kann eine Information sinnvoll genutzt werden, ohne dass bekannt sein muss, auf wen sie sich bezieht. Ein datenschutzfreundlicher Lösungsansatz stellt daher die wirksame Anonymisierung oder Aggregieren (Zusammenführen mehrerer personenbezogener Daten zu einem Gruppendatensatz, von personenbezogenen Daten z.B. Alter: 30–40, Geschlecht: männlich) dar. Informationen sind dann nicht (mehr) auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehbar, jedoch bleibt der relevante Gehalt eines Datensatzes bestehen. Die Grundsätze des Datenschutzes – einschließlich der Anforderungen an die Einwilligung – gelten bei dieser Form der Datenangabe nicht. Damit die betroffene Person nicht mehr identifiziert werden können, sollte ein Anonymisierungsmodul implementiert werden. Dieses ruft die Daten aus der HL7 FHIR Schnittstelle ab, anonymisiert diese und überträgt die anonymisierten Daten anschließend an ein weiteres Modul. Dieses bereitet die Daten für das eViP-Format auf.
Folgerungen und Ausblick
Der erstellte Prototyp kann automatisiert Daten aus der HL7 FHIR Schnittstelle in einen Virtuellen Patienten übertragen. Damit ist es beispielsweise möglich, einen Virtuellen Patienten zu erstellen, in dem ausgelesene Basisdaten, diagnostische Bilder und die Diagnose enthalten sind (vgl. oben). Allerdings bestehen nicht unwesentliche Teile eines Virtuellen Patienten aus Expertenkommentaren, die zusätzliche Informationen zu medizinischen Sachverhalten beschreiben oder Fragen, mit deren Hilfe die Autoren die Reflektion von theoretischem Wissen bei den Benutzern unterstützen können. Diese sind nicht Bestandteil von Patientendokumentationen und können somit auch nicht in den Virtuellen Patienten automatisiert übertragen werden. Das Ergebnis muss also durch einen Autor auf diese didaktischen Aspekte hin überprüft werden. Weiterhin kann der Prototyp nur die dokumentierten Informationen in den Virtuellen Patienten übernehmen. Sollte die Dokumentation unvollständig sein, kann der Virtuelle Patient diese Information nicht enthalten und der Autor muss ggf. Ergänzungen vornehmen.
Die in Tabelle 1 [Tab. 1] aufgeführten Bestandteile eines Virtuellen Patienten können aus den aufgeführten Ressourcen abgefragt werden. Um dies vollständig umzusetzen, muss der Prototyp auf alle aufgeführten Strukturelemente eines Virtuellen Patienten (vgl. Tabelle 1 [Tab. 1]) ausgebaut werden.
Eine praxisnahe Lösung scheint mit den beschriebenen Methoden realistisch umsetzbar zu sein. Aus technischer Sicht existieren keine großen Hürden, den Prototypen für die Übertragung anderer von der HL7 FHIR Schnittstelle bereitgestellten Informationen zu erweitern. Hierzu müssen die aus der Schnittstelle abgefragten Daten in die korrekte Struktur überführt und das oben beschriebene Template an der richtigen Stelle überschrieben werden.
Die Software kann nicht genau wissen, welche Daten zu übertragen sind. Beispielsweise kann die Situation eintreten, dass in einem bestimmten Zeitraum viele diagnostische Bilder dokumentiert werden, für die Darstellung des Falls aber nur ein einziges Bild relevant ist. Der Fallautor erhält durch die Software somit eine Unterstützung durch Vorschläge potentiell relevanter Informationen, muss im Einzelfall aber die zur Lehre geeigneten Dokumentationsdaten manuell auswählen.
Die Arbeit hat viele Ansätze für die Automatisierung der Erstellung eines Virtuellen Patienten aufgezeigt. Bis es jedoch als eine praxistaugliche Lösung angesehen werden kann, muss weitere Forschungsarbeit investiert werden.
Viele Daten sind in medizinischen Informationssystemen nicht in strukturierter Weise gespeichert, z.B. Pathologie- und OP-Berichte. Für die Erstellung von Virtuellen Patienten sollten die Informationen jedoch strukturell erfasst werden. Dies würde dann die Möglichkeit eröffnen um mit feststehenden Begriffen Multiple Choice Fragen erstellen zu können. Da eine strukturierte Erfassung der Inhalte im klinischen Umfeld nicht einfach umzusetzen ist, könnten die klinischen Freitexte in einem Parsing Verfahren analysiert und gegen bekannte Klassifikationen abgeglichen werden. Dadurch könnten aus den unstrukturierten klinischen Freitexten strukturierte Einträge für das eViP-Format generiert werden. Je nach Dokumentationspraxis in den Krankenhäusern und Nutzung der unterschiedlichen Krankenhausinformationssysteme, ist eine automatisierte Übertragung inhaltlich qualitativ hochwertiger Informationen in einen Virtuellen Patienten nur mit Einschränkungen möglich. Hier stellt es sowohl ein Hindernis dar, dass nicht alle Informationen digital dokumentiert werden bzw. Abkürzungen genutzt werden. Auch ist es innerhalb eines Krankenhauses häufig variabel, wie die Funktionen eines Krankenhausinformationssystems genutzt werden.
Die Therapiedaten werden in medizinischen Informationssystemen häufig nicht auf die Weise dokumentiert, um diese automatisiert in Virtuelle Patienten übernehmen zu können. So fehlen beispielsweise häufig Angaben zu Medikamentenklasse und Medikamentendosis bzw. Therapiedauer oder Begleitmedikation. Weiterhin werden Änderungen an der Therapie häufig nicht präzise genug dokumentiert. Diese Information muss durch den Autor ergänzt werden.
Aufgrund der teilweise schwierigen und unpräzisen Grundinformationen in den Krankenhausinformationssystemen ist die Hinzunahme von Leitlinien/ Lehrbuchinhalten eine Möglichkeit, diese Lücke zu schließen. Die fehlenden Informationen könnten aus der Literatur entnommen und somit zur Erstellung von Virtuelle Patient genutzt werden. Die Entwicklung entsprechender Algorithmen hierzu ist Bestandteil weiterer Forschungsarbeiten.
Anmerkung
Interessenkonflikte
Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
- 1.
- Kononowicz AA, Zary N, Edelbring S, Corral J, Hege I. Virtual patients – what are we talking about? A framework to classify the meanings of the term in healthcare education. BMC Med Educ. 2015 Feb;15:11. DOI: 10.1186/s12909-015-0296-3
- 2.
- eViP Electronic Virtual Patients. About eViP. [cited 2017 Oct 18]. Available from: http://virtualpatients.eu/about/about-evip/
- 3.
- Haag M, Huwendiek S. The virtual patient for education and training: A critical review of the literature. it – Information. Technology Methoden und innovative Anwendungen der Informatik und Informationstechnik. 2010;52(5):281-7. DOI: 10.1524/itit.2010.0603
- 4.
- Bloice MD, Simonic KM, Holzinger A. On the usage of health records for the design of Virtual Patients: a systematic review. BMC Med Inform Decis Mak. 2013 Sep;13:103. DOI: 10.1186/1472-6947-13-103
- 5.
- Bloice MD, Simonic KM, Holzinger A. Casebook: a virtual patient iPad application for teaching decision-making through the use of electronic health records. BMC Med Inform Decis Mak. 2014 Aug;14:66. DOI: 10.1186/1472-6947-14-66
- 6.
- CASUS in.struct. Das fallbasierte multimediale Lern- und Autorensystem für die Aus- und Weiterbildung. [cited 2018 May 18]. Available from: https://www.instruct.eu/#casus_software
- 7.
- eViP Electronic Virtual Patients. eViP Technical Reference Group. [cited 2017 Oct 18]. Available from: http://virtualpatients.eu/about/about-evip/evip-technical-reference-group/
- 8.
- HL7 FHIR Foundation. FHIR Release 3 (STU). [updated Apr 19, 2017; cited 2017 Oct 18]. Available from: https://www.hl7.org/fhir/
- 9.
- Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung). 2016. Available from: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32016R0679&from=DE
- 10.
- Square, Inc. Retrofit 2.3.0 API. [cited 2017 Oct 18]. Available from: https://square.github.io/retrofit/2.x/retrofit/