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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

„Das Lernende Gesundheitssystem: forschungsbasiert, innovativ, vernetzend“ – 63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) e.V.

Editorial

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  • corresponding author Ursula Hübner - Hochschule Osnabrück, Medizinische und Gesundheitsinformatik, Osnabrück, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2018;14(2):Doc12

doi: 10.3205/mibe000190, urn:nbn:de:0183-mibe0001905

Veröffentlicht: 30. August 2018

© 2018 Hübner.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Editorial

Die 63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) e.V. vom 2. bis 6. September 2018 in Osnabrück wird durch das Motto „Das Lernende Gesundheitssystem: forschungsbasiert, innovativ, vernetzend“ geleitet. Die Fächer der GMDS bilden dabei ein essentielles Bündel von Kompetenzen, ohne die ein Lernendes Gesundheitssystem (LGS) nicht funktionieren kann: Entwickeln, Anwenden, Evaluieren und Lehren von Forschungsmethoden in Medizin und Gesundheitswesen und von wissenschaftlichen Verfahren eines digitalisierten Gesundheitswesens.

Das Konzept des Lernenden Gesundheitssystems wird seit seiner ersten Veröffentlichung in 2007 [1] als ein Kompass verstanden, verschiedenste Aktivitäten eines umfassenden datengetriebenen Feedback-Mechanismus in Medizin und im Gesundheitswesen zusammenzufassen, die einen kontinuierlichen Dialog zwischen Forschung und Praxis der Patientenversorgung befeuern. Ziel dieses Dialogs ist es, neues Wissen möglichst in Echtzeit zu generieren und schnell zu disseminieren, um darüber bessere Entscheidungen für den Patienten zu erzielen, Veränderungsprozesse im Gesundheitswesen anzustoßen und Wandel herbeizuführen [2], [3]. Dabei spielen Methoden des Managements von Daten aus klinischen Studien und aus der Patientenversorgung zur sekundären Verwertung, der Datenaggregation und Datenanalyse sowie der Interpretation und der schnellen Verbreitung des medizinischen Wissens eine zentrale Rolle [3]. Ein Lernendes Gesundheitssystem verpflichtet sich der Schaffung von Transparenz mittels Überwachung nicht zuletzt von Patientensicherheit, Qualität und Patientenergebnissen [4]. Dass dies nur digital bewältigt werden kann, ist selbstredend. Dies erfolgt in einem von Ethik, Datenschutz und Datensicherheit geprägten Rahmen [3].

Trotz seines umfassenden Konzeptes besteht ein Lernendes Gesundheitssystem immer aus einzelnen Bausteinen und kann auf unterschiedlichen Ebenen (Einrichtung, Netzwerk oder Region, Land oder länderübergreifend [5], [6]) wirksam werden. Auch hinsichtlich seiner thematischen Ausrichtung kann es fokussiert eine Domäne ins Zentrum stellen oder breiter aufgestellt sein.

Von der Vielfalt der Themen eines Lernendes Gesundheitssystems (LGS) auf der 63. GMDS Jahrestagung 2018 werden in diesem Heft der Zeitschrift Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (MIBE) wichtige Aspekte in den vier folgenden Artikeln aufgegriffen, die ein Schlaglicht auf selektive Bausteine eines LGS werfen, jedoch auch für sich alleine stehen können.

Der erste Beitrag ist der Datenanalyse von klinischen Studien zur abgesicherten Nutzenbewertung von Interventionen für die Praxis zuzuordnen. In der Arbeit Untersuchung von Methoden zur Übertragbarkeit von Ergebnissen von Studienpopulationen auf Teilpopulationen thematisieren die Autoren Beckmann, Grouven, Kieser, Sieben, Skipka und Bender [7] die Fragestellung, wie der Nutzen und Schaden einer Prüfintervention im Vergleich zu einer Kontrolle bewertet werden kann, wenn sich dieser in der Studienpopulation als statistisch bedeutsam darstellt, jedoch nicht in der Zielpopulation. Eine solche Problematik kann auftreten, wenn sich die Studienpopulation aus zwei Teilpopulationen zusammensetzt, von denen nur eine, nämlich die Zielpopulation, Relevanz für die Bewertung besitzt. Die Autoren schlagen ein Verfahren vor, das unter Berücksichtigung des Fehlers 1. Art und der Power sich am geeignetsten erwies.

Daten eines Lernenden Gesundheitssystem ergeben sich aus einer Vielzahl von Quellen unter anderem auch von frei zugänglichen Datenbanken wie CIRSmedical, eines bundesweiten Critical Incident Reporting Systems (CIRS) zur Berichterstattung von Fehlern, Beinahe-Schäden und kritischen und unerwünschten Ereignissen. Der zweite Beitrag, Die Datenqualität des CIRSmedical – geeignet für eine systematische Analyse? von Tetzlaff, Schröder, Beck und Schrader [8] untersucht die Frage, ob die aktuell in CIRSmedical vorliegenden Daten hinsichtlich Vollständigkeit, Wertschöpfung, Verständlichkeit, Zeit/Aktualität und Zugänglichkeit hinreichend geeignet sind, um systematisch ausgewertet werden zu können. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass dies nur eingeschränkt der Fall ist, da durch viele fehlende Angaben die Vollständigkeit der Datensätze nicht gegeben sei. Die Autoren fordern daher ein einheitliches Datenmanagement und eine strukturierte Eingabemöglichkeit. Dieser Beitrag liefert wichtige methodische Erkenntnisse zu einem System, das explizit als Lernsystem angedacht ist und mit seinem Fokus auf Patientensicherheit ein zentrales Thema eines Lernenden Gesundheitssystems adressiert.

Auch der dritte Beitrag, Prospektive Risikoanalyse: Die Ähnlichkeit von Medikamentennamen in der Drugbank-Datenbank von Schrader, Tetzlaff, Schröder und Beck [9] widmet sich der Patientensicherheit – hier aus der Perspektive der Arzneimitteltherapiesicherheit. Die Autoren untersuchen Medikamentennamen in einer frei zugänglichen Datenbank auf look-alike und sound-alike Verwechslungen, ein Fehler, der – wie die Autoren verdeutlichen – nicht selten zu unerwünschten Arzneimittelereignissen führt. Sie stellen die Ergebnisse ihrer Untersuchung mittels verschiedener Ähnlichkeitsmaße in den Gesamtkontext einer verbesserten Prädiktion von Verwechslungen und schlagen vor, weitere Angaben zur Vorhersage hinzuzuziehen.

Der vierte und letzte Beitrag, Ethische Anforderungen an elektronische transsektorale Kommunikation im Gesundheitswesen von Schulte, Hübner und Remmers [10] betrachtet das Lernende Gesundheitssystem aus dem Blickwinkel der Vernetzung, ohne die kein Austausch, keine Sammlung und keine Analyse von Patientendaten möglich ist. Dabei gehen die Autoren der Frage nach, welche konkreten ethischen Fragen beantwortet werden müssen, um festzustellen, ob ein elektronisches System zur transsektoralen Kommunikation den Prinzipien der Autonomie, der Schadensverhütung, der Fürsorge und der Gerechtigkeit als ethischer Maßstab gerecht wird.

Die Wissenschaft ist einem Lernenden Gesundheitssystem insbesondere über die Herstellung und Wahrung wissenschaftlicher Integrität verpflichtet, um die Validität und Glaubwürdigkeit der Ergebnisse sicherzustellen [11]. Die vier Artikel leisten hierzu einen wertvollen Beitrag.


Literatur

1.
Institute of Medicine (US) Roundtable on Evidence-Based Medicine; Olsen LA, Aisner D, McGinnis JM, editors. The Learning Healthcare System: Workshop Summary. Washington (DC): National Academies Press (US); 2007.
2.
Friedman C, Rubin J, Brown J, Buntin M, Corn M, Etheredge L, Gunter C, Musen M, Platt R, Stead W, Sullivan K, Van Houweling D. Toward a science of learning systems: a research agenda for the high-functioning Learning Health System. J Am Med Inform Assoc. 2015 Jan;22(1):43-50. DOI: 10.1136/amiajnl-2014-002977 Externer Link
3.
Lessard L, Michalowski W, Fung-Kee-Fung M, Jones L, Grudniewicz A. Architectural frameworks: defining the structures for implementing learning health systems. Implement Sci. 2017 Jun 23;12(1):78. DOI: 10.1186/s13012-017-0607-7 Externer Link
4.
Committee on the Learning Health Care System in America; Institute of Medicine, Smith M, Saunders R, Stuckhardt L, McGinnis JM, editors. Best Care at Lower Cost: The Path to Continuously Learning Health Care in America. Washington (DC): National Academies Press; 2013 [accessed 2018 Jun 7]. 5 A Continuously Learning Health Care System. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK207218/ Externer Link
5.
Delaney BC, Curcin V, Andreasson A, Arvanitis TN, Bastiaens H, Corrigan D, Ethier JF, Kostopoulou O, Kuchinke W, McGilchrist M, van Royen P, Wagner P. Translational Medicine and Patient Safety in Europe: TRANSFoRm – Architecture for the Learning Health System in Europe. Biomed Res Int. 2015;2015:961526. DOI: 10.1155/2015/961526 Externer Link
6.
Budrionis A, Bellika JG. The Learning Healthcare System: Where are we now? A systematic review. J Biomed Inform. 2016 12;64:87-92. DOI: 10.1016/j.jbi.2016.09.018 Externer Link
7.
Beckmann L, Grouven U, Kieser M, Sieben W, Skipka G, Bender R. Untersuchung von Methoden zur Überprüfbarkeit von Ergebnissen von Studienpopulationen auf Teilpopulationen. GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2018;14(2):Doc11. DOI: 10.3205/mibe000189 Externer Link
8.
Tetzlaff L, Schröder C, Beck E, Schrader T. Die Datenqualität des CIRSmedical – geeignet für eine systematische Analyse? GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2018;14(2):Doc10. DOI: 10.3205/mibe000188 Externer Link
9.
Schrader T, Tetzlaff L, Schröder C, Beck E. Prospektive Risikoanalyse: Die Ähnlichkeit von Medikamentennamen in der Drug-Datenbank. GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2018;14(2):Doc09. DOI: 10.3205/mibe000187 Externer Link
10.
Schulte G, Hübner U, Remmers H. Ethische Anforderungen an elektronische transsektorale Kommunikation im Gesundheitswesen. Formulierung zentraler Fragestellungen auf Basis eines Literaturreviews. GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2018;14(2):Doc08. DOI: 10.3205/mibe000186 Externer Link
11.
Friedman CP, Rubin JC, Sullivan KJ. Toward an Information Infrastructure for Global Health Improvement. Yearb Med Inform. 2017 Aug;26(1):16-23. DOI: 10.15265/IY-2017-004 Externer Link