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ISSN 2698-6388

Musiktherapie im palliativen Setting

Kurzbeitrag

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  • corresponding author Dieter Korczak - GP Forschungsgruppe, Institut für Grundlagen- und Programmforschung, München, Deutschland
  • author Monika Wastian - Institut für Organisationspsychologie, München, Deutschland
  • author Michael Schneider - Ludwig-Maximilians-Universität, Institut für Soziologie, München, Deutschland

GMS Health Technol Assess 2013;9:Doc07

doi: 10.3205/hta000113, urn:nbn:de:0183-hta0001139

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/hta/2013-9/hta000113.shtml

Veröffentlicht: 23. Juli 2013

© 2013 Korczak et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.

Der vollständige HTA Bericht in deutscher Sprache ist verfügbar unter: http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta362_bericht_de.pdf


Zusammenfassung

Die Erwartungen an die Betreuung unheilbar erkrankter Menschen sind Trost zu spenden, Schmerzen zu lindern und Angst zu nehmen. Deshalb versucht palliative Versorgung, Todkranke in ihrer letzten Lebensphase zu unterstützen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Die Frage ist, inwieweit Musiktherapie die Lebensqualität steigern kann. Bis jetzt gibt es dafür nur schwache Evidenz, da zu wenig verwertbare Studien vorliegen.

Schlüsselwörter: Hospize, Musiktherapie, Palliativpflege, Palliativversorung, Sterbebegleitung


Kurzfassung

Gesundheitspolitischer Hintergrund

Schon seit längerem wird in Deutschland diskutiert, dass eine Fokussierung auf klinisch-kurative und apparatedominierte Hilfeleistungen in den letzten Tagen des Lebens nicht dem Anspruch einer ganzheitlichen Versorgung von Sterbenden entspricht. Als Gegenbewegung zu dieser Entwicklung haben sich seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland Hospizangebote ausgebreitet. Im Rahmen von Palliativstationen und Hospizen wird versucht, eine Betreuung und eine Unterstützung zu ermöglichen, die in den letzten Lebenstagen auf die Menschenwürde, die Lebensqualität und die Selbstbestimmung von unheilbar erkrankten Menschen angemessen eingehen. Der Einsatz von Musiktherapie gehört dazu.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Patienten mit schweren Erkrankungen, bei denen eine Heilung nicht mehr möglich ist, bedürfen einer professionellen palliativen Versorgung. Im Unterschied zur kurativen Medizin steht bei der palliativen Medizin nicht die Lebenserhaltung bzw. -verlängerung im Mittelpunkt, sondern die Verbesserung der Lebensbedingungen in der letzten Lebensphase.

Es gibt Hinweise aus der wissenschaftlichen Literatur, dass Musiktherapie auf Palliativstationen und in Hospizen in der Lage ist, in der allerletzten Lebensphase Trost zu spenden, die Lebensqualität zu steigern sowie die emotionalen Belastungen (u. a. Depression, Angst, Schmerz) für Angehörige und das medizinisch-pflegerische Fachpersonal zu verringern. Diese Ergebnisse stützen sich im Wesentlichen auf Studien mit kleinen Stichproben und methodisch schwachen Untersuchungsdesigns sowie zu einem erheblichen Anteil auch auf Masterarbeiten.

Forschungsfragen

Die medizinischen Forschungsfragen versuchen zu klären, welche Effektivität musiktherapeutische Interventionen im palliativen Setting für die Verbesserung der Lebensqualität, für die Reduktion von Schmerzen, für die Reduktion von Angst, für die Verbesserung physiologischer Parameter, für Entspannung und für die Entwicklung einer positiven Grundstimmung haben.

Die ökonomische Forschungsfrage befasst sich mit der Bewertung der Kosten-Nutzen-Wirksamkeit des Einsatzes von Musiktherapie.

Unter ethischen und sozialen Gesichtspunkten wird der Frage nachgegangen, ob der Einsatz von Musiktherapie ein würdevolles und selbstbestimmtes Sterben im palliativen Kontext unterstützt sowie ob die Patienten die Kontrolle über den Sterbeprozess behalten und persönliche Wertorientierungen und spirituelle Bedürfnisse angemessen berücksichtigt werden.

Methodik

Die elektronische Literaturrecherche erstreckt sich auf Veröffentlichungen in deutscher und englischer Sprache in 34 internationalen Datenbanken (u. a. EMBASE, PsycINFO, MEDLINE, Cochrane).

Es wurde Literatur aus dem Zeitraum 2007 bis einschließlich Juli 2012 berücksichtigt. Die Treffer sind von zwei unabhängigen Gutachtern anhand der vorab definierten Ein- und Ausschlusskriterien beurteilt worden. Die Auswahl der berücksichtigten Studien erfolgte anhand einer Sichtung der Volltexte.

Medizinische Forschungsergebnisse

Es sind fünf medizinische Studien gefunden worden, darunter ein Review, eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) sowie drei Prä-Post-Studien. Die Studien stammen aus Australien, den USA, Kanada und Taiwan.

Die mögliche Effektivität von Musiktherapie auf die Lebensqualität von Palliativpatienten wird in mehreren Studien untersucht. Es zeigt sich ein schwacher bis mittlerer Effekt. Die Beurteilung des Einsatzes von Musiktherapie für die Reduktion von Schmerzen ist inkonsistent. Angst wird durch Musiktherapie bei Palliativpatienten nicht signifikant reduziert. Schwache physiologische Effekte werden nur in einer Studie beim Einsatz von Theta-Wellen in Kombination mit Fantasiereisen festgestellt.

Vereinzelt wird berichtet, dass durch Musiktherapie im Vergleich zu Standardtherapie bessere Entspannungswerte und eine positivere Grundstimmung erzielt werden können.

Ökonomische Ergebnisse

Lediglich eine Studie befasst sich mit Kosten-Nutzen-Aspekten des Einsatzes von Musiktherapie. Die Studie zeigt, dass Musiktherapie im Vergleich zur Standardtherapie kostenneutral ist, da durch Musiktherapie Medikationskosten und Betreuungsaufwand eingespart werden. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Studienergebnisse auf der Auswertung von lediglich 16 Fällen in einem Privathospiz basieren.

Ethische und soziale Ergebnisse

Die Studien befassen sich empirisch nicht mit den spirituellen Bedürfnissen der Studienteilnehmer. Es gibt lediglich vereinzelte Hinweise, dass die Spiritualität der Palliativpatienten durch Musiktherapie verbessert werden kann.

Diskussion

Die Anzahl der Studien zur Wirksamkeit von Musiktherapie ist äußerst begrenzt. Die Studien sind methodisch von ausgesprochen geringer Qualität, das Biasrisiko ist sehr hoch. Die Studien basieren überwiegend auf kleinen Stichproben, die Randomisierung ist häufig unklar, die Intervention bezieht sich zumeist auf eine Sitzung, die Länge der Intervention reicht von rund 20 bis 60 Minuten und ist meist nicht kontrolliert. Die Wirksamkeitsmessung erfolgt unmittelbar nach der Intervention und beschränkt sich zumeist auf Patienten-Selbsteinschätzungen und Einzel-Items. Längere Follow-up-Messungen zur Erhebung nachhaltiger Effekte erfolgen nicht. Es bestehen insgesamt große Zweifel an der Reliabilität und Validität der Ergebnisse.

Schlussfolgerung

Die Qualität der durch die elektronische Datenbanksuche zur Musiktherapie in der Palliativmedizin gefundenen Studien ist für eine evidenzbasierte Empfehlung zu niedrig. Die in der wissenschaftlichen Literatur diskutierte Wirkung der Musiktherapie bildet sich nicht in ausreichender Weise in den Studien ab.

Es bedarf neuer, qualitativ hochwertiger Studien, damit eine evidenzbasierte Empfehlung für oder gegen den Einsatz der Musiktherapie in der Palliativmedizin abgegeben werden kann.


Anmerkungen

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.

INAHTA-Checkliste

Checkliste für HTA-bezogene Dokumente (Anhang 1 [Anh. 1]).