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ISSN 2698-6388

Wirksamkeit von Diäten zur nachhaltigen Gewichtsreduktion bei Übergewicht und Adipositas

Kurzbeitrag

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  • corresponding author Dieter Korczak - GP Forschungsgruppe, Institut für Grundlagen- und Programmforschung, München, Deutschland
  • Christine Kister - GP Forschungsgruppe, Institut für Grundlagen- und Programmforschung, München, Deutschland

GMS Health Technol Assess 2013;9:Doc06

doi: 10.3205/hta000112, urn:nbn:de:0183-hta0001122

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/hta/2013-9/hta000112.shtml

Veröffentlicht: 10. Juni 2013

© 2013 Korczak et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.

Der vollständige HTA Bericht in deutscher Sprache ist verfügbar unter: http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta345_bericht_de.pdf


Zusammenfassung

Es wird untersucht, welche Diäten als Therapie bei übergewichtigen und fettleibigen Menschen erfolgreich sind. Generell sind alle betrachteten Ernährungsprogramme wirksam. Neben ihrer Ernährung müssen Patienten jedoch auch Bewegungsverhalten und Lebensstil anpassen, um einen langfristigen Erfolg zu erzielen.

Schlüsselwörter: Adipositas, Diät, Gewichtsverlust, Gewichtszunahme, Körpermasse-Index, Mahlzeitenersatz, Übergewicht


Kurzfassung

Gesundheitspolitischer Hintergrund

Übergewicht und Adipositas sind eine typische Begleiterscheinung von Wohlstandsgesellschaften und stellen eines der schwerwiegendsten gesundheitspolitischen Probleme dar. In Deutschland ist 2012 bereits jeder zweite Erwachsene übergewichtig (Männer 67,1%; Frauen 53%). Rund jeder vierte Erwachsene ist adipös (Männer 23,9%, Frauen 23,3%). Adipositas weist als chronische Krankheit eine eingeschränkte Lebensqualität sowie ein hohes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko auf. Ein gegenwärtig noch nicht gelöstes Problem ist, dass diätetische und verhaltensmedizinische wie aufwendige Lebensstilprogramme nur bei wenigen Betroffenen nachhaltig wirken (Jo-Jo-Effekt).

Wissenschaftlicher Hintergrund

In der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision (ICD 10) wird „Adipositas und sonstige Überernährung“ unter E65 bis E68 in Kapitel IV der ICD-10 als Krankheit aufgeführt. Die Differenzierung der Adipositas nach unterschiedlichen Schweregraden erfolgt in der Regel nach dem Body-Mass-Index (BMI). Bei Erwachsenen beginnt das Übergewicht ab einem BMI von 25 kg/m², ab einem BMI ≥30 kg/m² wird das Übergewicht als Adipositas bezeichnet. Je nach Schweregrad der Adipositas ist das Risiko für Begleiterkrankungen gegeben: Adipositas Grad I (BMI 30 bis 34,9 kg/m²) weist ein erhöhtes Risiko, Adipositas Grad II (BMI 35 bis 39,9 kg/m²) ein hohes Risiko, Adipositas Grad III (BMI ≥40 kg/m²) ein sehr hohes Risiko auf.

Als Ursache von Übergewicht und Adipositas werden verschiedene Faktoren diskutiert, unter anderem genetische Faktoren, vorgeburtliche und frühkindliche Faktoren, familiäre Dispositionen, der Lebensstil, Dauerstress, psychosoziale Belohnungsmechanismen, zentrale Steuerungsmechanismen im Gehirn und besonders das Ernährungs- und Bewegungsverhalten sowie adipogene Umweltbedingungen.

Das primäre Ziel der Adipositastherapie ist nicht die größtmögliche Reduktion des Körpergewichts, sondern die langfristige Stabilisierung eines mäßig reduzierten Körpergewichts (5 bis 10% des Ursprungsgewichts). Dies kann durch unterschiedliche Therapieformen erreicht werden. Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) empfiehlt ein Stufenprogramm. Demnach sollen in der Gewichtsreduktionsphase der Fettverzehr reduziert und der Energieverbrauch um mindestens 2.500 kcal/Woche erhöht werden. Für die Gewichtsstabilisierungsphase wird eine mäßig reduzierte Mischkost und ein Energieverbrauch von mindestens 1.500 kcal/Woche empfohlen. Bei einem Mahlzeitenersatz mit Formuladiäten oder einer Formuladiät als Ersatz der Tagesration kann kurzfristig ein höherer Gewichtsverlust erzielt werden. Die Diäten sollten von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen begleitet werden.

Als Kriterium für eine nachhaltig bzw. langfristig erfolgreiche Gewichtsstabilisierung gilt, wenn nach sechs bis zwölf Monaten das angestrebte Therapieziel erreicht und gehalten wird.

Medizinische Forschungsfragen

Der Health Technology Assessment (HTA)-Bericht prüft, welche Diäten (fettreduziert, proteinreich, kohlenhydratarm bzw. -reich, kalorienreduziert, vegan, Nahrungsmittelersatz) für eine nachhaltige Gewichtsstabilisierung wirksam sind.

Ökonomische Forschungsfragen

Es wird die Frage nach der Kosten-Nutzen-Beziehung einzelner Adipositastherapien für eine nachhaltige Gewichtsstabilisierung gestellt.

Ethisch-soziale Forschungsfragen

Es wird der Frage nach ethisch-sozialen Implikationen sowie den sozialen Determinanten und Auswirkungen von Adipositas nachgegangen.

Methodik

Zur Ermittlung der relevanten Literatur ist eine systematische elektronische Datenbankrecherche in 32 Datenbanken (u. a. Cochrane, MEDLINE, EMBASE, SciSearch) im April 2012 und eine Handrecherche durch die Autoren vorgenommen worden. Es sind englische und deutsche Titel aus dem Zeitraum 2007 bis einschließlich 2012 berücksichtigt worden. Als Suchbegriffe wurden unter anderem Übergewicht, Adipositas, Diät sowie nachhaltige Gewichtsreduktion verwendet. Die durch die Datenbankrecherche gefundenen Treffer sind unabhängig von zwei Gutachtern anhand definierter Ein- und Ausschlusskriterien in zwei Schritten (Abstractsichtung, Volltextbegutachtung) auf ihre Relevanz für das Thema geprüft worden. Der Evidenzgrad der Studien wurde anhand der Evidenzskalierung des Oxford Centre of Evidence-based Medicine festgestellt.

Medizinische Forschungsergebnisse

Es sind 33 medizinische Studien berücksichtigt worden. Die Studien stammen vorwiegend aus dem angloamerikanischen Raum, vor allem aus den USA (14 Studien), nur eine Studie ist aus Deutschland. Nahezu alle Studien weisen aufgrund des Studiendesigns (Metaanalyse, randomisierte kontrollierte Studie [RCT]) eine hohe Evidenz (Evidenzgrad 1A bis 2C) auf, nur zwei Studien haben eine geringe Evidenz (Evidenzgrad 4).

Die Ergebnisse weisen aufgrund unterschiedlicher Interventions- und Follow-up-Zeiträume eine relativ große Schwankungsbreite auf. In einigen Studien wird das angestrebte Ziel der Stabilisierung eines 10%igen Gewichtsverlust erreicht. Fettreduzierte Diäten können in einer Studie nach neun Monaten eine 18%ige Gewichtsreduktion vom Ausgangsgewicht stabilisieren. Die Drop-out-Rate ist jedoch sehr hoch (49%). Proteinreiche Diäten können gemäß einer Studie eine Gewichtsreduktion von 14,7% nach 15 Monaten halten. Auch bei dieser Studie ist die Drop-out-Rate hoch (41%). In einer anderen Studie erzielt die proteinreiche Diät eine Gewichtsstabilisierung von 9,7% nach zwölf Monaten (Drop-out-Rate 36%). Zur Wirksamkeit kohlenhydratreicher Diäten liegen drei Studienergebnisse vor. Eine Studie weist einen Gewichtsverlust von 13% nach 15 Monaten aus, die zweite Studie von 8% nach zwölf Monaten, die dritte Studie von 4% nach 30 Monaten. Die Ergebnisse zu kohlenhydratreduzierten Diäten sind nicht eindeutig. Ein systematisches Review zeigt, dass kohlenhydratarme Diäten kurzfristig effektiver Gewicht reduzieren können als fettarme Diäten, aber fettarme Kostformen einen Gewichtsverlust innerhalb von drei Jahren begünstigen.

Fünf Studien befassen sich mit der Wirksamkeit einer reduzierten Energiezufuhr auf eine dauerhafte Gewichtsstabilisierung und können diese belegen, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Die Kalorienreduktion beträgt in der Regel ca. 500 kcal, daraus ergibt sich eine tägliche Energiezufuhr von ca. 1.500 kcal. Rund ein Jahr nach Ende der Intervention kann mit dieser Diätform eine Gewichtsreduktion von 7,6 bis 9,4% stabilisiert werden. Nach rund 30 Monaten beträgt die Gewichtsreduktion 4%. Zur Wirkung veganer Diäten liegt nur eine Studie vor, die nach einem Jahr einen Gewichtsverlust von 5,6% und nach zwei Jahren von 3,5% dokumentiert.

Formuladiäten sind in sechs Studien als erfolgreiche Gewichtsreduktions- und -stabilisierungsmaßnahmen untersucht worden. Die Ergebnisse weisen jedoch eine sehr hohe Schwankungsbreite auf und reichen von 2,5% Gewichtsreduktion nach 34 Wochen bis hin zu rund 10% im Follow-up nach zwölf Monaten. Bei Adipositas Grad III-Probanden wird mit der Kombination von Mahlzeitenersatz mit Formuladiäten und Verhaltenstherapie nach 30 Monaten eine Gewichtsstabilisierung von rund 23,5% erzielt.

Kombinierte Programme bestehend aus Diät und körperlicher Aktivität erreichen einen größeren nachhaltigen Gewichtsverlust als eine allein auf Diät basierende Intervention.

Durch eine verhaltenstherapeutische Intervention, die in der Bestärkung von selbstregulatorischen Handlungsmustern wie regelmäßige Kontrolle des Körpergewichts, eigenständiges Bestärken bei Erfolgen und sofortiges selbstständiges Gegensteuern bei einer Gewichtszunahme besteht, wird nach 18 Monaten eine Gewichtsstabilisierung von minus 15% gegenüber dem Ursprungsgewicht erreicht.

Insgesamt haben sich als wirksame Faktoren für die Gewichtsstabilisierung erwiesen: ein tägliches Kaloriendefizit von 400 bis 600 kcal, regelmäßige körperliche Aktivität (2.000 kcal/Woche), fettarme Ernährung, reichlicher Verzehr von Obst und Gemüse, regelmäßige Verwendung von Nahrungsersatzmitteln, regelmäßige Selbstkontrolle und kontinuierliches Coaching oder verhaltenstherapeutische Unterstützung, vor allem wenn diese Faktoren als Mehrkomponentenprogramm konzipiert sind. Die Unterstützung durch eine Gruppe und die regelmäßige Anwesenheit bei Gruppensitzungen ist mit weiteren signifikanten Gewichtsverlusten in der Stabilisierungsphase verbunden. Wesentlich für den Erfolg von Gewichtsstabilisierungsmaßnahmen ist auch, dass die Ernährungsberatung die individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Ressourcen eines Patienten sowie seine spezifische Risikofaktoren berücksichtigt und realistische Ziele setzt.

Ökonomische Ergebnisse

Die Studien geben auf die ökonomische Fragestellung keine Antwort. Nur in einer US-amerikanischen Studie findet sich der Hinweis, dass sich die Medikationskosten durch die Therapie von wöchentlich 157 US-Dollar (USD) auf 57 USD reduziert haben. Diese Studie kann auch belegen, dass bei Adipositas III-Patienten eine Adipositastherapie eine effektive und kostengünstigere Alternative zu einer Operation sein kann.

Ethisch-soziale Ergebnisse

Zu der ethisch-sozialen Fragestellung liegt nur eine US-amerikanische Studie vor. Sie betont die Bedeutung und den Einfluss adipogener Lebenswelten auf den Erfolg von Gewichtsstabilisierungsmaßnahmen und für die Realisierung von sozialer Gerechtigkeit.

Wenn die Nachbarschaft und das Arbeits- und Wohnungsumfeld von Schnellimbissen und Fast-Food-Ketten mit einem hochkalorischen billigen Nahrungsmittelangebot einerseits und fehlenden Angeboten an frischem Obst und Gemüse sowie an kostengünstigen Freizeiteinrichtungen für sportliche Betätigung andererseits bestimmt wird, dann sind für die Einwohner eines solchen Stadtviertels die Möglichkeiten für die Umsetzung einer gesundheitsbewussten Lebensweise gering.

Diskussion

Die Zielsetzung, eine 10%ige Gewichtsreduktion gegenüber dem Ursprungsgewicht über einen längeren Zeitraum zu stabilisieren, ist anspruchsvoll. Unabhängig von der Diät erreichen nur in wenigen Studien die Teilnehmer dieses Ziel. Die Bewertung der Studien wird dadurch erschwert, dass zumeist nur Durchschnittswerte des prozentualen Gewichtsverlusts der Gesamtgruppe angegeben werden. Eine Darstellung, wie viel Prozent der Teilnehmer tatsächlich >10% des Gewichtsverlusts stabilisieren, fehlt zumeist. Eine weitere wesentliche Limitation in den Studien ist, dass die Gewichtsstabilisierungsphase bei mehreren Studien unter einem Jahr liegt, was den nachhaltigen Effekt der Diät bzw. des Gewichtsmanagementprogramms schwer beurteilen lässt. Hinzu kommt, dass meist eine hohe Drop-out-Rate bzw. ein hoher Verlust im Follow-up zu beobachten ist. Dies schränkt die Aussagefähigkeit der Ergebnisse der Studien ein. Eine Schwierigkeit im Aufbau der Studien ist die Evaluierung des tatsächlichen Ernährungsstatus der teilnehmenden Personen. Dies erfolgt meist durch die Selbstauskunft der Probanden anhand von Ernährungsprotokollen. Diese Vorgehensweise birgt immer die Gefahr der Verzerrung der Ergebnisse, da nur wenige Studien anhand von biochemischen Untersuchungen den Wahrheitsgehalt der Protokolle untersuchen. Ein weiterer Confounder, der in manchen Studien nicht ausreichend kontrolliert wird, ist der mögliche Einfluss der körperlichen Aktivität auf den Gewichtsverlust. Des Weiteren sind in einigen Studien nur kleine Fallzahlen zu verzeichnen, keine exakt formulierten Ein- und Ausschlusskriterien definiert und die Vergleichbarkeit der Gruppen bzw. Studien ist eingeschränkt. Drei Studien weisen eine fragwürdige finanzielle Unterstützung auf. Keine Studie ist als RCT mit Doppelverblindung und Placebokontrolle durchgeführt worden. Die Mehrzahl der Studien weist jedoch zumindest einen randomisiert kontrollierten Aufbau auf; nur vier Studien entsprechen diesem Niveau nicht und sind dementsprechend in ihrer Aussagefähigkeit eingeschränkt.

Schlussfolgerung

Unter Berücksichtigung der ermittelten wirksamen Faktoren kann mit dem Einsatz von (fett- und energiereduzierenden, protein- und kohlenhydratreichen) Adipositasdiäten, vor allem in Form einer Mehrkomponentendiät, erfolgreich eine Gewichtsstabilisierung erreicht werden. Aufgrund der zahlreichen intervenierenden externen Einflussfaktoren einer adipogenen Lebenswelt wird die Gewichtsstabilisierung nach einer Gewichtsreduktion, vor allem für Adipöse aus sozial benachteiligten Schichten, erschwert. Hier ist entsprechender gesundheitspolitischer Handlungsbedarf geboten. Verhältnispräventive Maßnahmen sollten Folgen der Urbanisierung, das Infrastruktur- und das Lebensmittelangebot betreffen und könnten auch Werbe- und Marketingmaßnahmen berühren. Forschungslücken bestehen hinsichtlich der Kostenwirksamkeit von Adipositasdiäten und der Frage, inwieweit sozial benachteiligte Schichten durch Adipositastherapien erreicht werden.


Anmerkungen

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.

INAHTA-Checkliste

Checkliste für HTA-bezogene Dokumente (Anhang 1 [Anh. 1]).