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GMS Health Innovation and Technologies

EuroScan international network e. V. (EuroScan)

ISSN 2698-6388

Beschreibung und Bewertung der fachärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern in Deutschland

Kurzbeitrag

  • corresponding author Katrin Balzer - Sektion Forschung und Lehre in der Pflege, Institut für Sozialmedizin, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • author Stefanie Butz - Institut für Sozialmedizin, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • Jenny Bentzel - Institut für Sozialmedizin, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • Dalila Boulkhemair - Institut für Sozialmedizin, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • author Dagmar Lühmann - Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland

GMS Health Technol Assess 2013;9:Doc02

doi: 10.3205/hta000108, urn:nbn:de:0183-hta0001086

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/hta/2013-9/hta000108.shtml

Veröffentlicht: 23. April 2013

© 2013 Balzer et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.

Der vollständige HTA Bericht in deutscher Sprache ist verfügbar unter: http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta298_bericht_de.pdf


Zusammenfassung

Es wird die Versorgung in Pflegeheimen auf Basis wissenschaftlicher Studien untersucht. Schwerpunkte der Analyse sind Demenz und Diabetes. Es gibt Hinweise auf fachärztliche Versorgungsmängel bei Pflegeheimbewohnern mit diesen Krankheiten in Deutschland. Verglichen mit entsprechenden Leitlinien bestehen mögliche Unter- bzw. Fehlversorgungen.

Schlüsselwörter: alte Menschen, Deutschland, medizinische Grundversorgung, Pflegeheime


Kurzfassung

Gesundheitspolitischer Hintergrund

2009 wurden rund 718.000 Pflegebedürftige in Pflegeheimen betreut. Diese Personengruppe ist durch eine hohe Prävalenz von chronischen Erkrankungen, gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Multimorbidität charakterisiert, woraus ein hoher medizinischer und pflegerischer Versorgungsbedarf resultiert. Im Gegenzug gibt es aus empirischen Analysen und Diskussionen in der Fachöffentlichkeit Hinweise auf eine (fach-)ärztliche Unter- und Fehlversorgung von Heimbewohnern in Deutschland [1], [2].

Wissenschaftlicher Hintergrund

In mehreren deutschen Untersuchungen wird dargestellt, dass Pflegeheimbewohner trotz höherer Morbidität weniger fachärztliche Leistungen in Anspruch nehmen als gleichaltrige, nicht in stationärer Versorgung lebende Personen. Weiter werden vergleichsweise hohe Verordnungsraten von Psycholeptika und Antidepressiva berichtet, während Antidementiva eher relativ selten eingesetzt werden [1], [2], [3]. Diese Hinweise auf eine potenzielle medizinische Fehl- und Unterversorgung können als Folge einer inadäquaten Facharztversorgung gedeutet werden. Die Beweiskraft der zugrunde liegenden Analysen ist jedoch limitiert. Zudem beschränken sich die genannten Befunde auf Struktur- und Prozessdaten. Daten zu gesundheitlichen Auswirkungen, die eine tatsächliche Unter- oder Fehlversorgung belegen, sind den Studien nicht zu entnehmen.

Als potenzielle Ursachen für eine möglicherweise suboptimale (fach-)ärztliche Versorgung von Heimbewohnern werden kommunikationsbedingte, infrastrukturelle, wirtschaftliche und rechtliche Aspekte diskutiert. Aus gesetzgeberischer Sicht wurde in den letzten Jahren versucht, diesen Schwierigkeiten durch erweiterte Vertragsmöglichkeiten und -verpflichtungen (Selektivverträge nach § 73b Sozialgesetzbuch (SGB) V, § 140a-b SGB V, § 119b SGB V, Verpflichtung der Sicherstellung nach § 12 Abs. 2 SGB XI, § 92b SGB XI) zu begegnen. Diese ordnungspolitischen Änderungen haben bereits zahlreiche Modellprojekte zur Optimierung der ärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern nach sich gezogen. Bisher liegt jedoch keine systematische, vergleichende Übersicht über die Art der initiierten Projekte und insbesondere deren Ergebnisse vor. Ein systematischer, nach wissenschaftlichen Kriterien erstellter Vergleich ist jedoch Voraussetzung für die Bewertung der Effekte der in den Projekten erfolgten Struktur- und Prozessanpassungen. Erst ein solcher Vergleich erlaubt eine fundierte Aussage über Vor- und Nachteile der verschiedenen Gestaltungsoptionen.

Forschungsfragen

Der hier zusammengefasste HTA-Bericht der DAHTA verfolgte zum einen das Ziel, Bereiche einer möglicherweise bestehenden fachärztlichen Unter- oder Fehlversorgung von Pflegeheimbewohnern in Deutschland aufzuzeigen und potenzielle gesundheitliche Konsequenzen sichtbar zu machen. Folgende Fragen sollten dazu beantwortet werden:

  • Welche Krankheitsbilder, Gesundheitsstörungen und Beeinträchtigungen bestimmen die Morbidität bei Pflegeheimbewohnern?
  • Was ist der Status quo der ärztlichen Versorgung, inklusive ärztlich angeordneter Leistungen, von Pflegeheimbewohnern mit den genannten Krankheitsbildern und Beeinträchtigungen?
  • Wie sollte – nach den Ausführungen evidenzbasierter Konsensusleitlinien – eine ärztliche Versorgung, inklusive ärztlich angeordneter Leistungen, von Patienten mit den genannten Krankheitsbildern und Beeinträchtigungen erfolgen?
  • Welche ökonomischen, ethischen und juristischen Aspekte spielen bei der fachärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern eine Rolle?

Um mögliche Bereiche der fachärztlichen Unter- oder Fehlversorgung zu identifizieren, wurden die berichteten Versorgungsdaten mit den Empfehlungen relevanter evidenzbasierter Konsensusleitlinien verglichen.

Zum anderen werden Modell- und Forschungsprojekte beschrieben und analysiert, die das Ziel verfolgen, die Facharztversorgung von Pflegeheimbewohnern in Deutschland zu verbessern. Als Sonderform wurde das niederländische Modell eines Facharzts für Altersheilkunde (Elderly Care Physician) dargestellt, das eine spezifische ärztliche Weiterbildung mit einer Zuständigkeit ausschließlich für die Versorgung von Pflegeheimbewohnern kombiniert.

Methodik

Die Beantwortung der Fragestellung erfolgte auf der Grundlage einer systematischen Literaturübersicht. Die Literaturrecherche umfasste elektronische Datenbankenrecherchen (über 30 Datenbanken), Handsuchen in Zeitschriften, Internetrecherchen nach grauer Literatur und Recherchen in Leitliniendatenbanken. Nach der Erstrecherche im Juli 2010 war eine Nachrecherche im November 2011 erfolgt, die Recherche nach Modellprojekten war während der Berichterstellung laufend aktualisiert worden.

Zur Beantwortung der epidemiologischen und versorgungsrelevanten Fragen wurden Querschnittstudien, prospektive Studien und Sekundärdatenauswertungen eingeschlossen, deren Daten 2000 oder später erhoben wurden. Ihre methodische Qualität wurde anhand standardisierter Kriterien für epidemiologische Beobachtungsstudien bewertet.

Für den Vergleich der derzeitig stattfindenden Versorgung mit den Empfehlungen evidenzbasierter Leitlinien wurden die Krankheitsbilder Diabetes mellitus Typ II und Demenz herangezogen. Maßgeblich für diese Auswahl waren die Häufigkeit dieser Erkrankungen bei Pflegeheimbewohnern, ihre Folgen für den Gesundheitszustand sowie die Verfügbarkeit krankheitsbezogener Versorgungsdaten und qualitativ hochwertiger Leitlinienpublikationen. Leitlinienempfehlungen zur fachärztlichen Versorgung der Betroffenen wurden den Nationalen Versorgungsleitlinien bzw. Leitlinien, die dem S3-Standard der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) entsprechen, entnommen. Die methodische Qualität der Leitlinien wurde mit dem Appraisal of Guidelines for Research and Evaluation (AGREE) Instrument geprüft.

Zur Beantwortung der sozialen, ethischen und juristischen Fragen wurden inhaltlich relevante Studien unabhängig vom Design, juristische Dokumente und Kommentare sowie Positionspapiere herangezogen.

Im Hinblick auf die Darstellung der Modell- und Forschungsprojekte wurde keine Einschränkung an die Art der Publikationen angelegt. Die methodische Qualität von Evaluationsstudien wurde, soweit verfügbar, mit einem Instrument bewertet, das auf Bewertungschecklisten des britischen National Institute for Clinical Excellence (NICE) beruht. Zur Gewinnung von Zusatzinformationen zu den Modellprojekten sollten standardisierte Interviews mit Ansprechpartnern der Projekte durchgeführt werden. Von zwölf angefragten Interviews konnten drei realisiert werden.

Die Datenextraktion aus den epidemiologischen und versorgungsrelevanten Studien, aus den Leitlinien und den Publikationen zu Modellprojekten erfolgte tabellarisch, die Ergebnisse wurden in Textform zusammengefasst. Aus den Leitlinien wurden Empfehlungen extrahiert, die Auskunft über ein mutmaßlich fachärztlich veranlasstes Behandlungssoll geben oder die fachärztliche (Mit-)Behandlung thematisieren. Der Vergleich zwischen dem Ist und dem Soll erfolgte diskursiv mittels Gegenüberstellung relevanter Leitlinienempfehlungen und verfügbarer Versorgungsdaten. Ethische und juristische Aspekte wurden ausschließlich in Textform aufgearbeitet.

Ergebnisse

Insgesamt waren durch die Recherche 4.322 Referenzen identifiziert worden. Von diesen entsprachen 185 den Einschlusskriterien und wurden zur Bearbeitung der Forschungsfragen herangezogen.

Epidemiologische Daten zur Morbidität von Pflegeheimbewohnern

Für die Darstellung der gesundheitlichen Situation und der ärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern in Deutschland standen die Daten von knapp 40 Studienkohorten zur Verfügung. Hierbei handelte es sich um 32 Primärstudien und acht Sekundärdatenanalysen. Die Bewertung der methodischen Studienqualität ließ bei 20 Studien grobe Mängel erkennen – mit der Konsequenz einer stark beeinträchtigten Aussagekraft. Bei 16 Studien wurden einzelne Probleme festgestellt und nur vier Studien hatten eine gute Qualität. Methodische Schwächen betrafen hauptsächlich die Repräsentativität der untersuchten Stichproben sowie das Risiko von Confounding. Auch das Risiko von Verzerrungen durch Clustereffekte in multizentrischen Studien wurde so gut wie nie berücksichtigt.

Pflegeheimbewohner allgemein

Aus 17 Studien lagen Daten zur Prävalenz von Erkrankungen bei Pflegeheimbewohnern, die nicht nach bestimmten Krankheitsbildern ausgewählt wurden, vor. Sie zeigten hohe Raten von Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems (über 70%), psychischen Erkrankungen (über 60%), Erkrankungen des Urogenital- (über 50%) und des Nervensystems (um 40%) sowie muskuloskeletalen Erkrankungen (bis zu 50%). Im Mittel litten Pflegeheimbewohner an vier bis fünf Erkrankungen gleichzeitig. Das Spektrum psychischer Erkrankungen wurde dominiert von der Demenz (Prävalenz 50 bis 70%), gefolgt von affektiven Störungen (bis 33%). Weitere häufige Gesundheitsprobleme waren: Kontinenzprobleme (bei 70 bis 80% der Bewohner), ernährungsbezogene Probleme (20 bis 30% der Bewohner waren bedroht von Unterernährung) und nichtkognitive neuropsychiatrische Auffälligkeiten (25 bis 50%). Drei Studien mit Daten zur Mundgesundheit wiesen konsistent auf einen schlechten Zustand von Zähnen, Prothesen und Zahnhalteapparat hin.

Acht Arbeiten berichteten Ergebnisse zur Rate von gesundheitlichen Komplikationen (Infektions-, Frakturrate) oder Krankenhausaufenthalten. Etwa ein Fünftel der Bewohner hatte pro Quartal eine Infektion entwickelt, zwei Studien berichteten eine mittlere Rate von 0,07 sturzbedingten Frakturen pro Jahr bzw. 0,04 hüftgelenksnahen Frakturen pro Personenjahr. Für Krankenhauseinweisungen wurden in sechs Studien variierende Raten um 30% pro Jahr berichtet. Etwa ein Drittel aller Pflegeheimbewohner verstarben im Krankenhaus.

Pflegeheimbewohner mit Demenz

Sechs Studien berichteten Daten zur Häufigkeit von Komorbiditäten und anderen Gesundheitsstörungen bei Pflegeheimbewohnern mit Demenz. Aus methodischer Sicht wiesen zwei Studien eine hohe Qualität auf, vier waren als eher problematisch zu bewerten. Typische Probleme betrafen die Auswahl der Stichprobe, die Güte der Informationen zu den klinischen Variablen und/oder das Risiko von Confounding.

Unter den körperlichen (somatischen) Erkrankungen wurde die höchste Prävalenz für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems insgesamt und für Hypertonie (jeweils 44%) beschrieben. Mit Ausnahme der zerebrovaskulären Problematik und des Glaukoms wurden somatische Erkrankungen bei Bewohnern mit Demenz seltener beschrieben als bei nicht an Demenz leidenden Bewohnern. Unter den psychiatrischen Erkrankungen wurde die höchste Prävalenz für Depressionen und andere affektive Störungen berichtet (12 bis <30%). Nur aus zwei Studien lagen Daten zur Häufigkeit verschiedener Formen der Demenz vor: Danach kam die Demenz vom Alzheimertyp am häufigsten (50 bis 75%) vor, gefolgt von der vaskulären Demenz mit 15%. Weiterhin waren Beeinträchtigungen des Seh- (20%) und Hörvermögens (>30%), wiederkehrende Schmerzen (18%) und Kontinenzprobleme (fast 90%) häufig. Bis auf Schmerzen wurden alle genannten Störungen häufiger bei Bewohnern mit Demenz als bei Bewohnern ohne Demenz beobachtet. Die Prävalenz von Depressivität, Agitiertheit oder Apathie bei Bewohnern mit Demenz wurde mit 30 bis über 50% berichtet, vereinzelt noch höher. Die Inzidenz von Krankenhausaufnahmen entsprach mit 30% pro Jahr in etwa der bei Bewohnern ohne Demenz.

Pflegeheimbewohner mit Diabetes mellitus

Die in drei Studien berichtete Prävalenz des Diabetes mellitus betrug etwa 25% (80% davon auf Typ II entfallend). Begleiterkrankungen waren häufig: arterielle Hypertonie (41 bis 68%), koronare Herzerkrankung (27 bis 38%), Zustand nach Apoplex (24 bis 29%), Demenz (34 bis 57%) sowie Kontinenzprobleme (29 bis 71%). Nach den Ergebnissen einer Studie wiesen Heimbewohner mit Diabetes mellitus im Mittel knapp zehn Diagnosen sowie vier geriatrische Syndrome (z. B. Immobilität, Inkontinenz, kognitive Beeinträchtigungen) auf. Zur Prävalenz diabetischer Folgeerkrankungen lagen unter anderem Angaben zu Amputationen (ca. 12%), Erblindung (ca. 5%) und Dialysepflicht (2%) vor. Für andere diabetische Gesundheitsprobleme (Neuro-, Nephropathie und Fußprobleme) variierten die Prävalenzangaben je nach Untersuchungspopulation zwischen <5% und bis über 10% (Fußprobleme) bzw. 20% (Neuro- bzw. Nephropathie).

Status quo der ärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern
Pflegeheimbewohner allgemein

Daten zur ärztlichen und fachärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern waren aus fünf Studien verfügbar, von denen eine multiple methodische Unsicherheiten aufwies. Für alle Studien galt, dass die Ergebnisse nicht für Störvariablen adjustiert waren. Die Arbeiten zeigten, dass nahezu alle Bewohner hausärztlich mit im Mittel einem Arztkontakt/Quartal versorgt wurden. Die fachärztliche Mitbetreuung erfolgte am häufigsten durch Neurologen oder Psychiater (ca. 50% oder mehr der Bewohner). Deutlich niedriger (<25%) war die Prävalenz augenärztlicher, Hals-Nasen-Ohren (HNO)-ärztlicher, urologischer, gynäkologischer oder dermatologischer Mitbetreuung. Auffällig war die limitierte fachärztliche oder überhaupt ärztliche Einbindung in die Abklärung von Kontinenzproblemen (bei ca. 36% der Betroffenen).

Daten zur Arzneimittelversorgung konnten zwölf Studien entnommen werden, darunter drei umfangreichen Auswertungen von Krankenkassendaten. Mit Ausnahme von zwei Studien wiesen die Arbeiten eher geringe Verzerrungsrisiken auf. Im Mittel nahmen Pflegeheimbewohner vier oder mehr Medikamente ein. Für mehr als die Hälfte der Bewohner war die Verordnung von mindestens einem Psychopharmakon dokumentiert. Am häufigsten eingesetzt wurden Neuroleptika (insbesondere niedrigpotente), Antidepressiva, Anxiolytika sowie Hypnotika bzw. Sedativa. Die Verordnung von Psychopharmaka unterlag einer ausgeprägten institutionellen Varianz, die sich nur begrenzt durch Einrichtungsmerkmale erklären ließ. Eine Sekundärdatenanalyse zeigte, dass die Verordnungsraten von Heilmitteln mit im Mittel fünf bis 25 Einheiten pro Versichertenjahr für Physiotherapie und ca. fünf Einheiten pro Versichertenjahr für Ergotherapie und Logopädie sehr niedrig waren. Im Mittel wurde ein Rehabilitationsaufenthalt pro 100 Bewohner pro Jahr verordnet.

Vier Studien belegten, dass 20 bis 50% der Pflegeheimbewohner zahnärztlich versorgt wurden, meist seltener als mit einer Behandlung pro Jahr. Drei Studien berichteten Versorgungsdaten für Bewohner mit einer liegenden Perkutanen Endoskopischen Gastrostomie- (PEG)-Sonde. Zentraler Befund war, dass bei ca. einem Drittel der betroffenen Bewohner eine zu niedrige Kalorienzahl verordnet wurde, die bei 20% nicht einmal adäquat umgesetzt wurde.

Pflegeheimbewohner mit Demenz

Daten zur Versorgung von Pflegeheimbewohnern mit Demenz ließen sich fünf Studien entnehmen, deren Ergebnisse mit Zurückhaltung interpretiert werden musste, da kaum Adjustierungen für Störgrößen vorgenommen worden waren.

Ihre Befunde lassen sich schwerpunktartig wie folgt zusammenfassen: Bei einer nahezu für alle Bewohner gegebenen hausärztlichen Versorgung war für 30% bis 40% eine mehr oder weniger regelmäßige neurologische oder psychiatrische Mitbetreuung belegt. Fachärzte anderer Disziplinen, inklusive Zahnärzte, wurden deutlich seltener in Anspruch genommen. Häufig war die diagnostische Abklärung kognitiver Störungen unzureichend. Die Defizite betrafen sowohl das Risiko falsch-negativer (bis zu 30%) oder falsch-positiver (ca. 15%) Diagnosen als auch die Differentialdiagnostik.

Bewohner mit Demenz nahmen im Mittel (Median) etwa fünf internistische Medikamente und ein psychotropes Medikament ein. Unter den Psychopharmaka war der Einsatz von Neuroleptika (bei bis zu über 50% der Bewohner mit Demenz) am häufigsten zu beobachten, gefolgt von Antidepressiva (bei bis zu 30%), Antidementiva und Antikonvulsiva (jeweils bei 17%). Vergleiche der Verordnungsquoten ließen keine eindeutigen Zusammenhänge mit der Prävalenz bestimmter neuropsychiatrischer Symptome erkennen. Auffallend war eine relativ häufige Verordnung sedierend wirkender Medikamente bei Bewohnern mit geringer Belastung durch nichtkognitive Probleme oder mit hoher Prävalenz von Apathie (bei 30% oder mehr der Betroffenen).

Nichtmedikamentöse Maßnahmen wurden deutlich seltener verordnet als Medikamente. Am häufigsten zu registrieren waren Verordnungen von Physio- (bei ca. 20% der Bewohner) und Ergotherapie (bei ca. 10% der Bewohner). Das Verordnungsniveau hinsichtlich Physiotherapie und Logopädie schien bei Bewohnern mit Demenz geringer zu sein als bei Bewohnern ohne Demenz, auch bei Berücksichtigung einiger bewohnerbezogener Einflussgrößen.

Pflegeheimbewohner mit Diabetes mellitus

Für die Darstellung des Status quo der Versorgung von Pflegeheimbewohnern mit Diabetes mellitus wurden die Ergebnisse von vier Studien herangezogen, die durch diverse methodische Unsicherheiten gekennzeichnet waren. Nach den Studien wurde die hausärztliche Versorgung der Heimbewohner mit Diabetes mellitus überwiegend von Allgemeinmedizinern geleistet, eine diabetologische Mitbetreuung hatten ca. 25% erhalten. Insulinpflichtige Diabetiker wurden im Mittel zweimal pro Monat hausärztlich betreut, nicht insulinpflichtige einmal im Quartal. Eine Studie konstatierte, dass jeder dritte Heimbewohner mit Diabetes mellitus einmal jährlich von einem Augenarzt untersucht worden war, jeder zehnte war in ein Disease Management Programm (DMP) eingeschrieben.

Nach den Angaben aus zwei Studien war die Insulintherapie die am häufigsten eingesetzte Behandlungsform bei Diabetikern, gefolgt von oraler antidiabetischer Medikation und rein diätetischer Behandlung. Bei Bewohnern mit Insulintherapie wurde im Mittel häufiger als einmal pro Tag der Blutzucker kontrolliert, meistens ohne dass Zielwerte definiert waren.

Leitlinienanalyse

Zum Thema Demenz wurden Empfehlungen aus den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) und der gemeinsamen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V. – Selbsthilfe Demenz (DAlzG) (S3-Leitlinie Demenzen) extrahiert. Sie bezogen sich auf die Einbindung von fachärztlicher Expertise bei der (Erst-)Diagnosestellung sowie der Gestaltung der (Pharmako-)Therapie.

Zum Thema Diabetes mellitus konnte auf die Module Fußkomplikationen, Netzhautkomplikationen, Neuropathie und Nierenerkrankungen der Nationalen Versorgungsleitlinien Diabetes mellitus Typ II zurückgegriffen werden. Ihnen wurden in erster Linie Empfehlungen zu Screeninguntersuchungen und Überweisungen zur fachärztlichen Versorgung bei spezifischen Befundkonstellationen entnommen. Eine regelmäßige Facharztkonsultation wurde zur Früherkennung von Netzhautkomplikationen empfohlen.

Die Übereinstimmung der aktuellen Versorgungslage mit den extrahierten Leitlinienempfehlungen wurde im Diskussionsteil des Berichts geprüft. Punktuell wurde Fehl- bzw. Unterversorgung konstatiert.

Ökonomische, ethische und juristische Aspekte
Ökonomische Aspekte

In den Recherchen wurden keine Publikationen, die sich explizit mit den gesundheitsökonomischen Implikationen der Facharztversorgung in Pflegeheimen befassen, gefunden.

Juristische Aspekte

Vier juristische Publikationen äußerten sich zu Fragestellungen, die sich auf die Reformen des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, GKV-WSG) bzw. des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes (PfWG) beziehen. Bei der Flexibilisierung des Vertragswesens durch § 119b SGB V wurde begrüßt, dass kassenübergreifende Verträge ermöglicht, Schnittstellenprobleme entschärft und Qualifizierungsmaßnahmen eingeführt werden sollten. Unter anderem von Seiten ärztlicher Interessenvertretungen wurden langjährige Arzt-Patientenbeziehungen, die freie Arztwahl und das Recht auf freie Berufsausübung als gefährdet gesehen. Weiterhin wurde eine Tendenz zur Medikalisierung der gesamten Lebenssituation von Heimbewohnern befürchtet. Als relevante Neuerungen des GKV-WSG wurden die Möglichkeiten, Pflegeeinrichtungen in Modelle der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung oder als Vertragspartner in integrierte Versorgungsverträge einzubinden, hervorgehoben. Während zum Zeitpunkt der Publikation für den erstgenannten Aspekt noch keine umsetzungsrelevanten Informationen zur Verfügung standen, wird die letztgenannte Möglichkeit bereits in mehreren Modellprojekten erprobt. Als ebenfalls noch nicht gelöstes Problem gilt die wenig attraktive Vergütung für die ärztliche Versorgung von Pflegeheimbewohnern.

Zwei Publikationen beschrieben am Beispiel der Psychopharmakaverordnungen rechtlich begründete Ursachen für die Fehlversorgung von Pflegeheimbewohnern. Einen großen Teil der Probleme sahen die Autoren bedingt durch die sektorale Gliederung der Versorgung und den sich hieraus ergebenden Kommunikationsnotwendigkeiten. Hier hielten einige Autoren ein Heimarztmodell für die geeignete Lösung. Zu den Aufgaben dieses Arztes sollten danach in erster Linie Koordination, Edukation und Qualitätssicherung gehören und erst in zweiter Linie die direkte Patientenversorgung. Umgesetzt werden könnte eine solches Modell am ehesten nach § 140 SGB V und § 92b SGB XI.

Ethische Aspekte

Ethische Aspekte der medizinischen Versorgung von Pflegeheimbewohnern wurden in einer empirischen Untersuchung ebenfalls am Beispiel der Versorgung mit Psychopharmaka diskutiert. Die Autoren konstatierten Probleme bei der Umsetzung des ethisch gebotenen Respekts vor der Autonomie der Bewohner, z. B. in Abgrenzung zu den Rechten des Umfelds (Mitbewohner, Personal), und bei der Anwendung jeglicher Art von Zwang. Die manchmal schwer zu erhaltende informierte Zustimmung zur Behandlung erweise sich auch aus rechtlicher Sicht als Herausforderung. Häufig bestünden Schwierigkeiten, sich ein Bild von Werten und Überzeugungen der Bewohner zu machen. Im Zusammenhang mit der Verpflichtung zum Wohltun wiesen die Autoren auf die gebotene fachliche Kompetenz und die Notwendigkeit der Kooperation zwischen den Berufsgruppen hin. Als prominentes Beispiel wurden die Schwierigkeiten im Umgang mit herausforderndem Verhalten angeführt. Auch bei der Diskussion des Nichtschaden-Gebots wurde auf die Verpflichtung zu professioneller Kompetenz verwiesen. Das ethische Gebot der Gerechtigkeit wurde zunächst aus ökonomischer Sicht angerissen, letztlich wurde aber auf das Wertegerüst der Gesellschaft verwiesen, das den normativen Rahmen und damit auch die Verfügbarkeit von Ressourcen für die Versorgung älterer Menschen bestimme.

Modellprojekte

Zur Beschreibung von Modellprojekten zur Verbesserung der (fach-)ärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern standen 128 Publikationen zur Verfügung, von denen lediglich drei als wissenschaftliche Veröffentlichungen charakterisiert werden konnten. Zwei Gruppen von Modellprojekten ließen sich unterscheiden: Projekte, die auf die Initiative wissenschaftlicher Institutionen zurückgehen, und Projekte, die von Institutionen bzw. Körperschaften der Gesundheitsversorgung initiiert worden sind.

Modellprojekte aus wissenschaftlichen Institutionen

Elf der 128 eingeschlossenen Publikationen befassten sich mit Modellprojekten initiiert durch wissenschaftliche Institutionen. Drei hiervon wiesen annähernd den Charakter von wissenschaftlichen Publikationen auf.

Das Teamwerk-Projekt (später Duales Konzept) befasste sich mit der zahnärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern. Ein Prophylaxemodul umfasste eine individuelle, risikoangepasste Prophylaxebehandlung sowie Schulungen des Pflegepersonals. In einem Therapiemodul wurden therapiebedürftige Patienten durch Patenzahnärzte behandelt. Die Effektivität der Intervention wurde in zwei Evaluationsstudien im Prä-Post-Design untersucht, wobei detaillierte methodische Angaben fehlten. Für die erste Phase wurden positive klinische Ergebnisse berichtet, in der zweiten Phase standen Kosteneinsparungen für die zahnmedizinische Versorgung in Höhe von 22% im Vordergrund.

Die beiden weiteren wissenschaftlich initiierten Modellprojekte gehörten zum Themenfeld 3 (Sicherung einer evidenzbasierten Versorgung) des in den Jahren 2008/2009 vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderten Leuchtturmprojekts Demenz. Das Projekt InDemA (Interdisziplinäre Implementierung von Qualitätsinstrumenten zur Versorgung von Menschen mit Demenz in Altenheimen) zielte auf die Verbesserung des Umgangs mit herausforderndem Verhalten von Pflegeheimbewohnern. Dies sollte über die Implementierung von Rahmenempfehlungen für Pflegekräfte und der Leitlinie Demenz der DEGAM für Hausärzte erreicht werden. Die Wirksamkeit der Intervention u. a. auf die Endpunkte Verordnungsrate von Psychopharmaka (insbesondere Neuroleptika) und Prävalenz von herausforderndem Verhalten wurde in einer prospektiven Studie mit Prä-Post-Design geprüft. Für die beiden genannten Endpunkte wurden nach neun Monaten statistisch signifikante und klinisch relevante Verbesserungen berichtet. Aus methodischer Sicht machten vor allem das Prä-Post-Design, hohe Drop-out-Raten und der unklare Einfluss äußerer Faktoren die Ergebnisinterpretation schwierig.

Das zweite dem Leuchtturmprojekt Demenz zuzuordnende Modellprojekt untersuchte die Wirksamkeit einer Leitlinienimplementierung (Leitlinie der amerikanischen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und Geriatrie) auf die Endpunkte Apathie, Agitation, Depression bei an Demenz leidenden Pflegeheimbewohnern sowie die verordneten Tagesdosen von psychoaktiven Medikamenten (VIDEANT-Projekt). Die Wirksamkeitsprüfung erfolgte in einer cluster-randomisierten Studie mit 16 Berliner Pflegeeinrichtungen, zu der bisher nur eine Posterpräsentation mit einigen positiven Resultaten vorliegt.

Modellprojekte aus Institutionen und/oder Körperschaften

Für diese Kategorie waren 16 Modellprojekte identifiziert worden, die das Ziel verfolgten, die (fach-)-ärztliche Betreuung von Pflegeheimbewohnern zu verbessern. Die Informationsgrundlage für den HTA-Bericht bildeten Pressemitteilungen, Vertragswerke, Vortragsfolien, Zeitschriften- und Zeitungsbeiträge. Für keines der Vorhaben lag eine umfassende und kohärente Projektdarstellung vor, noch weniger Informationen waren zu Evaluationskonzepten verfügbar. Neun von 16 Projekten thematisierten explizit die verbesserte fachärztliche Versorgung als Projektziel.

Zwei Modellprojekte zielten auf die Versorgung von Pflegeheimbewohnern mit spezifischen Diagnosen: das Solinger Konzept für beatmungspflichtige Pflegeheimbewohner, basierend auf einem Vertrag für integrierte Versorgung nach § 140 SGB V und der hessische Versorgungsvertrag nach § 73c SGB V für Pflegeheimbewohner mit psychiatrische Diagnosen. Drei Projekte des Kuratoriums Wohnen im Alter (KWA) in München, Rosenau und Bad Dürrheim adressierten neben der Sicherstellung der haus- und fachärztlichen Versorgung vor allem die Verbesserung der intra- und interprofessionellen Kommunikation. Das Heimarztprojekt der Arbeiterwohlfahrt (AWO) München thematisierte ebenfalls explizit die Verbesserung der fachärztlichen Versorgung der Pflegeheimbewohner. Hier wurde die Koordination über einen fest angestellten Heimarzt umgesetzt, der als Institutsarzt, ermächtigt durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Bayern, und außerdem nach § 140 SGB V in einem integrierten Versorgungsmodell der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Bayern tätig war. Das Projekt Pflegenetze Bayern bezog sich ebenfalls explizit auf die Facharztversorgung in Pflegeheimen, indem es teilnehmende Praxisverbünde verpflichtete, Fachärzte, insbesondere Psychiater, Neurologen bzw. Nervenärzte, in die Verbünde zu integrieren. Die Zusammenarbeit war über Verträge der integrierten Versorgung in Verbindung mit einem Hausarztvertrag nach § 73b SGB V geregelt. Der Kooperationsvertrag der KV Hessen und des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) stellte eine Umsetzung des Rahmenkonzepts KV-Initiative Pflegeheim dar, das inzwischen von allen 17 KV unterzeichnet wurde. Unter dieses Rahmenkonzept ließen sich auch die bayerischen geriatrischen Praxisverbünde subsumieren, die eine weitere Form der Ausgestaltung der Facharztversorgung in Pflegeheimen anboten.

Bei den übrigen sieben Modellprojekten wurde die ärztliche Versorgung allgemein thematisiert. Das seit 1998 laufende Berliner Projekt Pflege mit dem Plus basierte als integriertes Versorgungsmodell in Verbindung mit einem Hausarztmodell auf § 140a und § 73c SGB V sowie § 92b SGB XI. Die hausärztliche Versorgung der Heimbewohner wurde durch einen angestellten Heimarzt oder durch kooperierende Ärzte sichergestellt. Inhaltlich umfasste das Projekt, wie auch die nächsten drei Projekte, regelmäßige Visiten, umfangreiche Dokumentationen, Rufbereitschaften, Qualitätszirkel und multiprofessionelle Teambesprechungen. Ebenfalls in Berlin wurde das Projekt Careplus umgesetzt. Hier handelte es sich um integrierte Versorgungsverträge in Verbindung mit Verträgen zur besonderen ambulanten Versorgung (§ 140a und § 73c SGB V), Vertragspartner waren Pflegeheime, Krankenkassen und Ärzte. Ähnliche Inhalte waren im Projekt Integrierte Versorgung Pflegeheim (IVP) der AOK Baden-Württemberg Gegenstand des integrierten Versorgungsvertrags. Vertragspartner waren die AOK Baden-Württemberg, der Hausärzteverband und eine hausärztliche Vertragsgemeinschaft, die MEDIVERBUND AG und mehrere Heimträger. Weitere Verträge zur integrierten Versorgung wurden von der AOK Hessen, der AOK Westfalen-Lippe und der AOK Nordost zusammen mit der KV Mecklenburg-Vorpommern angeboten. Die Zielsetzungen glichen im Wesentlichen denen des Berliner Careplus-Projekts. Eine weitere modellhafte Organisationsform präsentierte das Projekt Modellregion Emsland. Hier wurde auf der Grundlage von § 73a SGBV von einem bereits in der Versorgung von Pflegeheimbewohnern tätigen Ärztenetz zum 01.Januar 2012 ein Heimarzt angestellt, der die Versorgung der Pflegeheimbewohner übernahm und die Hausarztpraxen damit entlastete.

Für einige Projekte wurden positive Effekte der Modellvorhaben auf prozedurale bzw. wirtschaftliche Indikatoren der Versorgung von Pflegeheimbewohnern berichtet. Allerdings lag zu keinem Projekt ein nachvollziehbarer Evaluationsplan vor, sodass die Validität der Ergebnisse nicht überprüfbar war.

Facharzt für Altersheilkunde (Elderly Care Physician)

Die Niederlande sind das einzige Land weltweit, in dem eine spezifische Facharztausbildung für die Versorgung von Pflegeheimbewohnern existierte und existiert. Diese Spezialisierung wurde neben der klinischen Geriatrie, die auf die Krankenhausbehandlung von Patienten mit akuten geriatrischen Krankheitsbildern ausgerichtet ist, in den 1990er Jahren konzipiert, angepasst auf die besonderen Bedarfe der Pflegeheimbewohner mit körperlichen und/oder psychiatrischen Mehrfacherkrankungen. Kennzeichnend für die Facharztausbildung sind die Ausrichtung der Versorgung auf Funktionserhalt und -verbesserung, die Einbettung der ärztlichen Versorgung in ein multiprofessionelles Team sowie die explizite Berücksichtigung von körperlicher und psychischer Multimorbidität. Die dreijährige Weiterbildung wird an Pflegeeinrichtungen und in der ambulanten Pflege absolviert, mit einem starken gerontopsychiatrischen Schwerpunkt. Die theoretische Ausbildung erfolgt an einem Tag pro Woche an einer akademischen Ausbildungseinheit. Fachärzte für Altersheilkunde arbeiten als angestellte Ärzte an Pflegeeinrichtungen, werden zunehmend aber auch von Hausärzten konsiliarisch in die Versorgung von in der eigenen häuslichen Umgebung lebenden geriatrischen Patienten eingebunden. Seit 2010 werden etwa 100 Elderly Care Physicians pro Jahr ausgebildet.

Diskussion und Schlussfolgerungen

Bereiche der Unter- oder Fehlversorgung

Auf der Basis einer systematischen Übersicht über 40 Studien mit personenbezogenen Daten belegt der HTA-Bericht der DAHTA eine hohe Prävalenz alterstypischer, zu einem beträchtlichen Teil nebeneinander bestehender körperlicher und psychischer Erkrankungen und Gesundheitsstörungen bei Pflegeheimbewohnern.

Vor dem Hintergrund dieser ausgeprägten Morbidität und im Vergleich zu evidenzbasierten Versorgungsempfehlungen geben die systematisch zusammengefassten Daten zur Versorgung von Bewohnern mit Demenz bzw. Diabetes mellitus Hinweise auf folgende Bereiche der Unter- und/oder Fehlversorgung:

  • Ungenaue und zu unspezifische Diagnostik demenzieller Erkrankungen,
  • Unterversorgung von an Demenz vom Alzheimer-Typ leidenden Bewohnern mit Antidementiva,
  • Fehlversorgung in der Verordnung von Psychopharmaka allgemein und insbesondere von Neuroleptika zur Behandlung neuropsychiatrischer Symptome bei demenziell erkrankten Bewohnern,
  • Unterversorgung in der Verordnung von Heilmitteln für die nichtmedikamentöse Behandlung von Bewohnern mit Demenz,
  • Unterversorgung von Heimbewohnern mit Diabetes mellitus hinsichtlich regelmäßiger augenärztlicher Untersuchungen.

Befunde aus Studien mit Pflegeheimbewohnern allgemein wiesen ebenfalls auf einen klinisch teilweise inadäquaten, unzureichend zielgerichteten und zu langen Einsatz von Psychopharmaka hin. Weitere Defizite betrafen die zahnärztliche Versorgung von Pflegeheimbewohnern generell, die augenärztliche Versorgung von Heimbewohnern mit Demenz sowie die ärztliche Versorgung von Bewohnern mit Kontinenzproblemen bzw. mit liegender PEG-Sonde.

Insgesamt legen die Ergebnisse dieser systematischen Literaturübersicht nahe, dass die beschriebenen Probleme in der (fach-)ärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern multifaktoriell bedingt sind. Zu den Faktoren, die wahrscheinlich zu den unzureichenden Versorgungsprozessen beitragen, gehören eine nicht fachgerechte Diagnostik und Dokumentation von Erkrankungen bzw. Gesundheitsproblemen, eine unzureichende Dokumentation von Verordnungen bzw. der Umsetzung dieser Verordnungen sowie eine unzureichende fachliche Kommunikation zwischen den beteiligten Berufsgruppen. Diese Schwachstellen betreffen sowohl die verschiedenen ärztlichen Disziplinen, inklusive hausärztlicher Berufsgruppen, als auch die professionelle Pflege. Weiterhin ist eine unzureichende Umsetzung evidenzbasierter Empfehlungen für die ärztliche Versorgung von Bewohnern mit bestimmten Erkrankungen zu erkennen.

Zu Faktoren, die die genannten Schwachstellen in den Versorgungsprozessen bedingen bzw. die Umsetzung evidenzbasierter Versorgungsempfehlungen behindern, geben die für diesen Bericht ausgewerteten versorgungsepidemiologischen Daten keine Auskunft. Ebenso wenig lassen sie erkennen, inwieweit eine unzureichende Einbindung von Fachärzten ursächlich für die beschriebenen defizitären Prozesse ist und ob die beschriebenen Defizite sich ungünstig auf den Gesundheitszustand der Bewohner auswirken.

Ökonomische Konsequenzen

Bei den systematischen Recherchen für diesen Bericht hat sich keine Publikation gefunden, aus der sich empirisch begründete Aussagen zu ökonomischen Konsequenzen einer optimalen oder suboptimalen Facharztversorgung von Pflegeheimbewohnern ableiten lassen.

Ethische und soziale Implikationen

In der Gesamtbetrachtung verweisen sowohl die rechtlichen als auch die ethischen Betrachtungen im Zusammenhang mit der (fach-)ärztlichen Versorgung auf drei zu adressierende Problembereiche: i) die strukturellen Rahmenbedingungen (inklusive finanzieller Ressourcen), ii) inter- und intraprofessionelle Kommunikation und Kooperation sowie iii) die Verpflichtung zur professionellen Kompetenz.

Modellprojekte

In Deutschland existiert eine Vielzahl von Aktivitäten, die unter Ausnutzung der gesetzgeberisch vorgesehenen Möglichkeiten unterschiedlich und mit verschiedenen Schwerpunkten die oben skizzierten Problembereiche angehen. Aus diesen Initiativen werden viel versprechende Erfolge, aber auch indifferente Ergebnisse berichtet. Auf der Grundlage der verfügbaren Informationen ist es allerdings nicht möglich,

  • einen zuverlässig umfassenden Überblick über laufende, abgeschlossene und geplante Projekte zu geben,
  • die Projekte ausreichend detailliert zu beschreiben und
  • evidenzbasierte Aussagen über die Wirksamkeit der Interventionen zur Verbesserung der (fach)-ärztlichen Versorgung der Pflegeheimbewohner zu machen.

Es bleibt unklar, ob Projektbeschreibungen und Evaluationsprotokolle/-ergebnisse nicht vorhanden oder lediglich nicht veröffentlicht sind.

Exkurs: Facharzt für Altersheilkunde

Das Konzept des speziellen Facharzts für Altersheilkunde (Elderly Care Physician) muss im spezifischen niederländischen Versorgungskontext bewertet werden. Es beinhaltet die Einstellung der Fachärzte direkt durch die Pflegeeinrichtungen, in denen sie die Primärarztfunktion für die Bewohner übernehmen. Dieses Modell ist als nachgeordnetes Prinzip in deutschen Pflegeeinrichtungen bisher nur vereinzelt umgesetzt. Im Vergleich zu den deutschen Curricula für geriatrische Weiterbildungen (Facharzt für Innere Medizin und Geriatrie bzw. Zusatzweiterbildung Geriatrie) ist die Ausbildung des Elderly Care Physician praxisnah und zugleich akademisch angebunden. Sie ist nicht nur auf den Erwerb klinischer Expertise, sondern auch auf kommunikative und integrative Fähigkeiten ausgerichtet. Der Schwerpunkt liegt deutlich auf der Behandlung von gerontopsychiatrischen Störungsbildern. Auch wenn sich das Gesamtkonzept nicht direkt in den deutschen Versorgungskontext und die deutsche Weiterbildungslandschaft überführen lässt, wäre dennoch zu erwägen, ob sich ausgewählte Aspekte in die deutschen Weiterbildungsmodelle integrieren lassen – sprechen sie doch gerade die in diesem Bericht an mehreren Stellen identifizierten Defizite an.

Empfehlungen

Die in verschiedener Hinsicht limitierte Evidenzlage erlaubt es nicht, direkte Empfehlungen für regelhafte Modifizierungen des Systems der ärztlichen bzw. fachärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern in Deutschland zu formulieren. Vielmehr wird geraten, in methodisch sorgfältig geplanten, durchgeführten und dokumentierten Modellprojekten Strategien für eine Optimierung der pflegerisch-medizinischen Versorgung auf der Basis identifizierter Problembereiche und Schwachstellen zu entwickeln und zu evaluieren. Nur Ergebnisse solcher Projekte ermöglichen verallgemeinerbare Erkenntnisse über kausale Zusammenhänge zwischen bestimmten Versorgungsstrukturen und/oder -prozessen und dem gesundheitlichen Befinden und der Lebensqualität von Pflegeheimbewohnern.

Zur Verbesserung der Erkenntnislage im Rahmen von Modellprojekten wird daher vorgeschlagen:

  • Für Projekte, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, eine Berichtspflicht einzuführen,
  • Kohärente und detaillierte Projektbeschreibungen zu veröffentlichen,
  • Für jedes Projekt eine methodisch valide Evaluation einzuplanen und umzusetzen und
  • Eine träger- und projektübergreifende umfassende Dokumentationsplattform (z. B. Internetseite mit Datenbank) zu schaffen.
Forschungsbedarf

Dieser Bericht zeigt einen Mangel an methodisch aussagekräftiger empirischer Evidenz für die Ableitung von Empfehlungen für die Organisation und Gestaltung der (fach-)ärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern in Deutschland. Zur Behebung dieses Mankos sind in erster Linie gut geplante, robust durchgeführte und entsprechend internationalen Standards (z. B. http://www.consort-statement.org/, http://squire-statement.org/) berichtete Evaluationen erforderlich.

Als Voraussetzung für die Entwicklung und Planung von Strategien für die Anpassung der Strukturen und Prozesse in der (fach-)ärztlichen Versorgung bedarf es weiterhin aussagekräftiger versorgungsepidemiologischer Studien, in denen geeignete Methoden zur Minimierung der Risiken von Selektions- und Informationsbias sowie von Confounding angewandt werden. Vor allem institutionell gebundene Einflüsse sowie Einflüsse auf der Ebene der ärztlichen Versorgung gilt es bei der Analyse von Indikatoren auf der Prozess- und Ergebnisebene genauer zu untersuchen.

Die Entwicklung und Planung von Strategien für die Anpassung der Strukturen und Prozesse in der (fach-)ärztlichen Versorgung erfordert eine systematische Analyse förderlicher und hinderlicher Faktoren in der Umsetzung bestehender evidenzbasierter Empfehlungen für die Behandlung alterstypischer Erkrankungen und gesetzlicher Regelungen im Bereich des SGB V und SGB XI.


Anmerkungen

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.

INAHTA-Checkliste

Checkliste für HTA-bezogene Dokumente (Anhang 1 [Anh. 1]).


Literatur

1.
Hallauer J, Bienstein C, Lehr U, Rönsch H. SÄVIP – Studie zur ärztlichen Versorgung in Pflegeheimen. Hannover: Vincentz Network Marketing Service; 2005 [cited 23.10.2010]. Available from: http://www.zukunftsforum-demenz.de/pdf/SAEVIP_studie.pdf. Externer Link
2.
Rothgang H, Borchert L, Müller R, Unger R. GEK-Pflegereport 2008. Schwerpunktthema: Medizinische Versorgung in Pflegeheimen. St. Augustin: Asgard-Verlag; 2008 [cited 23.10.2010]. Available from: http://www.zes.uni-bremen.de/GAZESse/200901/GEK-Pflegereport-2008.pdf Externer Link
3.
Schäufele M, Köhler L, Lode S, Weyerer S. Menschen mit Demenz in stationären Pflegeeinrichtungen: aktuelle Lebens- und Versorgungssituation. In: Schneekloth U, Wahl HW, eds. Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung in stationären Einrichtungen (MuG IV). Integrierter Abschlussbericht. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; 2007. p. 169-228. Available from: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationen,did=109690.html Externer Link