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GMS Health Innovation and Technologies

EuroScan international network e. V. (EuroScan)

ISSN 2698-6388

Knochenersatzmaterialien zur Behandlung von traumatischen Frakturen der Extremitäten

HTA-Kurzfassung

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  • corresponding author Anja Hagen - Abteilung für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • author Vitali Gorenoi - Abteilung für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • author Matthias P. Schönermark - Abteilung für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland

GMS Health Technol Assess 2012;8:Doc04

doi: 10.3205/hta000102, urn:nbn:de:0183-hta0001029

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/hta/2012-8/hta000102.shtml

Veröffentlicht: 14. Juni 2012
Veröffentlicht mit Erratum: 30. Juli 2012

© 2012 Hagen et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.

Der vollständige HTA Bericht in deutscher Sprache ist verfügbar unter: http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta281_bericht_de.pdf


Zusammenfassung

Gesundheitspolitischer und wissenschaftlicher Hintergrund

Bei der Behandlung von traumatischen Frakturen werden zusätzlich zur Standardtherapie und ggf. alternativ zu Knochentransplantaten zunehmend verschiedene Knochenersatzmaterialien eingesetzt.

Fragestellung

Es stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit, Kostenwirksamkeit sowie nach ethischen, sozialen und juristischen Implikationen beim Einsatz von Knochenersatzmaterialien bei traumatischen Frakturen.

Methodik

Eine systematische Literaturrecherche wird in den medizinischen elektronischen Datenbanken MEDLINE, EMBASE etc. im Dezember 2009 durchgeführt. In die Bewertung werden randomisierte kontrollierte Studien (RCT) ggf. mit gesundheitsökonomischen Analysen sowie Publikationen zu ethischen, sozialen sowie juristischen Aspekten einbezogen. Die medizinische Informationssynthese erfolgt nach Bewertung der Studienqualität u.a. in Form von Metaanalysen, die gesundheitsökonomische Informationssynthese deskriptiv.

Ergebnisse

14 RCT werden in die medizinische und zwei Analysen in die gesundheitsökonomische Bewertung einbezogen, zu ethischen, sozialen und juristischen Aspekten werden keine Publikationen identifiziert. Beim Vergleich Bone morphogenetic protein (BMP)-2 gegenüber Standardtherapie ohne Knochentransplantat bei Frakturen ergeben sich in einem RCT (mit erhöhtem Verzerrungspotenzial) signifikante Unterschiede zugunsten BMP-2 bezüglich mehrerer Endpunkte. Bei Calciumphosphat (CaP)-Zementen und knochenmarkhaltigen Kompositmaterialien zeigen sich beim Vergleich gegenüber Knochentransplantaten in den RCT (alle mit hohem Verzerrungspotenzial) signifikante Unterschiede zugunsten der Knochenersatzmaterialien bezüglich einzelner Endpunkte. Bei allen anderen Materialien finden sich in fast allen Vergleichen keine signifikanten Unterschiede.

Die BMP-2-Anwendung zusätzlich zur Standardbehandlung ohne Knochentransplantation führt bei Betrachtung aller Patienten mit traumatischen offenen Frakturen zur Kostenerhöhung. Einsparungen durch zusätzlichen BMP-2-Einsatz lassen sich allerdings bei der Patientensubgruppe mit hochgradig offenen Frakturen (Gustilo-Anderson-Grad-IIIB) errechnen. Die Kostenwirksamkeit beim BMP-2-Einsatz vs. Standardbehandlung mit Knochentransplantation sowie beim Einsatz anderer Knochenersatzmaterialien ist bisher nicht ermittelt.

Diskussion

Aufgrund der schlechten Studienqualität kann trotz einiger signifikanter Unterschiede zugunsten BMP-2 nur von einigen starken Hinweisen, bei CaP-Zementen und knochenmarkhaltigen Knochenersatzmaterialien nur von wenigen schwachen Hinweisen auf eine Wirksamkeit ausgegangen werden. Die Ergebnisübertragbarkeit aus den bewerteten gesundheitsökonomischen Analysen auf die heutige Situation in Deutschland mit gesamtwirtschaftlicher Perspektive ist eingeschränkt.

Schlussfolgerungen

Die Evidenzlage zum Einsatz von Knochenersatzmaterialien ist unbefriedigend.

Aus medizinischer Sicht ist der Einsatz von BMP-2 bei Patienten mit offenen Tibiafrakturen eine Therapieoption, insbesondere wenn keine Knochentransplantation infrage kommt. Dem Einsatz von Osteogenic protein (OP)-1 ist die Knochentransplantation vorzuziehen. Mögliche Vorteile beim Einsatz von CaP-Zementen und knochenmarkhaltigen Kompositmaterialien gegenüber einer Knochentransplantation sollen in die klinische Entscheidungsfindung einbezogen werden.

Der Einsatz des Hydroxylapatitmaterials und der Allograft-Knochenchips kann gegenüber einer Knochentransplantation nicht empfohlen werden.

Aus gesundheitsökonomischer Sicht ist der Einsatz von BMP-2 zusätzlich zur Standardbehandlung ohne Knochentransplantation nur bei Patienten mit hochgradig offenen Frakturen (Gustilo-Anderson-Grad-IIIB) als kostensparend zu empfehlen. Es können keine weiteren Empfehlungen zum Einsatz von Knochenersatzmaterialien bei Patienten mit Frakturen oder Nonunions gemacht werden.

Zur Vermeidung von juristischen Implikationen soll der Einsatz von Knochenersatzmaterialien außerhalb der zugelassenen Indikationen vermieden werden.

Schlüsselwörter: akademische Übersicht, akademisches Review, ärztliche Ökonomie, Bericht, Beurteilung, Bewertung, Bruch, CCT, CT, EBM, Effektivität, Effizienz, Entscheidungsfindung, Ethik, Evaluationsstudien, evidenzbasierte Medizin, Forschungsartikel, Fraktur, Frakturen, Knochen-, Genauigkeitsstudie, Gesundheit, Gesundheitsfinanzierung, Gesundheitsökonomie, gesundheitsökonomische Studie, Gesundheitspolitik, gutachtenbasierte Medizin, Health Technology Assessment, HTA, HTA Bericht, HTA-Bericht, klinische Studien, Knochen, Knochenbruch, Knochenersatzmaterialien, Knochenersatzmittel, Knochenfraktur, Knochentransplantat, Knochentransplantation, kontrollierte klinische Studien, Kosten, Kostenanalyse, Kostendämpfung, Kosteneffektivität, Kosten-Effektivität, Kostenkontrolle, Kostenminimierung, Kosten-Nutzen-Analyse, Kostenreduktion, Kostensenkung, Krankheitskosten, medizinische Beurteilung, medizinische Bewertung, medizinische Evaluation, medizinische Kosten, medizinische Technologie, medizinische Wirksamkeit, Mensch, Metaanalyse, Meta-Analyse, Modelle, ökonomische, multizentrische Studien, Ökonomie, ökonomischer Aspekt, ökonomisches Modell, Peer Review, Pharmaökonomie, Placebo, Plazebo, Plazeboeffekt, prospektive Studien, randomisierte klinische Studie, randomisierte kontrollierte Studien, randomisierte Studie, Randomisierung, RCT, Risikoabschätzung, Sensitivität, Sozialökonomie, sozialökonomische Faktoren, sozialökonomischer Faktor, sozioökonomischer Faktor, Spezifität, systematische Übersicht, systematisches Review, TA, Technikfolgen-Abschätzung, biomedizinische, technischer Bericht, Technologie, Technologie, medizinische, Technologiebeurteilung, Technologiebewertung, Technologieevaluation, Technology Assessment, Traumatologie, Übersichtsarbeit, Übersichtsliteratur, Validierungsstudien, verblindet, Verblindung, Wirksamkeit, wirtschaftlicher Aspekt, Zufall


Kurzfassung

Gesundheitspolitischer und wissenschaftlicher Hintergrund

Eine wesentliche Aufgabenstellung in der Traumatologie ist die Unterstützung der Frakturheilung nach Unfällen. Als traumatologische Fraktur wird üblicherweise eine Kontinuitätsunterbrechung eines Knochens mit zwei oder mehr Bruchstücken bezeichnet, die nicht auf sonstige den Knochen betreffende Grunderkrankungen, sondern lediglich auf die Gewalteinwirkung zurückzuführen ist.

Frakturbehandlungen zählen nach Angaben des Statistischen Bundesamts 2008 zu den 20 häufigsten Diagnosen und Knochentransplantation zu den 50 am häufigsten durchgeführten Operationen bei vollstationären Patienten.

Ist die Fraktur trotz Behandlung nach vier Monaten noch nicht knöchern durchbaut, ist von einer gestörten Knochenheilung auszugehen, nach sechs Monaten spricht man von einer Nonunion (sog. Falschgelenkbildung). Der zur Unterstützung der Frakturheilung bei bestimmter Defektgröße oder bei Nonunions heute übliche zusätzliche Einsatz von aus dem Beckenkamm gewonnenem autogenem (d. h. körpereigenem) Knochentransplantat ist durch die erforderlichen Entnahme- und Implantationsoperationen eine relativ teure Intervention. Hinzu kommt, dass autogenes Knochentransplantat nur limitiert verfügbar ist und der Eingriff mehrere Probleme wie Schmerzen und Infektionen an der Entnahmestelle verursachen kann.

Zusätzlich zur Standardbehandlung und als Alternative zur Defektauffüllung mit Knochentransplantaten werden zunehmend verschiedene andere Materialien, sog. Knochenersatzmaterialien, wie allogene (von anderen Menschen), xenogene (von Tieren) sowie synthetische Knochenersatzmaterialien diskutiert. Hinzu kommen innovative Ansätze aus dem Bereich der Gewebezüchtung (Tissue engineering) sowie die Applikation von Wachstumsfaktoren.

Trotz der hohen Relevanz steht eine systematische Bewertung von verschiedenen Knochenersatzmaterialien auf Basis hochwertiger Studien bisher aus. Der vorliegende Health Technology Assessment (HTA)-Bericht soll diese Lücke schließen sowie Klinikern und Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen einen evidenzbasierten Überblick über das Themengebiet ermöglichen.

Fragestellung

Medizinische Bewertung
  • Wie ist die Informationslage zur Wirksamkeit des Einsatzes von Knochenersatzmaterialien bei traumatischen Frakturen?
  • Wie gestaltet sich die medizinische Wirksamkeit des Einsatzes von Knochenersatzmaterialien bei traumatischen Knochenfrakturen?
Gesundheitsökonomische Bewertung
  • Wie ist die Informationslage zur Kostenwirksamkeit des Einsatzes von verschiedenen Knochenersatzmaterialien bei traumatischen Frakturen?
  • Wie gestaltet sich die Kostenwirksamkeit des Einsatzes von Knochenersatzmaterialien bei traumatischen Frakturen?
Ethische, soziale und juristische Bewertung
  • Welche spezifischen ethischen, sozialen und juristischen Implikationen sind beim Einsatz von Knochenersatzmaterialien bei traumatischen Frakturen zu beachten?

Methodik

Die systematische Literaturrecherche wird in den medizinischen elektronischen Datenbanken MEDLINE, EMBASE, BIOSIS, ETHMED, INAHTA, NHS-CRD-DARE, Cochrane Database etc. im Dezember 2009 durchgeführt und durch eine Handsuche vervollständigt. Die Recherchestrategie wird auf keinen Suchzeitraum beschränkt. Gesucht wird nach Publikationen in den Sprachen Deutsch und Englisch. Die Bewertung der Recherchetreffer erfolgt in drei Schritten (Titel, Zusammenfassungen, vollständige Publikationen). Zwei unabhängige Reviewer sind an der Selektion der relevanten Publikationen beteiligt.

Medizinische Bewertung

In die medizinische Analyse werden randomisierte kontrollierte Studien (RCT) zum Vergleich von Frakturbehandlungen mit Einsatz von Knochenersatzmaterialien vs. Frakturbehandlungen ohne diese Materialien oder Vergleiche von Frakturbehandlungen mit Einsatz verschiedener Knochenersatzmaterialien untereinander bei erwachsenen Patienten mit traumatischen Frakturen (Patienten ohne knochenrelevante Vorerkrankungen) einbezogen. Zusammenfassungen (engl.: abstracts) werden ausgeschlossen.

Die Daten aus den eingeschlossenen Studien werden anhand eines vorbereiteten Extraktionsformulars zusammengefasst. Die methodische Bewertung der Studienqualität erfolgt in Anlehnung an das Cochrane Risk-of-bias-Tool.

Bei der Informationssynthese werden die Studienergebnisse deskriptiv und falls sinnvoll, in Form von Metaanalysen zusammengefasst und hinsichtlich ihrer statistischen Heterogenität überprüft. Bei der Durchführung von Metaanalysen kommt das Random-effects-Modell mit einem 95 %-CI zum Einsatz (CI = Konfidenzintervall).

Gesundheitsökonomische Bewertung

In die Bewertung werden Publikationen mit gesundheitsökonomischen Analysen auf Basis von randomisierten kontrollierten Studien (RCT) zum Vergleich von Frakturbehandlungen mit Einsatz von Knochenersatzmaterialien vs. Frakturbehandlungen ohne diese Materialien sowie zum Vergleich von Frakturbehandlungen mit Einsatz verschiedener Knochenersatzmaterialien untereinander bei traumatischen Frakturen erwachsener Patienten einbezogen.

Die in den identifizierten Analysen verwendeten medizinischen Annahmen werden mit den Ergebnissen der medizinischen Bewertung des vorliegenden Berichts verglichen, die eingesetzten ökonomischen Annahmen auf ihre Übertragbarkeit für die aktuelle Situation in Deutschland geprüft.

Es wird eine qualitative Informationssynthese aus den Ergebnissen der einbezogenen gesundheitsökonomischen Analysen durchgeführt.

Ethisch-soziale und juristische Bewertung

Bei der Literaturrecherche wird nach Publikationen mit expliziter Betrachtung von ethischen, sozialen und juristischen Aspekten des Einsatzes von Knochenersatzmaterialien bei traumatischen Frakturen gesucht.

Ergebnisse

Medizinische Bewertung

Die Literaturrecherche ergibt 1.998 Treffer. Von diesen werden 13 Studien in die medizinische Bewertung eingeschlossen und durch eine über die Handsuche identifizierte Studie ergänzt, sodass insgesamt 14 Studien in die Analyse eingehen.

Zu den einzelnen Knochenersatzmaterialien liegen meist nur wenige oder sogar nur einzelne Studien vor, die sich teilweise auch noch in den Vergleichstechnologien insoweit unterscheiden, dass sie getrennt ausgewertet werden müssen. Studien zu Nonunions finden sich lediglich zum Einsatz des Wachstumsfaktors BMP (Bone morphogenetic protein).

Studien zu BMP bei Frakturen

Es werden drei Studien (alle mit erhöhtem oder hohem Verzerrungspotenzial) zum Einsatz von BMP bei Frakturen einbezogen, die sich alle auf eine Frakturlokalisation an der Tibia beziehen. Beim Einsatz von BMP-2 bei Frakturen zeigt sich im Vergleich zur Standardbehandlung ohne autogenes Knochentransplantat bei den Endpunkten Frakturheilung bis zum Studienende mit einem relativen Risiko (RR) von 1,41 (95 %-CI 1,14 bis 1,76), Frakturheilung mit notwendigem Sekundäreingriff mit einem RR von 0,56 (95 %-CI 0,40 bis 0,78) sowie der Komplikation Hardware-Versagen mit einem RR von 0,51 (95 %-CI 0,29 bis 0,88) und Komplikation Schmerzen mit einem RR von 0,86 (95 %-CI 0,74 bis 0,99) ein signifikanter Unterschied zugunsten BMP-2. Beim Endpunkt Komplikation Infektionen zeigt sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen.

Beim Vergleich BMP-2 gegenüber autogenem Knochentransplantat ergibt sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen.

Zum Einsatz von Osteogenic protein (OP)-1 im Vergleich zu Knochentransplantation ergeben sich auf Basis einer sehr kleinen Studie ebenfalls keine signifikanten Unterschiede zwischen den Studiengruppen (lediglich der Endpunkt Frakturheilung extrahierbar).

Einsatz von BMP bei Nonunions

Alle drei einbezogenen Studien (alle mit hohem Verzerrungspotenzial) zum Einsatz von BMP bei Nonunions untersuchen OP-1 vs. autologes Knochentransplantat. Zwei der Studien schließen Nonunions der Tibia, eine Studie Nonunions des distalen Radius ein.

Es zeigt sich lediglich in der Metaanalyse zum Endpunkt Hardware-Versagen mit einem RR von 0,69 (95 %-CI 0,49 bis 0,98) ein signifikanter Unterschied zugunsten OP-1, bei allen übrigen Endpunkten zeigen sich durchgehend keine signifikanten Unterschiede zwischen den Studiengruppen.

Einsatz von Calciumphosphat (CaP)-Zementen bei Frakturen

Es werden vier Studien (alle mit hohem Verzerrungspotenzial) zum Einsatz von CaP-Zementen bei Frakturen einbezogen. Jeweils eine Studie schließt ausschließlich distale Radiusfrakturen ein, eine multiple Frakturen der langen Röhrenknochen und des Calcaneus, eine ausschließlich Tibia-Plateau-Frakturen sowie eine ausschließlich Calcaneusfrakturen (da mit den anderen Studien nicht-vergleichbare Endpunkte, geht diese Studie nicht in die Informationssynthese ein).

Für die Gruppe der CaP-Zemente ergibt sich beim Vergleich mit Standardbehandlung ohne Knochentransplantat in einer Studie mit einem RR von 0,16 (95 %-CI 0,06 bis 0,45) ein signifikanter Vorteil zugunsten des CaP-Zements beim Endpunkt Komplikation Infektion. Bei den beiden anderen Endpunkten, Loss-of-reduction und Schmerzen, lassen sich keine signifikanten Unterschiede feststellen.

Beim Vergleich mit autogenem Knochentransplantat findet sich in der Metaanalyse ein signifikanter Unterschied bei den Endpunkten sekundärer Repositionsverlust mit einem RR von 0,33 (95 %-CI 0,15 bis 0,72) und Komplikation Schmerzen mit einem RR von 0,63 (95 %-CI 0,42 bis 0,95) zugunsten der CaP-Zemente. Beim Endpunkt Frakturheilung und Infektionen ist in der Metaanalyse kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen festzustellen.

Einsatz von knochenmarkhaltigen Kompositmaterialien bei Frakturen

Es werden zwei Studien (beide mit hohem Verzerrungspotenzial) zum Einsatz von knochenmarkhaltigen Kompositmaterialien bei Frakturen einbezogen, beide beziehen sich auf Frakturen der langen Röhrenknochen. Eine Studie untersucht das Material Collagraft® (Kollagen-CaP-Basis), das mit autogenem Knochenmark vermischt wird. Bei der anderen Studie wird dem Material Grafton®, das auf demineralisierter Knochenmatrix (DBM) basiert, autogenes Knochenmark zugemischt. Beide Studien vergleichen das jeweilige knochenmarkhaltige Kompositmaterial gegen autogenes Knochentransplantat.

In der Metaanalyse der beiden Studien finden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen bei den Endpunkten sekundärer Repositionsverlust und Frakturheilung. Signifikante Ergebnisse lassen sich aus einer Studie zum Endpunkt Infektionen mit einem RR von 0,36 (95 %-CI 0,17 bis 0,75) und zum Endpunkt Komplikation Schmerzen mit einem RR von 0,78 (95 %-CI 0,62 bis 0,98) zugunsten der knochenmarkhaltigen Kompositmaterialien entnehmen.

Einsatz von sonstigen Knochenersatzmaterialien bei Frakturen

Die einzelne Studie (mit hohem Verzerrungspotenzial) zum Vergleich von porösem Hydroxylapatitmaterial vs. autogenes Knochentransplantat bei Tibia-Plateau-Frakturen gibt an, dass sich weder in der radiologischen noch in der klinischen Nachuntersuchung signifikante Unterschiede zwischen Behandlungsalternativen zeigen. Die zu den Endpunkten Loss-of-reduction, Komplikation Hardware-Versagen sowie Komplikation Infektionen errechenbaren Ergebnisse zeigen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen.

Bei der einzelnen Studie (mit hohem Verzerrungspotenzial) zum Vergleich von allogenen Tutoplast®-Knochenchips vs. Knochentransplantat bei distalen Radiusfrakturen zeigt keinen signifikanten Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe hinsichtlich der Gesamterfolgsrate. Es ergibt sich ein signifikanter Unterschied zugunsten des Knochenersatzmaterials lediglich in Bezug auf die Komplikation Schmerzen mit einem RR = 0,25 (95 %-CI 0,08 bis 0,85).

Gesundheitsökonomische Bewertung

Die Literaturrecherche ergibt 134 Treffer. Es werden eine durch die Literaturrecherche und eine durch die Handsuche identifizierte Studie in die Analyse eingeschlossen.

In den beiden identifizierten gesundheitsökonomischen Studien wird basierend auf der randomisierten kontrollierten BESTT-Studie (mit erhöhtem Verzerrungspotenzial) der Effekt des Einsatzes von BMP-2 auf einem Kollagenträger zusätzlich zur Standardtherapie ohne Knochentransplantation im Vergleich zur alleinigen Standardtherapie ohne Knochentransplantation bei Patienten mit offenen Frakturen bewertet.

Die beiden Modelle berücksichtigen als Endpunkte die Frakturheilungszeit, die Rate der Revisionseingriffe für verzögerte Frakturheilung und die Rate der Infektionen. Die Kostenannahmen in den Analysen stammen aus Deutschland für 2005 bzw. aus dem Vereinigten Königreich von 2003 bis 2007.

Die BMP-2-Anwendung zusätzlich zur Standardbehandlung (ohne Knochentransplantation) führt bei Betrachtung aller Patienten mit traumatischen Frakturen zu einer Kostenerhöhung. Einsparungen werden allerdings bei hochgradigen Verletzungen ausgerechnet. Bei Gustilo-Anderson-Grad-IIIB-Verletzungen ergeben sich Einsparungen aus Sicht der Krankenkasse in Höhe von ca. 2.800 Euro (Evidenzstärke niedrig). Die Kostenwirksamkeit des Einsatzes von BMP-2 ist nicht nachgewiesen.

Die Kostenwirksamkeit des Einsatzes von BMP-2 kann aus heutiger Sachlage nicht ermittelt werden.

Die Kostenwirksamkeit sowie die Kostenunterschiede beim Einsatz anderer Knochenersatzmaterialien sind bislang nicht ermittelt.

Ethische, soziale und juristische Bewertung

Es wird keine Studie zu ethischen, sozialen und juristischen Aspekten beim Einsatz von Knochenersatzmaterialien bei Frakturen oder Nonunions identifiziert.

Diskussion

Medizinische Bewertung

Alle in die vorliegende Analyse einbezogenen Studien weisen mehr oder weniger schwere qualitative Mängel auf. Bedingt durch die breite Fragestellung des vorliegenden Berichts ergibt sich, selbst innerhalb der im Rahmen der Analysen gebildeten Subgruppen, eine erhebliche klinische Heterogenität der Studien, sodass die Durchführung von Metaanalysen nur in begrenztem Maß sinnvoll ist.

In deutlich über 50 % der Studien ist die adäquate Generierung der Randomisierungssequenz, die verdeckte Zuteilung in die Gruppen, die Vergleichbarkeit der Patientenausgangscharakteristika oder die Durchführung der Analyse nach dem Intention-to-treat (ITT)-Prinzip als zumindest fraglich einzuschätzen. Gleiches gilt für die Verblindung sowie die fehlende adäquate Beschreibung der Drop-outs. Darüber hinaus umfassen die meisten Studien nur sehr kleine Fallzahlen, nur in wenigen Studien wird eine adäquate Fallzahlplanung beschrieben. Dies kann dazu führen, dass fehlende signifikante Unterschiede auf zu geringe Fallzahlen zurückzuführen sind.

Insgesamt ist die Studienqualität überwiegend als schlecht einzustufen, sodass die Ergebnisse zurückhaltend zu interpretieren sind. Anzumerken ist außerdem ein sehr hoher Anteil an herstellergesponserten Studien und Publikationen. Allein aus den in mehreren Therapievergleichen fehlenden signifikanten Unterschieden zwischen den Behandlungsgruppen darf grundsätzlich keine Gleichwertigkeit der untersuchten Alternativen konstruiert werden.

Aufgrund der vorliegenden methodischen Limitationen der Studie zum Vergleich von BMP-2 vs. Standardtherapie ohne Knochentransplantat kann trotz signifikanter Unterschiede in einigen Endpunkten zugunsten des BMP-2 nicht von einem Wirksamkeitsnachweis, sondern nur von einem starken Hinweis ausgegangen werden. In noch vermehrtem Maß führt die schlechte Studienqualität, z. B. bei der Bewertung der CaP-Zemente und der knochenmarkhaltigen Kompositmaterialien, zu einer Abschwächung der ermittelten Evidenzstärke. Hierbei wird bei den wenigen Endpunkten mit signifikanten Unterschieden zugunsten der Knochenersatzmaterialien nicht von einem Wirksamkeitsnachweis ausgegangen, sondern lediglich von einem Hinweis auf eine Wirksamkeit.

Die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf die Behandlungssituation in Deutschland ist als relativ gut einzuschätzen. Schwieriger gestaltet sich die Frage nach der Übertragbarkeit der gewonnenen Ergebnisse auf Patienten mit anderen Ausgangscharakteristika.

Gesundheitsökonomische Bewertung

Anhand der medizinischen Bewertung weist das den gesundheitsökonomischen Analysen zugrundeliegende RCT mehrere methodische Limitationen auf. Einige klinische Annahmen sind aus der Studienpublikation nicht nachvollziehbar. Auch die Übertragbarkeit und die Aktualität der Ergebnisse aus den Analysen auf die heutige Situation in Deutschland mit gesamtwirtschaftlicher Perspektive sind eingeschränkt.

Die gesamtwirtschaftliche Betrachtung des Kostengeschehens wird außerdem durch fehlende Daten zu Kosten möglicher Rehabilitationsmaßnahmen, des Produktivitätsverlusts durch Arbeitsausfall sowie intangible Kosten etwas einschränkt.

Ethische, soziale und juristische Bewertung

Bei der „partizipativen Entscheidungsfindung“ zwischen Arzt und Patient bezüglich der zu wählenden Therapie ist eine ausführliche Information der Patienten über mögliche fehlende Langzeitergebnisse (z. B. in Bezug auf immunologische Veränderungen), insbesondere bei der Verwendung von BMP, erforderlich. Vor allem der Einsatz von Wachstumsfaktoren wie den BMP birgt bei der Verwendung außerhalb der untersuchten Lokalisationen (Off-label-Gebrauch) juristische Implikationen, da diese z. B. an anderen Lokalisationen vermehrt zu unerwünschten Proliferationen von Gewebe führen können.

Schlussfolgerungen

Der Einsatz von verschiedenen Knochenersatzmaterialien bei der Behandlung von Frakturen und Nonunions ist differenziert zu betrachten; die Datenlage und die Studienqualität sind unbefriedigend.

Aus medizinischer Sicht ist der Einsatz von BMP-2 bei Patienten mit offenen Tibiafrakturen eine Therapieoption, vor allem dann, wenn ein Knochentransplantat nicht infrage kommt. Gegenüber dem Einsatz von OP-1 bei Frakturen und bei Nonunions ist die Knochentransplantation vorzuziehen. Der Einsatz von CaP-Zementen bei Frakturen soll klinisch für den jeweiligen Einzelfall abgewogen werden, da sich Vorteile hinsichtlich sekundärer Repositionsverlust und Schmerzen gegenüber den Knochentransplantationen ergeben können. Gleiches gilt bei der Entscheidung für den Einsatz knochenmarkhaltiger Kompositmaterialien hinsichtlich Infektion und Schmerzen. Der Einsatz des Hydroxylapatitmaterials und der Allograft-Knochenchips kann gegenüber einer Knochentransplantation nicht empfohlen werden.

Die ermittelten Ergebnisse sind nur auf Patienten mit den in den Studien untersuchten Frakturen bzw. Nonunions übertragbar.

Aus gesundheitsökonomischer Sicht ist der Einsatz von BMP-2 zusätzlich zur Standardbehandlung ohne Knochentransplantation bei Patienten mit hochgradigen offenen Frakturen (Gustilo-Anderson-Grad-IIIB) als kostensparend zu empfehlen. Der Empfehlungsgrad ist wegen großer Unsicherheit der Kostenparameter und niedrigerer Evidenzstärke für klinische Vorteile niedrig.

Es können aus gesundheitsökonomischer Sicht keine Empfehlungen zum Einsatz von BMP-2 als Alternative zur Standardbehandlung mit Knochentransplantation sowie zum Einsatz anderer Knochenersatzmaterialien bei Patienten mit Frakturen gemacht werden.

Aus ethischer und juristischer Sicht soll beim Einsatz von Knochenersatzmaterialien eine ausführliche Information der Patienten auch über mögliche fehlende Langzeitergebnisse insbesondere bei der Verwendung von BMP, erfolgen. Juristische Implikationen beim Einsatz von Knochenersatzmaterialien können vor allem bei Verwendung außerhalb der zugelassenen Indikationen auftreten und sollten zumindest, wenn die Verwendung von Knochentransplantaten als Behandlungsalternative infrage kommt, vermieden werden.


Erratum

Der Artikel war zuerst mit dem englischen Titel „Bone graft substitutes in traumatology“ veröffentlicht worden.