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ISSN 2698-6388

CT-Koronarangiografie versus konventionelle invasive Koronarangiografie bei der KHK-Diagnostik

HTA-Kurzfassung

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  • corresponding author Vitali Gorenoi - Abteilung für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland
  • author Matthias P. Schönermark - Abteilung für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland
  • author Anja Hagen - Abteilung für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland

GMS Health Technol Assess 2012;8:Doc02

doi: 10.3205/hta000100, urn:nbn:de:0183-hta0001009

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/hta/2012-8/hta000100.shtml

Veröffentlicht: 16. April 2012

© 2012 Gorenoi et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.

Der vollständige HTA Bericht in deutscher Sprache ist verfügbar unter: http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta308_bericht_de.pdf


Zusammenfassung

Wissenschaftlicher Hintergrund

Zur Diagnose der koronaren Herzkrankheit (KHK) werden verschiedene Verfahren eingesetzt, darunter die konventionelle invasive Koronarangiografie und die nicht invasive computertomografische (CT) Koronarangiografie.

Fragestellung

Es stellen sich Fragen nach der klinischen Wirksamkeit, der diagnostischen Genauigkeit, der prognostischen Güte, der Kosten-Wirksamkeit sowie nach ethischen, sozialen und juristischen Implikationen der CT-Koronarangiografie vs. invasive Koronarangiografie bei der KHK-Diagnostik.

Methodik

Eine systematische Literaturrecherche wird im Oktober 2010 in elektronischen Datenbanken (MEDLINE, EMBASE etc.) durchgeführt und durch eine Handsuche ergänzt. Die Literaturrecherche wird auf Publikationen ab 2006 sowie auf die Sprachen Deutsch oder Englisch eingeschränkt. Zwei unabhängige Reviewer sind an der Selektion der relevanten Publikationen beteiligt.

Bei der medizinischen Bewertung werden die systematischen Übersichten diagnostischer Studien mit dem Referenzstandard invasive Koronarangiografie sowie diagnostische Studien mit dem Referenzstandard intrakoronare Druckmessung ausgewertet. Studienergebnisse werden mittels einer Metaanalyse auf dem 95 %-Konfidenzintervall (CI) zusammengefasst. Zusätzlich werden Daten zur Strahlendosis aus aktuellen nicht systematischen Übersichten berücksichtigt.

Bei der gesundheitsökonomischen Bewertung wird eine Modellierung aus gesellschaftlicher Perspektive mit klinischen Annahmen aus der Metaanalyse und ökonomischen Annahmen aus aktuellen deutschen Quellen durchgeführt.

Informationsquellen zu speziellen Fragestellungen (Bypass- bzw. In-Stent-Restenosen) werden nicht berücksichtigt. Es werden ausschließlich Daten zu mindestens 64-Zeilen-CT-Geräten betrachtet.

Ergebnisse

Es liegen keine Studien zur medizinischen Wirksamkeit und zur prognostischen Güte von CT-Koronarangiografie vs. konventionelle invasive Koronarangiografie bei der Diagnostik der KHK vor.

Es werden 15 systematische Übersichten mit Daten aus 44 diagnostischen Studien bezogen auf den Referenzstandard invasive Koronarangiografie (Identifikation obstruktiver Stenosen) und zwei diagnostische Studien bezogen auf den Referenzstandard intrakoronare Druckmessung (Identifikation funktionell relevanter Stenosen) in die medizinische Bewertung einbezogen.

Die durch die eigene Metaanalyse der neun methodisch besseren Studien ermittelte Sensitivität für die CT-Koronarangiografie bezogen auf den Referenzstandard invasive Koronarangiografie beträgt 96 % (95 % CI: 93 % bis 98 %), die Spezifität 86 % (95 % CI: 83 % bis 89 %), die positive Likelihood-Ratio 6,38 (95 % CI: 5,18 bis 7,87) und die negative Likelihood-Ratio 0,06 (95 % CI: 0,03 bis 0,10). Aufgrund nicht auswertbarer CT-Koronarangiografien werden circa 3,6 % der untersuchten Patienten trotzdem noch mittels einer invasiven Koronarangiografie untersucht.

Die Sensitivität der CT-Koronarangiografie vs. invasive Koronarangiografie bezogen auf den Referenzstandard intrakoronare Druckmessung beträgt entsprechend 80 % (95 % CI: 61 % bis 92 %) vs. 67 % (95 % CI: 51 % bis 78 %), die Spezifität 67 % (95 % CI: 47 % bis 83 %) vs. 75 % (95 % CI: 60 % bis 86 %), die durchschnittliche positive Likelihood-Ratio 2,3 vs. 2,6 und die durchschnittliche negative Likelihood-Ratio 0,3 vs. 0,4.

Verglichen mit invasiver Koronarangiografie ist die durchschnittliche effektive Strahlendosis bei der CT-Koronarangiografie mit retrospektivem Elektrokardiogramm (EKG)-Gating höher und mit prospektivem EKG-Gating relativ ähnlich.

Im Rahmen der gesundheitsökonomischen Modellierung bezogen auf den Referenzstandard invasive Koronarangiografie sind bei einer Prätestwahrscheinlichkeit für KHK bis 50 % die Kosten der CT-Koronarangiografie und ab 70 % die der invasiven Koronarangiografie niedriger pro richtig positiv diagnostiziertem Patienten. Bezogen auf den Referenzstandard intrakoronare Druckmessung sind erheblich höhere Kosten pro richtig positiv diagnostiziertem Patienten für die beiden Koronarangiografietypen zu verzeichnen.

Es werden zwei Publikationen zu ethischen Aspekten identifiziert: in der ersten werden die ethischen Gesichtspunkte in Bezug auf die Prinzipien Wohltat, Autonomie und Gerechtigkeit betrachtet, in der zweiten in Bezug auf die Bestrahlungsexposition, insbesondere bei der Anwendung innerhalb von Studien.

Diskussion

Die Trennschärfe der CT-Koronarangiografie zur Identifikation von Patienten mit obstruktiven (über 50%igen) Koronarstenosen ist als „hohe diagnostische Evidenz“, zur Identifikation von Patienten ohne obstruktive Koronarstenosen als „überzeugende diagnostische Evidenz“ zu betrachten. Zur Identifikation von Patienten mit bzw. ohne funktionell relevante Koronarstenosen ist die Trennschärfe der beiden Koronarangiografietypen als „schwache diagnostische Evidenz“ einzuschätzen.

Bei Patienten mit hoher Prätestwahrscheinlichkeit für KHK ist von der notwendigen Durchführung einer invasiven Koronarangiografie und bei Patienten mit niedriger von einem fehlenden Bedarf an anschließender Revaskularisation auszugehen. Die CT-Koronarangiografie wäre somit als Vorschalttest vor invasiver Koronarangiografie bei Patienten mit mittlerer Prätestwahrscheinlichkeit für KHK anwendbar.

Zur Identifikation bzw. zum Ausschluss von obstruktiven Koronarstenosen zeigt sich, dass bei der Prätestwahrscheinlichkeit für KHK bis 50 % die CT-Koronarangiografie und ab 70 % die invasive Koronarangiografie kostengünstigerer ist. Es ist von einem übermäßigen Kostenverbrauch beim Einsatz der jeweiligen Koronarangiografietypen zur Identifikation bzw. zum Ausschluss der funktionell relevanten Koronarstenosen auszugehen.

In Bezug auf ethische, soziale oder juristische Aspekte lassen sich folgende mögliche Implikationen ableiten: Unter- bzw. Überversorgung mit Gesundheitsleistungen, unnötige Komplikationen, Verängstigung und Stigmatisierung der Patienten, Einschränkung der Selbstbestimmung, ungleicher Zugang zur medizinischen Versorgung, ungerechte Ressourcenverteilung sowie juristische Auseinandersetzungen.

Schlussfolgerungen

Zum Ausschluss obstruktiver Koronarstenosen ist die CT-Koronarangiografie mit mindestens 64-zeiligen Geräten als Vorschaltetest zur Vermeidung einer unangemessenen invasiven Koronarangiografie aus medizinischer Sicht bei Patienten mit mittlerer Prätestwahrscheinlichkeit für KHK, dabei aus gesundheitsökonomischer Sicht bei Patienten bis einschließlich 50%iger Prätestwahrscheinlichkeit für KHK, zu empfehlen.

Zur Identifikation bzw. zum Ausschluss funktionell relevanter Koronarstenosen können sowohl aus medizinischer als auch aus gesundheitsökonomischer Sicht weder die CT-Koronarangiografie mit mindestens 64-zeiligen Geräten noch die invasive Koronarangiografie als alleiniges diagnostisches Verfahren empfohlen werden.

Um potenzielle negative ethische, soziale und juristische Implikationen zu minimieren, sollen die ethisch-moralischen Prinzipien Wohltat, Autonomie und Gerechtigkeit beachtet werden.

Schlüsselwörter: Diagnose, Diagnostik, EBM, evidenzbasierte Medizin, gesundheitsökonomische Analyse, gutachtenbasierte Medizin, Health Technology Assessment, HTA, KHK, Koronarangiographie, koronare Erkrankung, koronare Herzkrankheit, Koronarkrankheit, Kosten-Nutzen-Analyse, Mensch, Metaanalyse, Meta-Analyse, Stenose, systematisches Review, systematische Übersicht, Übersichtsliteratur


Kurzfassung

Gesundheitspolitischer und wissenschaftlicher Hintergrund

Die koronare Herzkrankheit (KHK) gehört zu den häufigsten Krankheitsbildern mit großer epidemiologischer und volkswirtschaftlicher Bedeutung. Eine KHK ist mit Symptomen der verringerten Versorgung des Herzmuskels (z. B. Angina Pectoris) und mit einem erhöhten Risiko für thrombotische Ereignisse (z. B. Myokardinfarkt) verbunden.

Zur Diagnose der KHK werden verschiedene Verfahren eingesetzt, darunter die Koronarangiografie mit Herzkathetereinsatz, sogenannte konventionelle invasive Koronarangiografie, und zunehmend die Koronarangiografie ohne Herzkathetereinsatz, sogenannte computertomografische (CT) Koronarangiografie. Da die Koronararterien sehr klein sind, die durch das Zusammenziehen des Herzmuskels sehr schnell bewegt werden, muss die CT-Koronarangiografie hohe technische Voraussetzungen zur Vermeidung einer fehlerhaften Bilddarstellung erfüllen.

Die invasive Koronarangiografie gilt bislang durch die Beurteilbarkeit von Koronarstenosen und durch die Möglichkeit zur unmittelbareren Erfolgskontrolle der durchgeführten Revaskularisation als Goldstandard für die Diagnostik einer durch eine Stenose verursachten KHK. Es erfolgt allerdings nur bei etwa 40 % der invasiven Koronarangiografien eine direkt anschließende Koronarintervention. Die invasive Koronarangiografie ist zusätzlich mit dem Risiko ernsthafter Komplikationen verbunden. Somit könnte ein nicht-invasives Verfahren, das die für die Durchblutung und die Prognose relevanten Koronarstenosen sicher nachweist bzw. ausschließt, die invasive Koronarangiografie und ggf. andere Diagnostik ersetzen.

Insbesondere wegen des geringeren Komplikationsrisikos und des höheren Potenzials hinsichtlich der Prognose schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (durch die Beurteilung von nicht-kalzifizierten rupturgefährdeten Plaques), wird der CT-Koronarangiografie eine zunehmend größere Rolle im Rahmen der KHK-Diagnostik und der Therapieauswahl zugeschrieben. Aktuell wird die CT-Koronarangiografie primär als Verfahren diskutiert, um das Vorliegen von obstruktiven (über 50%igen) Koronararterienstenosen bei Patienten auszuschließen und somit bei einer größeren Anzahl an Patienten auf eine invasive Koronarangiografie verzichten zu können.

Die beiden diagnostischen Untersuchungen liefern allerdings nur eingeschränkte Informationen über die Relevanz der identifizierten Stenose für die Durchblutungsstörung und für die Prognose hinsichtlich zukünftiger koronarer Ereignisse. Somit wird der Stellenwert der Koronarangiografien für die KHK-Diagnostik und für die Entscheidung für oder gegen eine Revaskularisation insgesamt infrage gestellt.

Der Vergleich von Wirksamkeit, Nebenwirkungen, Strahlendosis, diagnostischer und prognostischer Güte, Kosten und Kosten-Wirksamkeit von konventioneller invasiver Koronarangiografie vs. CT-Koronarangiografie sowie das Auffinden von ethischen, sozialen und juristischen Implikationen auf Basis einer systematischen Literaturübersicht sind Ziele des vorliegenden Berichts.

Fragestellung

Medizinische Bewertung

Wie ist die medizinische Wirksamkeit, die diagnostische Genauigkeit sowie die prognostische Güte der CT-Koronarangiografie im Vergleich zu konventioneller invasiver Koronarangiografie bei der Diagnostik der KHK?

Gesundheitsökonomische Bewertung

Wie sind die Kosten der CT-Koronarangiografie im Vergleich zu denen konventioneller invasiver Koronarangiografie in Relation zu medizinischer Wirksamkeit, diagnostischer Genauigkeit oder prognostischer Güte bei der Diagnostik der KHK?

Ethische, soziale und juristische Bewertung

Welche ethischen, sozialen und juristischen Implikationen sind beim Einsatz der CT-Koronarangiografie oder der konventionellen invasiven Koronarangiografie bei der Diagnostik der KHK zu beachten?

Methodik

Medizinische Bewertung

Die Literaturrecherche wird in medizinischen elektronischen Datenbanken (MEDLINE, EMBASE etc.) im Oktober 2010 durchgeführt und durch eine Handsuche ergänzt. Die Recherche wird auf Publikationensdatum ab 2006 eingeschränkt sowie auf die Sprachen Deutsch oder Englisch begrenzt. Zwei unabhängige Reviewer sind an der Selektion der relevanten Publikationen beteiligt.

Zunächst werden aus den identifizierten Treffern systematische Übersichten von kontrollierten klinischen, diagnostischen bzw. prognostischen Studien zum Vergleich CT-Koronarangiografie vs. invasive Koronarangiografie bei der KHK-Diagnostik ausgewählt. Als einzuschließende Endpunkte gelten Mortalität, Morbidität sowie Parameter der diagnostischen und der prognostischen Güte.

Anschließend wird in den identifizierten Treffern nach kontrollierten klinischen Studien und prognostischen Studien zum Vergleich von CT-Koronarangiografie vs. invasive Koronarangiografie bei der KHK-Diagnostik und zusätzlich nach diagnostischen Studien zu dieser Fragestellung mit dem Referenzstandard intrakoronare Druckmessung oder intravaskulärer Ultraschall gesucht.

Systematische Übersichten und Studien zu speziellen Fragestellungen (Bypass- bzw. In-Stent-Restenosen), Abstracts sowie Auswertungen auf Segmentbasis werden nicht berücksichtigt. Es werden ausschließlich Informationsquellen mit Daten zu mindestens 64-zeiligen CT-Geräten einbezogen. Zusätzlich werden aktuelle Literaturdaten zur Strahlendosis aus nicht systematischen Übersichten berücksichtigt.

Die selektierten systematischen Übersichten werden einer Bewertung des Verzerrungspotenzials unterzogen. Der Pool einbezogener diagnostischer Studien wird überprüft, die Studienqualität wird anhand der Angaben in den systematischen Übersichten bewertet. Auf Basis der Studiendaten in diesen Übersichten wird eine Metaanalyse ausschließlich für 64-zeilige Geräte durchgeführt.

Bei der Metaanalyse werden die Sensitivität, Spezifität, positive Likelihood-Ratio (LR+) und negative Likelihood-Ratio (LR-) auf dem 95%igen Konfidenzintervall (CI) im Random-effect-Modell sowie die area under the curve (AUC) der receiver operating characteristic (ROC)-Kurve mithilfe des Programms Meta-DiSc errechnet. Aufgrund der Heterogenität der Ergebnisse wird anschließend eine Metaanalyse methodisch besserer Studien durchgeführt.

Die identifizierten diagnostischen Studien mit dem Referenzstandard intrakoronare Druckmessung werden ebenfalls methodisch bewertet. Die Informationssynthese dieser Studien erfolgt qualitativ.

Außerdem werden die Patientenanteile mit richtig positiven, mit richtig negativen Diagnosen sowie die effektive Strahlendosis für verschiedene Szenarien mit Einsatz der CT-Koronarangiografie oder der invasiven Koronarangiografie, jeweils mit invasiver Koronarangiografie bzw. intrakoronarer Druckmessung als Referenzstandard, in Abhängigkeit von der Prätestwahrscheinlichkeit errechnet.

Gesundheitsökonomische Bewertung

Die Literaturrecherche wird in medizinischen, darunter auch gesundheitsökonomisch relevanten, elektronischen Datenbanken im Oktober 2010 durchgeführt. Die Recherche wird auf die Publikationsjahre ab 2006 sowie auf die Sprachen Deutsch und Englisch beschränkt. Zwei unabhängige Reviewer sind an der Selektion der relevanten Publikationen beteiligt.

Aus den identifizierten Treffern werden systematische Übersichten von Studien mit gesundheitsökonomischen Analysen, gesundheitsökonomische Studien bzw. Modellierungen zum Vergleich CT-Koronarangiografie vs. invasive Koronarangiografie bei der KHK-Diagnostik für das deutsche Gesundheitssystem mit Annahmen aus systematischen Übersichten ausgewählt. Als Endpunkte werden Kosten und Kosten-Wirksamkeit berücksichtigt.

Gesundheitsökonomische Bewertungen zu speziellen Fragestellungen (Bypass- bzw. In-Stent-Restenosen), Abstracts sowie Analysen auf Segmentbasis werden nicht eingeschlossen. Es werden ausschließlich Informationsquellen zu CT-Geräten mit mindestens 64 Zeilen betrachtet. Die Fragestellung, Methodik, Ergebnisse und Schlussfolgerungen der einzelnen identifizierten gesundheitsökonomischen Studien werden beschrieben.

Im Rahmen der gesundheitsökonomischen Modellierung werden die Gesamtkosten pro Patienten und die Kosten pro richtig positiv diagnostiziertem Patienten für die CT-Koronarangiografie sowie die invasive Koronarangiografie in Abhängigkeit von der Prätestwahrscheinlichkeit für verschiedene Szenarien mit invasiver Koronarangiografie bzw. intrakoronarer Druckmessung als Referenzstandard berechnet.

Die bei der Modellierung getroffenen klinischen Annahmen werden überwiegend aus der medizinischen Bewertung entnommen (z. B. für Sensitivität, Spezifität). Die Kosten werden aus der gesellschaftlichen Perspektive betrachtet und stammen aus aktuellen deutschen Quellen.

Ethische, soziale und juristische Bewertung

Bei der Literaturrecherche wird nach Publikationen mit der expliziten Betrachtung ethischer, sozialer bzw. juristischer Aspekte der CT-Koronarangiografie und der invasiven Koronarangiografie bei KHK-Diagnostik gesucht. Einzelne Publikationen werden beschrieben. Die Informationssynthese erfolgt qualitativ.

Ergebnisse

Medizinische Bewertung
Ergebnisse der Literaturrecherche

Die systematische Literaturrecherche ergibt 1.913 Treffer. Es werden 15 systematische Übersichten und zwei diagnostische Studien in die medizinische Bewertung einbezogen.

Medizinische Wirksamkeit und prognostische Güte

Es liegen keine Studien zur medizinischen Wirksamkeit und zur prognostischen Güte der CT-Koronarangiografie im Vergleich zu konventioneller invasiver Koronarangiografie bei der Diagnostik der KHK vor.

Diagnostische Güte bezogen auf den Referenzstandard invasive Koronarangiografie

Zur Ermittlung der diagnostischen Güte der CT-Koronarangiografie bezogen auf den Referenzstandard invasive Koronarangiografie (Identifikation obstruktiver Koronarstenosen) werden 15 systematische Übersichten mit Daten aus 44 Studien mit mindestens 64-zeiligen Geräten ausgewertet. Die durch die Metaanalyse der neun methodisch besseren Studien ermittelte Sensitivität für CT-Koronarangiografie beträgt 96 % (95 % CI: 93 % bis 98 %), die Spezifität 86 % (95 % CI: 83 % bis 89 %), die LR+ 6,38 (95 % CI: 5,18 bis 7,87) und die LR- 0,06 (95 % CI: 0,03 bis 0,10). Die AUC der ROC-Kurve liegt bei 0,962 ± 0,023 und der Q*-Wert bei 0,91 ± 0,03 (jeweils Mittelwert ± Standardfehler). Aufgrund nicht auswertbarer CT-Koronarangiografien werden allerdings circa 3,6 % der Patienten trotzdem noch mittels einer invasiven Koronarangiografie untersucht.

Diagnostische Güte bezogen auf den Referenzstandard intrakoronare Druckmessung

Zum Vergleich CT-Koronarangiografie vs. invasive Koronarangiografie bezogen auf den Referenzstandard intrakoronare Druckmessung (Identifikation funktionell relevanter Koronarstenosen) werden zwei Studien identifiziert, dabei sind nur die Daten aus einer dieser Studien verwertbar. Die Sensitivität beträgt entsprechend 80 % (95 % CI: 61 % bis 92 %) vs. 67 % (95 % CI: 51 % bis 78 %), die Spezifität 67 % (95 % CI: 47 % bis 83 %) vs. 75 % (95 % CI: 60 % bis 86 %), die durchschnittliche LR+ 2,3 vs. 2,6 und die durchschnittliche LR- 0,3 vs. 0,4.

Vergleich der diagnostischen Güte bezogen auf den Referenzstandard invasive Koronarangiografie vs. auf den Referenzstandard intrakoronare Druckmessung

Wegen der niedrigeren Sensitivität und der niedrigeren Spezifität der beiden Koronarangiografietypen bezogen auf den Referenzstandard intrakoronare Druckmessung im Vergleich zum Referenzstandard invasive Koronarangiografie sind die Anteile der als richtig positiv sowie der als richtig negativ diagnostizierten Patienten ebenfalls niedriger. Insgesamt werden bei der CT- und bei der invasiven Koronarangiografie bezogen auf den Referenzstandard intrakoronare Druckmessung lediglich bis 80 % der Patienten korrekt eingestuft, deutlich weniger als im Vergleich zur Diagnostik bezogen auf den Referenzstandard invasive Koronarangiografie.

Kontrastmittelmenge und Strahlendosis

Eine vergleichende Metaanalyse der CT-Koronarangiografie und der invasiven Koronarangiografie zur Kontrastmittelmenge und zur effektiven Strahlendosis fehlt. Die verbrauchte durchschnittliche Kontrastmittelmenge beträgt laut Angaben aus 43 Studien für mehr als 16-zeilige CT-Geräte 31,3 g, die durchschnittliche effektive Strahlendosis liegt laut Angaben aus 29 Studien für mehr als 16-zeilige CT-Geräte mit retrospektivem Elektrokardiogramm (EKG)-Gating bei 13,0 mSv.

Die effektive Strahlendosis bei der invasiven Koronarangiografie und bei der CT-Koronarangiografie mit prospektivem EKG-Gating ist im Vergleich zur CT-Koronarangiografie mit retrospektivem EKG-Gating im Durchschnitt niedriger (ca. 5 bis 7 mSv vs. 2 bis 4 mSv; Daten stammen aus nicht systematischen Übersichten). Bei der Betrachtung der Strategie mit CT-Koronarangiografie und anschließender invasiver Koronarangiografie bei positivem Befund zeigt sich eine Steigerung der durchschnittlichen effektiven Dosis bei steigernder Prätestwahrscheinlichkeit für KHK. Verglichen mit invasiver Koronarangiografie ist die durchschnittliche effektive Strahlendosis bei der CT-Koronarangiografie mit prospektivem EKG-Gating relativ ähnlich.

Gesundheitsökonomische Bewertung
Ergebnisse der Literaturrecherche

Die systematische Literaturrecherche ergibt insgesamt 97 Treffer. Nach der Durchsicht im Volltext wird nur eine Publikation in die gesundheitsökonomische Bewertung einbezogen.

Bewertung der einbezogenen Studie

Die Studie zeigt, dass bis einschließlich 50%iger Prätestwahrscheinlichkeit für KHK die CT-Koronarangiografie und ab 70%iger Prätestwahrscheinlichkeit für KHK die invasive Koronarangiografie kostengünstigerer pro korrekt diagnostiziertem Patienten mit obstruktiver Koronarstenose ist.

Ergebnisse der gesundheitsökonomischen Modellierung

Beim Vergleich der CT-Koronarangiografie und der invasiven Koronarangiografie bezogen auf den Referenzstandard invasive Koronarangiografie zeigen sich steigende Gesamtkosten pro Patienten bei der Diagnostik durch die CT-Koronarangiografie in Abhängigkeit von der Prätestwahrscheinlichkeit für KHK mit einer Überschneidung der Kurven für anfallende Gesamtkosten pro Patienten für beide Diagnostikverfahren bei circa 60%iger Prätestwahrscheinlichkeit. Bei der Prätestwahrscheinlichkeit für KHK bis einschließlich 50 % sind die Kosten der CT-Koronarangiografie und bei der Prätestwahrscheinlichkeit ab 70 % die der invasiven Koronarangiografie niedriger pro richtig positiv diagnostiziertem Patienten.

Bei der Betrachtung der beiden Koronarangiografietypen bezogen auf den Referenzstandard intrakoronare Druckmessung ändert sich das Bild im Vergleich zum Referenzstandard invasive Koronarangiografie erheblich, mit deutlicher Zunahme der Gesamtkosten pro Patienten und der Gesamtkosten pro richtig positiv diagnostiziertem Patienten, insbesondere im Bereich der niedrigen Prätestwahrscheinlichkeit für KHK.

Ethische, soziale und juristische Bewertung

Es werden zwei Publikationen identifiziert. Eine Publikation befasst sich mit ethischen Überlegungen bei der Anwendung der CT-Angiografie. Die ethischen Gesichtspunkte werden im Rahmen der drei ethischen Prinzipien Wohltat, Autonomie und Gerechtigkeit betrachtet. Die zweite Publikation widmet sich den ethischen Implikationen der CT-Koronarangiografie vorrangig in Bezug auf die Bestrahlungsexposition, insbesondere bei der Anwendung innerhalb von Studien.

Diskussion

Medizinische Bewertung
Methodische Aspekte

Verschiedene methodische Aspekte der Literaturrecherche, der identifizierten systematischen Übersichten, der diagnostischen Studien und der durchgeführten Informationssynthese können die Ergebnisse der medizinischen Bewertung verzerren. Die Validität der durchgeführten Metaanalysen hängt von der Validität der einzelnen diagnostischen Studien und der Kombinierbarkeit der Studienergebnisse für etwas unterschiedliche Populationen und Technologiemodifikationen ab.

Die invasive Koronarangiografie ist ein zuverlässiger Referenzstandard zur Identifikation von Koronarstenosen, die intrakoronare Druckmessung von funktionell relevanten Koronarstenosen. Beide Tests sind allerdings nur eingeschränkt aussagekräftig in Bezug auf die Prognose.

Interpretation der Ergebnisse

Die medizinische Wirksamkeit und die prognostische Güte der CT-Koronarangiografie im Vergleich zu invasiver Koronarangiografie bei der Diagnostik der KHK können aus heutiger Datenlage nicht beurteilt werden, da entsprechende Studien fehlen.

Die Trennschärfe der CT-Koronarangiografie zur Identifikation von Patienten mit obstruktiven Koronarstenosen (entsprechend LR+) ist als „hohe diagnostische Evidenz“, zur Identifikation von Patienten ohne obstruktive Koronarstenosen (entsprechend LR-) als „überzeugende diagnostische Evidenz“ zu betrachten. Somit ist die CT-Koronarangiografie mit mindestens 64-zeiligen Geräten als Test zum Ausschluss obstruktiver Koronarstenosen anzusehen.

Da bei Patienten mit hoher Prätestwahrscheinlichkeit für KHK von der notwendigen Durchführung einer invasiven Koronarangiografie und bei Patienten mit niedriger Prätestwahrscheinlichkeit von einem fehlenden Bedarf an anschließender Revaskularisation auszugehen ist, wäre die CT-Koronarangiografie als Vorschalttest vor invasiver Koronarangiografie bei Patienten mit mittlerer Prätestwahrscheinlichkeit für KHK anwendbar.

Zur Identifikation von Patienten mit bzw. ohne funktionell relevante Stenosen ist sowohl die Trennschärfe der CT-Koronarangiografie als auch die der invasiven Koronarangiografie nur als „schwache diagnostische Evidenz“ zu betrachten. Da hierzu nur zwei kleine und methodisch nicht einwandfreie Studien vorliegen, sollen diese Ergebnisse mit entsprechender Vorsicht betrachtet werden. Trotzdem sind diese Daten als Warnung vor einem übermäßigen Einsatz der Koronarangiografien ohne eine zuverlässige Durchblutungsdiagnostik zu bewerten.

Die ermittelten Ergebnisse spiegeln die raschen Entwicklungen bei der CT-Koronarangiografie hinsichtlich der Reduktion der Strahlendosis wider. Die effektive Strahlendosis der CT-Koronarangiografie mit prospektivem EKG-Gating ähnelt der effektiven Strahlendosis der invasiven Koronarangiografie.

Gesundheitsökonomische Bewertung
Methodische Aspekte

Verschiedene methodische Aspekte der Literaturrecherche und der Modellierung können die Ergebnisse der gesundheitsökonomischen Modellierung verzerren.

Die Verwendung der klinischen Annahmen aus einer aktuellen Metaanalyse sowie der Kostenannahmen für das deutsche Gesundheitssystem ermöglicht einen hohen Evidenzgrad der gesundheitsökonomischen Modellierung und vermeidet Probleme der Übertragbarkeit für die ermittelten Ergebnisse.

Interpretation der Ergebnisse

Die Kosten pro vermiedenem kardiovaskulären Ereignis bzw. pro gewonnenem qualitätsadjustierten Lebensjahr beim Einsatz der CT-Koronarangiografie im Vergleich zu invasiver Koronarangiografie im Rahmen der KHK-Diagnostik kann aus heutiger Datenlage nicht beurteilt werden, da entsprechende Studien fehlen.

Zur Identifikation bzw. zum Ausschluss von obstruktiven Koronarstenosen zeigt sich, dass bei der Prätestwahrscheinlichkeit für KHK bis 50 % die CT-Koronarangiografie und ab 70 % die invasive Koronarangiografie kostengünstigerer ist.

Es ist von einem übermäßigen Kostenverbrauch beim Einsatz der jeweiligen Koronarangiografietypen zur Identifikation bzw. zum Ausschluss der funktionell relevanten Koronarstenosen auszugehen. Allerdings stammen entsprechende Parameter der diagnostischen Güte aus einer kleinen Einzelstudie, was die Aussagekraft der Analyse einschränkt.

Ethische, soziale und juristische Bewertung

Aus der Zusammenschau der Publikationen lassen sich in Bezug auf ethische, soziale oder juristische Aspekte einige mögliche Implikationen ableiten: Unter- bzw. Überversorgung mit Gesundheitsleistungen, unnötige Komplikationen, Verängstigung und Stigmatisierung der Patienten, Einschränkung der Selbstbestimmung, ungleicher Zugang zur medizinischen Versorgung, ungerechte Ressourcenverteilung sowie juristische Auseinandersetzungen.

Es finden sich in diesen Quellen keine Hinweise für Unterschiede der CT-Koronarangiografie und der invasiven Koronarangiografie bezüglich ethischer, sozialer oder juristischer Implikationen, die über Auswirkungen einer abweichenden diagnostischen Güte hinausgehen.

Schlussfolgerungen

Zum Ausschluss obstruktiver Koronarstenosen ist die CT-Koronarangiografie mit mindestens 64-zeiligen Geräten als Vorschaltetest zur Vermeidung einer unangemessenen invasiven Koronarangiografie aus medizinischer Sicht bei Patienten mit mittlerer Prätestwahrscheinlichkeit für KHK, dabei aus gesundheitsökonomischer Sicht bei Patienten bis einschließlich 50%iger Prätestwahrscheinlichkeit für KHK, zu empfehlen.

Zur Identifikation bzw. zum Ausschluss funktionell relevanter Koronarstenosen können sowohl aus medizinischer als auch aus gesundheitsökonomischer Sicht weder die CT-Koronarangiografie mit mindestens 64-zeiligen Geräten noch die invasive Koronarangiografie als alleiniges diagnostisches Verfahren empfohlen werden.

Um potenzielle negative ethische, soziale und juristische Implikationen zu minimieren, sollen die ethisch-moralischen Prinzipien der Wohltat, Autonomie und Gerechtigkeit beachtet werden.