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GMS Health Innovation and Technologies

EuroScan international network e. V. (EuroScan)

ISSN 2698-6388

Sturzprophylaxe bei älteren Menschen in ihrer persönlichen Wohnumgebung

HTA-Kurzfassung

  • corresponding author Katrin Balzer - Sektion Forschung und Lehre in der Pflege, Institut für Sozialmedizin, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • Martina Bremer - Sektion Forschung und Lehre in der Pflege, Institut für Sozialmedizin, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • Susanne Schramm - Institut für Sozialmedizin, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • Dagmar Lühmann - Institut für Sozialmedizin, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • Heiner Raspe - Institut für Sozialmedizin, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland

GMS Health Technol Assess 2012;8:Doc01

doi: 10.3205/hta000099, urn:nbn:de:0183-hta0000994

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/hta/2012-8/hta000099.shtml

Veröffentlicht: 12. April 2012

© 2012 Balzer et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.

Der vollständige HTA Bericht in deutscher Sprache ist verfügbar unter: http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta255_bericht_de.pdf


Zusammenfassung

Hintergrund

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der wachsenden Zahl chronischer Erkrankungen sowie der Verpflichtung, die zunehmend knapper werdenden Ressourcen angemessen einzusetzen, gewinnt die Vorbeugung von schweren Gesundheitseinschränkungen und Pflegebedürftigkeit im Alter an Bedeutung. Das Spektrum der Maßnahmen, die zur Verhinderung von Stürzen und den daraus resultierenden Verletzungen eingesetzt werden, ist breit. Es reicht von Testverfahren zur Erkennung sturzgefährdeter Personen bis zu komplexen Interventionen zur Beseitigung erkannter Risikofaktoren. Die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit vieler empfohlener Maßnahmen sind dabei unklar. Vor diesem Hintergrund soll die im vorliegenden Health Technology Assessment (HTA) durchgeführte Literaturanalyse dazu beitragen, über einen rationalen und effizienten Einsatz von Ressourcen zu entscheiden.

Fragestellungen

Die zentrale Berichtsfragestellung befasst sich mit den Effekten sowohl von Einzelmaßnahmen als auch von komplexen Programmen zur Sturzprophylaxe auf die Sturzhäufigkeit und die Häufigkeit sturzassoziierter Verletzungen bei älteren (> 60 Jahre), in ihrer häuslichen Wohnumgebung oder im Pflegeheim lebenden Menschen. Weitere Fragestellungen behandeln die Kosteneffektivität sturzprophylaktischer Maßnahmen sowie deren ethische, soziale und juristische Implikationen.

Methodik

Die systematische Literaturrecherche umfasst 31 Datenbanken und den Suchzeitraum von Januar 2003 bis Januar 2010. Die Bewertung der Effektivität von Interventionen wird ausschließlich auf der Grundlage von randomisierten kontrollierten Studien (RCT) vorgenommen, für die Untersuchung der Effektivität diagnostischer Strategien werden außerdem prospektive Studien zur diagnostischen Genauigkeit berücksichtigt. Zur Beantwortung der ethischen, sozialen und juristischen Fragen werden inhaltlich relevante Studien unabhängig vom Design, juristische Dokumente und Kommentare sowie Positionspapiere herangezogen. Die Auswahl und kritische Bewertung relevanter Studien sowie die Datenextraktion erfolgen durch zwei unabhängige Bewerter. Auf die Erstellung von Metaanalysen wird aufgrund der Heterogenität des vorliegenden Studienmaterials verzichtet.

Ergebnisse

Von 12.000 in den Recherchen identifizierten Referenzen entsprechen 184 den Einschlusskriterien, wobei die Validität ihrer Ergebnisse in unterschiedlichem Maß durch verschiedene verzerrende Faktoren (Biases) gefährdet ist. Der klinische Informationsgewinn durch die Anwendung von Tests oder Parametern zur Bestimmung des Sturzrisikos scheint gering zu sein, sofern es allein um die Identifizierung sturzgefährdeter Personen geht. Positive Effekte von Trainingsangeboten sind für rüstige Senioren zu erwarten, für eher gebrechliche Zielgruppen werden auch gegenteilige Effekte berichtet. Studien zu wohnraumbezogenen Maßnahmen geben Hinweise auf eine mögliche sturzprophylaktische Effektivität bei älteren Menschen mit vorbestehenden gesundheitlichen Einschränkungen. Vor dem Hintergrund uneinheitlicher Studienergebnisse bzw. einer quantitativ oder qualitativ wenig belastbaren Datenlage muss die Effektivität von visuskorrigierenden Maßnahmen, Anpassung einer psychotropen Medikation, Vitamin-D-Präparaten, Nahrungsergänzungsmitteln, psychologischen Interventionen, Schulung von Umgebungspersonal, multiplen und multifaktoriellen Programmen sowie Hüftprotektoren derzeit als unklar bezeichnet werden.

Die Ergebnisse ökonomischer Begleitevaluationen einzelner Studien bzw. ökonomischer Modellierungen liefern keine übergreifenden, im bundesdeutschen Kontext verwertbaren Ergebnisse zum Kosten-Nutzen-Verhältnis sturzprophylaktischer Interventionen.

Aus ethischer Sicht dominieren Befunde, die ein ambivalentes Verhältnis älterer Menschen zum Sturzrisiko und zur Notwendigkeit der Prävention zeigen. Die Bereitschaft zur Sturzprophylaxe hängt von diversen personenbezogenen Faktoren ab, aber auch von der Qualität der Information, Beratung und Entscheidungsfindung, dem Präventionsangebot selbst sowie von sozialen Einflüssen.

Bei der Analyse der juristischen Publikationen kristallisieren sich drei Problembereiche heraus: die Unsicherheit des zu fordernden Standards in der Sturzprophylaxe, die Notwendigkeit, Charakteristika des Einzelfalls bei der Durchführung von sturzprophylaktischen Maßnahmen zu berücksichtigen und die Schwierigkeit, gleichzeitig das Recht der Betroffenen auf autonome Entscheidungsfindung und das auf körperliche Unversehrtheit zu wahren.

Diskussion und Schlussfolgerungen

Bei der Bewertung der Effektivität von sturzprophylaktischen Maßnahmen erschweren durch die Thematik begründete methodische Probleme (in erster Linie fehlende Verblindung) und die ausgeprägte klinische Heterogenität der Studien die Ergebnisinterpretation. Vor allem letztere lässt metaanalytische Ergebniszusammenfassungen nicht zu. Die gleichen Probleme wirken sich auf die Aussagekraft von Kosten-Nutzen-Betrachtungen aus.

Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass verfügbare Empfehlungen zur Sturzprophylaxe bei älteren Menschen die aktuelle Evidenzlage teilweise unzureichend abbilden. Insbesondere die Abhängigkeit wahrscheinlicher Effekte von den Eigenschaften der Zielpopulation und den sonstigen Versorgungsbedingungen sollten bei der Generierung von Empfehlungen stärker berücksichtigt werden. Dies gilt auch für die unterschiedliche und durch viele Faktoren beeinflusste Bereitschaft, prophylaktische Maßnahmen in Anspruch zu nehmen und umzusetzen.

Bei der Planung zukünftiger Studien ist auf eine hohe interne Validität und die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Kontext der Routineversorgung zu achten. Im gesundheitsökonomischen Bereich sind valide, auf den bundesdeutschen Kontext übertragbare Kostenschätzungen erforderlich.

Schlüsselwörter: Aktivitäten des täglichen Lebens, alte Menschen, alte Menschen/*Psychologie, Ältere, Anpassung der Wohnumgebung, Diagnose, Diagnostik, Dosis-Wirkungsbeziehung, Arzneimittel-, EBM, eigene Häuslichkeit, evidenzbasierte Medizin, Fraktur, Freiheit, freiheitsentziehende Maßnahmen, geriatrisches Pflegeheim, gutachterbasierte Medizin, Health Technology Assessment, HTA, Hüftfraktur, Hüftfrakturen, Hüftprotektoren, Interventionen, Kataraktchirurgie, Krankenpflegeheime, Medikationsanpassung, Mensch, Metaanalyse, Motorik, motorische Aktivität, motorische Aktivität/Arzneimittelwirkungen, motorische Funktionen, motorische Geschicklichkeit, multifaktorielle Programme, multimodale Programme, ökonomische Evaluation, Peer Review, Prävention, primäre Prävention, Prophylaxe, randomisierte kontrollierte Studie, randomisierte kontrollierte Studien, RCT, Risikoabschätzung, Risikofaktoren, Risiko-vermeidendes Verhalten, Sehschärfe, Sehschärfenprüfung, Senioren, Seniorenheime, stabilisierend, Sturz, sturzbedingte Verletzung, Sturzfolgen, Sturzgefährdung, Sturzprophylaxe, Sturzrisiko, Sturzrisikofaktoren, systematische Übersicht, systematisches Review, Technologiefolgenabschätzung, biomedizinische, Training, körperliches/Physiologie, Übersichtsliteratur, Übungsprogramm, Umweltgestaltung, unfallbedingte Stürze, Unfälle, Haushalts-, Visus, Visuskorrektur, Visusprüfung, Vitamin D/Verabreichung & Dosierung, Vorsorge


Kurzfassung

Gesundheitspolitischer Hintergrund

Die Gesundheitspolitik steht vor der Aufgabe, unter den Bedingungen des demografischen Wandels und der wachsenden Zahl chronischer Erkrankungen die zunehmend knapper werdenden Ressourcen angemessen einzusetzen und eine qualitativ hochwertige sowie bezahlbare Gesundheitsversorgung sicherzustellen. In diesem Zusammenhang gewinnen präventive Maßnahmen an Bedeutung, beispielsweise zur Vorbeugung von schweren Gesundheitseinschränkungen und von Pflegebedürftigkeit im Alter. Dazu gehört auch die Sturzprophylaxe, da mit zunehmendem Alter nicht nur das Sturzrisiko steigt, sondern auch die Gefahr, dass ein Sturz behandlungsbedürftige Verletzungen zur Folge hat. Die im vorliegenden HTA-Bericht (HTA = Health Technology Assessment) durchgeführte Analyse sturzprophylaktischer Maßnahmen soll in dieser Diskussion zu Entscheidungen über einen möglichst effektiven und effizienten Einsatz von Ressourcen beitragen.

Wissenschaftlicher Hintergrund

In nationalen und internationalen Leitlinien wird zur Vorbeugung von Stürzen und ihren Folgen ein breites Spektrum an Einzel- und kombinierten Maßnahmen empfohlen. Sie dienen der Erkennung sturzgefährdeter Personen und der Beseitigung von Risikofaktoren für Stürze. Eine Reihe nicht formaler und formaler Tests und Instrumente wird zur Beurteilung des Sturzrisikos eingesetzt. Präventive Maßnahmen richten sich nach den individuell vorliegenden Risikofaktoren. Generell wird zwischen nicht medikamentösen und medikamentösen Einzelmaßnahmen sowie multimodalen Präventionsprogrammen unterschieden. Letztere zeichnen sich durch die Kombination verschiedener Einzelmaßnahmen aus. Geht diesen Maßnahmen eine differenzierte Beurteilung des Sturzrisikos voraus und werden die nachfolgenden Interventionen an die ermittelten Risikofaktoren angepasst, werden die Programme als multifaktoriell bezeichnet. Multimodale Präventionsprogramme, die für alle angesprochenen Personen die gleichen Maßnahmen beinhalten, fallen unter die Kategorie multipler Interventionen. Neben den spezifischen Maßnahmen beinhaltet Sturzprophylaxe aber auch, dass die sonstige Therapie und Pflege situationsgerecht sowie sicher erfolgen.

Ein Großteil der Empfehlungen zur Sturzprophylaxe beruht auf Studien mit eingeschränkter wissenschaftlicher Beweiskraft. Es mangelt insbesondere an Studien zur setting- und zielgruppenspezifischen Effektivität sturzprophylaktischer Maßnahmen.

Die gesundheitsökonomische Bedeutung der Sturzprophylaxe ergibt sich aus der vermuteten Vermeidbarkeit von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen sowie den dadurch entstehenden Kosten.

Forschungsfragen

Im Bericht werden folgende Fragestellungen bearbeitet:

  • Welchen Effekt haben medikamentöse und nicht medikamentöse Einzelmaßnahmen sowie strukturierte, multimodale Programme zur Sturzprophylaxe bei älteren Menschen auf das Auftreten von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen (Art und Schwere)?
  • Wie kosteneffektiv sind diese Maßnahmen und entsprechenden Präventionsprogramme?
  • Welche sozialen Bedingungen, ethischen Problembereiche und spezifisch juristischen Fragen sind für die Umsetzung sturzprophylaktischer Maßnahmen von Bedeutung?

Diese Forschungsfragen beziehen sich auf Menschen ≥ 60 Jahre, die entweder in ihrer eigenen Häuslichkeit oder in Einrichtungen der stationären Langzeitversorgung leben.

Methodik

Es wird eine systematische Literaturrecherche in 31 Datenbanken durchgeführt. Der Suchzeitraum erstreckt sich von Januar 2003 bis Januar 2010. Weitere Referenzen werden aus den Literaturlisten von systematischen Literaturübersichten gewonnen. Für die Evaluation der klinischen Effektivität von Interventionen werden ausschließlich randomisierte kontrollierte Studien (RCT) eingeschlossen. Für die Untersuchung der Effektivität diagnostischer Strategien zur Identifizierung sturzgefährdeter Personen werden außerdem prospektive Studien zur diagnostischen Genauigkeit berücksichtigt. Zur Beantwortung der sozialen, ethischen und juristischen Fragen werden inhaltlich relevante Studien unabhängig vom Design, juristische Dokumente und Kommentare sowie Positionspapiere herangezogen. Die Auswahl und kritische Bewertung relevanter Studien sowie die Datenextraktion erfolgen durch zwei Personen unabhängig voneinander. Auf metaanalytische Zusammenfassungen der Ergebnisse wird aufgrund der Heterogenität des vorliegenden Studienmaterials verzichtet.

Ergebnisse

Insgesamt sind über die elektronischen Recherchen und die Durchsicht der Referenzlisten über 12.000 Referenzen identifiziert worden, von denen 184 den Einschlusskriterien für den gegenwärtigen Bericht entsprechen.

Ergebnisse – medizinisch-pflegerische Fragestellungen

Instrumente und Tests zur Beurteilung des Sturzrisikos: Die Bewertung der diagnostischen Genauigkeit stützt sich auf 16 prospektive Beobachtungsstudien. Aus einem RCT liegen Angaben zur klinischen Effektivität vor. Insgesamt wurden in den Arbeiten 34 Tests, Verfahren oder Parameter untersucht. Keines der evaluierten diagnostischen Verfahren verfügt nach den vorliegenden Erkenntnissen gleichzeitig über eine mehr als 70%ige Sensitivität und Spezifität. Der klinische Informationsgewinn durch die Instrumente ist eher gering, sofern es allein um die Identifizierung sturzgefährdeter Personen geht. Hinzu kommt, dass die interne Validität der Ergebnisse der diagnostischen Studien durch verschiedene Biasrisiken eingeschränkt ist, insbesondere durch den unklaren Einfluss sturzprophylaktischer Maßnahmen sowie durch die unklare Unabhängigkeit der Interpretation von Indextest und Referenzkriterium. Die Ergebnisse des Cluster-RCT belegen, dass durch die alleinige Einführung einer Sturzrisikoskala weder eine Senkung der Sturzhäufigkeit noch eine häufigere Anwendung prophylaktischer Maßnahmen erreicht werden kann.

Trainingsangebote zur Förderung motorischer Funktionen: Die Ergebnisse basieren auf 37 Primärstudien. Sie decken ein breites Spektrum an Populationen und Trainingsangeboten ab. Die interne Validität ca. der Hälfte der Studien ist durch unklare Angaben zur Zuordnung zu den Studiengruppen und bei fast allen Studien durch schwer zu bewertende Auswirkungen der fehlenden oder unklaren Verblindung von Teilnehmern und Ergebniserfassung limitiert oder unklar. Unter Vorbehalt dieser Limitierungen legt die gefundene Evidenz nahe, dass multidimensionale, über einen längeren Zeitraum durchgeführte motorische Übungen das Sturzrisiko älterer Menschen senken. Dieser Effekt ist bei eher rüstigen Senioren mit einem Mindestmaß an funktionellen Fähigkeiten zu erwarten. Für eher gebrechliche Zielgruppen werden auch gegenteilige Effekte berichtet. Unterschiedlich lange Beobachtungszeiträume sowie diverse Unterschiede der Trainingsangebote (Intensität, Art der Anleitung, an der Durchführung beteiligte Berufsgruppen) lassen es nicht zu, studienübergreifend einen Effekt für eine bestimmte Programmkonfiguration zu beschreiben. Unklar bleiben nach den vorliegenden Erkenntnissen die Auswirkungen auf das Risiko sturzbedingter Verletzungen.

Maßnahmen der Überprüfung und Korrektur der Sehfunktion: In zwei Studien wurden die Effekte von Sehtests und nachfolgenden bedarfsspezifischen Interventionen ausgewertet. Ein fehlender Effektnachweis aus einer Studie mit relativ gesunden Senioren steht den Ergebnissen aus einer anderen Studie mit Personen hohen Alters gegenüber, die auf ein signifikant erhöhtes Sturz- und ein knapp nicht signifikant erhöhtes Frakturrisiko aufseiten der Interventionsgruppe verweist. Die sturzprophylaktische Wirksamkeit von Maßnahmen zur Überprüfung und Verbesserung der Sehfunktion ist somit als unklar zu bewerten. Bei Anpassungen von Sehhilfsmitteln oder anderen Maßnahmen zur Korrektur der Sehfunktion ist eine unter Umständen nicht auszuschließende Sturzrisikoerhöhung zu berücksichtigen.

Chirurgische Eingriffe: Eine Studie evaluiert die sturzprophylaktischen Effekte von Herzschrittmachern bei Patienten mit einer speziellen Form von Herzrhythmusstörungen (Hypersensitivität des Karotissinus). Die Ergebnisse verweisen auf eine signifikante Senkung der Sturzrate, aber nicht des Frakturrisikos. Die Gültigkeit dieser Resultate ist wegen unklarer Validität der zugrunde liegenden Studie unsicher. Die Ergebnisse aus zwei Studien zu den Effekten einer Kataraktoperation sind inhomogen. Während für die Kataraktextraktion am ersten Auge eine signifikante Reduktion der Sturzrate und eine knapp nicht signifikante Reduktion des Frakturrisikos beschrieben sind, konnten diese Effekte für die Kataraktoperation am zweiten Auge nicht mehr nachgewiesen werden. Es wird sogar ein tendenziell höheres Frakturrisiko in der Interventionsgruppe berichtet. Unklar ist, inwieweit studienmethodische Probleme die Resultate beeinflusst haben.

Schulungsmaßnahmen: In zwei eingeschlossenen Studien wurden kognitiv-verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Programme bei im eigenen Haushalt lebenden Senioren untersucht. Ziel solcher Programme ist es, ältere Menschen über ihr Sturzrisiko aufzuklären sowie ihre Kompetenzen und ihre Sicherheit im Umgang mit diesem Risiko zu stärken. Aus keiner Studie wird eine Reduktion des Sturzrisikos berichtet. Aufgrund von Unbestimmtheiten hinsichtlich der Studienvalidität lässt sich die Gültigkeit dieser Ergebnisse schwer bewerten, sodass die Effektivität von Schulungs- oder psychologischen Maßnahmen mit dem Ziel der Verhaltensanpassung unklar bleibt.

Maßnahmen zur Verbesserung der Kompetenzen betreuender Fachkräfte in Einrichtungen der Langzeitversorgung: Hierzu liegen Ergebnisse aus vier Studien vor. Die evaluierten Interventionen sind sehr heterogen. Die Unterschiede betreffen die Zahl und Art der angesprochenen Berufsgruppen sowie die inhaltlichen Ansatzpunkte. Lediglich eine Arbeit, deren methodische Qualität keines der abgefragten Beurteilungskriterien erfüllt, berichtet positive Effekte auf sturzbezogene Endpunkte. Insgesamt verweisen die Ergebnisse zu Interventionen, die allein oder vorrangig die Kompetenzen der sozialen Umgebung betreffen, eher auf ausbleibende Effekte.

Anpassung der Wohnumgebung: Hierzu sind sechs Studien eingeschlossen. Die evaluierten Interventionen bestehen aus einer standardisierten Überprüfung der Wohnumgebung und sich daraus ergebenden Empfehlungen für notwendige Veränderungen. Alle Studien beziehen sich auf Senioren in der eigenen Häuslichkeit. In der Gesamtschau zeigen die Ergebnisse, dass die sturzprophylaktische Effektivität dieser Art von Einzelintervention an die Gebrechlichkeit (Vulnerabilität) der Zielgruppe gebunden ist. Während drei Studien, in denen die Senioren unabhängig vom vorbestehenden Sturzrisiko eingeschlossen wurden, durchgehend keine signifikante Reduktion der Sturzhäufigkeit berichten, verweisen die Ergebnisse der drei Studien mit einer bereits sturzgefährdeten bzw. gesundheitlich beeinträchtigten Population konsistent auf eine signifikante Verringerung der Sturzrate. Unter Berücksichtigung der verfügbaren Angaben zur Studienvalidität sind die vorliegenden Ergebnisse als Hinweise auf eine mögliche sturzprophylaktische Effektivität wohnraumbezogener Maßnahmen bei älteren Menschen mit vorbestehender gesundheitlicher Vulnerabilität zu betrachten.

Angebot von Hüftprotektoren: In diesem Bericht sind 14 Studien ausgewertet worden, in denen die Auswirkungen des Angebots von Hüftprotektoren auf das Risiko hüftgelenksnaher Frakturen evaluiert wurden. Drei Studien beziehen sich auf im eigenen Haushalt lebende Menschen. Ihre Ergebnisse zeigen konsistent keine protektiven Effekte. Das Ergebnisbild der elf Studien, die im Setting der stationären Langzeitversorgung durchgeführt wurden, ist weniger homogen, wobei eine oft unklare interne Validität der Studien empirisch gesicherten Schlussfolgerungen entgegensteht. Der einzige Nachweis einer signifikanten Reduktion des Hüftfrakturrisikos stammt aus einer Studie mit diversen methodischen Unsicherheiten. Daher ist die Wirksamkeit eines Angebots von Hüftprotektoren für Bewohner von Einrichtungen der Langzeitversorgung als unklar zu bewerten.

Gangstabilisierendes Schuhwerk: Eine Studie berichtet die Effekte der Anwendung von speziellen Schuhschneeketten auf das Sturzrisiko bei Außenaktivitäten unter winterlichen Bodenbedingungen. Die Autoren beschreiben signifikant positive Effekte. Ein Ergebnis, das theoretisch plausibel ist, wenngleich die Validität der zugrunde liegenden Studie in mehrfacher Hinsicht unklar bleibt.

Vitamin D: Die Bewertung der Wirksamkeit von nativen Vitamin D-Präparaten (Vitamin D2, Vitamin D3) bzw. der aktiven Vitamin D-Variante Alfacalcidol stützt sich auf die Ergebnisse von 13 RCT mit vergleichsweise hoher interner Validität. Methodische Unsicherheiten bestehen am häufigsten hinsichtlich der exakten Definition der erfassten Sturzendpunkte. Die Nachbeobachtungszeiträume in den Studien variieren zwischen drei und 48 Monaten. Die nativen Vitamin D-Präparate werden in unterschiedlicher Dosierung, auf verschiedenen Applikationswegen, in mannigfachen Anwendungsintervallen und mit oder ohne begleitende Calciumsubstitution gebraucht. In drei der berichteten Studien wurden signifikant positive Effekte auf sturzbezogene Endpunkte gefunden, in einer Arbeit aber auch signifikant negative Effekte, ohne dass sich hierfür erklärende Faktoren aus den Studienmerkmalen ableiten lassen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass aus dem vorliegenden Studienmaterial für ältere Menschen in der eigenen Häuslichkeit keine konsistenten Wirksamkeitsnachweise für native Vitamin D-Präparate mit oder ohne begleitende Calciumgabe bzw. für aktive Vitamin D-Metabolite abgeleitet werden können. Auch in den fünf Studien aus der Langzeitversorgung werden nur sporadisch positive Teilergebnisse zugunsten der Interventionsgruppe berichtet, ohne dass sich diese konsistent anhand spezifischer Studiencharakteristika erklären lassen. Ungünstige Effekte einer Vitamin D-Medikation werden aus den Arbeiten in der Langzeitversorgung nicht berichtet.

Nahrungsergänzung: Zwei Studien untersuchten die sturzprophylaktischen Effekte von Nahrungsergänzung durch kalorienreiche Nährlösungen bzw. Multivitaminpräparate. In beiden Arbeiten war „Sturz“ nur ein nachgeordneter Endpunkt. Beide methodisch als eher problematisch einzustufende Studien berichten weniger Stürze in den Interventionsgruppen. Die Unterschiede erreichen keine statistische Signifikanz. Aus den vorliegenden Studien lässt sich nicht auf die sturzprophylaktische Wirksamkeit von kalorienreicher Nahrungsergänzung bzw. Multivitaminsupplementen bei älteren gebrechlichen Personen schließen.

Medikationsanpassung: Aus zwei Studien liegen Ergebnisse zur Wirksamkeit des Absetzens von (auf das Nervensystem wirkenden) Medikamenten vor. Beide Studien zeigen eine signifikante Senkung der erwarteten Sturzrate (Inzidenzdichte), nicht aber der kumulierten Sturzinzidenz. In einer Studie wurden die Auswirkungen auf das Frakturrisiko kontrolliert, ohne den Nachweis signifikanter Effekte. Die Aussagekraft der Ergebnisse ist wegen methodischer Unsicherheiten und inhaltlicher Besonderheiten der Studien limitiert. Die sturzprophylaktische Effektivität von Maßnahmen zur Reduktion medikationsbedingter Risiken lässt sich somit anhand der vorliegenden Studien nicht belegen. Es fehlen methodisch robuste Nachweise auf die Inzidenz von sturzbedingte Verletzungen.

Multiple Interventionen: Die Resultate von acht Studien mit in der eigenen Häuslichkeit lebenden Senioren sind inkonsistent. Aufgrund klinischer Heterogenität der Studien und häufig unklarer interner Validität lassen sich die abweichenden Ergebnisse kaum weiter interpretieren. Es bleibt somit unklar, inwieweit durch Kombination unterschiedlicher Maßnahmen eine effektive Sturzprophylaxe bei in der eigenen Häuslichkeit lebenden Senioren möglich ist. Die zwei Studien zur Effektivität multipler Interventionen in Einrichtungen der Langzeitversorgung geben zwar Hinweise auf eine Reduktion des Sturzrisikos, nicht aber auf eine Senkung des Verletzungsrisikos. Sie sind in Anzahl und Validität zu limitiert, um robuste Aussagen über kausale prophylaktische Effekte treffen zu können.

Multifaktorielle Interventionen: Knapp 30 Studien zu Programmen, die aus einer Sturzrisikodiagnostik und entsprechend individuell angepassten Maßnahmen bestehen, erfüllen die Einschlusskriterien dieses Berichts. Der Großteil bezieht sich auf in der eigenen Häuslichkeit lebende Senioren mit bekannter Sturzgefährdung. Sowohl die Studien als auch ihre Ergebnisse sind sehr heterogen. Die in diesem Bericht vorgenommene Erkundung der Heterogenität legt nahe, dass Programme geringer Intensität (d. h., die Maßnahmen erfolgen auf Empfehlungs- oder Überweisungsbasis) keine signifikanten Effekte auf sturzbezogene Endpunkte haben. Für Programme hoher Intensität (d. h. Programme, in denen direkt nach der Feststellung eines Risikofaktors behandelt wird) fällt eine Häufung von Effektnachweisen in methodisch eher unsicheren Studien sowie in Studien aus bestimmten Ländern (vor allem Großbritannien) bzw. mit einem besonders hohen Ausgangssturzrisiko der untersuchten Population auf. Es gibt keine Hinweise auf eine signifikante Reduktion des Risikos sturzbedingter Verletzungen. Insgesamt ist die Effektivität multifaktorieller Programme hoher Intensität bei Senioren in der eigenen Häuslichkeit eher als empirisch unsicher einzustufen. Neun Studien, in denen multifaktorielle Programme in Einrichtungen der Langzeitversorgung evaluiert wurden, zeigen keine konsistenten Effekte auf die Häufigkeit von Stürzen bzw. von sturzbedingten Verletzungen, wobei Studien mit fehlendem Effektnachweis überwiegen. Ähnlich wie bei Maßnahmen zur Verbesserung der Kompetenzen der (pflegerischen) Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen (siehe oben) weisen die Ergebnisse aus Studien, in denen das Präventionsprogramm vorrangig unter den Bedingungen der (pflegerischen) Routineversorgung umgesetzt wurde, auf fehlende sturzprophylaktische Effekte hin. Aus einer Studie gibt es Hinweise auf ein vermehrtes Auftreten von Stürzen unter diesen Interventionsbedingungen. Bei Bewohnern mit kognitiven Einschränkungen zeigen drei Studien keine Hinweise auf eine sturzprophylaktische Wirkung multifaktorieller Interventionen.

Ergebnisse – ökonomische Fragestellungen

Zur Beantwortung der gesundheitsökonomischen Fragestellungen stehen 21 Evaluationsstudien zur Verfügung. Bei 13 Arbeiten handelt es sich um ökonomische Analysen im Kontext von (randomisierten) kontrollierten Studien; in acht Arbeiten werden mehr oder weniger komplexe Modellierungen auf der Grundlage von Daten aus unterschiedlichen Quellen vorgenommen. Lediglich eine ökonomische Analyse berichtet Ergebnisse aus dem deutschen Versorgungskontext.

Trainingsangebote zur Förderung motorischer Funktionen: Es liegen drei studienbegleitende ökonomische Evaluationen des Otago-Programms sowie eine studienbegleitende Auswertung einer Tai Chi-Intervention vor. Die Ergebnisse der vier Arbeiten sind in ihrer Aussagekraft beschränkt auf den Kontext, in dem die Studien durchgeführt wurden. Weiterhin wird deutlich, dass die ökonomischen Ergebnisse vor allem von dem Auftreten sturzbedingter Verletzungen bestimmt werden. Die Effekte der evaluierten Interventionen auf diesen Endpunkt sind in den Studien aufgrund begrenzter Teilnehmerzahlen nur selten mit statistischer Sicherheit nachweisbar. Die Resultate einer kanadischen Modellierungsstudie deuten ein Einsparpotenzial bei Übungsinterventionen an, die länger als sechs Monate durchgeführt werden. Der Hauptanteil der Einsparungen entfällt auf reduzierte Pflegekosten. Vor dem Hintergrund der spezifischen kanadischen Systembedingungen und der Kosten, die in das Modell eingebracht werden, sind die Ergebnisse nur begrenzt indikativ für den deutschen Kontext.

Chirurgische Eingriffe: Zu den ökonomischen Implikationen der chirurgischen Behandlung des grauen Stars findet sich eine studienbegleitende ökonomische Evaluation. Hier werden die Berechnungen aus der Perspektive des britischen National Health Service (NHS) für den einjährigen Studienzeitraum und in einer Modellrechnung bezogen auf die Restlebenserwartung der Studienpopulation vorgenommen. Die Interpretation der Ergebnisse für den deutschen Kontext ist aus mehreren Gründen schwierig: wegen der Unsicherheit der klinischen Ergebnisse bei Vorliegen nur einer Studie, der unterschiedlichen Versorgungsstrukturen und -kosten im Vergleich zu Großbritannien sowie der Verwendung von britischen Nutzwerten zur Berechnung von qualitätsbereinigten Lebensjahren (QALY).

Anpassung der Wohnumgebung: Hierzu liegen zwei studienbegleitende ökonomische Evaluationen sowie drei mathematische Modellierungen vor. Die studienbegleitenden Evaluationen unterstreichen erneut die Abhängigkeit der geschätzten Kosteneffektivität von der Häufigkeit sturzbedingter Verletzungen und die Unsicherheit ihrer Schätzung auf der Grundlage klinischer Studien mit begrenzter Teilnehmerzahl. Weiterhin schränken methodische Unsicherheiten, das Alter der Daten, hochspezifische Studienpopulationen sowie Unterschiede der Versorgungssysteme (Australien, Neuseeland, Hawaii) die Interpretierbarkeit der Daten für den deutschen Kontext ein. Die drei Modellierungsstudien kommen bei unterschiedlichen Ausgangsannahmen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Übergreifende Aussagen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von Maßnahmen zur Anpassung der Wohnumgebung lassen sich aus den gegenwärtigen Ergebnissen nicht ableiten.

Angebot von Hüftprotektoren: Ökonomische Konsequenzen werden in einer studienbegleitenden Evaluation und zwei Modellierungsstudien untersucht. Die Ergebnisse der deutschen Studie demonstrieren die Variabilität des Kosten-Nutzen-Verhältnisses in Abhängigkeit von alltagsrelevanten Variationen des Versorgungskontexts, die bei der Planung einer Intervention berücksichtigt werden sollten. Allerdings unterliegen diese Ergebnisse Unsicherheiten, bedingt durch die hohe Variabilität von Inanspruchnahmekosten. Die beiden Modellierungsstudien arbeiten mit einer aus heutiger Sicht veralteten Evidenzgrundlage für die Effektannahmen.

Vitamin D: Mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis von Vitamin D befassen sich lediglich die Ergebnisse aus zwei mathematischen Modellierungsstudien. Diese arbeiten allerdings mit einer aus heutiger Sicht veralteten Evidenzgrundlage für die klinischen Effektannahmen. Die Resultate werden daher als wenig aussagekräftig gewertet.

Medikationsanpassung: Zwei studienbegleitende ökonomische Analysen zur Anpassung einer auf das Nervensystem wirkenden Medikation (psychotrope Medikation) berichten unterschiedliche Resultate. Eine nicht randomisierte und von mehreren methodischen Unsicherheiten gekennzeichnete niederländische Untersuchung kommt für den zweimonatigen Nachbeobachtungszeitraum auf wenig plausible positive klinische Effekte. Die zweite studienbegleitende ökonomische Evaluation muss die Kosten für die Versorgung sturzassoziierter Verletzungen ausblenden, da diese sich nicht zwischen den Untersuchungsgruppen unterschieden. Zwei Modellierungen bringen die in der letztgenannten Studie berichteten Effekte auf die Sturzrate in ihre Modellrechnungen ein und errechnen, unter Berücksichtigung der Versorgungskosten für Verletzungen, für die Anwendung der Intervention ein erhebliches Einsparpotenzial aus einer kanadischen bzw. US-amerikanischen Kostenträgerperspektive. Aber selbst diese Autoren bewerten ihre Ergebnisse vor dem Hintergrund der wenig belastbaren Evidenz für die Wirksamkeit als ausgesprochen unsicher. Zusammenfassend ist die Datenlage zu den ökonomischen Implikationen der Anpassung einer psychotropen Medikation als wenig belastbar einzustufen.

Multiple Interventionen: Es liegen zwei ökonomische Evaluationen vor. Beide beziehen sich auf gemeindebasierte Programme, die neben verhaltenspräventiven Maßnahmen auch verhältnispräventive Interventionen, z. B. straßenbauliche Maßnahmen, umfassen. Die Effektschätzungen stammen jeweils aus kontrollierten Programmevaluationen in umschriebenen Landesregionen. Die Validität dieser Daten ist schwer einschätzbar. Mengengerüste und Preise für Interventionen sowie die Versorgung von sturzassoziierten Frakturen entstammen dem schwedischen bzw. australischen Versorgungssystem. Beide Publikationen berichten außerordentlich günstige Kosten-Nutzen-Verhältnisse, die allerdings eine starke Abhängigkeit von den jeweiligen regionalen Kontextbedingungen aufweisen. Insgesamt ist die Verwertbarkeit der Ergebnisse für den deutschen Versorgungskontext eher kritisch einzuschätzen.

Multifaktorielle Interventionen: Ökonomische Auswirkungen werden von zwei studienbegleitenden Evaluationen und einer Modellierungsstudie berichtet. Eine studienbegleitende Evaluation beschränkt sich auf die Darstellung der (landesspezifischen) Programm- und Versorgungskosten, da eine Wirksamkeit der Intervention auf sturzassoziierte Endpunkte nicht nachgewiesen werden konnte. Die zweite studienbegleitende Analyse bezieht sich auf eine klinische Studie von 1994. In Sensitivitätsanalysen demonstriert sie die Abhängigkeit des Kosten-Nutzen-Verhältnisses vom Sturzrisiko in der Zielpopulation und von der Rate der vermiedenen sturzbedingten Verletzungen (mit ihren Folgekosten). Ein eher günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis wird für Hochrisikopersonen berichtet. Die Modellierungsstudie zeigt dagegen, bei differierenden Effektivitätsannahmen, für die Hochrisikogruppe das ungünstigste Kosten-Nutzen-Verhältnis. Die ökonomischen Ergebnisse zu multifaktoriellen Interventionen demonstrieren, dass eine valide Kosten-Nutzen-Abschätzung auf der Basis eines zuverlässigen Nutzennachweises stehen muss und weiterhin hochgradig abhängig ist von den kostenbestimmenden epidemiologischen und versorgerischen Rahmenbedingungen.

Ergebnisse – ethische und soziale Fragestellungen

Drei zentrale Themen haben sich bei der Auswertung von 17 Arbeiten zu diesen Fragestellungen als bedeutsam herauskristallisiert: i) Faktoren, die aus Sicht älterer Menschen förderlich bzw. hinderlich für die Inanspruchnahme sturzprophylaktischer Maßnahmen sind, ii) ethische Herausforderungen im Kontext der Sturzprophylaxe bei fortgeschrittener Pflegeabhängigkeit und kognitiven Einschränkungen der Betroffenen sowie iii) die Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM). Übergreifend gilt, dass ältere Menschen die Notwendigkeit der Sturzprophylaxe sehr ambivalent beurteilen. Bestimmende Faktoren sind das subjektiv wahrgenommene Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz vor Verletzungen auf der einen sowie das Bedürfnis nach Wahrung von Autonomie und Unabhängigkeit auf der anderen Seite. Die individuelle Gewichtung dieser Bedürfnisse prägt die Bereitschaft, Maßnahmen zur Sturzprophylaxe zu ergreifen. Soziökonomische Merkmale, z. B. verfügbare finanzielle Ressourcen, scheinen dabei von nachrangiger Bedeutung zu sein. Die starke Abhängigkeit der Einordnung eines Sturzrisikos von den individuellen Präferenzen ist bei Entscheidungen über die Anwendung prophylaktischer Maßnahmen zu berücksichtigen, auch bei Personen mit fortgeschrittener Pflegebedürftigkeit oder kognitiven Beeinträchtigungen. Dieser Befund steht im Kontrast zu empirischen Ergebnissen, die darauf hinweisen, dass FEM in Pflegeheimen eher routinemäßig angewandt werden und ihr Einsatz nicht auf einem sorgfältigen Entscheidungsprozess beruht, der die bewohnerindividuellen Bedürfnisse und Präferenzen sowie ungünstige Auswirkungen von FEM einbezieht. Die Ergebnisse dieses Berichts legen nahe, dass durch Anwendung von FEM das Sturz- oder Verletzungsrisiko nicht gesenkt werden kann.

Ergebnisse – juristische Fragestellung

Die Analyse von 15 juristischen Publikationen zeigt vor allem drei Problembereiche: i) die Unsicherheit des zu fordernden Standards in der Sturzprophylaxe, ii) die Notwendigkeit, Charakteristika des Einzelfalls bei der Durchführung von sturzprophylaktischen Maßnahmen zu berücksichtigen und iii) die Schwierigkeit, gleichzeitig das Recht der Betroffenen auf autonome Entscheidungsfindung und das auf körperliche Unversehrtheit zu wahren. Diese Unsicherheiten bzw. Schwierigkeiten bestimmen die Rechtsprechung zu Haftungsfragen nach Stürzen von Pflegeheimbewohnern. In diesen gerichtlichen Entscheidungen werden oft Interventionen zur Sturzprophylaxe thematisiert (z. B. Sensormatten), für die die vorliegende Wirksamkeitsbewertung keine Effektnachweise zeigt, entweder mangels geeigneter Studien oder wegen fehlender Wirksamkeitsbelege aus eingeschlossenen Studien.

Diskussion

Medizinisch-pflegerische Fragestellungen

Sowohl bei der Einordnung der Ergebnisse zu den medizinisch-pflegerischen Fragestellungen als auch bei der Beurteilung der Aussagekraft der gesundheitsökonomischen Ergebnisse sind zwei grundsätzliche, durch die Thematik bedingte methodische Probleme zu beachten. Diese betreffen die fehlende Verblindung der Erfassung sturzbezogener Endpunkte sowie die Heterogenität und damit schwierige Vergleichbarkeit der Studien. Die Sturzereignisse werden entweder von den Teilnehmern selbst oder, in Einrichtungen der Langzeitversorgung, von den betreuenden Mitarbeitern erfasst. Eine Verblindung dieser Personen gegenüber der evaluierten Intervention und damit der Erfassung der Sturzereignisse ist zumeist nicht gegeben (Ausnahme Studien zu Vitamin D). Unklar ist, inwieweit dieses Manko die berichteten Ergebnisse beeinflusst hat. Die Heterogenität der Studien bezieht sich oft gleichzeitig auf mehrere Aspekte, u. a. die untersuchten Populationen, die Durchführung der evaluierten Interventionen, die Bedingungen in den Kontrollgruppen und die methodische Qualität der Studien. Eine quantitative Zusammenfassung der ebenfalls oft heterogenen Studienergebnisse in Form einer gemeinsamen Effektschätzung (Metaanalyse) hätte das Risiko in sich geborgen, Resultate mit geringer bzw. potenziell irreführender inhaltlicher Aussagekraft zu erhalten. Um dies zu vermeiden, werden qualitative Ergebniszusammenfassungen präsentiert, die auch beschreibende Analysen möglicher Zusammenhänge umfassen. Bei der Interpretation ist zu beachten, dass diese Analysen posthoc, d. h. nach Inspektion der gefundenen Evidenz, geplant wurden und nicht statistisch abgesichert sind. Sie lassen somit allenfalls Hypothesen über bestimmende Faktoren für die Effektivität der jeweiligen Intervention zu.

Ökonomische Fragestellungen

Zwei Typen ökonomischer Evaluationsstudien bewerten das Kosten-Nutzen-Verhältnis sturzprophylaktischer Maßnahmen: studienbegleitende Auswertungen und Modellrechnungen auf der Grundlage heterogener Datenquellen. Beide haben ihre spezifischen Probleme, die die Interpretation und Verallgemeinerung der Ergebnisse erschweren.

Studienbegleitende Auswertungen reflektieren Kontext, Perspektive, Mengengerüste und Preise des jeweiligen Gesundheitssystems, in dem die Studie durchgeführt wurde. Der Nutzen, zu dem die anfallenden Kosten ins Verhältnis gesetzt werden, leitet sich ebenfalls aus den Ergebnissen der jeweiligen Studie ab. Auch diese Ergebnisse sind an den spezifischen Kontext gebunden: Interventionen, die in einem spezifischen Kontext die Sturzrate senken konnten, sind in einem anderen Kontext möglicherweise unwirksam. Hinzu kommt die Problematik, dass die Studien mit ihrem eher kurzen Nachbeobachtungszeitraum in den seltensten Fällen für den Nachweis der kostenbestimmenden sturzbedingten Verletzungen geplant sind. Hieraus resultiert eine erhebliche Unsicherheit bei den Kostenschätzungen. Die Ergebnisse ökonomischer Begleitevaluationen haben zumeist nur Gültigkeit für den spezifischen Studienkontext und sind aufgrund der Seltenheit der kostenbestimmenden Ereignisse (sturzbedingte Verletzungen) und der sich daraus ergebenden Unsicherheit der Kostendaten schwierig zu interpretieren.

Die ökonomischen Modellierungen kompensieren einen Teil der Limitierungen der studienbegleitenden ökonomischen Evaluationen: Zum einen decken sie über Annahmen meist einen deutlich längeren Zeitraum ab, zum anderen werden Daten für die relevanten sturzbedingten Verletzungen aus nationalen oder regionalen epidemiologischen Statistiken eingebracht. Das Mengengerüst für die Kostenschätzungen wird in den Modellen ebenfalls aus den spezifischen Versorgungsbedingungen des jeweils betrachteten Gesundheitssystems abgeleitet und durch dessen spezifische Perspektive bestimmt. Damit ist die Fokussierung nicht so eng wie bei den studienbegleitenden Evaluationen, dennoch bleibt die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf einen nationalen Versorgungskontext beschränkt und ist zumindest in Teilen durch die Unsicherheit der verwendeten Annahmen gekennzeichnet. Hochgradig kritisch ist in den Modellrechnungen die verwendete Evidenzgrundlage für die Effektivitätsannahmen zu bewerten. Vier im Bericht analysierte Modellierungen stützen sich bei ihrer Wirksamkeitsannahme auf die Ergebnisse einer einzelnen Studie, die übrigen Modellierungen beziehen sich auf Metaanalysen. Von diesen sind drei als veraltet und damit unvollständig anzusehen. Die vierte Modellierung greift auf aktuelle Metaanalysen zurück, die aus der Sicht dieses Berichts auf inadäquaten Einschlusskriterien hinsichtlich der verwendeten Studien und auf heterogenem Studienmaterial beruhen. Insgesamt gleichen Modellierungen also zwar einige Nachteile der studienbegleitenden ökonomischen Evaluationen aus, liefern aber ebenfalls keine Basis für valide und übertragbare Aussagen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von sturzprophylaktischen Interventionen im bundesdeutschen Versorgungskontext.

Schlussfolgerungen und Forschungsbedarf

Medizinisch-pflegerische Fragestellungen: Überwiegend ist die Effektivität sturzprophylaktischer Interventionen unklar. Für zwei Interventionen (Training, Wohnraumanpassung) gibt es Hinweise auf eine Senkung des Sturzrisikos in bestimmten Subgruppen der älteren Bevölkerung. Für keine der untersuchten Interventionen ist eine Senkung des Risikos sturzbedingter Verletzungen belegt. Ursache dieser angesichts der Fülle an vorhandenen Studien unbefriedigenden Schlussfolgerungen sind die klinische und die methodische Heterogenität der Studien sowie deren oft unklare interne Validität. Dies erschwert es, die zumeist heterogenen Ergebnisse zusammenzuführen und übergreifend zu interpretieren. Ungeachtet dessen zeigen die Befunde dieses Berichts, dass verfügbare Empfehlungen für die Sturzprophylaxe bei älteren Menschen die aktuelle Evidenzlage zur Effektivität sturzprophylaktischer Interventionen teilweise unzureichend abbilden. Insbesondere die Abhängigkeit wahrscheinlicher Effekte von den Eigenschaften der Zielpopulation und den sonstigen Versorgungsbedingungen sind in Empfehlungen stärker zu berücksichtigen.

Aus den im Bericht skizzierten Problemen lassen sich Anforderungen an zukünftige Studien ableiten, die geeignet sind, die Wissensbasis zur Gestaltung der Versorgung älterer Menschen in Deutschland und Ländern mit ähnlichem Versorgungskontext zu verbessern. Sie betreffen die Rekrutierung von Studienpopulationen auf der Basis plausibler Hypothesen, die Evaluation von alltagsrelevanten Interventionen (für die zum Teil bereits erste, aber unzureichend aussagekräftige Ergebnisse vorliegen – z. B. für die Anpassung der psychotropen Medikationen), die Wahl klinisch relevanter Endpunkte (sturzbedingte Verletzungen) und die Konzeption von Studiendesigns, die gleichzeitig ein geringes Verzerrungsrisiko und die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Kontext der Routineversorgung gewährleisten.

Gesundheitsökonomische Fragestellungen: Mit Ausnahme der einzigen in Deutschland durchgeführten Kosteneffektivitätsanalyse für ein Angebot von Hüftprotektoren im Zusammenhang mit einer Personalschulung lassen sich den publizierten gesundheitsökonomischen Evaluationsstudien nur wenige, im deutschen Kontext verwertbare Informationen entnehmen. Präzise Analysen erfordern den Input aus deutschen Datenquellen, entweder in Form einer studienbegleitenden Evaluation oder bei Vorhandensein einer adäquaten Datenbasis für Effektannahmen einer Modellierung auf der Grundlage deutscher epidemiologischer Versorgungs- und Kostendaten.

Ethische und soziale Fragestellungen: Der subjektiv wahrgenommene Präventionsbedarf hängt vor allem von den individuellen Präferenzen und Erfahrungen ab. Diesen individuellen Sichtweisen ist bei Entscheidungen über die Anwendung sturzprophylaktischer Maßnahmen Rechnung zu tragen, auch wenn Betroffene wegen kognitiver Einschränkungen nicht in der Lage sind, ihre Präferenzen unmittelbar zu äußern. Die in der Praxis oft erwartete Vermeidung von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen durch FEM ist nach den empirischen Befunden nicht wahrscheinlich, d. h., das Sturz- und Verletzungsrisiko scheint durch FEM eher nicht reduziert zu werden. Dieser Befund erfordert verstärkt Initiativen zur Reduktion der FEM-Anwendung.

Juristische Fragestellungen: Die juristische Bewertung des Sturzrisikos und der Sturzprophylaxe ist durch diverse Unsicherheiten gekennzeichnet. Diese haben ihre Ursache in der schwierigen Abgrenzung des Sturzrisikos von allgemeinen Lebensrisiken und in der unsicheren empirischen Beweislage hinsichtlich der Effektivität der Sturzprophylaxe. Der gegenwärtige Bericht kann künftig als Informationsressource für die Bewertung der Angemessenheit der Versorgung im Kontext der Sturzprophylaxe herangezogen werden. In Anbetracht der durchgängig fehlenden robusten Wirksamkeitsbelege werden Unsicherheiten in der Bewertung des zu fordernden Standards in der Sturzprophylaxe jedoch fortbestehen.