gms | German Medical Science

GMS Health Innovation and Technologies

EuroScan international network e. V. (EuroScan)

ISSN 2698-6388

Individuelle Gesundheitsleistungen

HTA-Kurzfassung

  • corresponding author Petra Schnell-Inderst - Institute of Public Health, Medical Decision Making and Health Technology Assessment, Dept. of Public Health and Health Technology Assessment, UMIT – University for Health Sciences Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich
  • Theresa Hunger - Institute of Public Health, Medical Decision Making and Health Technology Assessment, Dept. of Public Health and Health Technology Assessment, UMIT – University for Health Sciences Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich
  • Katharina Hintringer - Institute of Public Health, Medical Decision Making and Health Technology Assessment, Dept. of Public Health and Health Technology Assessment, UMIT – University for Health Sciences Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich; Ludwig Boltzmann Institute for Health Technology Assessment, Wien, Österreich
  • Ruth Schwarzer - Institute of Public Health, Medical Decision Making and Health Technology Assessment, Dept. of Public Health and Health Technology Assessment, UMIT – University for Health Sciences Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich
  • Vanadin Regina Seifert-Klauss - Frauenklinik und Poliklinik der Technischen Universität München, München, Deutschland
  • Holger Gothe - Institute of Public Health, Medical Decision Making and Health Technology Assessment, Dept. of Public Health and Health Technology Assessment, UMIT – University for Health Sciences Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich
  • Jürgen Wasem - Stiftungslehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, Fakultät Wirtschaftswissenschaften, Essen, Deutschland
  • Uwe Siebert - Institute of Public Health, Medical Decision Making and Health Technology Assessment, Dept. of Public Health and Health Technology Assessment, UMIT – University for Health Sciences Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich; Division of Public Health Decision Modelling, Health Technology Assessment and Health Economics, ONCOTYROL Center for Personalized Cancer Medicine, Innsbruck, Österreich; Institute for Technology Assessment and Department of Radiology, Massachusetts General Hospital, Harvard Medical School, Boston, MA, USA; Center for Health Decision Science, Department of Health Policy and Management, Harvard School of Public Health, Boston, MA, USA

GMS Health Technol Assess 2011;7:Doc05

doi: 10.3205/hta000096, urn:nbn:de:0183-hta0000960

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/hta/2011-7/hta000096.shtml

Veröffentlicht: 15. September 2011

© 2011 Schnell-Inderst et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.

Der vollständige HTA Bericht in deutscher Sprache ist verfügbar unter: http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta280_bericht_de.pdf


Zusammenfassung

Hintergrund

Die deutsche Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erstattet alle Leistungen, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Bei individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) handelt es sich laut Bundesärztekammer (BÄK) um ärztliche Leistungen, die nicht der Leistungspflicht der GKV unterliegen. Sie sollten aus ärztlicher Sicht notwendig oder empfehlenswert, zumindest aber vertretbar sein. Sie müssen von Patienten ausdrücklich gewünscht und privat bezahlt werden.

Fragestellung

Folgende Fragen werden bezüglich IGeL für GKV-Versicherte im ambulanten Bereich betrachtet:

  • Welche Daten gibt es zum Angebot, zur Inanspruchnahme, Praxis, Akzeptanz, zum Arzt-Patient-Verhältnis und zur ökonomischen Bedeutung von IGeL im ambulanten Bereich?
  • Welche, ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte sind mit IGeL verbunden?

Für zwei der häufigsten IGeL, das Screening auf Grünen Star (Glaukom) sowie Eierstock- und Gebärmutterschleimhautkrebs mittels vaginalen Ultraschalls (VUS) werden folgende Fragen untersucht:

  • Wie ist die wissenschaftliche Beweislage zur klinischen Wirksamkeit?
  • Gibt es Gruppen, für die diese Screeningmaßnahme sinnvoll erscheint?
Methodik

Die Untersuchung besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wird eine systematische Übersichtsarbeit empirischer Primärstudien zu IGeL sowie von Publikationen zu ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten erstellt.

Im zweiten Teil werden systematische Kurzbewertungen der medizinischen Effektivität für die Beispiele Glaukom- und VUS-Screening durchgeführt. Dazu werden zunächst HTA-Berichte (HTA = Health Technology Assessment) gesucht und danach Primärstudien, die nach dem Recherchedatum der jüngsten eingeschlossenen Sekundärstudie erschienen sind.

Ergebnisse

Es werden 29 Studien zum ersten Themenbereich eingeschlossen. Zwischen 19% und 53% der Versicherten haben schon einmal IGeL-Angebote bekommen, von denen dreiviertel durchgeführt wurden. 16% bis 19% der Versicherten haben selbst IGeL nachgefragt. Die Augeninnendruckmessung ist die häufigste IGeL und macht bis zu 40% der Angebote aus. Es folgen Ultraschalluntersuchungen mit bis zu 25% der Angebote. Weiter sind Krebsfrüherkennungs- sowie Blut- und Laboruntersuchungen häufige Angebote. Sie machen einen Großteil der Nachfrage aus.

Die ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte, die im Zusammenhang mit IGeL diskutiert werden, betreffen acht Themenbereiche:

1.
IGeL als eigenständige Patientenentscheidung versus Nachfragesteuerung durch den Arzt
2.
Kommerzialisierung der Medizin
3.
Aufklärungs- und Informationspflicht des Arzts
4.
Nutzen, Evidenz, (Qualitäts-) Kontrolle
5.
Rollen und Verhältnis von Arzt und Patient
6.
Verhältnis zum GKV-System
7.
Soziale Ungleichheit
8.
Korrekte Leistungserbringung.

Zu Glaukomscreening können keine randomisierten kontrollierten Studien (RCT) identifiziert werden, die einen patientenrelevanten Nutzen nachweisen. Zum VUS-Screening werden drei RCT eingeschlossen. Daten zu Unterschieden in der Sterblichkeit zwischen Gescreenten und Nicht-Gescreenten liegen nicht vor. VUS-Screening ist mit hoher Überdiagnose verbunden, die zu unnötigen ärztlichen Eingriffen führt. Pro entdecktem invasivem Karzinom werden 30 bis 35 Operationen durchgeführt.

Schlussfolgerungen

IGeL sind ein nicht zu vernachlässigender Faktor im Gesundheitssystem. Um mehr Transparenz herzustellen, sollte den Forderungen nach wissenschaftlich fundierten, unabhängigen Patienteninformationen entsprochen werden. Ob eine offizielle Positiv- und Negativliste ein geeignetes Orientierungsinstrument für Patienten und Ärzte sein könnte, muss geprüft werden. IGeL sind außerdem Teil der allgemeinen Diskussion um die Gestaltung und Weiterentwicklung des Gesundheitssystems.

Schlüsselwörter: Angebot, Angemessenheit, ärztliche Aufklärungspflicht, Arzt-Patient-Beziehungen/*Ethik, Behandlung, Beurteilung, EbM, Effektivität, Effizienz, Eigenleistung, Endometriumtumoren, Endometriumtumoren/Ökonomie, Entscheidungsfindung, Ethik, evidenzbasierte Medizin, G-BA, Gebührenordnung, Gemeinsamer Bundesausschuss, Gesetzliche Krankenversicherung, Gesundheitsfinanzierung, Gesundheitsökonomie, gesundheitsökonomische Studien, GKV, Glaukom, Glaukom/Ökonomie, Glaukomscreening, GOÄ, gutachtenbasierte Medizin, Health technology assessment, HTA, HTA Bericht, HTA-Bericht, IGeL, Individuelle Gesundheitsleistung, Informationspflicht, Interviews, Kommerzialisierung, Kosten, Kosten Effektivität, Kosten und Kostenanalyse, Kostenanalyse, Kosteneffektivität, Kosten-Effektivität, Kostenerstattung, Kostenkontrolle, Kostenminimierung, Kosten-Nutzen-Analyse, Kostenreduktion, Kostensenkung, Krankenkasse, Krankheitskosten, medizinische Beurteilung, medizinische Bewertung, medizinische Technologie, medizinische Versorgungskosten*, medizinische Versorgungskosten/*Ethik, medizinische Versorgungskosten/*Standard, Mensch, Methoden, Methodik, Nachfrage, Ökonomie, Ökonomie, ärztliche, ökonomischer Aspekt, Peer Review, PKV, Prävention, Private Krankenversicherung, Privatleistung, Reihenuntersuchung, Risikoabschätzung, Screening, Selbstbeteiligung, Selbstzahlerleistung, Sensitivität, sozialökonomische Faktoren, Sozioökonomie, sozioökonomische Faktoren, sozio-ökonomische Faktoren, Spezifität, systematische Übersicht, Technikfolgen-Abschätzung, biomedizinische, Technologie, Technologie, medizinische, Technologiebeurteilung, Technologiebewertung, Therapie, Therapiefreiheit, Übersichtsarbeit, Übersichtsliteratur, Vaginaler Ultraschall, Versicherung, Kranken-, Leistung/*, Versicherungsleistungen, Versorgungsauftrag, Vorsorge, VUS, Wahlsystem, Wirksamkeit, Wunschsystem, Zusatzleistung


Kurzfassung

Hintergrund

Das Konzept individueller Gesundheitsleistungen (IGeL) ist – nach Meinung der Begründer – durch die schwierige finanzielle Lage der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entstanden. Es wird begünstigt durch wiederholte Leistungskürzungen und vermehrte Selbstbeteiligung der Versicherten. Die Forderung von niedergelassenen Ärzten nach einem Verzeichnis von Leistungen, die nicht zum Umfang der GKV gehören, wird erstmals 1996 laut. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) entschließt sich daraufhin zusammen mit den ärztlichen Verbänden und Berufsverbänden einen Katalog sogenannter IGeL zu erstellen. Dieser wird am 18.03.1998 auf einer Pressekonferenz vom Vorsitzenden der KBV, Winfried Schorre, vorgestellt.

Eine einheitliche und allgemeingültige Definition und eine Systematisierung der IGeL fehlen bisher. Gemeinsam ist nur die Festlegung als Nicht-GKV-Leistung. Die Akzeptanz von Seiten der Versicherten ist primär bei Früherkennungs- und Präventionsleistungen gegeben. Die meisten gesetzlichen Krankenkassen stehen den IGeL kritisch gegenüber. Sie beraten ihre Versicherten über Patientenrechte, Arztpflichten und Leistungen der GKV sowie über den Umgang mit IGeL-Angeboten von ärztlicher Seite. Innerhalb der Ärzteschaft finden sich sehr kontroverse Ansichten über die Erbringung von IGeL. Viele niedergelassene Mediziner fürchten rufschädigende Konsequenzen aufgrund einer falschen Handhabung. Dagegen steht die Sichtweise, IGeL seien die Chance für eine Leistungserbringung in vollem Umfang trotz politisch verordneter begrenzter Einnahmen aus der GKV.

Es existiert keine unabhängige Instanz, die die Qualität und Angemessenheit der IGeL kontrolliert. Anders als bei den meisten GKV-Leistungen, für die zum Teil sehr detailliert festgelegt ist, welche Qualifikation und Praxisausstattung erforderlich sind, können IGeL weitestgehend ohne Kontrolle angeboten und durchgeführt werden. Es fehlen auch Routinedaten zur quantitativen und qualitativen Erfassung und Bewertung der Angebote.

Das fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) stellt die rechtliche Grundlage für die Regelung der Krankenversorgung in der GKV dar. Hier ist festgelegt, welche Leistungen von Vertragsärzten zu Lasten der GKV erbracht werden können und müssen. Demnach haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten sowie zur Rehabilitation. Voraussetzung für die Leistungen ist, dass sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Außerdem muss die Versorgung den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse berücksichtigen. Ein gesetzlich fixierter Leistungskatalog existiert nicht.

Mit der Konkretisierung von Leistungsansprüchen und -grenzen befasst sich nach dem SGB V der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen. In der Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung ist festgelegt, welche Methoden nach Prüfung durch den G-BA anerkannt sind und welche Methoden explizit vom GKV-Katalog ausgeschlossen wurden.

Der Einheitliche Bewertungsmaßstab bestimmt den Inhalt der berechnungsfähigen Leistungen der GKV in der ambulanten Versorgung. Er wird vom sogenannten Bewertungsausschuss beschlossen, der sich aus Vertretern des GKV-Spitzenverbands und der KBV zusammensetzt. Es handelt sich beim Einheitlichen Bewertungsmaßstab um ein Verzeichnis, nach dem vertragsärztlich erbrachte, ambulante Leistungen der GKV abgerechnet werden. Nur Leistungen, die im Einheitlichen Bewertungsmaßstab aufgenommen sind, können vom Vertragsarzt zu Lasten der GKV erbracht werden.

Generell gilt in der GKV das Sachleistungsprinzip. Das bedeutet, dass der Versicherte durch Vorlage seiner Versichertenkarte beim Arzt behandelt wird, ohne selbst dafür zahlen zu müssen. Durch den Versicherungsbeitrag sind alle GKV-Leistungen abgegolten. Ausnahmen bilden die Praxisgebühr sowie Zuzahlungen zu Heil- und Hilfsmitteln. Seit 2004 ist das Kostenerstattungsprinzip von allen GKV-Versicherten wählbar. Der Versicherte wird zwar dadurch zunächst als Privatpatient angesehen, es entsteht aber rechtlich kein rein privatärztliches Behandlungsverhältnis. Denn die Versorgungspflicht des Vertragsarzts bleibt wie für alle gesetzlich Versicherten bestehen. Allerdings richtet sich der Vergütungsanspruch direkt gegen den Patienten und steht auf der Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ).

Wer als Arzt in Deutschland an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, fällt unter die Bestimmungen des Bundesmantelvertrags für Ärzte (BMV-Ä), der zwischen der KBV und den Primärkassen vereinbart wird, bzw. dem Arzt-/Ersatzkassenvertrag (AEKV). Er verpflichtet sich als Leistungserbringer dazu, gesetzlich Versicherte mit den ihnen zustehenden notwendigen, ausreichenden und wirtschaftlichen Leistungen zu versorgen. Eine Versorgung von Patienten nach dem GKV-Katalog darf der Vertragsarzt nur in begründeten Fällen ablehnen.

Im Gegensatz zu Behandlungen aus dem GKV-Leistungskatalog ist bei IGeL eine vorherige schriftliche Vereinbarung vorgeschrieben. Diese soll sicherstellen, dass die ärztliche Aufklärungspflicht wahrgenommen wurde. Da Kassenpatienten normalerweise auf der Grundlage des Sachleistungsprinzips allein durch Vorlage ihrer Versichertenkarte behandelt werden und dadurch möglicherweise kein ausreichendes Bewusstsein für die Zahlungspflichtigkeit ärztlicher Leistungen entwickeln, schreibt der BMV-Ä vor, dass dem Patienten die finanziellen Folgen einer Privatbehandlung deutlich zu machen sind.

Nach der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO) ist der Arztberuf nicht gewerblich. IGeL können sowohl das Selbstverständnis des Arzts als auch die beruflichen Bedingungen verändern. Das Erbringen von IGeL als Gesundheitsdienstleistungen stellt die ärztliche Leistung mit anderen Dienstleistungen gleich und rückt den Arztberuf in die Nähe einer gewerblichen Tätigkeit.

Zwischen Arzt und Patient besteht prinzipiell ein asymmetrisches Verhältnis. Um dem schutzbedürftigen Patienten und dem entgegengebrachten Vertrauen gerecht zu werden, muss der Arzt über die geplante Behandlung, deren Risiken sowie Nutzen informieren und aufklären. Der Patient kann in der Regel nicht beurteilen, ob die GKV-Leistung für ihn ausreichend ist, oder ob es nützlich wäre, eine IGeL anzunehmen. Dadurch wird die Asymmetrie in der Arzt-Patient-Beziehung tendenziell noch verstärkt. Dem hohen Informations- und Aufklärungsbedarf der Patienten wird nicht immer Rechnung getragen.

Die Akteure im Gesundheitswesen vertreten unterschiedliche Auffassungen und verfolgen verschiedene Ziele im Hinblick auf IGeL. Die Leistungserbringer vertreten ihre eigenen Interessen an fachlich und wirtschaftlich motivierter Therapiefreiheit, die Krankenkassen das Interesse an einem wirtschaftlichen Umgang mit den Beitragsmitteln und die Leistungsempfänger das der bestmöglichen Versorgung. So gibt es eine grundsätzliche Kontroverse um die jeweilige Rolle und Kompetenz der Beteiligten. In weiten Teilen handelt es sich bei der IGeL-Diskussion um eine politische Debatte zur „richtigen“ Organisation des Gesundheitssystems.

Forschungsfragen

Folgende Aspekte werden bezüglich IGeL für GKV-Versicherte im ambulanten Bereich betrachtet:

  • Welche empirischen Daten gibt es zum Angebot, zur Inanspruchnahme, Praxis, Akzeptanz, zum Arzt-Patient-Verhältnis und zur ökonomischen Bedeutung von IGeL im ambulanten Bereich?
  • Welche ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte sind mit IGeL verbunden?

Für zwei der am häufigsten durchgeführten IGeL, 1) das Screening auf Glaukom mittels verschiedener ophthalmologischer Tests und 2) das Screening auf Ovarial- und Endometriumkarzinom mittels vaginalen Ultraschalls (VUS) werden folgende Fragen untersucht:

  • Wie ist die Evidenz zur klinischen Effektivität des jeweiligen Screenings? Das heißt, wie sieht die Nutzen-Schaden-Bilanz hinsichtlich Sterblichkeit, Krankheitshäufigkeit und Lebensqualität für die Screeningteilnehmer im Vergleich zur bisherigen Versorgungssituation aus?
  • Gibt es Gruppen, für die diese Screeningmaßnahme sinnvoll scheint?

Methodik

Die Untersuchung zu IGeL für die vorliegende Arbeit besteht aus zwei Teilen. Im ersten allgemeinen Teil zu IGeL wird eine systematische Übersichtsarbeit (SR) zu den obengenannten Forschungsfragen anhand von empirischen Primärstudien zu IGeL sowie von Publikationen mit Essays, Überblicksartikeln und Einzelfragen zur Exploration von ethischen sozialen und rechtlichen Aspekten erstellt.

Im zweiten Teil werden aufgrund der Knappheit von Zeit und Ressourcen systematische Kurzbewertungen (Rapid Assessments) der medizinischen Effektivität für die beiden Fallbeispiele Glaukom- und VUS-Screening durchgeführt. Dazu werden zunächst SR und HTA-Berichte gesucht und eingeschlossen. Daraufhin wird nach Primärstudien recherchiert, die nach dem Recherchedatum der jüngsten eingeschlossenen Sekundärstudie erschienen. Die beiden genannten Technologien werden ausgewählt, weil sie den meisten Befragungen zufolge zu den häufigsten angebotenen IGeL gehören.

Einschlusskriterien

Zur allgemeinen IGeL-Fragestellung werden alle Quer- und Längsschnittbefragungen in Deutschland in der Allgemeinbevölkerung, bei bestimmten Bevölkerungsgruppen oder bei Akteuren des Gesundheitssystems eingeschlossen, die empirische Daten zu Angebot, Inanspruchnahme, Praxis, Akzeptanz und ökonomischer Bedeutung von IGeL erheben.

Zur Identifizierung ethischer, sozialer und rechtlicher Fragen im Zusammenhang mit IGeL werden Aufsätze, Übersichtsarbeiten, ausführliche Darstellungen von Einzelproblemen, Stellungnahmen, Positionspapiere, Leitlinien und Dokumentationen zu Diskussionen auf Fachtagungen eingeschlossen. Ausgeschlossen werden Leserbriefe, Kurzkommentare, Hinweise und zusammenfassende Darstellungen von empirischen Studien, die bereits im Original verfügbar sind, Hinweise auf Stellungnahmen, Positionspapiere, Leitlinien zum Umgang mit IGeL, insofern diese bereits im Original vorliegen.

Für die beiden Beispiele erfolgt die Umsetzung der Fragestellung zur medizinischen Effektivität anhand folgender Ein- und Ausschlusskriterien:

  • Studien- und Zielpopulation sind asymptomatische erwachsene Personen ohne weitere Altersbegrenzung,
  • Zielerkrankungen sind Ovarial- und Endometriumkarzinom bzw. primäres Offenwinkelglaukom,
  • Interventionen sind VUS-Screening bzw. verschiedene augenärztliche Verfahren, einzeln oder in Kombination,
  • Vergleichsintervention ist kein Screening,
  • Zielgrößen sind Mortalität, Morbidität, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Schäden durch Screening.

Geeignete Studientypen sind HTA-Berichte (HTA = Health Technology Assessment), SR sowie randomisierte kontrollierte Studien (RCT) zur Aktualisierung.

Literaturrecherche

Die Literaturrecherche wird für alle Fragestellungen durch eine Datenbankabfrage des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) durchgeführt. Für die allgemeine IGeL-Fragestellung wird zusätzlich im Internet auf den Seiten relevanter Akteure recherchiert. Es werden die Suchbegriffe „IGeL“ bzw. „individuelle Gesundheitsleistungen“ oder „ärztliche Zusatzleistung“ kombiniert mit Wörtern zur Berichtsform, wie Evaluation, Review, Technology Assessment, Übersichtsarbeit, Studienberichte sowie mit Begriffen zu mit diesen verbundenen Themen, z. B. Ökonomie, Kosten und Nutzen sowie mit Schlagworten zu Ethik, Sozialem und Recht. Die Suchbegriffe für die beiden IGeL-Beispiele umfassen Schlagworte zur Krankheit, zu Screening bzw. Früherkennung, Diagnostik, Studiendesign und Berichtsformat.

Auswahl, Bewertung und Extraktion der Literatur

Die Referenzen werden von zwei Autoren zunächst anhand des Titels und/oder der Zusammenfassung ein- oder ausgeschlossen. Die daraufhin bestellten Volltexte werden wiederum von zwei Autoren geprüft. Ausschlüsse werden begründet. Von den eingeschlossenen Volltexten werden die relevanten Charakteristika und Ergebnisse extrahiert sowie die Qualität der Studien anhand von Checklisten durch zwei Autoren bewertet. Die Studienergebnisse zur allgemeinen IGeL-Fragestellung werden in Übersichtstabellen präsentiert und inhaltlich zusammengefasst. Aus den Beiträgen zu ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten werden in einer qualitativen Inhaltsanalyse Kategorien gebildet, die eine inhaltlich zusammenfassende Darstellung der Aussagen ermöglichen. Die Sekundärstudien der IGeL-Beispiele werden in Berichtsform dargestellt, die Primärstudien in Evidenztabellen.

Ergebnisse

IGeL allgemein

Die Literaturrecherche zur allgemeinen IGeL-Fragestellung ergibt insgesamt 1.345 Referenzen. Nach Ausschluss der Duplikate bleiben 1.221. Davon werden 629 Referenzen anhand des Titels und/oder der Zusammenfassung ausgeschlossen sowie 592 im Volltext angefordert bzw. aus dem Internet heruntergeladen. 21 Texte sind nicht zu beschaffen, somit werden 571 Texte im Volltext geprüft. 507 Texte entsprechen nicht den Einschlusskriterien und werden ausgeschlossen. Für die Informationssynthese werden 64 Texte berücksichtigt. Davon sind 31 Publikationen zu 29 empirischen Primärstudien zu IGeL; 33 Publikationen werden zur Untersuchung ethischer, rechtlicher und sozialer Aspekte herangezogen.

Bei den eingeschlossenen empirischen Studien handelt es sich in neunzehn Fällen um Querschnittstudien, die in Form von Telefoninterviews, schriftlichen Befragungen oder Online-Fragebögen unter niedergelassenen Ärzten und/oder Versicherten und Patienten durchgeführt wurden. Zwei Studien entstammen einem Forschungsprojekt zur Patientenberatung und evaluieren die Verbraucheranfragen innerhalb des Modellprojekts. Ein separater Block von acht Untersuchungen beschäftigt sich mit der betriebswirtschaftlichen Rentabilität von IGeL für die Arztpraxis und bewertet einzelne Leistungen anhand von Ranglisten und Punktescores.

Die eingeschlossenen Studien zur Inanspruchnahme und Praxis von IGeL erfüllen nicht durchgängig die wissenschaftlichen Standards bezüglich Studiendesign, Durchführungsmethoden und Berichtsqualität. Es liegen empirische Daten aus einer regelmäßigen Befragungsserie des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkasse (WIdO) vor. Die KBV sowie der Bertelsmann Gesundheitsmonitor haben ebenfalls wiederholt Daten zu IGeL in Befragungen erhoben. Eine wissenschaftliche Untersuchung der Universität Lübeck liefert verlässliche Ergebnisse von 2007. Weitere einmalige Befragungen führen u. a. Verbraucherzentralen, Ministerien und Industrieverbände durch. Einige Ärztebefragungen im Internet sind nur eingeschränkt aussagekräftig und zeigen die Perspektive der Anbieter. Etwa die Hälfte der Untersuchungen liegt nicht als Studienbericht, Zeitschriftenpublikation oder ähnliches vor, sondern nur als Foliensatz oder Pressemitteilung. Zwölf der Studien basieren auf repräsentativen Zufallsstichproben, jedoch nur zwei berichten die Rücklaufquoten. Ein direkter Vergleich der Studien ist nur begrenzt möglich aufgrund abweichender Definitionen von IGeL, aufgrund der verschiedenen Auswahlmöglichkeiten für Leistungen oder Leistungskategorien in den Fragebögen oder aufgrund der unterschiedlichen Definition und Erfassung von Zielgrößen.

Die empirische Datenlage zeigt, dass IGeL in der ambulanten Versorgung relativ weit verbreitet sind. Zwischen 19% und 53% der Versicherten haben schon einmal IGeL-Angebote bekommen, von denen dreiviertel (77% bis 80%) durchgeführt wurden. 16 bis 19% der Versicherten haben selbst IGeL nachgefragt. Die Augeninnendruckmessung als Einzelleistung ist über mehrere Studien hinweg die häufigste IGeL. Sie macht bis zu 40% der Angebote aus. Ihr folgt die Sammelkategorie „Ultraschalluntersuchungen“, mit bis zu 25% der Offerten. Des Weiteren werden oft Krebsfrüherkennungs- sowie Blut- und Laboruntersuchungen angeboten. Diese beiden Leistungen machen einen Großteil der Nachfrage aus (9,7% bis 14%).

Die ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte, die im Zusammenhang mit IGeL diskutiert werden, können zu acht Themenblöcken zusammengefasst werden:

1.
IGeL als eigenständige Patientenentscheidung versus Nachfragesteuerung durch den Arzt (Angebotsinduktion)
2.
Kommerzialisierung der Medizin
3.
Aufklärungs- und Informationspflicht
4.
Nutzen, Evidenz, (Qualitäts-) Kontrolle
5.
Rollen und Verhältnis von Arzt und Patient
6.
Verhältnis zum GKV-System
7.
Soziale Ungleichheit
8.
Rechtlich und formal korrekte Leistungserbringung

Außerdem werden konkrete Forderungen zu Aufklärung und Beratung, (Qualitäts-) Kontrolle, GKV-Leistungskatalog und finanziellen Belangen berichtet.

IGeL-Beispiele
Glaukomscreening

Die Datenbankrecherche ergibt insgesamt 989 Referenzen, aus denen 34 systematische Übersichtsarbeiten und HTA-Berichte identifiziert sowie 14 Berichte im Volltext geprüft werden. Davon erfüllen fünf Sekundärstudien die Einschlusskriterien und werden als Ausgangspunkt für das Rapid Assessment herangezogen. Die Datenbankrecherche nach Primärstudien ergibt insgesamt 112 Referenzen, die nach der letzten SR, also seit 2009, publiziert wurden. Nach dem Screening der Titel und Zusammenfassungen verbleiben zwei Publikationen. Sie werden im Volltext geprüft und aufgrund der nicht-zutreffenden Fragestellung ausgeschlossen.

Es kann weder in den Sekundärstudien noch aus der Recherche nach Primärstudien ein RCT zur medizinischen Effektivität des Glaukomscreenings identifiziert werden. Die fünf eingeschlossenen Sekundärstudien beruhen alle auf umfassenden systematischen Literaturrecherchen nach vorab definierten Ein- und Ausschlusskriterien. Die Untersuchungen aus den eingeschlossenen HTA-Berichten zeigen einheitlich, dass belastbare Evidenz zum Nutzen von Glaukomscreening fehlt. Die Berichte können nur über Studien zur Testgenauigkeit berichten. Schwierigkeiten für die Nutzenbewertung und für den Vergleich von Studien stellen die uneinheitliche Krankheitsdefinition und der fehlende Referenzstandard für die Diagnose dar. Auf der derzeitigen Evidenzgrundlage kann ein Screening auf Glaukom nicht empfohlen werden.

VUS-Screening

Die Datenbankrecherche ergibt insgesamt 1.006 Referenzen. Eine weitere Referenz wird durch die zusätzliche Suche in der Datenbank des Centre for Reviews and Dissemination (CRD) ergänzt. Durch das Screening der Titel und Zusammenfassungen werden 55 SR und HTA-Berichte identifiziert, von denen 45 aufgrund von nicht-zutreffenden Fragestellungen oder mangelnder Berichtsqualität ausgeschlossen sowie zehn im Volltext geprüft werden. Es wird keine Übersichtsarbeit zum Screening auf Endometriumkarzinom gefunden. Ein SR zum Screening auf Ovarialkarzinom wird als Ausgangspunkt für das Rapid Assessment herangezogen, sowie ein SR, der den Recherchezeitraum bis Ende 2002 abdeckt. Die Datenbankrecherche nach Primärstudien identifiziert insgesamt 437 Referenzen, die nach dem Recherchezeitraum des letzten SR , also seit 2003, publiziert wurden. Durch Screening von Titel und Zusammenfassung anhand der Ein- und Ausschlusskriterien werden 430 Publikationen ausgeschlossen. Insgesamt werden sieben Publikationen, die Studiendesign und Ergebnisse zu drei Screening-RCT berichten, in die Informationssynthese eingeschlossen.

Dem eingeschlossenen HTA-Bericht und dem SR liegen eine umfassende systematische Literaturrecherche mit vorab definierten Ein- und Ausschlusskriterien zugrunde. Zum Zielkriterium Mortalität gibt es keine Daten. Zur Krebsmorbidität stellt der HTA-Bericht Ergebnisse dar, die auf eine mögliche Verschiebung der Diagnosestellung hin zu früheren Krankheitsstadien hinweisen. Das Ausmaß der Überdiagnose wird durch eine Falsch-Positiv-Rate von 1,2 bis 2,5% beziffert.

Drei Screening-RCT (United Kingdom Collaborative Trial of Ovarian Cancer Screening [UKCTOCS]; Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screening Trial [PLCO]; Shizuoka Cohort Study of Ovarian Cancer Screening [SCSOCS]) untersuchen das VUS-Screening auf Ovarialkarzinom bei postmenopausalen Frauen. Primärer Zielparameter ist die Ovarialkarzinommortalität. Die beiden erstgenannten Studien sind noch nicht abgeschlossen. Beide rekrutieren asymptomatische Frauen aus einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe; die Teilnehmerinnen der SCSOCS-Studie stammen aus gynäkologischen Kliniken. Die Intervention besteht jeweils in einem Screening mittels VUS und Cancer antigen 125 (CA125)-Messung, die Abklärung erfolgt durch eine Operation. Die Kontrollgruppe erhält die übliche medizinische Versorgung.

Mortalitätsdaten liegen zu keiner der drei Studien vor. Nur die SCSOCS-Studie liefert Vergleiche zur Stadienverteilung der Erkrankungen zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe. In der Screeninggruppe werden mehr Tumoren im Stadium I entdeckt als in der Kontrollgruppe (63% versus 38%). Aufgrund der geringen Fallzahlen ist der Unterschied nicht statistisch signifikant (p=0,2285). Die Daten zur Diagnostik zeigen, dass durch Screening ein hohes Maß an Überdiagnose mit invasiven Eingriffen erzeugt wird. Der Anteil der auffälligen VUS, durch die tatsächlich ein invasives Karzinom entdeckt wurde (Positiver Vorhersagewert) bewegt sich zwischen 0,75% und 2,8%. Die Berechnung der Anzahl durchgeführter Operationen, um ein invasives Karzinom zu entdecken, ergibt für die drei Studien 35,2; 30,1 und 33,4 Operationen. Der Nutzen des VUS-Screenings zur Früherkennung des Ovarialkarzinoms kann ohne patientenrelevante Zielgrößen, wie Mortalität oder Lebensqualität, nicht ausreichend bewertet werden.

Diskussion

Es existiert keine systematische Erfassung von IGeL im deutschen Gesundheitswesen. Im vorliegenden HTA-Bericht werden in einer systematischen Literaturrecherche, einschließlich einer Suche im Internet, 29 Studien zum Angebot, zur Inanspruchnahme, Praxis, Akzeptanz, zum Arzt-Patient-Verhältnis und zur ökonomischen Bedeutung von IGeL im ambulanten Bereich identifiziert sowie 33 Beiträge zu ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten. Für zwei Beispiele von IGeL wird eine kurze systematische Nutzenbewertung durchgeführt.

Eine Limitation der Recherche nach IGeL ist die mangelnde Veröffentlichung inhaltsreicher Beiträge in wissenschaftlichen Zeitschriften, die der großteils nicht-wissenschaftlichen Diskussion des Themas geschuldet ist. Weitere Einschränkungen sind die uneinheitliche Verschlagwortung in Literaturdatenbanken sowie die potenzielle Selektivität der Internetrecherche. Die eingeschlossenen empirischen Studien weisen zwar teilweise methodische Mängel auf, können aber als Informationsgrundlage akzeptiert werden. Die Beiträge zu ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten sind ebenfalls nicht immer ausreichend fundiert, zeigen aber die Bandbreite der gängigen Standpunkte und Argumente auf.

Die relativ weite Verbreitung von IGeL ist in weiten Teilen auf das Angebot durch die Ärzte zurückzuführen und bezieht sich nicht auf naheliegende Nicht-GKV-Leistungen, wie Reise- oder Sportmedizin. Anhand der beiden bewerteten Beispiele, Glaukom- und VUS-Screening, kann exemplarisch gezeigt werden, dass für zwei der häufigsten IGeL-Angebote keine ausreichende Evidenz zu deren Nutzen vorliegt. Obwohl die formalen Regelungen zur Durchführung von IGeL den Ärzten bekannt sein dürften, werden viele Verstöße berichtet. Das Arzt-Patient-Verhältnis scheint trotzdem nicht gravierend zu leiden, allerdings werden Veränderungen in der Wahrnehmung der Ärzte durch die Öffentlichkeit bemerkt. Die ökonomische Bedeutung des IGeL-Markts als Teil eines wachsenden Zweiten Gesundheitsmarkts wird für 2010 auf 1,5 Mrd. Euro geschätzt.

Ein großer Konfliktpunkt ist die mangelnde Evidenzbasierung der IGeL. Was IGeL-Kritiker als untragbaren Zustand bemängeln, wenden IGeL-Befürworter wiederum gegen GKV-Leistungen: Auch hier sind nicht alle erbrachten Leistungen einer Nutzenbewertung nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin unterzogen worden. Inwieweit die Ärzte ihre Patienten über Nutzen und Risiken der angebotenen Leistungen aufklären können, ist fraglich. Einerseits bedarf es neben medizinischen Kenntnissen beachtlicher statistischer Kompetenzen, um selbst Nutzenbewertungen vorzunehmen; andererseits ist die Kommunikation der Risiken gegenüber dem Patienten gerade bei Früherkennungsmaßnahmen besonders anspruchsvoll. Inwieweit die IGeL-erbringenden Ärzte hier adäquat aufgestellt sind, wird kontrovers diskutiert.

Die Ablehnung von IGeL betrifft in vielen Fällen eher die IGeL-Industrie mit ihren eigenen Zeitschriften, Kongressen und Internetportalen als einzelne Leistungen. Die IGeL-Industrie trägt zur Befürchtung der Kommerzialisierung der Medizin bei. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass IGeL-Angebote vermehrt an obere soziale Schichten gerichtet werden. Die Klage, IGeL seien ein notwendiges Standbein niedergelassener Ärzte ist insofern kritisch zu beurteilen, als finanzielle Erfordernisse nicht den Grund für das Anbieten ärztlicher Leistungen liefern dürfen, deren medizinische Erfordernisse nicht geklärt sind. Ein wichtiger Punkt ist, dass es sich bei der Einkommensdiskussion der Ärzte um Verhandlungs- und Verteilungsprobleme handelt, die nicht durch IGeL gelöst werden können. Wenn die Finanzierung der bevölkerungsweiten Gesundheitsversorgung mit den zur Verfügung stehenden Maßnahmen und Mitteln nicht zu bewältigen ist, so handelt es sich um strukturelle Probleme, für deren Lösung das intransparente und unkontrollierte Erbringen privat zu zahlender Gesundheitsleistungen nicht zielführend ist.

Schlussfolgerungen/Empfehlungen

IGeL sind im deutschen Gesundheitswesen relativ weit verbreitet. Sie machen einen Markt von schätzungsweise 1,5 Mrd. Euro jährlich aus. Die häufigsten Leistungen sind apparategestützte Früherkennungsuntersuchungen. Für die zwei untersuchten Maßnahmen Glaukom- und VUS-Screening liegt keine Evidenz zum patientenrelevanten Nutzen vor. Beim VUS-Screening ist durch eine hohe Überdiagnose, die zu unnötigen invasiven Eingriffen führt, ein Schaden zu erkennen.

Gerade bei Früherkennungsuntersuchungen in der Allgemeinbevölkerung ist das Schadenspotenzial für Gesunde zu beachten. Außerdem erfordert die Einschätzung von Risiken und Nutzen hohe Kompetenzen des Arzts. Die Aufklärung des Patienten muss besonders sorgfältig erfolgen, damit dieser eine souveräne Entscheidung treffen kann. Um mehr Transparenz herzustellen, sollte den Forderungen nach evidenzbasierten, unabhängigen Patienteninformationen entsprochen und geprüft werden, ob eine offizielle Positiv- und Negativliste ein geeignetes Orientierungsinstrument für Patienten und Ärzte sein könnte.

Die Diskussion der ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte, die in Zusammenhang mit IGeL stehen, betreffen die folgenden Aspekte: souveräne Patientenentscheidung oder Angebotsinduktion eine Kommerzialisierung der Medizin, die Aufklärungs- und Informationspflicht, Nutzen, Evidenz, (Qualitäts-) Kontrolle, die Rollen sowie das Verhältnis von Arzt und Patient, das Verhältnis zum GKV-System, die soziale Ungleichheit sowie eine korrekte Leistungserbringung. Es werden konkrete Forderungen zu Aufklärung und Beratung, (Qualitäts-) Kontrolle, GKV-Leistungskatalog und finanziellen Belangen geäußert.

IGeL müssen im Zusammenhang mit der allgemeinen Diskussion um die Gestaltung und Weiterentwicklung des Gesundheitssystems gesehen werden. Es treffen unterschiedliche sozialpolitische Vorstellungen aufeinander, die mehr oder weniger Eigenverantwortung bzw. solidarischen Ausgleich fordern. Damit sind IGeL ein Teil von Fragen der Sozial-, Politik- und Gesundheitssystemforschung, die im Rahmen eines HTA-Berichts nicht zu beantworten sind.