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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Das diabetische Fuß-Syndrom - klassische Behandlungsverfahren der infizierten Problemwunde

The diabetic foot syndrome - fundamentals of infected wound treatment

Übersichtsarbeit

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  • corresponding author Alexander Risse - Medizinische Klinik Nord, Klinikum Dortmund gGmbH, Dortmund, Deutschland

GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2006;1(1):Doc24

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/dgkh/2006-1/dgkh000024.shtml

Veröffentlicht: 30. August 2006

© 2006 Risse.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Die unverändert hohe Zahl von 50% Majoramputationen beim diabetischen Fuß-Syndrom bleibt ein ungelöstes Problem im deutschen Gesundheitswesen. Der Artikel beleuchtet die Ursachen unter somatologischen, psychiatrischen und philosophischen Aspekten. Zur Darstellung kommen die Grundlagen der Therapie, d. h. Wundversorgung, Chirurgie, Angiochirurgie etc., sowie die Probleme der interdisziplinären Zusammenarbeit.

Schlüsselwörter: diabetisches Fuß-Syndrom (DFS), chronische Wunden, Leibesinselschwund, Angiochirurgie, Denkstil

Abstract

The unremittingly high percentage (50%) of major amputations in diabetic foot syndrome remains an unsolved problem in the German health-care system. This article sheds light on the causes, considering somatological, psychiatric, and philosophical aspects. The fundamentals of treatment are presented: wound treatment, surgery, angiosurgery, etc., as well as problems of interdisciplinary cooperation.

Keywords: diabetic foot syndrome (DFS), chronic wounds, atrophy of the neophenomenological body, angiosurgery, way of thinking


Einleitung

Das diabetische Fuß-Syndrom (DFS) spiegelt die Ineffizienz seiner Therapeuten. Obwohl bereits 1989 die Forderung einer Halbierung der Rate hoher Amputationen bei Menschen mit Diabetes innerhalb von 5 Jahren in der Deklaration von St. Vincente [47] formuliert wurde, ist die Zahl der hohen Amputationen einschließlich die hierdurch bedingte hohe Mortalität unverändert geblieben [5], [16], [43]. Alle wesentlichen Parameter der Ätiologie und Pathogenese sind seit Jahrzehnten bekannt. Trotzdem zeichnet sich im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern kein Fortschritt ab. Der Artikel versucht, die Frage nach den Ursachen dieses Phänomens aufzuklären.

Der Behandlungsprozess wird unter somatologischen, interaktiven und erkenntnistheoretisch-philosophischen Aspekten beschrieben.


Zur Vielschichtigkeit des DSF und Schlussfolgerungen für den Behandlungsprozess

Somatologische Aspekte

Es gibt gesicherte Erkenntnisse, die mit den Mitteln der reduktionistischen Forschung gewonnen wurden, heute in der klinischen Medizin als "evidence-based medicine" [31] bezeichnet. Diese müssen angewandt werden, um ein bestimmtes diagnostisches oder therapeutisches Ziel zu erreichen. Reduktionistische Standards finden sich in Leitlinien [32]. Für die Behandlung des DFS maßgeblich ist die DFS-Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) [20].

Interaktive Aspekte

Therapeuten sind mehr (Psychiater, Diabetologen) oder weniger (Neurochirurgen, Anästhesisten) gezwungen, mit ihren Patienten in Kontakt zu treten. Hierdurch kommen psychopathologische Einflussgrößen seitens der Therapeuten und der Patienten, der Übertragung und Gegenübertragung, des Agierens etc. als wesentliche Parameter des Behandlungserfolgs hinzu. In der Behandlung des DFS mit Ziel des Organerhalts, die lange Behandlungszyklen impliziert, sind diese Parameter entscheidender als z.B. im Bereich der Knochenbruchchirurgie. Chirurgen neigen daher habituell dazu, den Behandlungsprozess durch höhere Amputationen abkürzen zu wollen.

Bei der Behandlung des DFS müssen Therapeuten verschiedener Fachrichtungen hierarchisch gleichgestellt zusammenarbeiten. Hier entstehen Probleme bei nicht kompatiblen Charakterorganisationen und durch die narzisstische Überbewertung der eigenen Fachdisziplin. Unentschieden ist häufig auch die Frage, wer den Behandlungsprozess führen soll. Häufig und nachvollziehbar beansprucht das Fachgebiet mit mechanischer Kompetenz die Führung: "Holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht" (Albert Einstein).

Ohne psychiatrische Überfrachtung kann der Prozess in spieltheoretischer Diktion als "Kooperation rationaler Egoisten" [39] beschrieben werden.

Erkenntnistheoretische, philosophische Aspekte

Neue Phänomenologie [34], [37] als exquisites philosophisches System ermöglicht die Betrachtung der DFS-Behandlung mit ontologisch einwandfreiem Instrumentarium, das dem medizinischen Therapeuten gar nicht, individuell zufällig, immer aber nur vorbewusst und vorsprachlich zur Verfügung steht: Naturwissenschaft ist bei Bewusstsein aber besinnungslos. Bezogen auf das DFS sind drei philosophische Disziplinen hilfreich: Erkenntnistheorie, Ethik (Werte und Normen) und Anthropologie.

Erkenntnistheorie

Medizinischer Erkenntnisgewinn vollzieht sich im etablierten akademischen Diskurs nominalistisch, introjektionistisch und reduktionistisch [33]. Ein auffälliges Merkmal der DFS-Diskussion ist die stringente Beharrlichkeit des Paradigmas der "okklusiven, diabetischen Mikroangiopathie" in den Denkstilgemeinschaften der Chirurgie [38], Inneren Medizin [2] und Allgemeinmedizin. Hieraus folgt ebenso beharrlich die Auffassung, Minimalamputationen führten automatisch zu "Salamitaktik" und letztendlich immer zu notwendigen hohen Amputationen. Aus dieser Kausalhypothese folgt die primäre hohe Amputation als Handlungsprimat [41]. In erkenntnistheoretischer Perspektive zeigt sich hier "denkstilgebundene Wahrnehmungsverarmung" als Strukturmerkmal [29].

Ethik

Ethische Fragen, wie die nach der Verantwortung des Patienten ("Compliance") oder der des Therapeuten ("Patientenführung"), können aus Platzgründen nicht dargestellt werden.

Anthropologie

Medizin beschreibt den Patienten als aus Bewusstsein (Psyche) und Körper (Körpermaschine mit Körperteilen) zusammengesetzt, sog. "Anthropologischer Dualismus". Der Übergang von nichtmateriellen psychischen Vorgängen in biochemische und elektrische Vorgänge bleibt, obwohl bizarr und magisch-animistisch [7], unhinterfragt. Ohne diese platonische Verzerrung präsentiert sich der Patient realanthropologisch als "Leib" [36], [35]: Die Bedeutung kann durch die willkürliche Setzung: "Unterkörper" - "Oberleib" hier nur angedeutet werden. Eine eingehende Schilderung einschließlich der Konsequenzen für die DFS-Behandlung findet sich an anderer Stelle [28], [26].

Durch die beim DFS regelhaft vorkommende Polyneuropathie ändert sich beim Patienten zunächst nicht der sichtbare Körper, wohl aber tief greifend seine gesamte leibliche Ökonomie durch "Leibesinselschwund" [27].

Auf reduktionistischer Ebene wird die Polyneuropathie bereits von den meisten Therapeuten übersehen. Die anthropologische Bedeutung für die Auslösung und die Chronizität des DFS, ungeachtet aller technischen Interventionen, ist in keiner medizinischen Denkstilgruppe Bestandteil des etablierten Wissensbestandes. Die Bedeutung wird unmittelbar evident durch das folgende Bild (Abbildung 1 [Abb. 1]) eines ca. 50jährigen Naturwissenschaftlers. Die dargestellte Gewebedestruktion ist auf dem Boden des anthropologischen Dualismus nicht nachvollziehbar, außer durch die z.B. Deutung als Demenz auf Seiten des Patienten oder als Kunstfehler auf Seiten des Arztes.

Zusammenfassung

Die Ursache des DFS ist die diabetesbedingte Polyneuropathie mit nachfolgendem Leibesinselschwund. Anlass der DFS-Entstehung ist ein Trauma, ggf. begleitet von einer Makroangiopathie (selten). Das weltweit bekannte Ätiopathogeneseäquivalent ist die Lepra [40], die übrigens von Beginn an organerhaltend und primär konservativ behandelt wurde. Notwendig bei Bestehen einer Makroangiopathie ist die technische Intervention (PTA, Angiochirurgie), notwendig ist die exakte Einhaltung der reduktionistischen Standards (Leitlinien). Notwendig und hinreichend ist aber immer die Berücksichtigung der Polyneuropathie, ohne die die übrigen Maßnahmen ins Leere laufen.

Auch unter Anwendung aller Detailkenntnisse scheitert die regelrechte Behandlung derzeit an nicht beherrschten psychopathologischen Problemen (Psychopathologie der Therapeuten) und fehlender Strukturierung der interdisziplinären Handlungsabläufe der Kooperation (medizinisch) rationaler Egoisten.


Reduktionistische Standards zur Wundbehandlung des DFS

Die Wundbehandlung des DFS unterscheidet sich nicht von der anderer chronischer Wunden. Der Unterschied liegt in den assoziierten Störgrößen. Generell gilt, dass es keine diabetische okklusive Mikroangiopathie [10] gibt. Obwohl sämtliche Einzelinterventionen banal und gut gesichert sind, findet eine sachgerechte DFS-Behandlung in Deutschland nur in Ausnahmefällen statt.

Häufigste Fehler sind

  • das Übersehen der Polyneuropathie
  • mangelhafte BZ-Kontrolle in nicht diabetologischen Behandlungseinheiten
  • fehlende Revaskularisation vor Amputation bei bestehender Makroangiopathie.

Vor jeder Wundbehandlung muss die Ätiologie geklärt werden: Polyneuropathie, Makroangiopathie, venöse Abflussstörung, Lymphabfluss-Störung, Druckexzesse unter dem Fuß, bestehende Osteomyelitis, Osteoarthropathie etc. [27]. Die Wundbeurteilung erfolgt in der Diabetologie nach der Klassifikation von Wagner [44] und Armstrong [4]. Die Definition des Wundheilungsstadiums ist Grundlage der rationalen strukturierten Wundbehandlung: WH-Stadium 1 = Nekrosestadium, WH-Stadium 2 = Granulationsstadium; WH-Stadium 3 = Epithelisierungsstadium; WH-Stadium 4 = Wundkontraktion und Remodeling [27].

Grundlagen der DFS - Behandlung

Die Grundlagen der DFS-Behandlung bestehen in

  • Druckentlastung
  • Antibiotikatherapie
  • Blutzuckernormalisierung
  • strukturierter, lokaler Wundbehandlung nach SOP
  • Minimalchirurgie nach ggf. notwendiger Revaskularisation
  • ausreichender, hochkalorischer Ernährung (3,20,29)

Zur Druckentlastung: Durch die Polyneuropathie spüren die Patienten keinen Druck. Außerdem behandeln sie ihre Füße aufgrund des Leibesinselschwundes als sog. "Umgebungsbestandteile", so dass eine affektive Besetzung der Leibesinsel Fuß fehlt. Patienten laufen daher häufig auf ihren Wunden, ohne das zu merken und kaufen grundsätzlich zu enges Schuhwerk. Die totale Druckentlastung muss also von außen immer wieder sichergestellt werden. Sog. "Vorfußentlastungsschuhe" führen gerade im Bereich der Läsion zu Druckbelastungsmaxima, wenn nicht vorher eine entsprechende Gehschulung erfolgt ist (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Es gibt keine okklusive Mikroangiopathie, wohl aber eine "iatrogene, okklusive Mikroangiopathie": Dort, wo vergessen wurde, das Brett am Ende des Betts zu entfernen, rutschen die Patienten nachts vor diese Bretter: Wegen fehlender Drucksensation (Polyneuropathie) fehlt auch die reflektorische Retraktion; als Folge bleiben die Patienten ggf. Stunden in unveränderter Haltung. Das ist u.a. die Erklärung für verzögerte Wundheilung oder für das Entstehen von Läsionen im Krankenhaus. Andererseits belegen die Bretter die mangelnde Berücksichtigung der Polyneuropathie durch die Therapeuten und können daher als einfacher Kompetenzmarker genutzt werden.

Zur Antibiotikatherapie: Die Antibiotikatherapie erfolgt nach den gängigen Standards. Zu bedenken ist, dass bei hohen Blutzuckerwerten Immunsuppression durch Glycierung der immunkompetenten Zellen besteht. Die Patienten sind also grundsätzlich als Hochrisikopatienten einzustufen [20].

Zur Blutzuckernormalisierung: Der häufigste Strukturdefekt in der DFS-Versorgung besteht in der mangelnden Kompetenz, auch bei Problempatienten mit Typ1 oder Typ IIIc-Diabetes, stabil normale Blutzuckerwerte sicherzustellen. Hohe BZ-Werte verschlechtern die rheologischen Eigenschaften und bedingen Immunsuppression. Jedwelcher Therapeut sollte sich vor der Behandlung folgende Fragen stellen:

  • Ist die Behandlungseinheit in der Lage, Blutzucker-Tages- und Nachtprofile zu erstellen?
  • Können kausale Algorithmenmodifikationen durchgeführt werden?
  • Wer übernimmt die Steuerung der BZ-Kontrolle im Team ?

Zur strukturierten lokalen Wundbehandlung: Die Wundbehandlung erfolgt grundsätzlich feucht [20]. Die Überlegenheit der feuchten gegenüber einer trockenen Wundbehandlung ist seit mehr als 40 Jahren bekannt [14], [17], [22], [45]. Dennoch gibt es auch heute noch viele Anhänger des obsoleten Verfahrens, ein weiteres bemerkenswertes Phänomen medizinischer Denkstilbeharrlichkeit. Regelhaft sollte das Vorhandensein von Ablaufplänen gefordert werden. Sprichwörtlich etabliert ist die Wundtherapie "nach Art des Hauses" mit täglichen Verbandwechseln. Sprichwörtlich auch das Rekurrieren auf Erfahrungsmedizin und die Individualität jeder Wunde, die eine Standardisierung unmöglich macht: "Auf der Station X haben wir gute Erfahrung mit der Wundauflage Y gemacht" usw.

Zur Minimalchirurgie und Revaskularisation: Minimalchirurgisches Vorgehen nach vorlaufender Revaskularisation ist in der Effizienz auch bei großen Defekten umfangreich beschrieben [1], [8], [20], [23]. Leider erfreut sich die chirurgische Behandlung des DFS keiner besonderen Wertschätzung der zuständigen verantwortlichen Fachgesellschaft und im Tagesablauf des Routinechirurgen [41]. Zitate eines diabetologisch erfahrenen Minimalchirurgen zu seinem Fachgebiet: "Atraumatisches Operieren braucht große Erfahrung - häufig muss der jüngste Assistent den ‚Diabetesfuss' operieren", "Häufig finden wir lieblose Nähte", "Wir brauchen spannungsfreie Wundnähte - die meisten schneiden zu viel weg", "Wir brauchen am diabetischen Fuß erfahrene Operateure: vielen meiner Kollegen fehlt diese Erfahrung und im Lehrbuch steht auch nichts", "Häufig fehlt uns das geschulte Personal in der Wundpflege nach der Operation" [46].

Die Revaskularisation ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Minimalresektion bei Patienten mit Makroangiopathie [48]. Da Stenosen und Verschlüsse bei Diabetes überwiegend im Unterschenkel lokalisiert sind, kommt der distalen Bypasschirurgie eine elementare Bedeutung zu. Die Möglichkeiten und die Sinnhaftigkeit einschließlich des Belegs hervorragender Langzeitergebnisse [11], [24] sind ebenfalls längst bekannt [21], [30]. Distale Revaskularisation ist ebenfalls ein Problem der Denkstilbildung, diesmal im Verantwortungsbereich der Angiochirurgie. In der Fachdisziplin "Thorax-, Herz- und Gefäßchirugie" (HTG) akklamiert der Bezeichnungsinhaber die Kompetenz. In seinem Fachgebiet ist aber die Herzchirurgie als Königsdisziplin (siehe z. B. auch "Das Herz im Kulturvergleich", [6] hoch bewertet, Gefäße werden "auch" operiert. So etabliert sich über einen "rheinischen Dreisprung" ("Das haben wir schon immer so gemacht", "Das haben wir noch nie so gemacht", "Da könnte ja jeder kommen" (T. Fährenkemper, Gefäßchirurg über HTG-Chirurgen, [12])) die Auffassung, dass gefäßchirurgische Eingriffe unterhalb des Kniegelenk unseriös seien und sich distale Bypasses "sowieso" schnell verschließen. Längst sind diese Vorurteile widerlegt, das strukturelle Defizit findet sich trotzdem in sehr vielen Abteilungen für Herz-Thorax- und Gefäßchirurgie mit den entsprechenden Konsequenzen für die Wundheilung. Die überfällige Trennung der Fachdisziplinen ist bisher an den erheblichen Eigeninteressen der Abteilungsinhaber gescheitert.

Zur Ernährung: Jede Wundheilung bedarf der ausreichenden bis hoch kalorischen Ernährung [15], [20], [42]. Patienten mit DFS sind häufig übergewichtig und initiieren bei nahezu allen Ärzten einen Verschlankungsimpuls. Es wird versucht, während des stationären Aufenthalts eine Gewichtsreduktion zu erzielen. Die Begründung für dieses ärztliche Engagement bleibt im Dunkeln. Häufig ist die unterkalorische Ernährung begleitet von sadistischen Impulsen: "Der ist so dick, der hat ja noch einiges zuzusetzen" ... etc. Psychodynamisch auffällig hat diese medizinische Grundeinstellung aber bundsweite Konsequenzen. So ist es in deutschen Krankenhäusern nahezu unmöglich, einem Patienten z.B. 20 oder 30 Broteinheiten aus der Küche zukommen zu lassen. Jeder hier angesprochene Therapeut sollte es in seiner Abteilung versuchen.


Ergebnisse reduktionistischer Standards

Werden alle Maßnahmen sachgerecht durchgeführt, und arbeiten alle Fachdisziplinen geordnet zusammen, sind die Ergebnisse beeindruckend. Bereits früh wurde nachgewiesen, dass durch die Einrichtung spezieller Zentren zur Behandlung des DFS die Amputationsrate um mehr als 50% gesenkt werden kann [13], [18]. Es ist jedoch mittlerweile möglich, die Forderung der St. Vincent Deklaration [47] nach 50%iger Reduktion der Amputationen weit zu übertreffen. Als Beispiel seien die Behandlungszahlen unserer Klinik angeführt. Nach Einführung der interdisziplinären, leitliniengerechten Behandlungsstrategie sank die Zahl der hohen Amputationen von 23,8% (1991) auf 6,6% (1996), im Weiteren durch Verbesserung der Behandlungsabläufe auf 3,7% (2002). Die perioperative Mortalität konnte von 9,5% (1991) auf 2,7% (2002) gesenkt werden [9], [25]. Die Zahl der Majoramputationen in chirurgischen Standardbehandlungseinrichtungen blieb in diesem Zeitraum trotz aller Appelle jedoch unverändert (Abbildung 3 [Abb. 3] und 4 [Abb. 4]) [5], [43].

Im Gegensatz zu oben dargestellten möglichen Ergebnissen bestätigen auch aktuelle Untersuchungen die weiterhin unverändert hohe Amputationsrate in der Flächenversorgung. Die Analyse von Heller [16] in 1166 Krankenhäusern zeigt 43.544 Amputationen pro Jahr, davon 29.000 bei Patienten mit Diabetes, und zusätzlich 3891 Amputationsrevisionen pro Jahr. 12.070 Amputationen (29%) wurden oberhalb des Knies, 7209 oberhalb des Knöchels (17%) durchgeführt. Zusammen mit den Amputationsrevisionen ergibt sich somit ein unveränderter Anteil von 50% Major-Amputationen in Deutschland.


DFS-Behandlung als Strukturproblem

Abbildung 5 [Abb. 5] gibt einen Überblick über die beteiligten Disziplinen, die zum Gelingen der Behandlung notwendig sind.

Zu beachten ist hier, dass das Zusammenwirken zunächst ohne den Einfluss des Patienten und dessen Bedingtheiten (Leibesinselschwund, sog. "Compliance") dargestellt ist. Die bestehenden Probleme der Interaktion wurden an anderer Stelle bereits beschrieben [26]. Es ist evident, dass hier eine übergeordnete Steuerung notwendig ist. Diese fehlt aber an nahezu allen Krankenhäusern. Es besteht derzeit kein Bedarf an neuen Forschungsergebnissen, wohl aber ein dringender Bedarf an Ordnung der medizinischen Behandlung.

Darüber hinaus führt das Schaubild zusammen mit den einleitenden Bemerkungen zu folgendem Schluss: Die Behandlung des DFS ist ein philosophisches, ein psychiatrisches und ein politisches Problem. Die medizinischen Fragen sind bereits vor Jahren gelöst worden.


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