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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Concept Mapping zur Unterstützung der differentialdiagnostischen Hypothesenbildung im fallbasierten Online-Lernsystem CASUS: Qualitative Verbesserung der Diagnosefindung durch ICD-10 Kodierung

Concept mapping for supporting the differential diagnostic generation of hypotheses in the case-based online learning system CASUS: Qualitative improvement of dagnostic performance through ICD-10 coding

Forschungsarbeit/research article Humanmedizin

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  • corresponding author Marcus Kernt - Ludwig-Maximlians-Universität München, Augenklinik, München, Deutschland
  • author Matthias Holzer - Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinikum, Medizinische Klinik-Innenstadt, Schwerpunkt Medizindidaktik, München, Deutschland
  • author Daniel Bauer - Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinikum, Medizinische Klinik-Innenstadt, Schwerpunkt Medizindidaktik, München, Deutschland
  • author Martin R. Fischer - Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinikum, Medizinische Klinik-Innenstadt, Schwerpunkt Medizindidaktik, München, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2008;25(3):Doc91

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/zma/2008-25/zma000575.shtml

Received: July 2, 2007
Revised: May 28, 2008
Accepted: May 30, 2008
Published: August 15, 2008

© 2008 Kernt et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Einleitung: Der Einsatz von Concept-Mapping-Tools in computergestützten Lernprogrammen ist in der medizinischen Ausbildung etabliert: Es konnte gezeigt werden, dass diese Werkzeuge zur Visualisierung von Differentialdiagnosen vom Anwender akzeptiert werden und zu einer vermehrten Hypothesenbildung beitragen. Es gibt bisher jedoch wenige Erkenntnisse über die Qualität der dabei vom Anwender erstellten Hypothesen. Die vorliegende Studie untersucht die Qualität der im Netzwerk-Tool im fallbasierten Lernsystem CASUS erstellten Hypothesen und inwieweit diese durch Kodierung mittels ICD10 präzisiert werden können.

Methodik: Die Lernenden bearbeiteten zu zweit einen Computerlernfall zum Thema Malaria. Wir randomisierten 192 Teilnehmer der Studie aus dem 3. Studienjahr an der Universität München in zwei Gruppen: Gruppe A wurde gebeten, die erdachten Hypothesen vor der Eingabe in das Netzwerk-Tool mittels eines ICD10-Browsers zu kodieren. Gruppe B erstellte ihre Hypothesen ohne weitere Hilfsmittel. Die Netzwerke wurden quantitativ und qualitativ evaluiert und die Ergebnisse der beiden Gruppen verglichen. Als Referenz diente das von Experten erstellte Netzwerk.

Ergebnisse: 87 differentialdiagnostische Netzwerke konnten ausgewertet werden. In Gruppe A mit ICD10-Kodierung der Hypothesen, konnten die Lernenden signifikant häufiger (p<0,005) die exakte Hauptdiagnose Malaria tropica stellen. In der Gruppe ohne ICD10 Kodierung wurde signifikant häufiger (p<0,005) die unpräzise Diagnose "Malaria" gestellt. Für die Nebendiagnosen ergaben sich qualitativ und quantitativ keine Unterschiede.

Schlussfolgerungen: Die ICD10-Kodierung der Hypothesen im Netzwerk-Tool führte zu einer präziseren Diagnosestellung der Studierenden im klinischen Studienabschnitt. Die Integration eines ICD-Browsers zur Unterstützung der differentialdiagnostischen Hypothesenbildung in fallbasierten Lernsystemen ist sinnvoll.

Schlüsselwörter: ICD-10, Differentialdiagnostik, Mapping-Tool, Medizinische Ausbildung, fallbasiertes Lernen, computerbasiertes Lernen

Abstract

Introduction: Concept mapping tools have long been established in medical education as an aid for visualizing learning processes in computer-based programs. The case-based learning system CASUS with its mapping tool for visualizing the differential diagnostic reasoning process is an example. It was shown that such tools are well accepted by users and lead to an increased number of diagnostic hypotheses being visualized as maps. However, there is scarce evidence on the quality of user-generated diagnostic hypotheses. This study examines the quality of diagnostic hypotheses obtained with CASUS and whether the quality can be improved through ICD-10 coding as compared with an expert’s solution.

Methods: We randomized 192 third-year medical students at the University of Munich into two groups. The students worked in groups of two on one computer.

Group A was asked to code their diagnostic hypotheses with an ICD-10 coding browser before entering them into the mapping tool.

Group B generated their hypotheses without prior ICD-10 coding. The differential diagnostic reasoning visualizations were analyzed quantitatively and qualitatively. An expert solution was used as reference.

Results: Eighty-seven differential diagnoses were evaluated. Group A, using ICD-10 coding, made the correct and precise diagnosis of malaria tropica significantly more often than Group B (p < 0.05). For additional alternative diagnostic hypotheses, no quantitative or qualitative differences were detected.

Conclusions: ICD-10 coding in connection with a mapping tool supporting the diagnostic reasoning process improved the accuracy of diagnostic performance in third-year medical students in the case of malaria tropica.

Keywords: CASUS, CBT, ICD-10, mapping, medical education


Einleitung

Die Strukturierung von komplexen Informationen mit Reduktion auf das Wesentliche stellt eine schwierig zu bewältigende Aufgabe dar [1], [2]. Dieses Problem, das in der Lernforschung bereits seit langem bekannt ist, zeigt sich auch, wenn Medizinstudenten die Bearbeitung komplexer authentischer Fälle lernen sollen. Den Lernenden wird meist eine Vielzahl von Informationen präsentiert, die teils widersprüchlich und zum großen Teil hoch komplex sind. Eine wesentliche Aufgabe für die Studierenden besteht dabei darin, die Informationen auf das Wesentliche zu reduzieren und in Bezug zueinander zu setzen. Häufig überfordert diese Komplexität die Lernenden und erschwert eine strukturierte Bearbeitung eines Falls [3], [4]. Es scheint daher wichtig, die Lernenden bei der Bearbeitung von komplexen Fällen in geeigneter Weise zu unterstützen, Informationen auf das Wesentliche zu reduzieren und besser zu strukturieren.

Eine Form der Unterstützung ist die grafische Visualisierung der Information mit Hilfe von Mapping-Verfahren. Mapping-Verfahren sind Hilfsmittel, die es dem Lernenden ermöglichen, die Informationen und Lerninhalte selbst zu strukturieren. Sie dienen dazu, Informationen zu visualisieren. Die Überlegenheit zusätzlicher grafischer Informationen gegenüber rein sprachlich dargestellten Informationen konnte von Fletcher [5] gezeigt werden und kann damit begründet werden, dass Grafiken bzw. Bilder eine „reichhaltigere“ Gedächtnisspur als Wörter hinterlassen [6]. Es gibt aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Grafiken und Bilder als eine Einheit im Lern-Arbeitsspeicher repräsentiert und verarbeitet werden [7] und dadurch alle Bestandteile der Information ohne zusätzliche Prozesse der Kohärenzbildung simultan verfügbar gemacht werden. Viele empirische Befunde weisen darauf hin, dass grafische Darstellungen das Verstehen von Informationen unterstützen können [8]. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn Lernende selbst Informationen grafisch darstellen und es damit zu einer aktiven Auseinandersetzung mit der Information kommt [9]. Vor allem konstruktivistische Ansätze betonen, wie wichtig eine aktive Auseinandersetzung des Lernenden mit der Aufgabenstellung ist [10], [11].

Mapping-Verfahren stellen somit eine geeignete Möglichkeit dar, die Auseinandersetzung mit komplexen Fragestellungen, wie sie häufig beim Erlernen medizinischer Behandlungsstrategien anhand von Lernfällen auftritt, zu erleichtern. Allgemein erfolgt die Darstellung der Konzepte - also Hypothesen und Strategien zur Problemlösung - in Mapping-Tools meist in Form von Knotenpunkten und Relationen, die zwischen den Konzepten als Linien abgebildet werden. Mapping-Verfahren unterstützen drei Hauptziele [12], [13]:

  • Sie erlauben die Darstellung und Diagnose von Wissensstrukturen.
  • Sie können eingesetzt werden, um den Lernenden komplexe Sachverhalte strukturiert zu vermitteln.
  • Sie können als Hilfsmittel beim eigenständigen Lernen zur Verfügung gestellt werden, um Informationen besser organisieren und reduzieren zu können.

Das „Netzwerk-Tool“ in CASUS

Im CASUS Lernsystem steht ein Mapping-Tool zur Visualisierung des differentialdiagnostischen Prozesses zur Verfügung [14]. Dieses in das Lernsystem integrierte Concept-Mapping-Tool erscheint am Ende jedes Kapitels des Lernfalles, und gibt so dem Studierenden die Möglichkeit, seine Differentialdiagnosen darzustellen und schrittweise zu verfeinern.

Das tabellarisch aufgebaute Netzwerk-Tool in CASUS öffnet sich als ein zusätzliches Bildschirmfenster, in dem der Lernende nochmals alle in diesem Kapitel erhobenen Befunde vor sich sieht. Der Studierende hat nun die Möglichkeit, über ein Eingabefeld in der Bedienleiste des Programms geeignete Differentialdiagnosen einzugeben. Nachdem der Benutzer seine Hypothesen eingeben hat, kann er Verknüpfungen zu den Befunden mit Hilfe von kurzen Pop-Up-Listen erstellen und mit der Auswahl von „+++“ für „der Befund spricht stark für die Hypothese“, bis „- - -“ für „der Befund spricht stark gegen die Hypothese“ in sechs Stufen gewichten. Am Ende dieses Prozesses hat der Lernende die Möglichkeit, die selbst festgelegte Wertigkeit seiner Hypothesen im Bezug auf die Befunde durch automatisches Aufaddieren der Verknüpfungen zwischen einer Hypothese und den Befunden zu überprüfen. Die Hypothese, der in der Summe die meisten positiven Werte zugeordnet wurden, erscheint im Netzwerk-Tool an oberster Stelle. Im Anschluss daran kann der Lernende das selbst erstellte Netzwerk mit einem vom Fallautor erstellten Netzwerk vergleichen. Er erhält so ein Feedback zur selbst erbrachten Leistung. Diese Experten-Lösungen werden in den CASUS Lernfällen von Spezialisten der entsprechenden Fachrichtungen bereitgestellt und sind auf das entsprechende Curriculum abgestimmt

Integration des ICD Codes im Netzwerk-Tool

Ein Ziel dieser Studie war es, durch die Integration eines ICD-10 Kodierungsbrowsers (DIMDI 2007, http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/index.htm) in das Computerlernprogramm CASUS und das Netzwerk-Tool, den Studierenden des dritten klinischen Semesters erstmals während ihrer Ausbildung die Möglichkeit zu geben, sich im Umgang mit einem fachspezifischen Klassifikationssystem wie ICD-10 vertraut zu machen. Mit Hilfe einer vergleichenden Evaluation der differentialdiagnostischen Netzwerke wurde untersucht, inwieweit die Diagnosen, die im Rahmen der Fallbearbeitungen am Computer im differentialdiagnostischen Netzwerk-Tool zu stellen waren, durch die Anwendung eines Kodierungstools an Genauigkeit und Richtigkeit zunehmen. Auch sollte untersucht werden, inwiefern damit die Vergleichbarkeit der Netzwerke erhöht werden kann, und ob die getroffenen Aussagen in den Netzwerken dadurch stichhaltiger und präziser werden. Als Referenz wurde ein von einem ausgewiesenen medizinischen Experten erstelltes, ICD-10-verschlüsseltes differentialdiagnostisches Netzwerk herangezogen.


Methodik

Untersuchungsteilnehmer und Design

Die vergleichende, qualitative Evaluation der Netzwerke wurde im Wintersemester 2002/2003 im Rahmen des vorlesungsbegleitenden Computerkurses Innere Medizin für Studierende des 3. klinischen Semesters an der LMU vorgenommen. Ein Schwerpunkt der Vorlesungen des Semesters war der Bereich der Infektiologie und Tropen-Krankheiten. Der in dieser Studie verwendete Lernfall wurde so ausgewählt, dass die Studierenden durch die Vorlesung einen vergleichbaren Wissensstand und ein entsprechendes Vorwissen aufwiesen. Insgesamt nahmen an der Studie im Rahmen des Computerkurses Innere Medizin 192 Studierenden teil. Die Untersuchung fand im Rahmen der Einführungsveranstaltung des Kurses an der Medizinischen Klinik Innenstadt der LMU statt [15]. Die Veranstaltung fand im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2002 zweimal wöchentlich statt. Initial wurden 12 Gruppen von durchschnittlich 16 Studierenden gebildet. Diese Gruppen wurden zufällig jeweils einer der beiden Bedingungen (A: mit ICD-10 Kodierung; B: ohne ICD-10 Kodierung) zugeordnet. Die Studierenden bearbeiteten die Computerlernfälle in der Regel zu zweit an einem Computer. Falls die Teilnehmerzahl der jeweiligen Kursgruppe durch Fehlen einzelner Kursteilnehmer ungerade war, wurde der Lernfall von dem überzähligen Lernenden auch einzeln bearbeitet. Die Studierenden wurden in zwei Gruppen A (mit ICD-10-Kodierung; n = 48) und B (ohne ICD-10-Kodierung; n = 39) randomisiert. Die Unterschiede in der Gruppenzahl ergibt sich daraus, dass in den zu Beginn des Semesters zusammengestellten Gruppen einzelne Teilnehmern am Kurstag fehlten. In der Studie bearbeiteten die Studierenden einen Prüfungsfall im Computerlernprogramm CASUS und erstellten ein differentialdiagnostisches Netzwerk. Für beide Gruppen wurde die allgemeine Einführung zum Kurs und zur Benutzung des Computerlernprogramms CASUS in gleicher Weise durchgeführt, wobei nur auf die technische Benutzung des Programms, nicht auf den Inhalt des entsprechenden Falls eingegangen wurde. Bei der Benutzung des Netzwerk-Tools wurde Gruppe A zusätzlich darum gebeten, die erarbeiteten Hypothesen vor der vergleichenden Bewertung im Netzwerk mit den erhobenen Befunden unter Zuhilfenahme des Kodierungsschlüssel ICD-10 zu kodieren.

Fallbasiertes Computerlernsystem CASUS

Das als Lern- und Prüfungsinstrument eingesetzte, computergestützte Lernsystem CASUS ist bereits seit mehreren Jahren in die medizinische Ausbildung integriert. Mit dem Programm CASUS werden angehenden Ärzten unter Einbindung verschiedenster multimedialer Elemente, wie Bildern, Graphiken und Filmen, Patientenfälle zur Bearbeitung angeboten, die in der Regel auf reellen Krankheitsgeschichten beruhen.

Bei CASUS handelt es sich um ein Lernprogramm, das speziell auf medizinische Inhalte ausgelegt ist. Es kann über die gängigen Internet-Browser aufgerufen werden und beinhaltet multimodale Lernfälle zu verschiedenen Krankheitsbildern, die didaktisch auf den Grundlagen des problemorientierten Lernens beruhen. Die Lernfälle, so auch der Studienfall, sind realitätsnahe Patientenfälle. Die Fälle bestehen aus multimodalen Elementen, Expertenkommentaren und interaktiven Elementen. Nach Beantwortung der Fragen im Fall bekommen die Studierenden sofort Rückmeldung über die Korrektheit ihrer Antwort, die nicht mehr verändert werden kann. Nach Erstellung bzw. Bearbeitung des differentialdiagnostischen Netzwerks haben die Studierenden die Möglichkeit, ihr Netzwerk mit dem von einem Experten erstellten Netzwerk zu vergleichen. Als Experten fungieren Spezialisten des entsprechenden Fachgebiets, die speziell für die Erstellung von Computerlernfällen und Experten-Kommentaren geschult wurden. So können alle Studierenden während der Fallbearbeitung immer wieder auf den aktuellen Wissensstand gebracht werden und aufeinander Bezug nehmende Fragen gestellt werden. Untersuchungsgegenstand dieser Studie war das differentialdiagnostische Netzwerk-Tool des CASUS-Lernsystems.

Dieses tabellarisch aufgebaute Netzwerk-Tool stellt eine Web-taugliche Fortentwicklung des genannten graphischen Mapping-Werkzeugs dar. Aus der Erfahrung, dass gerade bei umfangreicheren Netzwerken die grafische Oberfläche mit den zahlreichen Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Befunden und Hypothesen leicht unübersichtlich wird und der Möglichkeit, dieses Netwerk-Tool auch über alle gängigen Internet-Browser nutzen zu können, wurde diese Variante des Mapping-Tools entwickelt und im Computerkurs Innere Medizin zum Sommersemester 2002 eingeführt. Nach Abschluss jeder didaktischen Einheit öffnet sich automatisch ein zusätzliches Fenster im Browser, in dem die erhobenen Befunde in Form von Befund-Elementen in der obersten Zeile des Netzwerktools angezeigt werden. Die vom Benutzer erarbeiteten Hypothesen werden nun nacheinander über ein Eingabefeld in der am unteren Rand befindlichen Bedienleiste in eine den Befunden vorangestellten Spalte eingeben (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Zutreffende, „positive“ sowie nicht zutreffende „negative“ Verknüpfungen zwischen Hypothesen und Befunden können nun über Pop-up-Menüs mit "+" und "-" Zeichen, äquivalent zum grafischen Netzwerk, erzeugt werden (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Das Netzwerk-Tool erscheint nach jedem Kapitel des Lernfalls automatisch, kann aber auch zu jedem Zeitpunkt im Lernfall aufgerufen und bearbeitet werden. Am Ende des Falls wird noch einmal eine Gesamtübersicht des erstellten Netzwerks zusammen mit dem Experten-Netzwerk dargeboten.

ICD 10 Kodierung

Zur ICD-Kodierung mussten die Studierenden ihre differential-diagnostischen Hypothesen im Netzwerk-Tool in das Eingabefeld in der Bedienleiste am unteren Rand des Bildschirms eingeben. Vor dem Bestätigen, und damit Übertragen in das tabellarische Netzwerk, wurde durch Drücken eines "ICD-10 Button" der Online-ICD-10 Kodierungsbrowser aktiviert, der zum Zeitpunkt der Untersuchung auch für die Routineverschlüsselung im Rahmen der Arztbriefschreibung verwendet wurde. Dieser Browser schlägt mögliche ICD-10 Kodierungen entsprechend den vorher vom Benutzer getätigten Eingaben in Form einer drei- bis zu fünfstelligen ICD-10 Kodierungsziffer mit entsprechendem Wortlaut vor. Die Studenten wurden aufgefordert, aus dieser Liste den entsprechenden Wortlaut der ICD-10 Kodierung auszuwählen, der am genauesten mit der von ihnen erdachten Hypothese übereinstimmt. Da es aus technischen Gründen nicht möglich war, diesen direkt vom ICD-10 Browser in das Netzwerk zu übernehmen, sollte der Begriff am Bildschirm mit Hilfe der Maus markiert werden und über die Funktion "kopieren" und "einfügen" in das Eingabefeld des tabellarischen Netzwerk-Tools übertragen werden. In einigen wenigen Fällen ließ sich dies technisch und praktisch nicht umsetzen, so dass dann die Studierenden aufgefordert wurden, sich den Wortlaut zu merken und manuell zu übertragen bzw. abzuschreiben. Die Studenten der Gruppe B, die ihre Netzwerke ohne zusätzliche ICD-10-Kodierung erstellen sollten, wurden gebeten, eine möglichst genaue Diagnose zu stellen und in das Netzwerk einzugeben.

Prüfungsfall

In dem in der Studie eingesetzten Computerlernfall mit dem Titel "47-jährige Lehrerin mit Kopfschmerzen und Fieber" wird das Krankheitsbild einer Malaria tropica behandelt. Der Lernfall war über den Computerkurs Innere Medizin in das Curriculum im Wintersemester 2002/2003 eingebunden. Der Fall bestand aus vier Kapiteln mit insgesamt 29 Bildschirmkarten, die neben Text mehrere Bilder und Grafiken enthielten. Die Studierenden mussten 15 Fragen im Multiple-Choice- oder Freitext-Format beantworten. Am Ende jeden Kapitels wurde automatisch das Netzwerk-Tool zur Erstellung und Bearbeitung des differential-diagnostischen Netzwerks eingeblendet.


Ergebnisse

Insgesamt wurden im Rahmen der Studie 87 Netzwerke untersucht. Davon wurden 48 (Gruppe A) unter Zuhilfenahme des Kodierungsschlüssel ICD-10 erstellt, 39 Netzwerke (Gruppe B) entstanden ohne vorherige Verschlüsselung. In der Gruppe A mit ICD-10 Verschlüsselungen wurden durchschnittlich drei Hypothesen pro Fall erzeugt in der Gruppe B ohne Verschlüsselung durchschnittlich vier Hypothesen, wobei in beiden Gruppen, mit 14 Netzwerken in Gruppe A und 12 Netzwerken in Gruppe B, am häufigsten drei Hypothesen pro Fall erstellt wurden (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]).

Mit 18% in Gruppe A und 21 % in Gruppe B erzeugte nur ein kleiner Teil der Studienteilnehmer mehr als sechs Hypothesen, wobei in Gruppe A die höchste Zahl von Hypothesen 8 war. In Gruppe B wurden von einem Studierenden 12 Hypothesen und von zwei Studierenden 10 Hypothesen erstellt; im Rest der Gruppe wurden ebenfalls maximal acht Hypothesen erstellt (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]).

Im weiteren Verlauf der Untersuchung wurde die Qualität der erstellten Hypothesen untersucht. Als Standard für die Bewertung der erstellten Hypothesen wurde dafür das Netzwerk des "Experten" und dessen ICD-10 kodierte Hypothesen herangezogen. Dabei ließ sich eindeutig zeigen, dass die Gruppe, die zur Benutzung des Kodierungsschlüssel ICD-10 instruiert wurde, deutlich präzisere Hypothesen erstellte und damit gleichzeitig zutreffendere Aussagen erzielte. Die Hauptdiagnose des Prüfungsfalles war "Malaria tropica". Diese richtige Diagnose wurde in der Gruppe mit ICD-10 Verschlüsselung in 45 Netzwerken gestellt. Das bedeutet, dass 94 Prozent der Studierenden in dieser Gruppe in der Lage waren, den im Fall beschriebenen Symptomen das richtige Krankheitsbild zuzuordnen (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]).

In der Gruppe ohne ICD-10 Verschlüsselung wurde nur in vier Fallbearbeitungen die richtige Diagnose gestellt. Somit wurde in Gruppe A, die mit der Diagnoseverschlüsselung des ICD 10 arbeitete, signifikant häufiger die richtige Diagnose gestellt (p<0,0001). In Gruppe B wurde 31-mal der unspezifische Oberbegriff "Malaria" genannt. Die Diagnose „Malaria“ ist zwar nicht falsch und führt diagnostisch in die richtige Richtung, erlaubt aber keine adäquate Therapie, da den verschiedenen Malariaunterformen unterschiedliche Erreger zugrunde liegen und daraus ein unterschiedliches therapeutisches Vorgehen resultiert. Diese ungenaue Diagnose fand sich in der Gruppe mit ICD-10 nur zweimal (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Weniger eindeutig ließ sich zeigen, dass auch bei den weiteren Diagnosen, die im Fall zu stellen waren, in der Gruppe mit ICD-10 Verschlüsselung (Gruppe A) häufiger die richtige Diagnose gefunden wurde. So fanden die Nebendiagnose "Lamblieninfektion" in Gruppe A 30 Studienteilnehmer, während in Gruppe B 34-mal diese richtige Nebendiagnose gestellt wurde. Die richtige Nebendiagnose "Ascariasis" wurde 23-mal in Gruppe A, und damit signifikant häufiger als mit 12-mal in Gruppe B gestellt (p=0,0013).

Bei einer weiteren Nebendiagnose ließ sich dieser Trend nicht nachvollziehen. So wurde die Nebendiagnose "Schistosomiasis" in Gruppe A nicht genannt in Gruppe B hingegen viermal aufgeführt.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass vier weitere Diagnosen, die im Expertennetzwerk enthalten waren, so selten von den Studierenden genannt wurden, dass zu diesen keine statistisch validen Aussagen getroffen werden können. Im Einzelnen wurde die Expertenhypothese "parasitäre Darminfektion" dreimal, davon kein Mal in der Gruppe mit ICD-10 Verschlüsselung, in den Fallbearbeitungen genannt. Die Diagnose "Anämie" wurde viermal in der Gruppe ohne ICD-10 Verschlüsselung gestellt, während sie in der Gruppe mit ICD-10 Verschlüsselung nicht vorkam. Die Hypothese "bakterielle bzw. virale Darminfektion" wurde insgesamt sechsmal genannt, davon einmal in der Gruppe mit ICD-10 Verschlüsselung und fünfmal in der Gruppe ohne ICD-10 Verschlüsselung. Die vom Experten vorgeschlagene Hypothese "broncho-pulmonaler Infekt" kam in den in der Studie untersuchten Netzwerken nicht vor. In Bezug auf diese vier Hypothesen ist anzumerken, dass sie bereits im Expertennetzwerk sehr allgemein gehalten sind und damit allenfalls als erste Einschätzung im Bezug auf eine zu behandelnde Erkrankung zu werten sind. Es lässt sich also vermuten, dass dies der Grund für die insgesamt geringe Zahl der Nennung durch die Studierenden ist und dass diese allgemeinen gehaltenen Formulierungen fast ausschließlich in der Gruppe ohne ICD-10 Verschlüsselung zu finden sind.


Diskussion

Fallbasierte computergestützte Lehre erleichtert den Lernenden den Umgang mit fachspezifischen Fragestellungen in der medizinischen Ausbildung. Aus vorangegangenen Untersuchungen wissen wir, dass hierbei die Diagnosestellung durch Netzwerktools unterstützt wird [14]. In unserer Studie zur vergleichenden Evaluation der differential-diagnostischen Netzwerke zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Anzahl der erstellten Hypothesen zwischen den beiden Gruppen. Im Gegensatz dazu war aber die Gruppe der Studierenden, die ihre Diagnose mittels ICD 10 verschlüsselt hatte, bei der Stellung einer präzisen Diagnose der Gruppe überlegen, die nicht verschlüsselt hatte.

In dieser Studie zeigt sich aber auch, dass die Diagnosestellung häufig auf einem relativ allgemein gehaltenen Niveau stattfindet. Es scheint den Studierenden schwer zu fallen, sich auf eine präzise Diagnose festzulegen. Die Mehrzahl der Anwender verwendet Oberbegriffe von Erkrankungen und allgemeine Formulierungen, die aber die notwendige therapeutische Konsequenz nach Diagnosestellung nicht immer ermöglichen. Eine Ursache dafür könnte sein, dass subjektive oder objektive Symptome häufig nicht eindeutig in Hinblick auf die ihnen zu Grunde liegende Erkrankung sind und es den Studierenden als noch unerfahrenen Diagnostikern deshalb schwer fällt, sich festzulegen. Eine weitere Ursache könnte auch in dem Bestreben liegen, nichts Falsches sagen zu wollen und hierzu lieber im Diffusen zu verbleiben.

Da lediglich die Bearbeitung eines Lernfalls evaluiert wurde, sind keine allgemeingültigen Aussagen möglich. Weitere Untersuchungen sind geplant, um die potentielle Präzisierung der Diagnosefindung durch ICD-10 Kodierung in einem Mapping-Tool weiter wissenschaftlich zu untersuchen.

Auf der Suche nach Möglichkeiten, diesen Missstand zu verbessern und dem Lernenden die Diagnosespezifizierung zu erleichtern, bietet sich das Klassifikationssystem des ICD-10 durch seine ubiquitäre Verbreitung an. Zwar bleiben Klassifikationssysteme wie ICD-10 solange unvollkommen, bis die Erkenntnisse bezüglich des Gegenstandsbereichs, den sie ordnen sollen, lückenlos sind. Dennoch gewinnen sie durch den zunehmenden Gebrauch an Bedeutung und ermöglichen durch präzise Benennung von Krankheitsbildern eine unmissverständliche Kommunikation, die in der heutigen vernetzten Gesellschaft, die vom Austausch unter Spezialisten aber auch von den Dokumentationsunterlagen, unerlässlich ist. Dies trifft besonders auf den sensiblen Bereich des Gesundheitswesens zu. So kommt heute kein Arzt als „Leistungserbringer“ ohne die Verwendung der ICD-Kodierung aus.

Studierenden sollten deshalb frühzeitig lernen, sich mit entsprechenden Dokumentations-Instrumentarien zu befassen [16]. Das Klassifizierungssystem ICD-10 ist in das neue Curriculum für die medizinische Ausbildung in Deutschland integriert [8]. Dennoch scheint die Integration dieses Hilfsmittel in der Ausbildung ausbaufähig. Entsprechend ausgestaltete fallbasierte computergestützte Lernprogramme stellen dabei eine viel versprechende Trainingsmöglichkeit dar.


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