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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Systematische Erfassung von gesundheitsökonomischen Effekten durch regulatorische Einflüsse: Aufbau einer grundsätzlichen Methodik sowie Fallstudie zur Pankreaschirurgie

Systematic tracking of health economic effects due to regulatory standards: Design of a common simulation method and case study on pancreatic surgery

Originalarbeit

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  • corresponding author Christian Elsner - Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Deutschland
  • Corinna Wriedt - Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Deutschland
  • Dennis Häckl - Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung WIG², Leipzig, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2015;11(1):Doc05

doi: 10.3205/mibe000161, urn:nbn:de:0183-mibe0001618

Veröffentlicht: 3. September 2015

© 2015 Elsner et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

In der deutschen Krankenhauslandschaft üben verschiedene Faktoren Einfluss auf die Verteilung von medizinischen Eingriffen aus: Neben Mindestmengen verändern Zertifizierungsstandards und regulatorische Vorgaben die Verteilung von Fachabteilungen und Eingriffen zwischen den Krankenhäusern. Gleichzeitig liegen in der Literatur vielfach Angaben über medizinische, aber auch gesundheitsökonomische Effekte derartiger Umverteilungen vor, wie beispielsweise die Qualitätsbeeinflussung durch Vereinbarungen über Mindestmengen.

Zielsetzung: Das Ziel der Arbeit war es, die von regulatorischen Einflüssen ausgehenden gesundheitsökonomischen und krankenhausplanerischen Effekte systematisch zu erfassen und zu bewerten. Konkret soll eine Methodik vorgestellt und diskutiert sowie für den Bereich der Pankreaschirurgie exemplarisch angewandt werden. Die Effekte wurden unter Einbezug aller Eingriffsdaten aus den strukturierten Qualitätsberichten der deutschen Krankenhäuser simuliert.

Methodik: Anhand von exemplarischen Daten aus den strukturierten Qualitätsberichten des Jahres 2010 der deutschen Krankenhäuser wurde in Kombination mit den Geo-Lokalisations-Daten der Krankenhäuser eine Datenbank erstellt, um Eingriffsumverteilungen beurteilen zu können. Die Qualitätsberichte wurden vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig wurde eine XML-basierte Struktursprache entwickelt, die die Abbildung der Bündelungseffekte von Eingriffen ermöglicht und diese gesundheitsökonomischen Publikationen in das Format der Simulation übersetzt.

Ergebnisse: Als Ergebnis konnten allgemeine Aussagen über die grundsätzlich denkbare effiziente Umverteilung durch die Bündelung von Eingriffen in Deutschland getroffen werden. Darüber hinaus konnte die Methodik am Beispiel der Pankreaschirurgie validiert und die Ergebnisse exemplarisch diskutiert werden.

Schlussfolgerung: Die entworfene Methodik und die generierte Datenbank sind aus Sicht der Autoren grundsätzlich nützlich, um eine schnelle und präzise Abschätzung von Effekten einer regulatorischen Maßnahme vorzunehmen. Die Datenbank und die Systematik könnten daher zur Absicherung und Abschätzung von künftigen planerischen Maßnahmen dienen. Zudem bieten sie eine standardisierte Methodik, die Maßnahmen hinsichtlich theoretisch zu erwartender Effekte objektiv vergleichbar macht. Auf die gesamte Fallzahl in Deutschland bezogen, ließen sich von 18,5 Millionen Fällen 2,5 Millionen umverteilen. Im Beispiel der Pankreaschirurgie läge der Nutzen bei 289 gewonnenen Lebensjahren (LYGs) pro Jahr.

Schlüsselwörter: Gesundheitssystemforschung, Mindestmengen, Geosimulation, Gesundheitsökonomie, Krankenhausplanung

Abstract

The German hospital market is influenced by different factors in it’s geo-spatial distribution of certain procedures. In Germany there are different hospital requirements as so called “minimum procedure quantities” and regulatory standards, which indirectly and directly control the distribution of procedures between hospitals. At the same time different literature studies show the health economic and mortality effects of different case redistributions as a result of minimum quantities and “learning curves”. An interlink is mostly missing.

Objective: The aim of this study was to setup a system to systematically simulate and evaluate health economic effects due to regulatory standards and hospital planning. Additionally the system was methodologically applied to the exemplary field of pancreatic surgery. The effects were simulated using all structured intervention data from the quality reports of German hospitals and the exemplary data from pancreatic surgery “learning curves” and their health economic effects.

Methods: On the basis of common available data from the year 2010 drawn from the standardized quality reports of all German hospitals combined with the Geo-localization data of the hospitals a simulation-database was generated. The quality reports were provided by the Federal Joint Committee (GBA). At the same time an XML-based structure language was developed, that allows the translation of health economic data into the format of the simulation.

Results: As a result general statements about the distribution of procedures over Germany could be given for different regions and indications/procedures. In addition, the methodology to track and simulate effects due to a redistribution could be evaluated at the example of pancreatic surgery.

Conclusion: The designed methodology and the generated database are useful to make a quick and accurate assessment of effects of any regulatory action. The database and the scheme could therefore serve to support future planning measures. In addition, they offer a standardized methodology, which makes effects objectively comparable. Based on the total number of 18.5 million cases in Germany, 2.5 million cases could be redistributed due to the simulation results generating positive effects. For the example of pancreatic surgery, the benefits would be at 289 life years gained (LYGs) per year.

Keywords: health systems research, geo simulation, health economics, hospital planning


Einleitung

In der deutschen Krankenhauslandschaft beeinflussen verschiedene Faktoren die Verteilung von stationären Eingriffen. Eine zentrale Maßnahme in diesem Bereich stellt die Festlegung von Mindestmengen durch den Gemeinsamen Bundesauschuss (GBA) bei Lebertransplantation, Nierentransplantation, komplexen Eingriffen an Ösophagus und Pankreas sowie Stammzelltransplantationen, Kniegelenksprothesen, koronarchirurgischen Eingriffen sowie bei der Versorgung von Früh- und Neugeborenen dar [1].

Daneben werden besonders durch AWMF-Richtlinien oder GBA-Beschlüsse oftmals Umverteilungseffekte direkt oder indirekt generiert. Ein Beispiel hierfür ist die Richtlinie des GBA zur Versorgung von Neugeborenen in den verschiedenen Versorgungsstufen. Diese beeinflusst indirekt die künftige „Bündelung“ bestimmter Neugeborenen-Klassen an den verschiedenen Versorgungslevel-Zentren [2], da hier aufgrund von Forderungen an Infrastruktur und Personal in Zukunft weniger Zentren ab einer bestimmten Größe und Verfügbarkeit die Standards gewährleisten können.

Die Einführung von Zertifizierungsstandards und deren Einfluss auf die Verteilung bestimmter Patienten und Eingriffsarten ist ein letztes Feld und Beispiel der Einflussnahme. So führt beispielsweise die Zertifizierung von Stroke-Units indirekt über die Abrechenbarkeit von Leistungen und Versorgungsstufen bei der Schlaganfallversorgung zu einer Umsteuerung von Patienten und bewirkt eine Zentrenbildung.

Allen genannten Systemeinflüssen ist gleich, dass eine strukturierte Einflussnahme in Form von betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen bzw. gesundheitsökonomischen Effekten erfolgt. Abbildung 1 [Abb. 1] illustriert dies am Beispiel der Mindestmengenregulierung für die Pankreaschirurgie und zeigt die vier typischen Veränderungsfaktoren mit der entsprechenden Wirkrichtung sowie die Quelle für die Angaben bzw. Ergebnisse.

In der Literatur lassen sich vereinzelt Hinweise auf die Bedeutung derartiger regulatorischer Eingriffe finden. Bezogen auf die Pankreaschirurgie haben beispielsweise Keck et al. im Jahr 2007 [3] eine Metaanalyse durchgeführt, um die Korrelation der Eingriffszahl für Pankreaskopfresektionen mit deren Outcome in Form der Zielparameter Mortalität, Morbidität und Pankreasfistelrate zu analysieren. Jedoch betrachten derartige Publikationen noch keine volkswirtschaftlichen Effekte, die durch eine Umverteilung aufgrund der Vorgabe von Mindestmengen erzielt werden könnten. So werden vereinzelt nur spezielle Fragestellungen bearbeitet, wie beispielsweise die durchschnittlich anfallenden Wegstrecken durch Patienten aufgrund von Umverteilungen [4] – nicht aber systematisch zu gesundheitsökonomischen Auswirkungen. Daher sollten diese Analysen um eine an Realdaten orientierte, objektive und standardisierte Auswertung erweitert werden, wozu auch Behandlungsdaten deutscher Krankenhäuser einfließen.

Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es, diese aufgezeichnete Lücke zu schließen, indem eine Methodik entwickelt wird, mittels derer gesundheitsökonomische Auswirkungen regulatorischer Eingriffe auf Basis von realen Leistungsdaten deutscher Krankenhäuser ermittelt werden. Im Ergebnis soll es möglich sein, eine Vorhersage über den volkswirtschaftlichen Effekt einer Maßnahme zu treffen, um so Richtlinien und Erlässe in ihren Wirkungen simulatorisch vergleichen zu können. Die Arbeit will somit die aktuelle gesundheitspolitische Diskussion um eine Facette erweitern, indem regulatorische Maßnahmen nicht nur hinsichtlich eines bestimmten Qualtitätsziels, sondern auch volkswirtschaftlich bewertet werden.

Die Arbeit stellt zunächst den Hintergrund der Untersuchung sowie die Forschungsfragen vor, ehe sie auf Methodik und zentrale Annahmen des Modells eingeht. Sodann werden Ergebnisse hinsichtlich des Umverteilungspotenzials elektiver Eingriffe in Deutschland vorgestellt und das Modell auf den Bereich der Pankreaschirurgie im Rahmen einer Fallstudie angewandt. Die Arbeit schließt mit einer kritischen Würdigung der Vorgehensweise und verdeutlicht Möglichkeiten des Modells sowie dessen Limitationen.


Fragestellung und Hintergrund der Untersuchung

Im Zentrum der Arbeit steht die Fragestellung, welches (ökonomische) Potenzial eine grundsätzliche Umverteilung von elektiven Eingriffen in Deutschland retrospektiv gehabt hätte, wenn durch den Regulierer eine bestimmte Mindestmenge pro Eingriff und Krankenhaus vorgegeben worden wäre.

Für diese Fragestellung existiert bisher nur eine abstrakte Betrachtungsweise, die im hier beschriebenen Sinne nicht als „standardisiert“ zu bezeichnen ist. So existieren im Bereich der Fragestellung zum Umverteilungspotential wie bereits ausgeführt nur indirekte bzw. einzelne regionale Analysen. Die Literatur beschränkt sich hierzu im Wesentlichen auf Betrachtungen des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) [5], das den Anteil der TOP 30 DRG am gesamten Krankenhausumsatz pro Haus beziffert und nach Krankenhäusern mit 50 bis 299 Betten, 300 bis 599 Betten und über 600 Betten unterscheidet. Die so errechnete Kennzahl gibt indirekt den Grad der Spezialisierung an: Je höher der Umsatzanteil der TOP 30 DRG-Leistungen am Gesamtumsatz, desto höher ist der Grad der Spezialisierung, da sich die Kernaktivitäten des Krankenhauses damit umso mehr auf ausgewählte Leistungen beziehen. Ein direktes Neuverteilungspotential lässt sich hieraus aufgrund fehlender Detailbetrachtung und geographischer Analyse nicht ableiten. Insbesondere ist die Betrachtung des Gesamtumsatzes bzw. des Umsatzanteils der jeweiligen DRG-Leistung im Kontext der gewählten Mindestmengendiskussion kritisch zu sehen. Der Umsatz besteht aus einer Mengen- und Preiskomponente, so dass die hierbei „errechnete“ Spezialisierung auch durch die Bewertung der DRG erheblich beeinflusst werden kann. Die Betrachtung wurde systematisch zuletzt in den Jahren 2007 und 2008 vom DKI anhand des DRG-Spektrums aller deutschen Krankenhäuser mit über 50 Betten erhoben. Das Ergebnis ist Tabelle 1 [Tab. 1] zu entnehmen.

Betrachtet man diese Zahlen als Indikator für Spezialisierungen auf bestimmte Leistungen, so lassen sich die Abnahme des Spezialisierungsgrads im gesamten Krankenhausmarkt von 2007 auf 2008 und nur ein Anstieg im Subsegment der mittelgroßen Häuser mit 50 bis 299 Betten ableiten. Bei Einzelanalysen ist jedoch erkennbar, dass gerade in städtischen Regionen viele ähnliche elektive Eingriffe, wie die Implantation von Endoprothesen oder kleine verschiebbare chirurgische Leistungen, in direkter Nachbarschaft auch von anderen Krankenhäusern angeboten werden. Eine Verlagerbarkeit wäre theoretisch und praktisch gut darzustellen: So scheint es in der praktischen Betrachtung durchaus sinnhaft und gangbar, dass ein Patient für den Einsatz eines neuen Kniegelenks nicht im nächsten verfügbaren Krankenhaus, sondern weiter entfernt stationär aufgenommen wird.


Annahmen und Methodik der Untersuchung

Für die Untersuchung wurden die im XML-Format veröffentlichten Daten der Qualitätsberichte aus dem Jahr 2010 verwendet. Hierbei wurden auf Basis der fünfstelligen Codeebene die OPS-Daten – Eingriffe mit Bezug auf operative Leistungen – extrahiert.

Es wurden insgesamt 1.842 Krankenhäuser, die aus den XML-Files des GBA verarbeitbar waren, mit ihren entsprechenden geographischen Koordinaten berücksichtigt.

Für das Modell wurde zunächst die Annahme getroffen, dass alle Operationen, die auf Ebene der fünfstelligen OPS-Eingriffsgruppe (d.h. Operationen) in einem Krankenhaus eine Mindestmenge von 50 pro Jahr nicht erreichen, in der „Region“ umverteilt werden können. Hierbei wird als Bezugsgröße ein Radius von zehn Kilometern gewählt, wonach sich ein Verteilungspotenzial folgendermaßen ergibt. Erfüllt in dieser Region (Radius von zehn Kilometern) mindestens ein anderes Krankenhaus die Mindestfallzahl, dann kann die entsprechende Operation verlagert werden. Hierbei ergibt sich ein Kooperationspotenzial mit dem konkreten Empfänger, das über bilaterale Lösungen realisiert werden kann. Für den Fall, dass im Radius von zehn Kilometern kein anderes Krankenhaus die Mindestfallzahl erfüllt, ist ebenfalls ein Kooperationspotenzial vorhanden – allerdings ohne konkreten Empfänger. In diesem Fall ist eine effiziente Versorgung in der Region nur unter Einbindung beziehungsweise Einigung zwischen mehreren Krankenhäusern gestaltbar. Das Umverteilungspotenzial wird nur für elektive Eingriffe berücksichtigt.

Im Rahmen der systematischen Untersuchung werden Daten aus gesundheitsökonomischen und medizinischen Publikationen (vgl. Fallstudie zur Pankreaschirugie) mit Publikationen aus Qualitätsberichten des Gemeinsamen Bundesausschusses kombiniert. Es wird hierbei die einfache Abbildung der Effekte einer Eingriffsbündelung über die Vorgabe von Mindestmengen und die Verteilung von Eingriffen und deren Auswirkung auf Mortalität und Morbidität ermöglicht. Die Effekte können auch in einen gesundheitsökonomischen Impact „übersetzt“ und in qualitätsadjustieren Lebensjahren (QALYs), zusätzlichen Lebensjahren (LYGs) oder über die Berücksichtigung von Zahlungsbereitschaften für QALYs oder LYGs in monetären Einheiten ausgedrückt werden. In Abbildung 2 [Abb. 2] wird der schematische Zusammenhang der Daten dargestellt.


Ergebnisse der Basis-Studie: Umverteilbarkeit

Die Ergebnisse wurden unter verschiedenen indikationsbezogenen und geographischen Dimensionen ausgewertet. In den Quelldaten der Simulation liegen die Ergebnisse auf OPS-Code-Ebene für jedes einzelne Krankenhaus vor. Für jedes Krankenhaus wurde hieraus eine Kennzahl in Form der „umverteilbaren Fälle“ und der „empfangbaren Fälle“ ermittelt. Beide Kennzahlen geben jeweils prozentual an, wie viele Fälle das Krankenhaus nach der beschriebenen Systematik abgeben bzw. empfangen könnte.

Zur Veranschaulichung der Ergebnisse wurden in diesem Artikel zwei kondensierte Darstellungen gewählt. Einerseits erfolgt eine Ausweisung auf Bundeslandebene mit einer Darstellung, wie viel Prozent der Fälle im Jahr 2010 auf Basis der getroffenen Annahmen umverteilbar sind (Tabelle 2 [Tab. 2]).

Als weitere Darstellung wurde die Fächerung der Fälle auf die verschiedenen Fallgruppen aufgezeigt und diese als Potenzial ausgewiesen. Tabelle 3 [Tab. 3] zeigt die resultierende Verteilung.

Beiden Darstellungen unterliegt die Annahme, dass alle Fälle unter einer Mindestzahl von 50 auch verteilt wurden. Das bedeutet, sie können unabhängig von einem potenziell passenden Empfänger abgegeben werden. Dies würde in der Realität die Absprache und Einigung auf ein Krankenhaus voraussetzen und somit zusätzliche Transaktionskosten verursachen (sowohl auf Ebene der Krankenhäuser als auch bei Patienten durch zusätzliche Wegstrecken etc.), die in vorliegendem Papier nicht betrachtet werden.


Beispielhafte Studie für Pankreaschirurgie

Die bislang allgemein vorgestellte Methodik zur Berechnung eines Umverteilungspotenzials bei elektiven Eingriffen soll im Rahmen einer kurzen Fallstudie auf den Bereich der Pankreaschirurgie in Deutschland angewandt werden. Hierbei soll der Frage nachgegangen werden, welches gesundheitsökonomische Potential eine Festlegung auf eine Mindesteingriffszahl von n=24 für die Pankreaskopf-Chirurgie in Deutschland im Jahr 2010 gehabt hätte.

Für die spezielle Fragestellung der Pankreaskopfchirurgie hat eine abstrakte Betrachtung der Mindestmengen im Rahmen der GBA-Begleitforschung durch die Heinrich-Heine-Universität, das KKS Düsseldorf und das DKI im Jahr 2006 [6] stattgefunden. Hier wurden unter anderem geographische Analysen gebildet. Diese clustern die Krankenhäuser in acht Distanzgruppen und stellen sie geographisch dar. Gerade im Vergleich der Jahre 2004 und 2006 zeigt sich hierbei eine deutliche Zentralisierung der Eingriffe.

Für die Untersuchung wurden die im Rahmen der Basisuntersuchung dargestellten 1.842 Krankenhäuser berücksichtigt. Nun wurde die Analyse jedoch nur auf die OPS-Codes der Pankreaskopfresektion (OPS-Codes 5-523, 5-524 und 5-525) beschränkt. Die kalkulatorische Umverteilung wurde wiederum in Regionen mit einem Radius von zehn Kilometern durchgeführt, allerdings eine Mindestmenge von 24 Eingriffen pro Jahr festgesetzt. Daher wurden bei Fallzahlen von unter 24 der Summe der dargestellten OPS-Codes Umverteilungen unternommen.

Neben der Berechnung der potenziell umverteilbaren Fälle wurden gesundheitsökonomische Parameter in einem zweiten Simulationsschritt berücksichtigt, um beispielsweise Daten zur Mortalität einfließen zu lassen und somit Aussagen zu zusätzlich gewonnenen Lebensjahren (LYGs) zu generieren.


Ergebnisse der Fallstudie zur Pankreaschirurgie

Für die Analyse des Umverteilungspotenzials in der Pankreaskopfresektion und der damit verbundenen gesundheitsökonomischen Aussagen wurde auf die Publikation von Keck et al. [3] aus dem Jahre 2007 zurückgegriffen. Die darin enthaltenen neun verschiedenen Einzelstudien wurden in das XML-Format überführt und entsprechend der jeweiligen Studienqualität gewichtet. Die Aussage sollte sich dabei primär auf die veränderte Mortalität beziehen, die in der Arbeit abhängig von der Eingriffszahl pro Zentrum und Operateur erheblich (von 1 bis 19%) differiert. Im Ergebnis konnte eine Verteilmenge von 3.747 Eingriffen ermittelt werden. Tabelle 4 [Tab. 4] zeigt die Aufteilung der umzuverteilenden Eingriffe auf die Bundesländer.

Um einen LYG-Zielwert berechnen zu können, musste eine mittlere Überlebensdauer nach dem Eingriff definiert werden. Hierzu wurde der von HOPT ermittelte Wert in Höhe von 16 Monaten eingefügt [7]. Über die Kombination der Daten, d.h. verteilbare Fälle und mittlere Überlebensdauer, konnte ein gesamter Effekt von jährlich 289 LYGs ermittelt werden. Für die Berechnung von QALYs müsste die Lebensqualität der Patienten in den Monaten nach dem Eingriff berücksichtigt werden; aufgrund von Unsicherheiten und mangelnder Evidenz wurde dies vorliegend nicht durchgeführt ebenso wenig eine Analyse von Zahlungsbereitschaften zur Ermittlung des ökonomischen Effekts.


Diskussion der entwickelten Methodik und exemplarischen Evaluation

Die vorgestellte Methodik kombiniert in der Literatur bzw. durch Qualitätsberichte und Geo-Informationen vorliegende Daten nach einem standardisierten Schema. Innerhalb der generierten Datenbank können neue gesundheitsökonomische Kennzahlen oder geplante Maßnahmen eingepflegt und die Ergebnisse simuliert werden. Eine derartige Kombination erlaubt eine schnelle Abschätzung von regulatorischen Entscheidungen und schafft eine objektive Grundlage zum Vergleich verschiedener Maßnahmen. Gerade im komplexen deutschen Gesundheitssystem könnten Entscheidungen fundierter und vergleichbarer getroffen bzw. eine Regulierung über eindeutige Kennzahlen abgebildet werden. Im vorliegenden Beispiel wurde eine einfache und prägnante Kennzahl gewählt, die eine Wertigkeit über LYGs abbildet. Die Datenbank erlaubt darüber hinaus natürlich auch Betrachtungsweisen, wie in einer betriebswirtschaftlichen Sicht die Krankenhäuser durch wegfallende Fixkostenanteile oder Patienten sowie Krankenkassen durch zusätzliche Wegestrecken ent- bzw. belastet würden. Als einfachster und fassbarster Parameter scheint zunächst der hier gewählte LYG, der durch eine Gewichtung mit Lebensqualität zu einem QALY weiterentwickelt werden könnte. Daneben könnten monetäre Aussagen durch Berücksichtigung von Zahlungsbereitschaften (beispielsweise für einen QALY) generiert werden. Die Fortsetzung und Anwendung der Arbeit auf verschiedene erweiterte Fragestellungen muss hier weitere Erkenntnisse bringen, kann aber aus Sicht der Autoren auf jeden Fall bei der Strukturierung der politischen Diskussion in diesen Feldern behilflich sein.

Das vorgestellte Modell erlaubt den Vergleich verschiedener Varianten z.B. von potentiellen Richtlinien oder die Bewertung der Bedeutung und Relevanz eines Ansatzes. Eine weitere Besonderheit der Methodik liegt in der Verwendung von regelmäßig öffentlich verfügbaren und validen Daten. So ist neben einer Ad-hoc-Betrachtung auch eine Verlaufsbetrachtung der Entwicklung möglich.

Natürlich unterliegt die Untersuchung zahlreichen Einschränkungen. So werden zunächst vereinfachende Annahmen zur Region getroffen, in der eine Umverteilung stattfinden kann. Hierbei werden Ländergrenzen nicht berücksichtigt, die aber in Realität Einfluss auf die Krankenhausplanung haben und vermutlich das Umverteilungspotenzial einschränken. Daneben ist die Zentrenbildung nur unzureichend diskutiert. Liegen zwei Kliniken unter der Grenze und führen eine komplementäre Schwerpunktbildung durch, dann könnten sie über die Mindestfallzahl gelangen ohne dass dies Einfluss auf andere bestehende Zentren hätte. Ferner bleiben Transaktionskosten, d.h. Anstrengungen zur Kooperation auf Ebene der Krankenhäuser sowie Kosten für Patienten durch größere Wegstrecken oder Wartezeiten, unberücksichtigt. In Realität müssten derartige Kosten zusätzlich simuliert werden, um die Vorteilhaftigkeit bestimmter Maßnahmen zu überprüfen.

Die Fallstudie zur Pankreaschirurgie unterliegt insbesondere der Limitation, dass sie sich größtenteils auf [3] bezieht. Hierbei ist hervorzuheben, dass diese Quelle wiederum methodische Defizite aufweist und beispielsweise keine Konfidenzintervalle etc. bildet. Dies schränkt die vorliegend gewonnenen Erkenntnisse ein. Da vorliegend der Fokus auf der Darstellung eines Ansatzes zur Objektivierung von gesundheitspolitischen Entscheidungen liegt, wurden keine Sensitivitätsanalysen bei der Simulation der potenziell verteilbaren Fälle bzw. der gewonnenen Lebensjahre durchgeführt.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Gemeinsamer Bundesausschuss (GBA). Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser (Mindestmengenregelungen, Mm-R). Zuletzt geändert am 4. Dezember 2013 [zitiert am 15.07.14]. Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/62-492-816/Mm-R_2013-12-04_mit%20Aussetzungshinweisen.pdf Externer Link
2.
Gemeinsamer Bundesausschuss (GBA). Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 SGB V in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 SGB V (Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene/QFR-RL). Stand 20.06.2013 [zitiert am 15.07.14]. Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/39-261-1754/2013-06-20_QFR-RL_Aenderung_BAnz.pdf Externer Link
3.
Keck T, Makowiec F, Adam U, Hopt UT. Beeinflussen Mindestmengen die Ergebnisse der Pankreaschirurgie? Zentralbl Chir. 2007;132(1):26-31. DOI: 10.1055/s-2006-958707 Externer Link
4.
Geraedts M, de Cruppé W, Blum K, Ohmann C. Distanzen zu Krankenhäusern mit Mindestmengen-relevanten Eingriffen 2004 bis 2006. Gesundheitswesen. 2010;72(5):271-8. DOI: 10.1055/s-0029-1225653 Externer Link
5.
Blum K, Offermanns M, Perner P. Krankenhaus Barometer – Umfrage 2008. Düsseldorf: Deutsches Krankenhausinstitut e.V. (DKI); 2008 [zitiert am 15.07.14]. Verfügbar unter: http://www.dki.de/sites/default/files/publikationen/bericht_kh_barometer_2008.pdf Externer Link
6.
Blum K, Geraedts M, Ohmann C. Begleitforschung zur Einführung von Mindestmengen. Düsseldorf: Deutsches Krankenhausinstitut e.V. (DKI); 2015 [letzte Aktualisierung 24.05.2012; zitiert am 15.07.14]. Verfügbar unter: https://www.dki.de/unsere-leistungen/forschung/projekte/begleitforschung-zur-einfuehrung-von-mindestmengen Externer Link
7.
Hopt UT. Therapie des Pankreaskopfkarzinoms. Zentralbl Chir. 2006;131(2):115-20. DOI: 10.1055/s-2006-921535 Externer Link