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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Herausforderungen für das medizinische E-Learning: Methoden und Ergebnisse einer systematischen Exploration

Challenges of E-learning in medicine: methods and results of a systematical exploration

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  • corresponding author Cord Spreckelsen - Institut für Medizinische Informatik, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland
  • author Klaus Spitzer - Institut für Medizinische Informatik, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2006;2(3):Doc26

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/mibe/2006-2/mibe000045.shtml

Veröffentlicht: 23. November 2006

© 2006 Spreckelsen et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

E-Learning-Ansätze in der Medizin konzentrieren sich traditionell besonders auf die Unterstützung fall- oder problemorientierten Lernens, der Erstellung multimedialer Lehrmaterialien oder der Implementierung von Simulatoren. Die Studie zielt darauf, systematisch aktuelle und neue Herausforderungen für das E-Learning in der Medizin durch eine Analyse des fachwissenschaftlichen Diskurses im Bereich „Medical Education“ zu gewinnen. Als Quellenmaterial werden die Medical Subject Headings, die Profile der relevanten Fachgesellschaften des Bereichs sowie Programme wissenschaftlicher Konferenzen genutzt. Eine konzeptuelle Analyse, unterstützt durch eine Netzvisualisierung und die Berechnung netzwerktheoretischer Kennzahlen (Betweeness Centrality) in Konzeptnetzen zielt auf die Identifizierung thematischer Schwerpunkte, ihrer Beziehungen und ihrer zeitlichen Verlagerungen während der letzten sechs Jahre. Dabei zeigt sich, dass zentrale Anliegen des Bereichs „Medical Education“, wie Curricularentwicklung, Faculty Development oder die Integration der postgraduierten Ausbildung bzw. ärztlichen Weiterbildung, neue Herausforderungen an E-Learning-Ansätze stellen. Hierzu zählen vor allem 1) die Entwicklung integrativer Konzepte für den Einsatz von Lernmanagementsystemen und 2) die Notwendigkeit, E-Learning-Projekte stärker als bisher im Schnittbereich von Organisationsentwicklung, Wissensmanagement und Lernmanagement zu konzipieren.

Abstract

E-learning in medicine traditionally concentrates on case oriented or problem oriented learning scenarios, the development of multimedia courseware or the implementation of simulators. This paper aims at a systematic exploration of actual and new challenges for E-learning in the medical domain. The exploration is based on the analysis of the scientific discourse in the field of Medical Education. The analysis starts from text based sources: the concept hierarchy of the Medical Subject Headings, the profiles of the relevant scientific associations, and the scientific program of scientific conferences or annual meetings. These sources are subjected to conceptual analysis, supported by network visualization tools and supplemented by network theoretic indices (Betweeness Centrality). As a result, the main concerns of the Medical Education community and their modifications during the last six years can be identified. The analysis discovers new challenges, which result from central issues of Medical Education, namely from e.g. curricular and faculty development or the sustainable integration of postgraduate education and continuing medial education. The main challenges are: 1) the implementation of integrative conceptions of the application of learning management systems (LMS) and 2) the necessity of combining aspects of organizational development, knowledge management and learning management within the scope of a comprehensive learning life cycle management.

Keywords: medical education, computer-assisted instruction, educational models, curriculum


Einleitung

Seit langem ist E-Learning ein aktives Anwendungs- und Forschungsfeld der medizinischen Informatik. Forschungsschwerpunkte in den letzten Jahren waren: die Implementierung webbasierter Lernangebote (einschließlich der Unterstützung des Authoring Prozesses), multimediale und simulative Lernsysteme, Austausch und technische Standardisierung von Lernobjekten sowie die Entwicklung geeigneter Blended Learning Angebote in der medizinischen Aus- und Fortbildung. Besondere Bedeutung hat die Unterstützung des fall- oder problembasierten Lernens (Case based Learning/Problem Oriented Learning: CBL/POL): allein 13 von 16 Projekten des BMBF-Förderschwerpunkts „Neue Medien in der Bildung“ (2001-2004) im Bereich Medizin hatten explizit oder in Teilbereichen CBL/POL zum Gegenstand [1].

Wie naheliegend und erfolgreich auch immer diese Ansätze sind [2]: es fehlt bisher an systematischen Untersuchungen zu den spezifischen Herausforderungen für das E-Learning, die sich aus medizindidaktischen Entwicklungstendenzen ergeben. Wie lassen sich Aussagen zu diesen Herausforderungen gewinnen, an denen sich die weitere Forschung orientieren kann? Ein Beitrag zur Beantwortung dieser Frage wird nachfolgend dargestellt: Informationsmaterial aus dem Bereich der Medizindidaktik, und -ausbildung („Medical Education“) wurde hierzu mit Methoden der Textanalyse und semantischen Modellierung untersucht. Ein zentraler Gesichtspunkt dabei war es, nicht von einer Bestandsaufnahme im Bereich des E-Learnings in der Medizin auszugehen (d.h. angebotsorientiert), sondern stattdessen von Schwerpunkten und Entwicklungstendenzen der medizindidaktischen Fachdiskussion (d.h. gewissermaßen nachfrageorientiert). Ergebnisse dieser Untersuchung können zur weiteren strategischen Ausrichtung der Forschungsanstrengungen herangezogen werden.


Methoden

Anforderungen an die Quellen

Die Exploration stützt sich auf vorhandenes Informationsmaterial. Zur Auswahl und Eingrenzung der verwendeten Quellen wurden die folgenden Anforderungen formuliert. Die Quellen sollen:

1.
zentrale Schwerpunkte und aktuelle Konzepte des Bereichs „Medical Education“ erkennen lassen,
2.
das Ergebnis möglichst umfassender internationaler Konsensprozesse sein,
3.
den wissenschaftlichen Diskurs widerspiegeln.

Medical Subject Headings (MeSH)

Als Schlagwortverzeichnis von Medline, der wichtigsten bibliographischen Datenbank für die Medizin, geben die Medical Subject Headings (MeSH) wissenschaftlich relevante Sachgebiete wieder. Die MeSH werden in internationaler Kooperation revidiert. Weil die MeSH als kontrolliertes Vokabular zur Verschlagwortung wissenschaftlicher Texte dienen, zeichnen sie sich durch Stabilität und Relevanz aus, nicht aber durch Tagesaktualität.

Schwerpunkte nationaler und internationaler Fachgesellschaften

International sind im Bereich Medical Education über zwanzig Fachgesellschaften aktiv. Tabelle 1 [Tab. 1] gibt eine Übersicht und löst die im folgenden verwendeten Abkürzungen auf. Einige der Fachgesellschaften konzentrieren sich bereits auf Einzelaspekte des Bereichs. Diese Einzelaspekte lassen sich daher bereits selbst als relevante Schwerpunkte identifizieren. Diese sind: Continuing (Medical) Education (ACCME, ACME, CACHE, SACME, FACE), Best Evidence Medical Education (BEME), Graduate Education (ACGME), Collaboration (MedBiquitous).

Einige medizinische Fachgesellschaften adressieren explizit die Aspekte der Aus- Weiter- und Fortbildung für einzelne Spezialitäten: (AAFP, ABMS, ABSAME, AMA, ASE, BMA, CFPC, CMA, CMSS, FMPE, RCPSC, WONCA). Eine dritte Gruppe umfasst institutionelle Vereinigungen ausbildender Institutionen (AAMC – speziell GEA, ACP/ASIM, AFMC, AHME, SAPC) sowie Vereinigungen medizinischer, akademischer Lehrer (NBME, STFM, SDRME).

Es existieren sowohl nationale Gesellschaften für medizinische Ausbildung (CAME, GMA) als auch internationale Dachgesellschaften (WFME mit den regionalen Organisationen SEARAME, AMEWPR, AMSA, PAFAMS, AMEEMR). Für die hier gestellte Aufgabe sind vier Gesellschaften von besonderer Bedeutung, da sie 1) international und 2) mit explizit wissenschaftlicher Ausrichtung auf dem Gebiet Medical Education tätig sind, 3) regelmäßige Kongresse veranstalten und 4) über eine eigenes Publikationsorgan verfügen (ASME, AMEE, ANZAME, AAMC/GEA). Als Gesellschaft ohne eigenes Periodikum kann GAME mit Einschränkung zu dieser Gruppe gezählt werden.

Programme internationaler Tagungen

Den Stand der Diskussion innerhalb der Fachgesellschaften spiegeln zuverlässig ihre regelmäßig stattfindenden Konferenzen. Die in der Regel repräsentativ besetzten Programmkomitees strukturieren das Themenspektrum der Tagungen - oft unter Berücksichtigung von Reaktionen auf die Programmstruktur vorausgegangener Tagungen. Die Themenschwerpunkte der Tagungsprogramme können daher als guter Anhaltspunkt für die Ausrichtung des Forschungsdiskurses angesehen werden.

Untersucht werden hier die Themenschwerpunkte der letzten sechs Jahrestagungen der AMEE, sowie der letzten zwei Jahrestagungen der ASME. Die Wahl der Jahrgänge berücksichtigte die nötige Aktualität und erlaubte es, digitale Daten als Ausgangspunkt der Analyse zu verwenden. Die Tagungsprogramme von AAMC und ANZAME waren thematisch nicht ausreichend strukturiert für eine entsprechende Analyse. Für die Untersuchung wurden die Themen sämtlicher Tagungssessions datenbankgestützt erfasst und konzeptuell analysiert.

Verwendete Quellen

Die folgenden Quellen wurden im Rahmen der Explorationsstudie ausgewertet:

  • die dem Eintrag „Education“ untergeordneten Konzepte der Medical Subjects Headings (MeSH) [3] (ausgeschlossen wurden anschließend die Hierarchieäste zu Ausbildungsgängen außerhalb der Human- und Zahnmedizin und Institutionsbezeichungen),
  • die Profile von 18 nationalen und internationalen Fachgesellschaften im Bereich „Medical Education“ – hier wurden nur Fachgesellschaften mit verfügbarem und hinreichend ausführlichem Profil berücksichtigt,
  • die Programme der Jahrestagungen der Association for Medical Education in Europe (AMEE) aus sechs Jahren (2000-2005) sowie der Association for the Study of Medical Education (ASME) aus den Jahren 2004 und 2005.

Analyse

Aus den beiden erstgenannten Quellen wurden hierarchisch strukturierte Begriffssammlungen gewonnen, die später vor allem als Kontrollinstanz fungierten. Die Programme der Jahrestagungen als eigentlicher Schwerpunkt der Untersuchung wurden mehrschrittig analysiert. Das Vorgehen umfasste:

1.
Datenbank-gestützte Erfassung der Themen sämtlicher Programmsessions
2.
Mehrfache interaktive Gruppierung nach inhaltlichen Gesichtspunkten
3.
Abstraktion thematisierter Konzepte und Zuordnung zu den Themen
4.
Revision des Konzeptnetzes
5.
Berechnung geeigneter Kennzahlen der Netzstruktur

Für die Schritte 2 bis 5 wurden die Themen jahrgangsweise als Knoten in einem Programm zur Graphvisualisierung angezeigt. Einzelkonzepte, die in diesen Themen auftraten, wurden interaktiv als zusätzliche Knoten in den Graph integriert und mit den zugehörigen Sessionthemen verbunden. Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt die Analyseumgebung und einen Ausschnitt aus dem Ergebnis.

Das entstehende Konzeptnetz dokumentiert, wie oft ein Konzept durch ein Thema aufgegriffen (und also auf Tagungen diskutiert wurde). Es zeigt außerdem, welche Konzepte dadurch thematisch verbunden sind, dass sie gemeinsam in einer Session thematisiert wurden. Als Ergebnis standen jahrgangsbezogene Konzeptnetze für die weitere Analyse zur Verfügung.

Die Konzeptnetze wurden quantitativ durch netzwerktheoretische Zentralitätsmaße analysiert. Zentralitätsmaße bewerten, wie stark ein Knoten zur Verknüpfung des Netzes beiträgt. Als einfachstes dieser Maße gewichtet der Kantengrad die Knoten nach der Häufigkeit, mit der ein Konzept in einer Session thematisiert wurde. Die Betweeness-Centrality [4] bewertet ergänzend, wie wichtig ein Knoten als Vermittler zwischen anderen Knoten ist. Zur Berechnung dieser Kennzahl wird für einen Netzknoten v und zwei von diesem verschiedene Knoten s, t die Anzahl σ s,t (v) der kürzesten Pfade zwischen s und t, welche v enthalten, durch die Anzahl σ s , t aller kürzesten Pfade zwischen s und t geteilt. Die Summe dieser Quotienten für allen Knotenpaare s, t ergibt die Betweeness Centrality c B (v):

Equation 1

Eine hohe Betweeness-Centrality lässt sich im vorliegenden Fall wie folgt interpretieren: das entsprechende Konzept spielt bei der thematischen Verknüpfung unterschiedlicher Teilbereiche eine wichtige Rolle. Sie treten in der Diskussion in unterschiedlichen Kontexten auf und haben dadurch eine Brückenfunktion. Die Gewichtung der Knoten wurde für beide Zentralitätsmaße durch die Knotengrößen visualisiert. An der Netzvisualisierung und den quantitativen Maßen konnte die inhaltliche Interpretation ansetzen.


Ergebnisse

Thematische Schwerpunkte

Bereits die MeSH-Terme zeichnen ein differenziertes Bild thematischer Schwerpunkte zur Aus-, Weiter- und Fortbildung in der Medizin: mit den Einträgen Student und Mentor werden Rollen bzw. Akteure benannt. Der Bewertung und Messung von Leistungen oder Lernerfolgen (Educational Measurement) sind fünf spezielle Konzepte zugeordnet (College Admission Test, Professional Competence, Clinical Competence, School Admission Criteria, Self-Evaluation Programs). Die MeSH-Verschlagwortung unterscheidet Ausbildungsphasen bzw. –arten (Distance Education, Continuing Education, Undergraduate Education, Clinical Clerkship, Graduate Education). Auf didaktische Aspekte beziehen sich die MeSH-Zweige ab dem Eintrag ‘Curriculum’ (Problem-based learning, Competency-Based Education) sowie ab ‘Teaching’ (Computer User Training, Educational Models, Patient Simulation; Problem-Based Learning, Programmed Instruction, Remedial Teaching). Einzelaspekte sind die Internationalisierung von Studiengängen (International Educational Exchange), die Praktische Ausbildung (Interservice Training, Preceptorship) und die ausbildungsbezogene Bedarfserhebung (Needs Assessment).

Die auffälligsten Unterschiede zu den Schwerpunkten der Jahrestagungen (vgl. Übersichtstabelle 2 [Tab. 2]) sind die folgenden: Der Themenbereich sozialer und kommunikativer Aspekte findet sich nicht im betrachteten Zweig der MeSH-Hierarchie. Ebenso fehlt der Bezug zu Standardisierungs- und Managementaspekten des Lehrens und Lernens, zum Bereich des Faculty Developments, den Anliegen der evidenzbasierten Medizin (EBM) und der evidenzbasierten Lehre (BEME). Abgesehen davon waren rund 60% der zentralen Konzepte, die bei der Analyse der Jahrestagungen identifiziert wurden, durch Begriffe der betrachteten Zweige der MeSH-Hierarchie abgedeckt.

Zeitliche Entwicklung und Gewichtung der Schwerpunkte

Die resultierenden Diagramme zu den Jahrestagungen bieten in ihrer zeitlichen Folge einen komprimierten Überblick über die thematischen Schwerpunkte des Fachdiskurses und ihrer Verlagerungen. Nachfolgend werden vier Diagramme (Abbildung 2 [Abb. 2], Abbildung 3 [Abb. 3], Abbildung 4 [Abb. 4], Abbildung 5 [Abb. 5]) wiedergegeben: das aus den Tagungsthemen gewonnene Konzeptnetz des jüngsten Jahrgangs (2005), wobei im ersten Diagramm die Knotengrößen proportional zur relativen Häufigkeit des Auftretens des jeweiligen Konzepts gewählt wurden, während die Knotengrößen im zweiten Diagramm die Werte für die Betweeness-Centrality veranschaulichen. Ein entsprechendes zweites Diagrammpaar veranschaulicht das aus allen betrachteten Jahrgängen zusammengeführte Konzeptnetz.

Im zeitlichen Vergleich zeigt sich als zentraler Diskussionspunkt mit gleichermaßen hoher Vermittlungsfunktion der Themenschwerpunkt Assessment and Evaluation, das nächstbedeutende Konzept Teaching and Learning ist eine Restkategorie: ihre Bedeutung nahm fast kontinuierlich ab, d.h. Programmbeiträge waren zunehmend thematisch zutreffend rubriziert. Für die hier verfolgte Fragestellung ist interessant, dass die Bedeutung des Konzepts E-Learning im Bereich „Medical Education“ anwuchs und auf eine immer wichtigere integrative Rolle geschlossen werden kann (wachsende Betweeness-Centrality).

Konzepte mittlerer und konstanter Bedeutung sind: Simulation, Problem oriented Learning, Skills Training, Continuing Medical Education (CME), Multiprofessional Education, Postgraduate Education, Internationalization, Curriculum (i.S.v. Curricularentwicklung), Staff and Faculty Development. Schon hieran zeigt sich, dass die Bereiche, die in der Fachdiskussion ähnlich gewichtet waren wie POL/CBL, keine vergleichbare Aufmerksamkeit durch die E-Learning-Initiativen erfuhren.

Neue Schwerpunkte

Besondere Beachtung verdienen Konzepte, deren Gewicht in den letzten Jahren deutlich zunahm oder die sogar neu auftraten (d.h. über die Aufmerksamkeitsschwelle einer Nennung in Tagungssessions gelangten): Standards, Management, Communication, Educational Environment, Reflective Learning, sowie Professionalism und Outcome im Sinne der Diskussion um ergebnisorientierte, auf professionelle Rollen ausgerichtete medizinische Curricula [5]. Aus den ersten beiden Konzepten lassen sich Herausforderungen zur Rechnerunterstützung auf administrativer Ebene herleiten. Die anderen Konzepte dokumentieren die fortgesetzte didaktische Reformierung der medizinischen Aus- und Weiterbildung im internationalen Rahmen. Diese orientiert sich an Ergebnissen einer evidenzbasierten Lehr- und Lernforschung (z.B. Ergebnissen des Instruktionsdesigns). Für das zugehörige Konzept Best Evidence Medical Education (BEME) ließ sich – als wichtigste Ergänzung aus den übrigen Quellen – eine hohe Relevanz nachweisen.

Herausforderungen

Anders als POL/CBL, Simulation und Skills Training, die bereits durch den Einsatz spezieller Lernsysteme und Courseware unterstützt werden, sind die Herausforderungen der übrigen Konzepte an das E-Learning z.T. anders gelagert:

Konzertierung medizinischer Aus-, Fort- und Weiterbildung. Multiprofessionelle und postgraduierte Ausbildung sowie die medizinische Weiterbildung erfordern integrative Konzepte im Bereich des Lernmanagements und der Lernmanagementsysteme, um die akademische Lehre besser intern und mit Maßnahmen der externen Weiterbildung vernetzen zu können. Die Herausforderung besteht in einer Verbesserung der notwendigen Qualitätssicherung und wissenschaftlichen Objektivität der Fortbildungsmaßnahmen, ihrer besseren Einbindung in die berufliche Tätigkeit sowie der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Forschung auf der einen Seite und den berufspraktischen Rahmenbedingungen auf der anderen.

Wissens- und Kompetenzmanagement. Die Curricularentwicklung und der Bereich Faculty Development fallen fast gänzlich aus dem traditionellen methodischen Rahmen: Hier ergeben sich Herausforderungen für das E-Learning, die in den Bereich eines rechnergestützten Wissens- und Kompetenzmanagements fallen. Beide Aufgaben sind dabei grundsätzlich nicht als einmalige, sondern als eine andauernde Anstrengung innerhalb der Fakultäten zu verstehen. Der Prozess der Curricularplanung, -entwicklung, -umsetzung und -evaluation ist eine Managementaufgabe mit hohen Anforderungen an die Kommunikation und Dokumentation.

Integration von Curricularentwicklung und LMS. Chance und Aufgabe zugleich ist es, die Rechnerunterstützung der Curricularentwicklung und die Parametrierung fakultäts- oder hochschulweit eingesetzter Learning Management Systeme zu verbinden. Das Anliegen betrifft insbesondere technische Aspekte der Systemintegration von einem einheitlichen Identity Management bis hin zur Datenintegration bei der Veranstaltungsplanung.

Unterstützung einer Best Evidence Medical Education. BEME setzt die Möglichkeit einer fortlaufenden Überprüfung und Verbesserung bestehender Curricula in Hinblick auf den Stand der medizinischen sowie der lernpsychologischen und didaktischen Forschung voraus [6], [7]: E-Learning in der Medizin muss sich daher der Herausforderung stellen, ein flexibles Lifecyle Management [8] medizinischer Curricula und Lernangebote zu leisten und diesen Prozess durch die Integration externer Wissensquellen (in erster Linie bibliograpischer Dienste) zu unterstützen.

Unterstützung reflexiven Lernens. Die Implementierung von Werkzeugen zur Unterstützung reflexiver Lernformen ist eine zusätzliche Aufgabe, für die allerdings bereits angemessene Ansätze bestehen (z.B. durch ePortfolios [9]).

Unterstützung von Lernerfolgskontrolle und Leistungsbewertung. Aspekte der Lernerfolgskontrolle bzw. der Leistungsmessung dominieren weite Bereiche der Fachdiskussion zur Medical Education. Größtenteils ist dies zurückzuführen auf die Diskussion um die Etablierung objektiver Kriterien für medizinische Kompetenzen (Objective Structured Clinical/Practical Examination OSCE/OSPE) und die Diskussion um die Definition professioneller Kompetenzen. Die nachweisliche Verbindung dieses thematischen Schwerpunkts mit dem Schwerpunkt E-Learning innerhalb der Diskussion begründet sich durch eine bereits seit längerem unternommene administrative Unterstützung bei der Durchführung von Prüfungen bzw. Projekten zu computerbasierten Prüfungssystemen [10]. Dennoch bleibt die Unterstützung neuerer medizinspezifischer Prüfungsformate eine Herausforderung [11]. Hierbei ergeben sich Verbindungen zur Unterstützung reflexiver Lernmethoden (z.B. im Bereich Portfolio based Assessment).


Diskussion

Diese Untersuchung analysiert erstmals systematisch Schwerpunkte des fachwissenschaftlichen Diskurses auf dem Gebiet "Medical Education" mit dem Ziel, Herausforderungen für das E-Learning in der Medizin identifizieren zu können. Ausgangspunkt der Analyse waren ausgewählte, in schriftlicher Form vorliegende Quellen. Vorteilhaft ist, dass durch die Auswahlkriterien solche Quellen selektiert wurden, die bereits auf der Basis breiter Konsenzprozesse entstanden: diese Konsenzprozesse sind hier die Terminologiearbeit an der MeSH-Hierarchie, die Arbeit der wissenschaftlichen Programmkomitees sowie die Diskussion und Formulierung einer Selbstdarstellung durch die Fachgesellschaften. Eine entsprechend breit angelegte Delphi-Studie wäre nur mit wesentlich höherem Aufwand möglich gewesen. Einzelinterviews hätten das Risiko perspektivischer Verzerrungen erhöht. Als Ergänzung auf der Basis des bisher gewonnenen Profils sind letztere aber sinnvoll. Sie sind derzeit in Vorbereitung, um über den status quo der Diskussion hinaus prognostische Einschätzungen erheben zu können. Ausgeblendet war hier die Untersuchung der relevanten Fachperiodika (z.B.: Medical Education, Medical Teacher), da dort die Publikation wissenschaftlicher Einzelergebnisse Vorrang vor einer Konsenzbildung hat.

Die mediendidaktische Diskussion im weiteren Kontext zeigt, dass die Aufgabe, E-Learning-Angebote nachhaltig in die universitäre Lehre zu integrieren, direkt zu Fragen der Organisationsentwicklung hinführt, wie sie hier angesprochen wurden [12]. Eine Übertragung entsprechender Erkenntnisse auf medizinische E-Learning-Ansätze steht jedoch noch aus.

Die Aufmerksamkeit für einzelne der hier zusammengestellten Herausforderungen nimmt zu: So adressiert das MedBiquitous Consortium kollaborative Aspekte des medizinischen E-Learnings und ihre informationstechnischen Grundlagen [13]. Techniken und Standards der semantischen Auszeichnung von Lernangeboten (IMS, Scorm) finden auch bei der Implementierung medizinischer E-Learning-Angebote zunehmend Verwendung [14]. Auf bestehende Ansätze zur Unterstützung von Prüfungen [10], [11] wurde bereits hingewiesen. Auf der Grundlage der hier vorgestellten Exploration können diese Einzelansätze in den Kontext der Anforderungen eingeordnet werden, die sich aus Schwerpunkten der fachdidaktischen Diskussion ergeben.


Fazit

Die Anwendung der hier vorgeschlagenen Untersuchungsmethode zeigt, dass die Entwicklung von E-Learning Ansätzen in der Medizin Orientierung und Impulse aus der umfangreichen fachwissenschaftlichen Diskussion im Bereich „Medical Education“ erhalten kann. Hierbei ist weniger an fachdidaktische Details zu denken, als vielmehr an zentrale Aufgaben- und Problemstellungen. Die Exploration zeigt, dass lehradministrative, organisatorische und wissensanalytische Aspekte im Diskurs zur „Medical Education“ eine Relevanz haben, die ihre größere Beachtung in Ansätzen und Projekten des medizinischen E-Learning fordert. Sehr deutlich zeichnet sich die Notwendigkeit ab, E-Learning-Projekte stärker als bisher im Schnittbereich von Organisationsentwicklung, Wissensmanagement und Lernmanagement zu konzipieren. Eine Analyse der Diskussion bestehender und vorgeschlagener E-Learning-Ansätze mit der hier vorgestellten Methodik war nicht Ziel der vorliegenden – an medizindidaktischen Anforderungen orientierten – Untersuchung. Eine entsprechende komplementäre Untersuchung (u.a. der Diskussion in der GMDS zum E-Learning) ist in Vorbereitung.

Die Ergebnisse der Exploration fließen schon jetzt in mehrere E-Learning-Projekte vor Ort ein: eine im Auftrag des Dekans betriebene Rahmenkonzeption E-Learning für unsere Fakultät, die Curricularentwicklung (und der bereits begonnene Lehrbetrieb) für einen Wahlpflichtschwerpunkt "Neue Medien, Kommunikation, Didaktik in der Medizin" sowie die Integration von Wissens- und Lernmanagementmethoden in einem Projekt zur webbasierten Studienberatung.


Literatur

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2.
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