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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Stellungnahme der AWMF zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz

Mitteilung

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GMS Mitteilungen aus der AWMF 2006;3:Doc32

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/awmf/2006-3/awmf000105.shtml

Received: November 23, 2006
Published: December 6, 2006

© 2006 Müller.
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Zusammenfassung

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hat zu einer Reihe von Punkten aus dem "GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz" Stellung genommen. Die Stellungnahme wurde der zuständigen Bundesministerin Ulla Schmidt sowie dem Gesundheitsausschuss und den Fraktionen im Deutschen Bundestag zugeleitet mit der Bitte, die Vorschläge der AWMF im Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen.

Wir dokumentieren nachfolgend den Text der Stellungnahme:


Text

Der Entwurf zum GKV-WSG sieht einschneidende Veränderungen in der Selbstverwaltung, im Versicherungssystem und in der Finanzierung des Gesundheitssystems und neue Regelungen zur Qualitätssicherung und Nutzenbewertung medizinischer Maßnahmen vor, die von allen kompetenten Sachverständigen der Leistungserbringer, Krankenhausträger, Kostenträger und der Wissenschaft äußerst kritisch gesehen werden.

Die AWMF, die 153 wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften vertritt, sieht durch die nach wie vor mangelhafte Berücksichtigung des medizinischen Sachverstandes in den Entscheidungsverfahren eine deutliche Gefährdung der bisherigen Krankenversorgung an Universitätsklinika, Maximal- und Schwerpunktkrankenhäusern, aber ebenso auch an den Häusern der übrigen Versorgungsstufen und in der ambulanten Versorgung. Diese kann auch nachteilige Rückwirkungen auf die Arbeitsmöglichkeiten in der angewandten klinischen Forschung haben.

Es besteht der Eindruck, dass der wissenschaftliche und medizinische Sachverstand aller Partner im Gesundheitswesen koalitions-politischen Überlegungen und Erfordernissen noch immer nachgeordnet ist.

Die AWMF fühlt sich deshalb verpflichtet, im folgenden zu einigen konkreten Regelungen des Entwurfs Stellung zu nehmen:

Gemeinsamer Bundesausschuss § 91 Abs. 11:

Laut §91 Abs. 11 sollen die Zusammensetzung und Wirkungsweise des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zum 1.1.2008 neu geregelt werden, insbesondere sollen die Mitglieder des G-BA hauptamtlich tätig sein. Vorgesehen sind neben drei Unparteiischen je drei hauptamtliche Mitglieder der Leistungsträger (KBV, KZBV, DKG) und der Kostenträger (Krankenkassen). Das Bundesministerium für Gesundheit will die Regelung per Rechtsverordnung ohne Hinzuziehen des Bundesrates vornehmen. Kassenärztliche Bundesvereinigungen, Deutsche Krankenhausgesellschaft und Gesetzliche Krankenversicherungen erhalten nur Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Bundesärztekammer soll offenbar nicht gehört werden.

Die AWMF bedauert außerordentlich, dass der Inhalt der Rechtsverordnung noch nicht öffentlich vorgelegt wird. Deshalb muss auf die Gefahr aufmerksam gemacht werden, dass bei nicht adäquater Regelung die bisherige Selbstverwaltung zu Vollzugsorganisationen von Entscheidungen degradiert werden, die sie selbst nicht getroffen und nicht mitgetragen haben. Die weitgehend positive Anerkennung der bisherigen Arbeit des G-BA beruht gerade auf einer konstruktiven Diskussion politisch unabhängiger Vertreter der Selbstverwaltungspartner und nimmt sie damit in die Pflicht. Das seit vielen Jahrzehnten in Deutschland erfolgreiche Subsidiaritätsprinzip wird durch den Gesetzentwurf beschädigt und der vorgeschlagene Weg zu einem von wenigen Personen verordneten deutschen Gesundheitssystem führen.

Qualitätssicherung § 137a Abs. 1 und 2:

Das GKV-WSG sieht eine Neuordnung im Bereich der Qualitätssicherung vor. Die AWMF begrüßt, dass die bisher unterschiedlich geregelten Maßnahmen zur Qualitätssicherung beim ambulanten Operieren und bei der ambulanten Behandlung im Krankenhaus, bei der ambulanten und stationären Versorgung und bei den Chroniker-Behandlungsprogrammen vereinheitlicht werden sollen und der Schwerpunkt so weit möglich auf einer sektorenübergreifenden Betrachtung liegen wird. Bedauerlich ist jedoch, dass die Qualitätssicherung in der Rehabilitation und der Pflege nach wie vor außen vor bleibt.

Begrüßenswert ist, dass die Weiter- bzw. Neuentwicklung der einrichtungs-übergreifenden qualitätssichernden Maßnahmen einem unabhängigen, wissenschaftlich ausgerichteten Institut übertragen werden soll. Die AWMF und ihre Fachgesellschaften sagen dem wissenschaftlichen Institut ihre Unterstützung zu. Das bisher umgesetzte Methoden- und Verfahrensrepertoire der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) für die stationäre Versorgung muss aber – so weit passend – erhalten bleiben und kann die Basis für neue Applikationen werden. Dies gilt insbesondere für die ehrenamtlich tätigen „Fachgruppen“, die bisher wesentlicher Partner der BQS und ausschlaggebend für die ständige Verbesserung der Qualitätsberichte waren.

Da erst das Benchmarking – nicht nur vergleichen, sondern auch von den Besten lernen – die Versorgung zum Positiven hin verändert, ist großer Wert auf die Entwicklung und Realisierung von verpflichtenden und freiwilligen Benchmark-Verfahren zu legen. Hierzu ist die Einbeziehung der regionalen Ebenen mit den dortigen Ärztekammern, Kassenärztlichen Vereinigungen, Pflegeverbänden, Krankenhausgesellschaften, Krankenversicherungen und wissenschaftlichen Gesellschaften unerlässlich. Ein Kernstück der bisherigen Qualitätssicherung durch die BQS ist der „strukturierte Dialog“ mit den Krankenhäusern. Dieser kann nur auf regionaler Ebene vertrauensbildend geschehen. Der Gesetzentwurf enthält – auch nicht in seiner Begründung - keine Vorschläge zur Einbeziehung der regionalen Ebene. Eine Verweigerung der regionalen Ebene ist aber unter allen Umständen durch Setzen richtiger Anreize zu vermeiden.

Bei der Ausgestaltung der Verträge für das Institut ist darauf zu achten, dass die vorgesehene leistungsbezogene Vergütung des Instituts durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht so weit geht, dass Entwicklung und Realisierung neuer Verfahren behindert werden.

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) § 139a Abs. 3 Nr. 5:

Nach dem GKV-WSG soll dem IQWiG die Aufgabe übertragen werden, sowohl Nutzen als auch Kosten von Arzneimitteln zu bewerten. Es ist davon auszugehen, dass das IQWiG dazu sowohl sein Personal als auch sein Methodenpapier erheblich auszubauen hat. Vor der Aufnahme der Kostenbewertungen durch das IQWiG hält die AWMF eine ausführliche Methodendiskussion mit den Vertretern der medizinischen, pharmazeutischen und gesundheitsökonomischen Wissenschaft für dringend erforderlich. Die AWMF schlägt zudem vor, dass Nutzenbewertungen und Kosten-Effektivitätsanalysen vom IQWiG deutlich von einander getrennt dargestellt werden. Krankheitsübergreifende Kosten-Nutzwert- oder Kosten-Nutzenanalysen sollten dem G-BA vorbehalten bleiben, dem dafür ein angemessener Sachverstand zur Verfügung stehen muss.

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) § 139a Abs. 4:

Die AWMF begrüßt sehr, dass der Gesetzgeber dem IQWiG explizit die Verwendung international üblicher und akzeptierter Standards der evidenzbasierten Medizin vorgibt. Die evidenzbasierte Medizin, wie sie von den wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften vertreten wird, bedient sich bekanntlich neben der Evidenzbasierung (Recherche und Bewertung der Aussagefähigkeit von klinischen Studien) auch der Methoden der klinischen Bewertung (Übertragbarkeit, Relevanz und Anwendbarkeit im Versorgungsalltag) und der Konsentierung mit beteiligten Berufsgruppen und Patienten. Die AWMF schlägt daher vor, dies auch im Gesetzestext durch die Formulierung im Abs. 4 „…auf Basis international üblicher und von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften akzeptierter Standards der evidenzbasierten Medizin …“ zu verdeutlichen.

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) § 139a Abs. 5:

Die vom GKV-WSG geforderte frühzeitige Einbindung der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und der Patientenvertreter findet die besondere Unterstützung der AWMF. Vertreter von medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften müssen ausreichend Gelegenheit haben, sich frühzeitig – d.h. bei der Ausschreibung, den Berichtsplänen, den Vorberichten und den Berichten des IQWiG - zu äußern. Das IQWiG hat sich zu den Stellungnahmen der Fachgesellschaften zu äußern und dem G-BA Einsicht in die Stellungnahmen zu gewähren. Die Stellungnahmen ( der in Abs. 5 genannten Organisationen) sind in den Bewertungsberichten des IQWiG zu dokumentieren und in die Entscheidung des G-BA einzubeziehen.

Für Rückfragen bietet die AWMF ihre Mitarbeit an.