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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Epidemiologie, medizinische Biometrie und medizinische Informatik (Q1) - klinische Relevanz des Lehrstoffs näher bringen - aber wie?

Epidemiology, Medical Biometry and Medical Informatics (Q1) – teaching an understanding of the clinical relevance – but how?

Originalarbeit

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  • corresponding author Andreas Stang - Sektion Klinische Epidemiologie, Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland
  • author Hans-Werner Hense - Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin, Universität Münster, Münster, Deutschland
  • author Karl-Heinz Jöckel - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2005;1(3):Doc19

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/mibe/2005-1/mibe000019.shtml

Veröffentlicht: 6. Dezember 2005

© 2005 Stang et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Die Einführung der neuen Approbationsordnung für Ärzte vom 27.06.2002 mit einer nun noch praxisorientierteren Ausbildung im Medizinstudium an deutschen Hochschulen bietet eine Chance über die bisherigen Unterrichtsangebote der Fächer zu reflektieren und zugleich über neue Lehr- und Lernkonzepte im Rahmen des Querschnittsfachs Q1 „Epidemiologie, Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik" nachzudenken. Wir präsentieren in diesem Beitrag persönliche Lehrerfahrungen an drei medizinischen Hochschulen in Deutschland und machen verschiedene Vorschläge zur Verbesserung der Lehrqualität in diesem Querschnittsfach. Wir beabsichtigen hiermit die momentan laufende Diskussion zu Lehrkonzepten im Q1-Fach weiter zu stimulieren.

Abstract

The revision of the Approbationsordnung für Ärzte from June 27, 2002, which regulates the educational program at medical schools in Germany can give lecturers of epidemiology, medical biometry and medical informatics (called Q1 course) at medical faculties the opportunity to reflect on former teaching concepts and to consider new approaches to better motivate medical students during the mandatory course of Q1. Here we present our teaching experiences at three medical schools in Germany and provide some ideas how to improve the quality of teaching within these fields. We intend to further trigger the ongoing discussion about teaching concepts in epidemiology, biometry and medical informatics.

Keywords: Epidemiology, Biometry, Medical Informatics, Teaching, Faculty, Medical, Germany


Das Querschnittsfach "Epidemiologie, Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik (Q1)"

Mit der Einführung der neuen Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) [1] haben deutsche medizinische Fakultäten neue Studienordnungen verabschiedet. Der Wegfall des AiP (Arzt-im-Praktikum) macht es erforderlich, dass das Medizinstudium stärker anwendungsorientiert ausgerichtet wird, damit die Medizinstudierenden nach dem Studium ohne Absolvierung des AiP auf den Berufsalltag vorbereitet sind. Diese Neuerungen bieten eine Chance, über die bisherigen Unterrichtsangebote der Fächer nachzudenken. Für das Querschnittsfach der neuen ÄAppO "Epidemiologie, Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik (Q1)" bedeutet dies, dass man über die nach der alten ÄAppO [2] abgehaltenen Veranstaltungen der Medizinischen Biometrie (Biomathematik für Mediziner) und des ökologischen Stoffgebiets (insbesondere Medizinische Statistik und Informatik sowie Teilgebiete der Sozialmedizin) nachdenkt.

Mit dieser Arbeit möchten wir unsere persönlichen Erfahrungen und Ansichten zur Lehre in den Fächern Epidemiologie, medizinische Biometrie und medizinische Informatik an medizinischen Fakultäten zur Diskussion stellen. Zur Erleichterung des Leseflusses wird im folgenden ausschließlich die maskuline Form verwendet, die hier stellvertretend für die maskuline und feminine Form stehen soll.

Obwohl im Zeitalter der knapper werdenden Ressourcen in der Medizin, der an Leitlinien orientierten Medizin sowie der „evidence-based medicine" mehr denn je ein Verständnis für die Fächer Epidemiologie, Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik bei Ärzten erforderlich ist, kam bei einer Befragung von Absolventen des Medizinstudiums und von Ärzten zum Zeitpunkt der Facharztprüfung an der Medizinischen Hochschule Hannover heraus, dass etwas über 50% aller Absolventen und Fachärzte die Bedeutung des Fachs "Ökologisches Stoffgebiet", welches unter anderem Medizinische Statistik und Medizinische Informatik laut Gegenstandskatalog der alten AppOÄ einschloss, als gering einstuften [3]. Weitere 15-20% hielten dieses Fachgebiet gar für überflüssig. Auch wenn diese Umfrage keine repräsentative Umfrage an allen deutschen medizinischen Fakultäten darstellt, nehmen wir an, dass die Geringschätzung dieser Fächer an anderen Fakultäten ähnlich ausfällt. Wir glauben, dass diese Umfrageergebnisse auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sind.

1. Attraktivität des Fachs

Das ökologische Stoffgebiet und die medizinische Biometrie enthalten einen deutlich kleineren Anteil bzw. keinen Anteil kurativer medizinischer Aspekte im Vergleich zu den typischen klinischen Fächern und vermitteln verhältnismäßig wenige praktische Fertigkeiten. Damit werden diese Fächer von werdenden Ärzten, die zu einem großen Prozentsatz an eine zukünftige klinische berufliche Tätigkeit denken, per se als weniger spannend als Fächer wie z.B. Chirurgie und Innere Medizin eingeschätzt. Andererseits wird aber gerade im Rahmen von Fortbildungen in diesen klinischen Fächern ein erhebliches Maß an epidemiologischen und biometrischen Grundkenntnissen beim Lesen medizinischer Publikationen bzw. im Kontext der „evidence-based medicine" (z.B. absolute und relative Risikoreduktion, Number needed to treat, etc.) von Ärzten abverlangt.

2. Dozenten

Die Kompetenz von Dozenten, die Lehrinhalte anhand konkreter medizinischer Beispiele so zu präsentieren bzw. zu üben, dass mit Hilfe dieser praktischen Beispiele die nichtkurativen oder theoretischen Aspekte veranschaulicht werden können, ist aus unserer Erfahrung oft zu begrenzt vorhanden. Dies kann verschiedene Ursachen haben:

a) Unnötiges Maß an Abstraktion: Wir beobachten ein unnötig hohes Maß an Abstraktion in der Lehre. So werden Lehrinhalte zu randomisierten klinischen Studien nicht anhand von konkreten Beispielen, die sich sehr leicht aus der medizinischen Literatur (z.B. New England Journal of Medicine, Lancet etc.) entwickeln ließen, demonstriert, sondern anhand abstrakter Schilderung wie z.B. "in einer Therapiestudie soll ein Medikament A mit einem Medikament B hinsichtlich seiner Wirksamkeit verglichen werden" dargeboten. Es wird weder mitgeteilt, um welche Erkrankung es überhaupt geht, noch welche konkreten Medikamente verabreicht werden. Eine Rationale (wissenschaftliche Begründung) für den Medikamentenvergleich A versus B wird nicht geboten. Der Endpunkt (Outcome) wird in der Regel nicht näher erläutert. Fachspezifisches Vokabular (Kohorte, Exposition, Outcome, Retrieval, Record Linkage, Placebo) wird zu wenig oder nicht erläutert bzw. als bekannt vorausgesetzt. Zwar kann Abstraktion zur Förderung des logischen Denkens führen, jedoch geht dies häufig auf Kosten der medizinischen Plastizität der Beispiele. Die klinisch ärztliche Relevanz wird bei abstrakten Beispielen weniger deutlich. Gegen diese Sicht wird häufig eingewendet, dass konkrete medizinische Beispiele von den Methoden, die man lehren möchte, ablenken würden, weil die Studierenden zu lange für das Eindenken in die medizinischen Sachverhalte bräuchten. Diese Aussage zeigt unserer Meinung nach lediglich, dass das medizinische Beispiel entweder nicht gut gewählt wurde, oder dass das Beispiel nicht fokussiert genug präsentiert wurde. Darüber hinaus ist anzumerken, dass man das eine tun kann, ohne das andere zu lassen. Nach der Einführung von zunächst abstrakten Konzepten (s.o.) lassen sich praktisch immer medizinnahe Anwendungsbeispiele aus der Literatur finden, die sich didaktisch hervorragend aufarbeiten lassen. Interessanterweise geht das Problem-basierte Lernen (POL) den umgekehrten Weg. Es startet mit einem konkreten klinischen Problem, welches dann inhaltlich und methodisch aufgearbeitet wird.

b) Sorge der fehlenden Authentizität: es wird zum Teil die Sorge geäußert, dass medizinische Lehrbeispiele, zu denen man selbst keine klinischen Erfahrungen hat, nicht authentisch präsentiert werden könnten. Diese Sorge trifft mehr oder weniger auf jeden Dozenten zu, der entweder keine klinischen Erfahrungen hat oder nur klinische Erfahrungen in anderen Gebieten als das Beispiel betreffende Gebiet hat. Hierzu ist zu sagen, dass für Lehrzwecke keine vollkommene medizinische Authentizität und Souveränität erforderlich ist. Vielmehr ist es wichtig, die wesentlichen medizinischen Grundkenntnisse und Denkprozesse, die für die Präsentation des Beispiels erforderlich sind, zumindest so weit zu kennen, dass man gegenüber den Studierenden einen fachlichen Vorsprung hat und das Beispiel seinen Mittel zum Zweck im Rahmen der Fächer Epidemiologie, Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik erfüllt, d.h. die methodischen Aspekte an konkreten, medizinischen Sachverhalten illustriert.

c) Puristische Haltung: Gehäuft beobachteten wir Dozenten mit einer ausgeprägten naturwissenschaftlichen puristischen Haltung, die unter anderem bewirkt, dass sie sich nicht auf die spezielle Situation des Medizinstudiums, welches kein streng naturwissenschaftliches Studium ist wie etwa das Biologie-, Physik-, Chemiestudium, einstellten. So erlebten die Autoren, dass ein Dozent im Rahmen der Veranstaltung Medizinische Biometrie (alte Approbationsordnung) zur Illustration von Balkendiagrammen Daten zur Autoproduktion in der ehemaligen UdSSR heranzog, anstatt konkrete klinische Charakteristiken wie z.B. die Häufigkeit verschiedener Symptome beim akuten Myokardinfarkt zu verwenden. Dies geschah unter anderem mit dem Argument, dass es bei der Illustration von Balkendiagrammen keine Rolle spiele, welche Charakteristik man beispielhaft herausgreife. Bei diesem Argument bleibt unberücksichtigt, dass das im Vergleich zu einem naturwissenschaftlichen Studium stärker regulierte (verschulte) Medizinstudium bei Studierenden zu einer starken Fokussierung auf medizinische Sachverhalte zwecks Scheinerwerb führt, so dass die Bereitschaft, Konzepte auch anhand nichtmedizinischer Beispiele zu studieren, begrenzter ist als in naturwissenschaftlichen Studiengängen. Weiterhin kommt dazu, dass Dozenten oft nicht die Bereitschaft mitbringen, Sachverhalte anhand angemessener Beispiele mit einer geeigneten medizinischen Terminologie zu präsentieren.

3. Qualifikation von Medizinstudierenden

Aus langjährigen mündlichen und schriftlichen Prüfungserfahrungen im Medizinstudium haben wir den Eindruck, dass ein nicht unerheblicher Anteil angehender Ärzte in Deutschland erhebliche Schwierigkeiten mit selbst einfachsten mathematischen, statistischen oder logischen Sachverhalten hat. Der Kabarettist und Mathematiker Dr. Dietrich Paul beschrieb dies kürzlich so, dass Deutschland schon immer ein Land war, in dem man „ungestraft damit kokettieren kann, dass man in Mathe schon immer schlecht war" [4]. Die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, mit einem Würfel eine vier zu würfeln, löst bei Medizinstudierenden zum Teil Schulterzucken aus. Es erscheint aus unserer Sicht geboten, dass Medizinstudierende im vorklinischen Studienabschnitt einen Kursus zu den Grundlagen des logischen Denkens und der Mathematik besuchen, da grundlegendes logisches Denken und Mathematikverständnis aus dem klinischen Alltag nicht wegzudenken ist.


Vorschläge zur Verbesserung der Lehrqualität im Querschnittsfach Q1

Wir sehen verschiedene Möglichkeiten, eine Verbesserung der Lehre in den Fächern "Epidemiologie, Medizinischen Biometrie und Medizinische Informatik" insbesondere durch die Dozenten zu erreichen:

1. Lehrende sollten sich verstärkt mit didaktischen Prinzipien vertraut machen. Verschiedene Fakultäten bieten inzwischen Lehrenden verschiedene Kurse an (z.B. "Lehren lernen", "Lehrveranstaltungen planen", "Aktivierende Lehr- und Lernformen" an der Universität Duisburg-Essen in Zusammenarbeit mit dem Hochschuldidaktischen Zentrum), die es den Lehrenden ermöglicht, über die bisherigen Lehrfähigkeiten zu reflektieren und besser geeignete Lehrmethoden anzuwenden. Bei vorhandener Computerinfrastruktur (Computerräume) an den medizinischen Fakultäten ist auch an einen verstärkten Einsatz von computerunterstützten Lehr- und Lernsystemen in Zukunft zu denken.

2. Dozenten bereiten Lehrinhalte bzw. Übungen im Verbund mit klinisch tätigen Ärzten vor. Die klinisch-tätigen Ärzte könnten realitätsnahe medizinische Beispiele ihrer Fachgebiete und eine authentische medizinische Terminologie beisteuern und die medizinischen Sachverhalte zumindest hinsichtlich der Aspekte, die für die Lehre notwendig sind, detailliert erläutern.

3. Ähnlich wie in anderen Studiengängen könnten insbesondere in den Praktika, Übungen und Seminaren Medizinstudierende höherer Semester, die mit Erfolg das Q1-Fach absolviert haben, schon in der Planung aber auch in der Durchführung mitwirken. Medizinstudierende des 9. oder 10. Semesters stehen gemäß der neuen Approbationsordnung 1-1,5 Jahre vor der Approbation, d.h. der Lizenz selbständig klinisch tätig zu werden.

4. Es bedarf regelmäßiger Lehrkonferenzen, bei denen die Dozenten sowie teilnehmende Studierende zusammenkommen und sich darüber austauschen, welche Sachverhalte mehr oder weniger erfolgreich vermittelbar waren. Dabei ist nicht nur der lockere Austausch von Bedeutung, sondern insbesondere auch das Ergebnis von Lernerfolgskontrollen. Sachverhalte, die als weniger erfolgreich bewertet werden, bedürfen der inhaltlichen Überarbeitung. Hierzu wäre eine verbindliche Evaluation durch alle Medizinstudierende (und nicht nur einem Teil von hochmotivierten Medizinstudierenden), wie sie bereits von einigen medizinischen Fakultäten in Deutschland bereits durchgeführt wird, sehr hilfreich.

5. Das Q1-Fach sollte in zwei Untereinheiten unterteilt werden. Teil 1 sollte so früh wie möglich, d.h. im 5. Semester angeboten werden. Dieser Teil, der nur etwa 1/3 des gesamten Q1-Fachs ausmacht, würde einfachste Grundlagen vermitteln, die für das Verständnis der klinischen Veranstaltungen wichtig sind. Dazu gehören Kenntnisse diagnostischer Indizes (Sensitivität, Spezifität, negativer & positiver prädiktiver Wert) und epidemiologischer Maßzahlen (Inzidenz, Mortalität, Prävalenz und Letalität). In einem Teil 2, der erst später im Medizinstudium angeboten werden sollte, sollten dann vertiefende, medizinnahe Aspekte der Epidemiologie, Biometrie und Medizinischen Informatik gelehrt werden. Der Vorteil dieser Zweiteilung liegt unter anderem darin, dass Medizinstudierende höherer klinischer Semester bereits aufgrund praktischer Erfahrungen im Rahmen von Famulaturen und aufgrund der Erfahrungen bei der medizinischen Doktorarbeit den Inhalten der Epidemiologie, Medizinischen Biometrie und Medizinischen Informatik aufgeschlossener sind, als Medizinstudierende des 5. Semesters, die sich nach 4 Semestern der vorklinischen Ausbildung insbesondere in den biomedizinischen Grundlagen darauf freuen, verstärkt klinische Sachverhalte und Fertigkeiten zu erlernen. Für den Lehrenden ist es außerdem einfacher, nachvollziehbare, medizinnahe Beispiele zu finden.

6. Die Fächer des Medizinstudiums sind inhaltlich überfrachtet. Das Q1-Fach und auch die übrigen Fächer sollten entrümpelt werden. Der Gegenstandskatalog der alten ÄAppO war überladen und spiegelte die fehlende Bereitschaft der einzelnen Disziplinen (Epidemiologie, Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik) wider, die Stoffmenge zu Gunsten eines tieferen Verständnisses wesentlicher und häufig vorkommender medizinnaher Sachverhalte, die klinische Relevanz erkennen lassen, zu begrenzen. Hierunter litten die Gegenstandskataloge anderer medizinischer Fächer in vergleichbarer Weise. Das Q1-Fach sollte und könnte weit mehr klinische Sachverhalte (z.B. diagnostische Tests, Evaluation der Prognose von Erkrankungen, Prinzipien der Therapiestudien, Lesen medizinischer Publikationen, häufig benutzte medizinische Klassifikationen) behandeln und komplexe statistische Sachverhalte (z.B. Proportional Hazards Regression, Varianzanalysen etc.) und andere komplexe Methoden, die bei den wenigen Vorlesungsstunden und Übungsstunden dem Medizinstudierenden ohnehin verborgen bleiben, einschränken. Es ist eine Fehlvorstellung, dass Medizinstudierende eine Übersicht zu den epidemiologischen, biometrischen und medizin-informatischen Verfahren im Rahmen des Q1-Fachs erlangen könnten. Wünschenswert ist es aus unserer Sicht, dass ein Medizinstudierender in die Lage versetzt wird, eine ordentliche deskriptive Statistik zu erstellen bzw. zu interpretieren (z.B. Mittelwert, Median, Streumaße, Proportionen etc.) und wissenschaftlich-medizinische Publikationen mit Hilfe von Grundlagenkenntnissen der Fächer Epidemiologie, medizinische Biometrie und medizinische Informatik kritisch zu lesen. Das Beherrschen komplizierter statistischer Schätz- oder Testverfahren ist ähnlich wie die Anwendung komplizierter molekulargenetischer Verfahren für das Medizinstudium nicht essentiell. Derjenige Studierende, der im Rahmen der medizinischen Dissertation aufwendigere biometrische, epidemiologische und medizin-informatische Verfahren anwenden möchte, oder der per se ein verstärktes Interesse an diesen Fächern hat, kann und sollte sich an das Institut seiner medizinischen Fakultät wenden, welches diese Fächer vertritt. In der Regel gibt es dort Beratungsmöglichkeiten für Doktoranden und zusätzliche vertiefende Veranstaltungen, die von Studierenden besucht werden können. Aus unserer Sicht ließen sich die Lehrinhalte des Q1-Fachs in drei Gruppen unterteilen: a) Grundlagenwissen, welches auch in der Anwendung beherrscht werden muss (z.B. epidemiologische Krankheits-Häufigkeitsmaße, Mittelwert, Median, TNM-Klassifikation etc.), b) Verständnis von Prinzipien, die nicht notwendigerweise in der Anwendung beherrscht werden müssen (z.B. Verständnis für Sensitivität, Spezifität, positiven & negativen prädiktiven Wert) und c) Wissen zu komplexen Verfahren, welches die Einordnung dieser Verfahren erlaubt (Indikation, Aussagekraft und Limitation). Diese Art des Wissens findet sich implizit auch in klinischen Fächern wider. Beispielsweise gibt es Ärzte, die nicht (mehr) die einzelnen physikalischen Prinzipien des Ultraschalls im Detail wissenschaftlich erläutern können, die aber dennoch hervorragende Ultraschall-Diagnostiker sind.

Unsere Vorschläge beruhen auf persönlichen Ansichten und Lehrerfahrungen. Wir können nicht anhand empirischer Studien darlegen, welche unserer Empfehlungen zu einer Stärkung in der Reputation und Anwendung der Fächer Epidemiologie, Medizinischen Biometrie und Medizinischen Informatik führen. Fest steht aus unserer Sicht aber, dass insbesondere aufgrund der immer stärker zunehmenden Bedeutung dieser Fächer in der klinischen Medizin ein noch stärkeres Nachdenken über Lehrkonzepte in diesen Fächern erforderlich ist, um dem gegenwärtigen Desinteresse der Medizinstudierenden entgegenzuwirken.


Literatur

1.
Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2002 Teil I Nr. 44; Available from: http://www.bmgs.bund.de/download/gesetze/gesundheitsberufe/approbation.pdf
2.
Approbationsordnung für Ärzte -ÄAppO in der Fassung vom 21. Dezember 1989. BGBI I. Available from: http://www.approbationsordnung.de/AO/ao-alt.pdf
3.
Pabst R, Nave H, Rothkötter HJ, Tschernig T. Lehrevaluation in der Medizin. Dt Aerzteblatt 2001;98(12): A747-749.
4.
Paul D. Vorsicht Mathematik. Vom Umgang mit einem Fach im PISA-Zeitalter. Forschung & Lehre 2004;8:442-445.