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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Versorgung von Patienten mit MRSA-Wundinfektion oder -kolonisation – Auswertung einer Fragebogenanalyse zum MRSA-Management in der ambulanten Pflege

Management of patients with MRSA colonization or infection – questionnaire based survey on the management of MRSA in the ambulant medical care setting

Originalarbeit

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GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2007;2(2):Doc32

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/dgkh/2007-2/dgkh000065.shtml

Veröffentlicht: 28. Dezember 2007

© 2007 Loczenski.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Die Versorgung von Patienten mit MRSA- kolonisierten oder MRSA- infizierten Wunden in der ambulanten Pflege zeigt in der Praxissituation noch viele Schwierigkeiten. Der kurz umrissene Praxisinput aus dem Berliner Bereich soll das verdeutlichen, Schwachstellen aufzeigen und Lösungsansätze entwickeln helfen.

Schlüsselwörter: MRSA Management, ambulante Pflege

Abstract

The management of patients, colonized or infected with MRSA in home care has typically been accompanied by many difficulties in recent years. This brief outline of experience in practise, based on a survey, carried out in Berlin is intended to highlight the problem, demonstrating weakness and developing ideas for improvement.

Keywords: MRSA management, ambulant medical care


Einleitung

Die Versorgung von Patienten mit MRSA-kolonisierten oder MRSA-infizierten Wunden an den verschiedenen Schauplätzen der ambulanten Pflege (Sozialstation, betreutes Wohnen oder auch im Rahmen einer Wohngemeinschaft älterer, pflegebedürftiger Patienten) zeigt sich sehr unterschiedlich und ist von einer Versorgungsvielfalt neben diversen Unsicherheiten seitens des Personals, der Angehörigen und der Betroffenen geprägt.

Um die eigenen Erfahrungen mit der tatsächlichen Versorgungssituation abzugleichen und gegebenenfalls vorhandene Schwachpunkte in der Versorgung zu identifizieren, wurde eine Fragebogenaktion initiiert, bei der alle Berliner Sozialstationen um Ihre Mitwirkung gebeten wurden. Beteiligt haben sich über 50 Sozialstationen unterschiedlichster Ausrichtungen, berücksichtigt wurden aber nur die, die schon MRSA-positive Patienten versorgt hatten. Sie bestätigten im Wesentlichen die Erfahrungen und konnten wertvolle ergänzende Hinweise auf Schwachstellen geben, die es langfristig zu lösen gilt.


Istanalyse

Von den beteiligten Sozialstationen konnten 50 Fragebogen ausgewertet werden, es handelte sich hierbei um Sozialstationen, die bereits MRSA-positives Klientel versorgt hatten. Das Spektrum der sich beteiligenden Sozialstationen erstreckte sich von Sozialstationen, die den normalen herkömmlichen Leistungsbedarf aus Kranken- und Pflegeversicherung nebst Zusatzleistungen abdeckten, aber auch um Sozialstationen, die ambulant sog. „Wohngemeinschaften/Dementen-WGs“ betreuen, und solche, die ausschließlich Intensiv-Versorgung daheim oder Home-Care als Schwerpunkt haben.

Die Ergebnisse der Fragebogenanalyse, die die derzeitige Situation im Berliner Bereich repräsentativ widerspiegeln, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Es besteht kein Unterschied in der ambulanten Versorgung kolonisierter oder infizierter Klienten durch die ambulante Pflege.
  • Die Situation im ambulanten Bereich ist gekennzeichnet durch eine Versorgungsvariabilität, die einer großen Unsicherheit seitens des ambulant tätigen Personals entspringt.
  • Es bestehen viele Informationsdefizite und Kommunikationsprobleme auf unterschiedlichen Ebenen, die es zu lösen gilt.
  • Viele Sozialstationen verfügen zwar bezüglich des MRSA-Managements in der ambulanten Situation über einen sog. „Hygienestandard“, ob nach diesem gearbeitet oder ob in diesem den einrichtungsspezifischen Besonderheiten Rechnung getragen wird, ist nicht eindeutig nachvollziehbar.
  • Es besteht Schulungsbedarf, der seitens der ambulanten Pflege klar geäußert wird.
  • Im Zusammenhang mit der Versorgung von MRSA-Patienten zeigt sich das Problem "Dienstkleidung", für das es im Bereich der ambulanten Pflege bisher zu wenig verbindliche Regelungen gibt.

Im Folgenden sollen die Punkte kurz erörtert werden.

1. Es besteht kein Unterschied in der ambulanten Versorgung kolonisierter oder infizierter Patienten durch die ambulante Pflege

Wenngleich das Management bei Vorliegen von MRSA sehr unterschiedlich angegangen wird, weil man sich vielfach nach der RKI-Empfehlung [1] richtet, die eigentlich auf das Management im Krankenhaus ausgelegt ist, wird in der Umsetzung dann kein Unterschied gemacht, wenn es darum geht, einen infizierten oder kolonisierten Patienten zu versorgen. Allein die Tatsache, dass er MRSA-positiv ist, ist dann im ambulanten Bereich der Auslöser für die zu treffenden Maßnahmen.

2. Die Situation im ambulanten Bereich ist gekennzeichnet durch eine Versorgungsvariabilität, die einer großen Unsicherheit seitens des ambulant tätigen Personals entspringt

Der Begriff Versorgungsvariabilität steht für die Spannbreite der Maßnahmen im ambulanten Bereich, die in der Praxissituation umgesetzt werden. Das bedeutet, dass zum Teil Patienten im häuslichen Umfeld isoliert werden, dass Pflegende und Betreuende zum Teil das komplette Schutzkleidungsprogramm anlegen, und dass wiederum andere ambulante Einrichtungen sich bewusst nur auf die verstärkte Händehygiene beschränken.

Die Versorgungsvariabilität ergibt sich vielfach aus der mangelnden Aktualität von Vorgaben seitens der Verantwortlichen, der Ärzte sowie der Kassen, aber auch der „MRSA-Verunsicherung“ durch die Medien, die zu vielen Irritationen auf allen Ebenen führt. Das Personal agiert im Regelfall, wie durch die Verantwortlichen vorgegeben, kann sich aber häufig selbst nicht eigenständig zu den Maßnahmen positionieren. So werden als Eigenschutzmaßnahmen durch mehr als die Hälfte der Pflegenden Händedesinfektion, Schutzhandschuhe und Schutzkleidung benannt, bei denen, die hauswirtschaftlich tätig sind, wird nur bei jedem Fünften die Schutzkleidung genannt. Als Konsequenz führen die Versorgungsvariabilität und die Unsicherheit bei vielen Mitarbeitern zu einer gewissen Unzufriedenheit, die sich darin äußert, dass der Wunsch nach Erweiterung der bisherigen Maßnahmen, die durch die Sozialstationen durchgeführt werden, laut wird, und konstruktive Anregungen für den eigenen Erweiterungsbedarf angegeben werden.

3. Es bestehen Informationsdefizite und Kommunikationsprobleme auf unterschiedlichen Ebenen, die es zu lösen gilt

Nach wie vor hapert es am Überleitungsmanagement. Die Meldung, dass ein MRSA-positiver Patient in den ambulanten Bereich verlegt wird, klappt bei etwa der Hälfte der Sozialstationen, die Auskunft, ob Sanierungs-und/oder Therapieversuche mit/ohne Erfolg stattgefunden haben, nur bei ca. einem Drittel. Oft kommt die Meldung leider verspätet. Betroffene wie auch deren versorgende Angehörige sind selten über eventuell notwendige Hygienemaßnahmen im häuslichen Bereich informiert und aufgeklärt, geschweige denn weitere externe Dienstleister.

Auch bei den betreuenden Hausärzten entspricht der Wissensstand zum MRSA-Management nur selten den aktuellen Empfehlungen. Dass die Kommunikationsprobleme in der Überleitung auch weiterhin optimiert werden müssen, steht außer Frage. Sicherlich wäre auch ein intensiverer Austausch innerhalb der betreuenden Teams in den Sozialstationen wünschenswert, um die Schwachstellen in der Kommunikation untereinander zu optimieren, was sich aber bei den Rahmenbedingungen der ambulanten Pflege nicht wirklich realisieren lässt.

Auch die Kommunikation zwischen Arzt/Pflegedienst/Patient macht Kommunikationsdefizite und damit sog. „Compliance-Probleme“ deutlich. Nur jede fünfte Sozialstation ist mit der Zusammenarbeit zufrieden, und jede dritte beschreibt die Zusammenarbeit in Hinblick auf das MRSA-Management und die Unterstützung in Bezug auf Hygienemaßnahmen als schwierig/schlecht.

4. Viele Sozialstationen verfügen zwar bezüglich des MRSA-Managements in der ambulanten Situation über einen sog. „Hygienestandard“, ob nach diesem gearbeitet oder ob in diesem den einrichtungsspezifischen Besonderheiten Rechnung getragen wird, ist nicht eindeutig nachvollziehbar

Hygienestandards zum Management von MRSA sind in etwa 80% der ambulanten Einrichtungen vorhanden. Wie es um deren Aktualität und Inhalt bestellt ist, lässt sich nicht sagen. Ebenso ist unklar, ob die Standards mit der Realität der Finanzierungsmöglichkeiten in der ambulanten Pflege in Einklang zu bringen sind, was bedeutet: Lassen sich die in den Vorgaben formulierten Materialien überhaupt bereitstellen oder übersteigt das die finanzielle Deckung? Denn viele der Eigenschutzmaterialien hätte rechtlich betrachtet die Sozialstation im Rahmen des Arbeitschutzes bereitzustellen.

Interessanterweise klappte überall dort die Zusammenarbeit mit den Hausärzten gut, wo Sozialstationen selbstbewusst die Kommunikation mit den Hausärzten gesucht haben und die Ärzte in ihre Standards eingebunden haben.

Die Umsetzung der Vorgabe durch die Gesundheitsämter, MRSA-Patienten möglichst am Ende der Tour zu versorgen, um die Kreuzkontamination zu minimieren, ist nur von knapp der Hälfte der Sozialstationen realisierbar. Das ist im Wesentlichen abhängig von der Größe der Sozialstation, der Anzahl der zu versorgenden Klienten und deren Problemen, aber auch von den Tätigkeiten und der Anzahl der MRSA-Patienten.

5. Es besteht Schulungsbedarf, der auch seitens der ambulanten Pflege klar geäußert wird

Aktueller Schulungsbedarf wird von 70% der befragten Sozialstationen und Mitarbeiter gesehen, die eingangs geäußerte Unsicherheit wird erkannt. Hier besteht besonders Bedarf an der einrichtungsspezifischen Modifizierung von MRSA-Vorgaben sowie der nachfolgenden Schulung aller beteiligten Mitarbeiter.

Dringender Schulungsbedarf besteht aber auch seitens der betreuenden Hausärzte im Hinblick auf die Aktualität der RKI-Empfehlungen, der kooperativen Zusammenarbeit mit Sozialstationen und den tatsächlichen Möglichkeiten in der ambulanten Pflege vor Ort.

6. Im Zusammenhang mit der Versorgung von MRSA-Patienten zeigt sich das Problem "Dienstkleidung", für das es im Bereich der ambulanten Pflege bisher zu wenig verbindliche Regelungen gibt

Eine große Schwachstelle im Bereich der ambulanten Pflege ist das Thema Dienstkleidung. Bei nur ca. einem Drittel der Sozialstationen trugen die Mitarbeiter Dienstkleidung, in allen anderen Bereichen gibt es dazu keine verbindlichen Regelungen, was soviel heißt, dass die Mitarbeiter ihre normale Privatkleidung auch bei der Versorgung der MRSA-Patienten tragen und damit der Kreuzkontamination Tür und Tor geöffnet ist. Dieser Punkt ist als umso problematischer zu betrachten, als die „Dienstkleidung“ bei der Hälfte der beteiligten Sozialstationen privat im häuslichen Umfeld ohne Berücksichtigung hygienischer Anforderungen gewaschen wird, da entweder keine Regelungen seitens der Sozialstation bestehen oder dieser Umstand von vornherein bei Vertragsunterzeichnung den Mitarbeitern auferlegt wurde. Es fragt sich, warum Mitarbeiter den Punkt der Dienstkleidung nicht stärker thematisieren.

Auch die betreuenden Ärzte und Kassen wurden im Hinblick auf die negative Kritik seitens der Sozialstationen ins Visier genommen, um die Aussagen zu überprüfen. Während die Ärzte zum großen Teil den MRSA in der ambulanten Situation als nicht sanierungs-/therapiebedürftig betrachten und auch die Verordnungsfähigkeit von Medikamenten, Desinfektionsmitteln bzw. Hilfsmitteln an Budgetierungen seitens der Krankenkassen gekoppelt ist, äußerten aber auch die Ärzte Kritik an der mangelnden Kontaktbereitschaft der Sozialstationen bezüglich dieses Punkts. Vielen sind die Hygienevorgaben, die die Sozialstation zu erfüllen hat, gar nicht klar bzw. bekannt.

In den Rahmenvereinbarungen zwischen den Sozialstationen und den Kassen ist eindeutig geregelt, dass Sozialstationen die Materialien für den Eigenschutz selbst zahlen, allerdings kann auf Antrag ein zusätzlicher Betrag bereitgestellt werden, z. B. um für Angehörige Schutzkittel etc. bereitzustellen. Dass dieser Betrag die tatsächlich entstehenden Kosten für einen Monat bei konsequenter Umsetzung kaum decken kann, steht nicht zur Diskussion.


Fazit

Die Ergebnisse überraschen nicht und bestätigen im Wesentlichen die Ergebnisse einer 2006 durchgeführten Studie [2]. Kernaussagen hierin waren: Es fehlt derzeit an Hygieneverantwortlichen im Bereich der ambulanten Pflege, die sich der Thematik und Problematik annehmen können. Die verwendeten Hygienepläne und -vorgaben sind oft nicht einrichtungs- und anwendungsspezifisch modifiziert. Hygienevorgaben sind vor Ort manchmal nur schwer realisierbar, aber auch die schlechte Kooperation seitens der Ärzte wegen fachlicher Kompetenzmängel in Pflegefragen und die unzureichende Kooperation mit externen Dienstleistern werden genannt. Auch wird das Problem der Dienstkleidung und der fehlenden Regelungen deutlich.


Lösungsansätze

Es ist nicht ausreichend, die positiven und negativen Zusammenhänge, Schwachstellen und Probleme darzustellen, sondern es müssen Lösungsansätze entwickelt werden, indem die bisherigen Strategien auf den Prüfstand gestellt und evaluiert werden.

Sicherlich gibt es auf der Ebene der Sozialstationen Verbesserungsbedarf, wie z. B. die Bereitstellung eines Hygienebeauftragten-Mitarbeiters, der für die Fragen der Hygienesicherheit und Infektionsprävention sowohl für die Leitung wie auch für die Mitarbeiter und Angehörigen, und ebenso für Hygieneaudits vor Ort, für den Hygieneplan und die Kommunikation seitens der Hygiene mit den betreuenden Ärzten verantwortlich ist. Ebenso muss im Rahmen der Infektionsprävention eine verbindliche Regelung bezüglich der Dienstkleidung gefunden werden. Gleichzeitig müssen optimale Rahmenbedingungen für die teaminterne Kommunikation gefunden werden, die nicht beim Austausch zur Pflegedokumentation enden.

Auch auf der Ebene der Finanzierung seitens der Ärzte und Kassen gibt es Lösungsansätze. Es kann nicht akzeptiert werden, dass die Maßnahmen der Prävention nicht oder nur unzureichend finanziert, dagegen aber die wesentlich teureren Sanierungs- und Therapiemaßnahmen von den Kassen getragen werden. Hier ist dringend ein Umdenken notwendig, was die Ärzte in ihren Verschreibungsmöglichkeiten nicht „deckelt“ und „budgetiert“, und damit auch die Bereitschaft, das Thema MRSA aktiv anzugehen, optimiert, und den Sozialstationen im Fall von MRSA mit den zusätzlichen Kosten für die Eigenschutzmaßnahmen entgegenkommt.

Lösungsansätze gibt es ebenso auf der Ebene der Verantwortlichen: Sicherlich müssen Sozialstationen und Ärzte ihre Kommunikations- und Complianceprobleme selbst in die Hand nehmen und ihre Hygienevorgaben aufeinander abstimmen, aber es wäre ebenso wünschenswert, wenn die von Seiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes und des RKI formulierten Vorgaben übereinstimmend sind, stets in aktualisierter Form vorliegen und so verbindlich wie möglich für Arzt und Sozialstationen formuliert wären, um nicht einen allzu großen Interpretationsfreiraum zu lassen, so dass man sich jederzeit darauf berufen kann und auch die Kostenträger damit eingebunden wären.


Literatur

1.
Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am RKI. Empfehlung zur Prävention und Kontrolle von Methicillin-resistenten Staphylococcus-areus-Stämmen (MRSA) in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen. Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, 21. Lieferung. München: Elsevier; 2003.
2.
Popp W, Hilgenhöner M, Dogru-Wiegand S, Hansen D, Daniels-Haardt I. Hygiene in der ambulanten Pflege. Eine Erfassung bei Anbietern. BgBl Gesforsch Gesschutz. 2006;49(12):1195-204.