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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Therapie der infizierten Verbrennungswunde

Treatment of the infected burn wound

Übersichtsarbeit

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  • corresponding author Werner Eisenbeiß - Klinik für Plastische Chirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck, Deutschland

GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2006;1(1):Doc26

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/dgkh/2006-1/dgkh000026.shtml

Veröffentlicht: 30. August 2006

© 2006 Eisenbeiß.
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Zusammenfassung

Bei vital bedrohlichen Situationen wie infizierten Verbrennungswunden müssen durch schnelle Reaktion mit systemischer Stabilisierung, Debridement und adäquater Wundantiseptik mittels Polihexanid- oder Octenidin-basierten Präparaten Defekte zügig zur Deckung und Ausheilung gebracht werden. Die mikrobiologischen Untersuchungen müssen grundsätzlich aus Gewebeproben durchgeführt werden, da die ursächlichen Erreger meist nicht an der Oberfläche, sondern nur im Gewebe selbst zu finden sind und nur so ein relevantes Antibiogramm erstellt werden kann. Alle Eingriffe bedingen den Ersatz von Blut und die Substitution aller heilungsfördernden Komponenten. Eine unkontrollierte Wundheilung und Narbenbildung muss vermieden werden, um Folgeeingriffe präventiv zu verhindern. Durch konsequente adäquate Schmerztherapie muss das sog. Schmerzgedächtnis vermieden werden.

Schlüsselwörter: Infizierte Verbrennungswunde, systemische Therapie, Antiseptik, Polihexanid, Octenidin

Abstract

In life-threatening situations, such as infected burn wounds, lesions must quickly be induced to cover and heal by promptly reacting with systemic stabilization, debridement, and adequate wound antisepsis using polihexanide- or octenidine-based preparations. It is imperative that the microbiological tests be conducted with tissue samples, because the causal pathogens are chiefly found in the tissue itself and not on the surface; only in this way can a relevant antibiogram be generated. All interventions require the substitution of blood and all components which promote healing. Uncontrolled wound healing and scar formation must be avoided, in order to prevent subsequent interventions. So-called pain memory must be avoided by consistent, adequate pain therapy.


Ursachen des Wandels im Infektionsgeschehen bei Brandverletzten

Die Infektion der Verbrennungswunde war bei großflächigen Brandverletzungen bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts die Letalitätsursache Nummer 1. Die betroffenen Patienten verstarben meist im Multiorganversagen unter sepsisbedingten Veränderungen der Durchblutung in allen vital wichtigen Gewebeeinheiten. Heute ist das ein Anachronismus und sollte unter Anwendung geeigneter Wundantiseptika nicht mehr auftreten.

Eine derartige Entwicklung entstand im Allgemeinen dadurch, dass eine ungeeignete Oberflächenbehandlung erfolgte und nach Nekrektomie die entstandenen Defekte nicht phasen- und zeitgerecht gedeckt wurden.

Ursache für das Entstehen einer infizierten Verbrennungswunde ist meistens die verspätete sekundäre Zuweisung von Patienten mit großflächigen Verbrennungen in qualifizierte Zentren nach Vorbehandlung in verbrennungsspezifisch weniger spezialisierten Kliniken. Bedauerlicherweise sehen wir dieses häufig noch bei Kindern und regional bedingt nach Unfällen an Bord bei Seeleuten, die verhältnismäßig spät zur weiteren gezielten Behandlung ausgebootet werden können. Ein wesentliches Problem stellt häufig die Indolenz des betroffenen Patienten und/oder die Inkompetenz des Erstbehandlers dar. Verbunden mit sozialen Problemen können in diesen Situationen ungeeignete konservative Behandlungsregime zur Anwendung kommen, die in der Folge zu infektionsbedingten Zerstörungen der verbrannten Körperoberflächen führen. Wenn die klinische Situation zu einer stationären Behandlung führt, kann es unter einer parenteralen Ernährung auf Grund der sich entwickelnden Darmwandatrophie zusätzlich zu einer Erregertranslokation in die geschädigten Areale kommen.

Beobachtet werden ferner Wundinfektionen nach hygienischen Fehlern in der Versorgung; an erster Stelle spielt hier nach wie vor die Hand des Behandlers die entscheidende Rolle.


Folgen der infizierten Verbrennungswunde

Das entscheidende Problem bei der Wundinfektion ist die unkontrollierbare Eskalation zur Sepsisentwicklung mit Multiorganversagen. Dieses kann gerade bei großflächigen Verbrennungen auftreten, da hier eine ausgeprägte Immunsuppression über einen Zeitraum bis zu 3 Wochen besteht und bei den betroffenen Patienten anfänglich meist eine unbekannte mikrobiologische Situation vorliegt [1]. Trotzdem wird eine ungezielte Antibiose nur äußerst ungern eingeleitet, weil sich der isolierte Erreger im Nachhinein als resistent herausstellen kann. In diesem Fall führt die Unterdrückung der residenten Flora u. U. zur Begünstigung des Infektionsgeschehens, weil der resistente Stamm selektiert wird. Hinzu kommt die immunsuppressive und wundheilungsverzögernde Wirkung bei vielen Antibiotika.

Wünschenswert, aber nach wie vor ungelöst, ist die Schnelldiagnostik zur qualitativen und quantitativen Beurteilung der Erregersituation im Gewebe, da alle entwickelten Tests bisher nicht die erforderliche Sicherheit bei entsprechender Geschwindigkeit erreichen ließen. Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass in Folge der infektionsbedingten Sepsis eine Zentralisierung bei den betroffenen Patienten eintritt und damit die Perfusion der geschädigten Areale weiter vermindert wird. Das führt letztendlich dazu, dass körpereigene Abwehr- und Wundheilungsmechanismen nur eingeschränkt und vor allem unkontrolliert zum Einsatz kommen, verbunden mit dem Nebeneffekt der verstärkten Narbenbildung und Kontrakturentwicklung in Gelenkbereichen. Eine Defektdeckung kann aber bei sekundär geschädigten vitalen, dermalen Anteilen nur noch nach epifaszialer Nekrosektomie erfolgen, da hier operativ die Infektion zusammen mit eigentlich überlebensfähigen dermalen Gewebeanteilen beseitigt werden muss [1], [2].

Der Aspekt damit verbundener wachsender Behandlungskosten und der Ausnutzung von knappen Ressourcen wie Blutersatz soll hier nicht behandelt werden.

Das kosmetische Resultat nach solchen Eingriffen ist für den Operateur und den betroffenen Patienten unbefriedigend, weil formende und schützende Gewebeanteile unter der wiederhergestellten Körperoberfläche fehlen.

Ein eher vernachlässigtes Problem ist das "Schmerzgedächtnis", d. h. der Patient behält engrammartig den Schmerz der Akutsituation und kann diesen bei entsprechendem Reiz jederzeit therapierefraktär reproduzieren. Dieses kann nur durch konsequente adäquate Schmerztherapie vermieden werden.


Therapieempfehlungen zur Behandlung der infizierten Verbrennungswunde

Wenn sich trotz aller Präventionsmaßnahmen eine infizierte Verbrennungswunde entwickelt, erfolgt das therapeutische Vorgehen nach folgendem bewährten Arbeitsalgorithmus:

  • Zunächst wird bei vital bedrohlicher Ausgangssituation die systemische Stabilisierung vorgenommen, eine antibiotische Abschirmung muss in einer derartigen Situation breitbandig ungezielt erfolgen.
  • Danach erfolgt die Sepsistherapie mit dem Skalpell, bei der zügig alles infizierte Gewebe operativ entfernt wird; hierbei müssen selbstverständlich Gewebeproben zur mikrobiologischen Bearbeitung entnommen werden.
  • Es müssen in ausreichender Menge Blut- und Serumbestandteile substituiert und so früh wie möglich eine enterale Ernährung über eine Magensonde eingeleitet werden.
  • Lokal werden nach Abtragung der nekrotischen und infizierten Gewebeanteile Antiseptika angewendet, die nicht zytotoxisch, möglichst farblos, mikrobiozid wirksam sein sollen, wobei ein breites Spektrum abgedeckt werden soll, und die nicht Schmerz auslösend sein dürfen. Die Wundflächen inklusive der aufgebrachten frischen Transplantate werden kontinuierlich feucht und antiseptisch behandelt und unter Okklusion zur Reepithelisierung geführt. Dieses funktioniert unter einer erhöhten Frequenz von Verbandwechseln unter aseptischen OP-Bedingungen und kann zur Entfernung fallweise aufgetretener Hämatome genutzt werden. Da für den Abfluss potentiell infizierten Sekrets bei der zwingenden Defektdeckung im allgemeinen Mesh-graft-Transplantate verwendet werden müssen, ist der kosmetische Aspekt der gedeckten Areale eher von sekundär Bedeutung, weil es letztlich ums Überleben geht. Allerdings sollten trotzdem exponierte Areale wie Gesicht und Hände mit der entsprechenden Sorgfalt debridiert und ungemesht transplantiert werden.
  • Systemisch müssen neben der möglichst enteralen Ernährung alle wundheilungsfördernden Faktoren in ausreichender Menge substituiert werden. Dieses gilt für die bilanzierte Ernährung genauso wie für den Ersatz von Spurenelementen, Mineralien und Vitaminen. Die Patienten bedürfen einer frühen Mobilisierung, speziell an den Gelenken der oberen Extremitäten mit Betonung der Hände, um funktionelle Probleme auf ein erträgliches Minimum zu reduzieren.
  • Zusätzlich müssen nach Einheilung von Transplantaten eine möglichst frühe Kompressionsbehandlung inklusive Silikonanwendung erfolgen und ggf. zeitlich vorgezogene Korrekturoperationen bei Ausbildung kontrahierender Narben eingeleitet werden, die sonst erst nach Abschluss der Narbenentwicklung im Rahmen von 8 bis 12 Monaten durchgeführt würden.

Als Antiseptika kommen Polihexanid- oder Octenidin-basierte Präparate in Betracht, wobei im Fall einer massiven Infektion Octenidin auf Grund der rasch einsetzenden hohen Wirksamkeit und der ausgeprägten remanenten Wirkung, die auf Grund der festen Bindung an die Zellmatrix zustande kommt [2], nach ersten klinischen Erfahrungen hoch wirksam ist und speziell bei nahezu hoffnungslosen lokalen Infektionsgeschehen zu überraschenden Resultaten führte. Steht dagegen die Prävention der Wundinfektion mit ungestörter Wundheilung im Vordergrund, ist Polihexanid geeignet.


Diskussion eines typischen Fallbeispiels

Anhand einer Falldarstellung soll das Vorgehen beispielhaft gezeigt werden. Ein 25 Jahre alter russischer Seemann erlitt bei Reinigungsarbeiten mit Verdünnerlösung im Maschinenraum an Bord seines Schiffs drittgradige Verbrennungen von über 20% betroffener Körperoberfläche (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Zunächst erfolgte eine "Selbstbehandlung" 11 Tage lang an Bord, unter der sich in der Folge eine lebensbedrohliche Sepsis entwickelte. Im ersten Hafen erfolgte die Ausbootung zur stationären Behandlung an Land. Der Patient wurde wegen seiner vital-bedrohlichen Situation sofort nach Lübeck in unsere Intensiveinheit für Schwerbrandverletzte weiterverlegt. Als erste Maßnahme erfolgte die epifasziale Nekrektomie unter Entfernung aller infizierten Gewebeeinheiten an beiden unteren Extremitäten und der Thoraxwand. Postoperativ wurden die Wundareale feucht antiseptisch geschlossen behandelt. Zwei Tage nach dem Eingriff und nach entsprechender Stabilisierung mit konsequenter Substituierung wurde ein sparsames Nachdebridement mit gleichzeitiger Deckung aller Defekte mittels Mesh-graft-Transplantaten unter feucht antiseptischem Verband durchgeführt. Die enterale Ernährung war zunächst über Magensonde, dann oral möglich; hierbei erhielt der Patient auf Wunsch auch die lebenserhaltende Dosis Wodka. Fünf Tage nach der operativen Defektdeckung erlaubte die Allgemeinsituation des robusten Seemannes bereits eindeutige Annäherungsversuche bei dem weiblichen Pflegepersonal, was von uns mit forcierter aktiver Mobilisierung und Verlegung von der Intensiv- auf eine periphere Station beantwortet wurde. Drei Wochen nach Aufnahme unter lebensbedrohlichen Bedingungen konnte der Patient stabil mit angepasster Kompressionskleidung aus der stationären Behandlung entlassen werden und selbständig seine Heimreise antreten. Drei Monate später stellte er sich anlässlich eines Besuchs in Lübecker Hafen bei uns erneut vor und gab an, bereits wieder vollwertig an Bord eingesetzt zu sein.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass selbst bei vital bedrohlichen infizierten Verbrennungswunden durch schnelle Reaktion mit systemischer Stabilisierung, Debridement und adäquater Wundantiseptik Defekte zügig zur Deckung und Ausheilung gebracht werden können. Die mikrobiologischen Untersuchungen müssen grundsätzlich aus Gewebeproben durchgeführt werden, da die ursächlichen Erreger meist nicht an der Oberfläche, sondern im Gewebe selber zu finden sind und nur so ein relevantes Antibiogramm erstellt werden kann. Infektionsbedingte unnötige Gewebeverluste müssen in jedem Fall vermieden werden. Alle Eingriffe bedingen den Ersatz von Blut und die Substitution aller heilungsfördernden Komponenten. Eine unkontrollierte Wundheilung und Narbenbildung muss unbedingt vermieden werden, um Folgeeingriffe präventiv zu verhindern oder zu reduzieren. Die infizierte Wunde muss unter allen Umständen verhindert werden. Dafür stehen neben entsprechen Akut- und Operationsmaßnahmen geeignete Antiseptika zur Verfügung. Es muss vermieden werden, dass Unwissen oder Inkompetenz bei Patienten Fehler und Risiken verursachen, die eine unnötige Traumatisierung und Stigmatisierung lebenslang hinterlassen.


Literatur

1.
Bruck J, Müller FE, Steen M. Handbuch der Verbrennungstherapie. Landsberg: Ecomed; 2002.
2.
Kramer A, Müller G, Assadian O. Indikationen und Wirkstoffauswahl zur antiseptischen Therapie sekundär heilender Wunden. GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2006;1(1):Doc32.