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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Madentherapie - Biochirurgisches Debridement unter pflegerischen Aspekten

Nursing aspects and patient management in maggot therapy

Übersichtsarbeit

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GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2006;1(1):Doc07

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/dgkh/2006-1/dgkh000007.shtml

Veröffentlicht: 30. August 2006

© 2006 Nußbaum.
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Zusammenfassung

Die Madentherapie ist eine Möglichkeit, chronische Wunden zu säubern und die Wundheilung anzuregen sowie ggf. eine Besiedlung mit unerwünschten Bakterien wie z.B. MRSA zu eliminieren.

Neben der Beherrschung von Wundbehandlungsprinzipien ist für die Pflege aber auch die Mitarbeiter- und Patientenführung von hoher Bedeutung, da die Akzeptanz einer Madentherapie für den Therapieerfolg von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist.

Abstract

Maggot therapy is a means of cleansing chronic wounds and stimulating wound healing, in addition to eliminating colonization with undesired bacteria, e.g., MRSA.

Aside from expertise in wound-treatment principles, good staff and patient management are very important, since acceptance of maggot therapy is of incalculable importance in treatment success.


Einleitung

Die Madentherapie (synonym auch Wundbehandlung mit Maden, Biochirurgie, Biochirurgisches Debridement oder Biosurgery) ist ein alter, jetzt wiederentdeckter neuer Baustein im Wundmanagement.

Diese Behandlungsart von chronischen Wunden wurde bewusst eingesetzt von

  • Maya-Indianern in Südamerika
  • Aborigines in Australien
  • Baron Dominique Larrey (1829), Chirurg/Feldarzt auf Napoleons Ägypten-Expedition
  • John Forney Zacharias, amerikanischer Chirurg in der Konförderierten Bürgerkriegsarmee
  • William S.Baer, amerikanischer Chirurg (1929) Einsatz auch in der Zivilchirurgie.

Zwischen 1930 bis 1940 war die Madentherapie in mehr als 300 amerikanischen Krankenhäusern etabliert. Es wurde viel publiziert und die Pharmafirma Lederle war das erste Unternehmen, das kommerziell Maden zur Wundbehandlung züchtete. Die Einführung von Sulfonamiden und Penicillin brachte aber letztlich das zwischenzeitliche "Aus" für die Madentherapie. Es gab nur noch sehr wenige Publikationen und sie wurde nur noch als wirklich letzte (exotische) Möglichkeit eingesetzt.

Anfang der 90.Jahre des letzten Jahrhunderts wurde die Madentherapie wieder aufgegriffen, da fehlende Fortschritte in der Wundbehandlung und zunehmende Antibiotikaresistenzen zu Alternativen zwangen. Amerikanische und englische Ärzte waren hier besonders innovativ tätig. Dr. Wim Fleischer, Krankenhaus Bietigheim, ist in Deutschland der Pionier dieser Methode und hat viel zur Etablierung beigetragen.

Für die Akzeptanz einer Madentherapie sind Vorbehalte wie in Abbildung 1 [Abb. 1] und 2 [Abb. 2] symbolisiert von nicht zu unterschätzender Bedeutung!!!

Diese Therapieform bedeutet für den Patienten im wahrsten Sinne eine "hautnahe" Angelegenheit, da Lebewesen seine persönliche "Hülle" aktiv tangieren.

Für Angehörige kann die Madentherapie Ekelgefühle vor dem Partner, Vater, Kind auslösen oder bei nicht guter Information/Aufklärung kann dies als Verwahrlosung/ Versorgungsmängel seitens des Krankenhauses aufgefasst werden.

Ärzte, für die die Therapie von chronischen Wunden meist ein nicht sehr attraktives Betätigungsfeld ist, haben nicht immer ausreichende Informationen über diese Therapiemöglichkeit. Auch in der Pflege besteht oft ein großer Vorbehalt, sich aktiv mit dieser Therapieform zu befassen, da Verbandwechsel mit massiven Ekelgefühlen verbunden sein können. Die Stationsleitungen o. ä. müssen ihre Mitarbeiter schulen, damit Wundbehandlungen und Umgang/Pflege dieser Patienten bejaht werden und die Behandlung erfolgreich durchgeführt werden kann.

Das gleiche gilt für medizinisches Personal in der Physiotherapie, Labor, Röntgen usw.; auch hier muss die Akzeptanz gefördert werden, damit die Patienten nicht mit "spitzen" Fingern angefasst werden.


Eingesetzte Maden und Wirkprinzip der Madentherapie

Fliegen haben eine enorme Artenvielfalt mit weltweit ca. 120.000 und Europaweit ca. 10.000 Arten. Zur Madentherapie werden die Maden (Larven) der Goldfliege (Lucilia sericata), einer Schmeißfliegenart, eingesetzt (Abbildung 3 [Abb. 3]). Sie werden steril gezüchtet, damit z.B. Tetanus-/Gasbrand - Infektionen ausgeschlossen werden. Innerhalb von 3-4 d erreicht die Made von 1-2 mm ihre maximale Größe von 12 mm.

In Deutschland sind diese Maden als Fertigarzneimittel klassifiziert und rezeptierfähig.

Die Made sondert Enzyme ab, die totes/abgestorbenes Gewebe verflüssigen und dieses, aber auch Bakterien, werden als Nahrung aufgenommen. Ein aktives Beißen findet nicht statt!!

Maden verlassen Fleisch/Wunden immer von selbst, da in dieser Umgebung für sie eine Weiterentwicklung nicht möglich ist. Ließe man sie in der Wunde, würden sie absterben. In der Wundtherapie setzt man daher neue "hungrige" Maden ein.

Lucilia sericata ist ein reiner Nekrophage, d.h. sie ernährt sich ausschließlich von abgestorbenem, nicht vitalem Gewebe. Das ist die entscheidende Vorraussetzung dieser Art zum Einsatz in der Wundbehandlung.

Debridement, also das Abtragen/Beseitigen von Nekrosen, ist die Vorraussetzung für eine adäquate Wundbehandlung. Wird dieser Schritt versäumt, wird sie behindert. Nekrosen sind von der Blutversorgung abgekoppelt und nicht für immunkompetente Zellen verfügbar und bilden für Lokaltherapeutika ein mechanisches Hindernis. Für Bakterien sind sie ein idealer Nährboden und können zu Infektionen führen. In Extremfällen kann es zu Multiorganversagen kommen, wenn toxische und immunsuppressive Zerfallsprodukte in den Blutkreislauf gelangen.

Zur Nekrosenbeseitigung gibt es folgende Möglichkeiten:

  • Durch chirurgische Hilfsmittel (Skalpell, Schere) mit dem Nachteil des Risikos des Abtragens oft bis ins vitale Gewebe mit Setzen neuer Wunden
  • durch nekrolytische Agenzien mit dem Nachteil, dass die Nekrose nur angedaut wird ohne bakteriozide Wirkung, verbunden mit dem Risiko der Infektion, und fehlende Granulationsförderung
  • durch biochirurgisches Debridement mit dem Vorteil. dass nur totes Gewebe durch enzymatische Verdauungssekrete der Maden entfernt wird mittels radikaler Verflüssigung der Nekrosen, die als Nahrung aufgenommen werden. Außerdem bestehen antimikrobielle Effekte, besonders bei grampositiven Erregern, z.B. MRSA. Als Nachteil können kleine Kapillarblutungen und Schmerzen (meist aber nur leichtes Kribbeln) induziert werden.

Bei Wunden mit Zugang zur Bauchhöhle, Thorax, Fisteln und AVK ist der Einsatz kontraindiziert.


Durchführung der Madentherapie am Beispiel der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg

Seit 2000 wird die Madentherapie auf der Septischen Station und der Querschnitt-Abteilung bei chronischen, septischen Wunden, Dekubitalgeschwüren und MRSA-Besiedlung von Decubiti/ Wunden eingesetzt. Die Entscheidung wird durch den Arzt in Abstimmung mit der pflegerischen Stationsleitung und mit dem Patienten getroffen, ggf. auch mit der Hgyienefachkraft, z.B. bei Vorliegen von MRSA. Voraussetzung ist die Abklärung der Patientencompliance, da die kostenintensive Therapie nur mit Akzeptanz des Patienten sinnvoll ist! Nach der Aufklärung wird eine schriftliche Patienteninformation ausgehändigt.

Zunehmend besteht aber auch die direkte Nachfrage durch den Patienten, gerade bei Patienten mit langjährigen Problemwunden.

Grundsätzlich vor Beginn der Madentherapie wird folgendes durchgeführt:

  • Wundabstrich
  • Fotodokumentation
  • Klassifizierung der Wunde anhand der Kriterien Größe, Wundbeläge, Wundsekretion, Durchblutung von Wunde und Umgebung, Beurteilung des Wundrands und Umgebungsreaktionen.

Wurde die Wunde vorher mit antiseptischen Präparaten oder mit Fettgazen behandelt, muss sie mit Feuchtverbänden (Ringerlösung) für gut 12 h vorbereitet werden.

Wir bestellen die Maden mit einer Vorlaufzeit von 24 h über unsere Klinikapotheke (Lieferant Biomonde). Die Lieferung kommt als Paket direkt auf die Station. Eine Lagerung ist für bis zu 5 d bei Temperaturen von 7-8 °C möglich, idealerweise sollten die Maden aber sofortig auf die Wunde aufgebracht werden, um das Risiko eines Hungertods zu minimieren.

Der Versand erfolgt als Freiläufer, d.h. Lieferung der Maden in einer Packungseinheit von 100-200 Maden, oder als Biobag, hier sind die Maden in einem Gazebeutel zu 50, 100, 200 oder 300 Maden erhältlich. Mehr als 20 Maden pro cm2 Wunde sollten vermieden werden. Wir arbeiten nur mit Biobags, da für Patienten und Pflege eine höhere Akzeptanz besteht.

Täglich erfolgt eine Wundinspektion (Bag wird angehoben oder aus der Wunde genommen und wieder eingesetzt) und ebenfalls täglich werden die Bags auf Vitalität der Maden geprüft, weil die Maden bei starker Sekretion "ertrinken" können. Ist die Wunde zu trocken, wird dezent Ringer- oder NaCl-Lösung (Kompresse) zugefügt. Deckverbände müssen feucht und luftdurchlässig sein, okklusive Verbände verbieten sich, da Maden Sauerstoff benötigen. Die Wunde ist unbedingt mit Klebeband zu sichern, um "Flüchtlinge" zu verhindern .

Meist ist schon nach der ersten Anwendung eine deutliche positive Veränderung zu sehen. Sobald die Wunde sauber ist, kann die Therapie beendet werden. Bei kleinen Wunden reichen oft 2-3 (zwischen 2-5 Tagen), bei großen Defekten 5-7 Anwendungen. Ist nach wenigen Anwendungen keine Verbesserung oder gar eine Verschlechterung erkennbar bzw. stellen sich starke Schmerzen ein, brechen wir die Therapie ab.

Während der Therapie machen wir eine Verlaufskontrolle mittels Fotodokumentation, Überprüfung der Entzündungsparameter lokal/Temperatur/Labor (Leukozyten, CRP), Kontrolle des Eiweißverlusts (Gesamteiweiß, Eiweißelektrophorese) und der Erregerbesiedlung (1-4 wöchentliche Abstriche). Ebenso wird die Patientenführung wahrgenommen und der Patient nach Schmerzen, Zufriedenheit oder Problemen mit der Therapie befragt bzw. beobachtet. Auch die Mitarbeiterführung wird während der Therapie aktiv umgesetzt.

Die Maden gelten als potentiell kontaminiert und werden als normaler Klinikabfall entsorgt. Die Verbände/Materialien sollten "fluchtsicher" in einem Plastikbeutel verknotet werden.

Ist der erwünschte Wundzustand erreicht, erfolgt die weitere Wundbehandlung mittels Vakuumversieglung, Hauttransplantation, Lappenplastik oder Wundbehandlung mit Hydrogelen/Hydrokolloiden.

Fallbeispiel

  • Patientin, 58 J., Ekthymata mit zahlreichen Ulcera. Fersenulceration mit Einsatz von Biobag mit 100 Maden (Abbildung 4 [Abb. 4])
  • Zustand nach knapp zwei Monaten Madentherapie (Abbildung 5 [Abb. 5])
  • Zustand der Patientin nach insgesamt ca. sieben Monaten Wundbehandlung (Abbildung 6 [Abb. 6])

Fazit

Die Madentherapie ist ein erfolgreicher Baustein im Rahmen einer professionellen Wundtherapie.

Das Pflegepersonal muss sowohl fachlich wie auch psychologisch die Anwendung beherrschen und begleiten.

Für viele Patienten mit chronischen Wunden bedeutet die Therapie wieder eine bessere Lebensqualität z.B. durch bessere Mobilität und/oder Vermeidung von Amputationen.


Literatur

1.
Biomonde Laboratories. Biochirurgie praktisch angewandt, Produkt-/Gebrauchsinformationen.
2.
Seubert M. Biosurgery-Wundbehandlung mit Fliegenmaden. AK-Pflege, DMGP, 6-7.April 2005, Alpach/Tirol.
3.
www.tricks-zur-wundversorgung.de
4.
www.chirurgie-ftm-hoechst.de/chirurgischeklinik/spezialitaeten/wunden.htm