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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Juristische Gesichtspunkte der Wundversorgung und Wundbehandlung

Legal aspects of wound care and treatment

Übersichtsarbeit

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GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2006;1(1):Doc01

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/dgkh/2006-1/dgkh000001.shtml

Veröffentlicht: 30. August 2006

© 2006 Schneider.
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Gliederung

Zusammenfassung

Die Vermeidung von Wundheilungsstörungen beginnt bereits mit vorbeugenden Maßnahmen bei der Diagnosestellung. Die Behandlung späterer problematischer Wunden ist Teil der Behandlungspflege. Die nach wie vor vertikale Arbeitsteilung zwischen Arzt und nicht-ärztlichem Personal kann aufgrund der Anordnungsverantwortung des Arztes einerseits und der Durchführungsverantwortung des nicht-ärztlichen Personals andererseits zu einer für den Patienten gefährdenden Situation führen. Für die Behandlungsseite kann dies haftungsrechtliche Konsequenzen zur Folge haben.

Zur Behebung dieser Mängel werden Lösungsansätze wie beispielsweise die Erarbeitung eines Wundbehandlungsstandards diskutiert.

Schlüsselwörter: Kosten der Maßnahmen für Wundheilungsstörungen, Vermeidung von Wundheilungsstörungen, Wundversorgung als Teil der Behandlungspflege, ärztliche Anordnungsverantwortung, Durchführungsverantwortung des nicht-ärztlichen Personal, Remonstrationsrecht, Qualitäts-/Risikomanagement

Abstract

The avoidance of disturbed wound healing already begins with preventive measures during diagnosis. The treatment of later, problematic wounds is part of treatment care in the responsibility of nurse. A patient-threatening situation can arise from the vertical division of labor between the doctor (responsible for giving orders) and non-doctor personnel (responsible for carrying out doctor's orders). This can result in liabilities for those performing treatment.

In order to eliminate these shortcomings, solutions such as the establishment of wound-treatment standards are discussed.


Text

Problem

Zahlenmäßig stehen Wundinfektionen mit ca. 25% aller nosokomialen Infektionen an 2. Stelle der nosokomialen Infektionen, sind aber für fast 50% der Kosten aller im Krankenhaus erworbenen Infektionen verantwortlich.

Auch wenn nicht alle (postoperativen) Wundinfektionen vermeidbar sind, lassen sich derartige Infektionen jedoch bei Beachtung der Hygieneanforderungen in relativ großer Zahl verhindern.

Vorbeugende Maßnahmen gegen Wundheilungsstörungen

Um möglicherweise später eintretende Wundheilungsstörungen zu vermeiden, sind ärztlicherseits Grunderkrankungen des Patienten, wie beispielsweise Diabetes mellitus, vor einem operativen Eingriff festzustellen und zu behandeln (OLG Hamm, Urteil vom 16.2.1987).

Zu den vorbeugenden Maßnahmen gegen Wundheilungsstörungen zählt zudem das Erkennen eines erhöhten Wundinfektionsrisikos. Aus diesem Grunde stellte das OLG Hamm - sachverständig beraten - fest, dass Operationen in Weichteilschwellungen oder in offene Wunden - von Notfällen abgesehen - zu unterlassen sind (OLG Hamm, Urteil vom 4.5.1987).

Damit zählt auch die Wahl des richtigen Operationszeitpunktes zu den vorbeugenden Maßnahmen gegen Wundheilungsstörungen.

Neben der Wahl des zutreffenden Operationszeitpunktes zählt auch die Wahl des richtigen Zeitpunkts einer postoperativen Wundbehandlung zu den Maßnahmen einer sorgfältigen und sachgerechten Wundversorgung und Wundbehandlung. In zahlreichen Entscheidungen hat die Rechtsprechung - sachverständig beraten - anerkannt, dass bei den ersten Anzeichen einer lokalen Wundinfektion eine Wundinspektion vorzunehmen ist, Wundabstriche zu tätigen sind und die entsprechenden Folgemaßnahmen, wie z.B. eine Antibiotikatherapie, vorzunehmen sind (für viele: OLG Oldenburg, Urteil vom 16.1.1987).

Verantwortlichkeit bei der Wundbehandlung/-versorgung

Die vorgenannten vorbeugenden Maßnahmen sind Teil der Diagnose und fallen damit in den ärztlichen Verantwortungsbereich. Trotz aller vorbeugenden Maßnahmen lässt sich jedoch nicht immer das Auftreten einer problematischen Wunde vermeiden. Bei deren Auftreten zählen auch die Diagnose und Auswahl der Wundtherapiemaßnah-men zum ärztlichen Verantwortungsbereich. Zutreffend wird deshalb z.B. die Wundabdeckung (Anlegung des Verbandes), der Verbandwechsel, die Lagerung und die Dokumentation den ärztlichen Tätigkeiten zugerechnet (Arbeitskreis "Krankenhaushygiene", "Hygienische Anforderungen an das postoperative Wundmanagement", Stand 2004).

Anerkannt ist jedoch ebenso, dass, je nach Umständen des Einzelfalls, im Rahmen der Behandlungspflege Tätigkeiten an qualifiziertes nicht-ärztliches Personal delegiert werden dürfen. In einem derartigen Fall sind die einzelnen ärztlichen Handlungsanweisungen zu dokumentieren. So wird beispielsweise bei einer Wunddrainage das Wechseln von Auffangbehältern durch qualifiziertes nicht-ärztliches Personal unter septischen Kautelen als zulässig erachtet (Arbeitskreis "Krankenhaushygiene", wie vor).

Haftungsrechtliche Aspekte

Für die im Rahmen der haftungsrechtlichen Beurteilung zu stellende Frage nach den Verantwortlichkeiten bei der Behandlungspflege einer problematischen Wunde gilt nach der Rechsprechung Folgendes: Die Therapieentscheidung gehört ebenso wie die ordnungsgemäße Delegation an das nicht-ärztliche Personal in den Verantwortungsbereich des Arztes. Dem Arzt obliegt die sog. Anordnungsverantwortung. Fehler in diesem Bereich führen zu einer (Mit-)Haftung des Arztes.

War die Therapieentscheidung für die Wundbehandlung ebenso ordnungsgemäß wie die Delegation, trägt das nicht-ärztliche Personal die Verantwortung für die sach- und fachgerechte Durchführung der angeordneten Maßnahmen. Dem nicht-ärztlichen Personal obliegt die sog. Durchführungsverantwortung. Unterlaufen dem nicht-ärztlichen Personal hierbei nicht vertretbare Fehler, haftet diejenige Person, auf die die Wundbehandlungsmaßnahmen delegiert wurden, gegebenenfalls persönlich. Einschränkend gilt allerdings, dass z.B. die Delegation eines Verbandwechsels an das Pflegepersonal bei erkennbar erhöhtem Infektionsrisiko des Patienten unzulässig ist (OLG Köln, Urteil vom 18.12.1995). Die Feststellung eines erhöhten Infektionsrisikos fällt in der Regel in den Verantwortungsbereich des Arztes. Seiner Verpflichtung kommt er durch eine tägliche Kontrolle der Wunde sowie der entsprechenden Dokumentation des jeweiligen Wundstatus nach.

Widerspruchsrecht des nicht-ärztlichen Personals

Sowohl im Krankenhaus wie auch in Alten- und Pflegeheimen ist problematisch, inwieweit das angewiesene nicht-ärztliche Personal der Delegation widersprechen kann (Remonstrationsrecht). Grundsätzlich gilt das Rechtsprinzip, dass die handelnde Pflegeperson Anordnungen, deren Ausführung - für sie erkennbar - den Strafgesetzen zuwiderlaufen würde, nicht zu befolgen hat (im öffentlichen Dienst § 8 BAT). Handelt die Pflegekraft gegen ihr besseres Wissen, kann sie neben dem Arzt haftungsrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn die angeordnete - fehlerhafte - Wundbehandlung zur Schädigung des Patienten führt.

Eine Haftung der handelnden Pflegeperson ist auch dann nicht auszuschließen, wenn sie delegierte Aufgaben im Bereich der Wundbehandlung übernimmt, zu der sie sich - objektiv betrachtet - nicht in der Lage fühlt. Übernimmt sie dennoch eine derartige angeordnete Maßnahme, kann sie wegen eines sog. Übernahmeverschuldens haftungsrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Um dies zu vermeiden, sollte sie in jedem Falle von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen. Nicht verkannt werden darf dabei allerdings die arbeitsrechtliche Beurteilung. Im Fall einer arbeitgeberseitigen Reaktion auf die Handlungsverweigerung (Abmahnung, Kündigung) muss die Pflegekraft nachweisen, dass die Anordnung der Wundbehandlung fehlerhaft bzw. ihr ein Tätigwerden aus objektiven Gründen nicht zumutbar war.

Auch das novellierte Ausbildungsgesetz der Gesundheits- und Krankenpflege (KrPflG) schafft in diesem Zusammenhang keine eindeutige Regelung, wie wohl der Eigenständigkeit der Pflege gemäß § 3 KrPflG einen größeren Spielraum in Abgrenzung zum ärztlichen Anordnungsgebot einzuräumen scheint.

Vorschläge für Verbesserungsmaßnahmen

Zur Verbesserung der Situation beim Wundmanagement wird zum Teil auf die Notwendigkeit eines - bislang nicht existierenden - Wundbehandlungsstandards hingewiesen. Dabei wird allerdings eingeräumt, dass ein positiver Behandlungsstandard wohl kaum zu erreichen sei. Diese Auffassung unterstreicht ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm, in dem es um die richtige Wahl einer Wundreinigungsmethode im konkreten Fall ging. Sachverständig beraten stellt das Gericht fest, dass eine Wundreinigung mit Wasserstoffsperoxid grundsätzlich als behandlungsadäquat angesehen wird, diese jedoch im konkreten Fall nicht zur Anwendung kommen durfte (OLG Hamm, Urteil vom 28.10.2002). Diese Entscheidung zeigt die Problematik eines sog. positiven Behandlungsstandards.

Ähnliches gilt für den Vorschlag eines sog. Negativkatalogs, wonach eine Liste diejenigen Methoden aufzeigen soll, die nicht mehr dem aktuellen Wundbehandlungs-standard entsprechen.

Abgesehen von einem - evtl. zukünftigen - existierenden Wundbehandlungsstandard scheint die Kooperation und Kommunikation auf der Behandlungsseite bei vertikaler Arbeitsteilung zwischen Ärzten und nicht-ärztlichem Personal im Rahmen eines Qualitäts- /Risikomanagements derzeit am erfolgsversprechenden zu sein. Hierbei sollten bislang existierende Empfehlungen z.B. des Robert-Koch-Instituts, des Arbeitskreises "Krankenhaushygiene" der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) wie auch nicht zuletzt des Standards zur Dekubitusprophylaxe des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Berücksichtigung finden.