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1st Symposium of Information and Communication Technologies in Emergency Medicine

12.06. - 13.06.2012, Rauischholzhausen

Stroke Angel: Evaluation und Verbesserung der präklinisch-klinischen Schnittstelle mit telemedizinischer Unterstützung

Stroke Angel: Evaluation and improvement of the preclinical and clinical interface with telemedical support

Kongressbeitrag

1. Symposium ICT in der Notfallmedizin. Rauischholzhausen, 12.-13.06.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12notit12

doi: 10.3205/12notit12, urn:nbn:de:0183-12notit120

Published: June 11, 2012

© 2012 Ziegler et al.
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Abstract

In case of stroke there is no time to lose. Patients with symptoms of stroke need to be transported to the next qualified hospital – a stroke unit – as fast as possible. First aiders, paramedics, emergency physicians and clinic doctors have to work closely together to manage these emergency processes. Stroke Angel, a telemedicine approach, has shown how a mobile information system can optimize processes in the chain of survival and improve stroke care. The Stroke Angel system consists of a Handheld-PC connected to a patient card reader that communicates with a mobile phone via Bluetooth. Paramedics use Stroke Angel along with conventional medical devices, such as electrocardiographs. The card reader records the patient’s personal and insurance data. The Stroke Angel device supports stroke diagnosis with the help of a structured checklist: the paramedic checks and enters various indicators of neurological problems, such as delayed speech or movement, guided by the system. Then, the paramedic can send this checklist and the emergency protocol to the hospital via GPRS/ UMTS. Secure Sockets Layer (SSL) encryption secures data transmission via both client and server authentication. When the new patient data arrives at the hospital, the Stroke Angel server triggers an alert, which lets clinicians prepare for stroke treatment while the patient is still on route. The system automatically files a new electronic patient record in the hospital information system on the basis of the incoming Stroke Angel patient data and after confirmation by reception. Although the preclinical time has not taken a significant change, the intersectional information transfer induces a reduction of around 50 % within clinical time. Meanwhile, the Cardio Angel has been developed. Similar to Stroke Angel, the EMS uses Cardio Angel to enter patients’ data in case of a heart attack and sends this data to the next correct hospital (with cardiac catheter laboratory).

Keywords: stroke, telemedicine, Stroke Angel, preclinical/clinical interface, preclinical process, quality management


Text

1. Einleitung

Beim ischämischen Schlaganfall besteht ein sehr enges therapeutisches Zeitfenster, in dem eine kausale Therapie, die Wiedereröffnung des verschlossenen Hirngefäßes, erfolgen kann. Daher ist jeder Schlaganfall ein zeitkritischer Notfall. Der Grundgedanke von Stroke Angel ist, Rettungsdienst und Klinik mit Hilfe von Telemedizin stärker zu vernetzen, den Rettungsprozess in der Schlaganfallversorgung zu beschleunigen und damit die präklinisch-klinische Schnittstelle zu verbessern.

Durch die Unterstützung mit mobiler Datenerfassung wird der präklinische und klinische Versorgungsprozess erfasst, so dass eine Auswertung, Bewertung und damit auch die Ableitung von Optimierungsprozessen ermöglicht wird. Ziel ist, die präklinischen und klinischen Schritte abzubilden, Definitionen der Messgrößen und Kennzahlen vorzunehmen, so dass der gesamte Versorgungsprozess von der Alarmierung bis zur Therapieeinleitung bewertet werden kann. Aus diesen Erkenntnissen können Vorschläge zur Verbesserung der präklinisch-klinischen Schnittstelle abgeleitet werden.

2. Fragestellung

Kann durch Einsatz telemedizinischer Unterstützung die präklinische und akute klinische Schlaganfallversorgung gemessen und bewertet werden? Welche Verbesserungspotentiale werden gefunden? Können Messgrößen und Kennzahlen abgeleitet werden?

3. Methoden

Das Stroke Angel-System besteht aus Handheld-PCs (ANGELpads), die auf dem Rettungsmittel mitgeführt werden, sowie einem Empfänger-Rechner (ANGELtracker) in der Klinik. Dahinter steht eine System-Architektur, die den Vorgaben des Datenschutzes entspricht. Die Datenübertragung erfolgt über Mobilfunk (GPRS/UMTS) an die Zielklinik. Wichtige personenbezogene Daten werden direkt in das Krankenhausinformationssystem (KIS) übernommen. Die gesendeten Daten werden in einem Datawarehouse (ANGELjournal) erfasst und die fehlenden präklinischen sowie die klinischen Prozessdaten ergänzt. Ein Follow-Up wurde etabliert, so dass aktuell 3-Monatsdaten zum klinischen Outcome zur Verfügung stehen, 1-Jahresdaten sind geplant.

Damit ein weitgehend einheitlicher Wissenstand besteht, erfolgen regelmäßige Schulungen. Zusätzlich wird einmal jährlich ein Workshop mit allen Beteiligten durchgeführt, in dem die Ergebnisse des letzten Jahres präsentiert werden. Außerdem werden Fortschritte und zukünftige Entwicklungen vorgestellt.

4. Ergebnisse

Aus den Erfahrungen der Stroke Angel-Initiative wurden Messpunkte und Kenngrößen definiert, die auch erfolgreich publiziert werden konnten. Es wurde mit Stroke Angel ein Prozess zur Qualitätssicherung im Sinne des PDCA-Zyklus eingeführt. Durch die konsequente Datenerfassung, Auswertung und Anpassung vor allem der klinischen Abläufe wurden die Prozesszeiten dauerhaft erheblich verbessert (s. Tabelle 1 [Tab. 1]). Der größte Zeitgewinn wurde durch die Optimierung der innerklinischen Radiologie-Prozesse 2006 erreicht. Durch die Übertragung der voraussichtlichen Ankunftszeit mit dem Symptombild konnte der CT-Auftrag im RIS (Radiologie-Informations-System) vor Ankunft erfolgen und die CT-Zeiten verkürzt werden. Weitere Zeitersparnis wurde durch die zunehmende Erfahrung in der Lysetherapie und der damit möglichen Standardisierung der Diagnostik und Pflegemaßnahmen vor Lyse erreicht werden.

Die präklinische Rettungsdienstzeit hat sich im Mittelwert (Median) seit der Einführung 2006 von 58 (56) Minuten auf 52 (50) Minuten verkürzt. Dies unter einer Ausweitung des Einsatzgebietes von Stroke Angel, so dass auch ein positiver Effekt auf die präklinische Zeit zu unterstellen ist. Innerklinisch konnte die Door-to-CT im Jahr 2005 vor Stroke Angel von 59 (34) Minuten auf 15 (11) Minuten verkürzt werden, die Door-to-Lyse von 61 Minuten auf 38 (35) Minuten. Durch die im Rahmen der Stroke Angel-Initiative durchgeführten Prozessverbesserungen profitieren auch die Patienten, die nicht über Stroke Angel aufgenommen wurden (s. Abbildung 1 [Abb. 1]). Stroke Angel ist das organisatorische Handwerkszeug um Daten zu erfassen und Prozesse zu optimieren. Durch die Nutzung von Stroke Angel werden die Abläufe standardisiert, so dass weniger Ausreißer auftreten und die Prozesse dauerhaft gleich gut angewendet werden.

Nach Erreichen einer ausreichenden Systemstabilität wurde das System auf weitere Standorte ausgerollt. Hierbei wurden eine standardisierte Behandlungsstrategie, Datenschutzkonzepte und eine flexibel gestaltete Systemarchitektur, die an die jeweiligen örtlichen Begebenheiten angepasst werden kann, eingerichtet. Diese Grundstruktur trägt sich und ist hilfreich für die Implementierung vor Ort. Außerdem erfolgt eine einheitliche Datensammlung mit vergleichbarer Auswertung.

Das Angel-System hat seine Funktionalität bewiesen und wurde zwischenzeitlich auf ein weiteres zeitkritisches Krankheitsbild, der Herzinfarkt, ausgeweitet, dem sogenannten Cardio Angel. Das Trauma ist als weitere Indikation in Entwicklung. Aufgrund der hohen Anfrage soll ein allgemeines Voranmeldesystem entwickelt werden, damit auch weitere Kliniken angebunden werden können.

5. Diskussion & Ausblick

Beim Roll-out in andere Regionen bzw. Bundesländer müssen die jeweils bestehenden Strukturen beachtet werden. Dies beginnt bei unterschiedlichen Hilfsorganisationen, die den jeweiligen Rettungsdienst anbieten. Auch sind die Gegebenheiten vor Ort zu beachten. Gibt es eine oder mehrere Zielkliniken, wie viele verschiedene Anbieter sind vor Ort oder wie hoch ist die Motivation der Mitarbeiter für Neuerungen sind jeweils individuell zu klärende Fragen. Hierfür wurde ein modular konfigurierbares Angebotssystem entwickelt, so dass auch auf die Gegebenheiten jeder Region individuell eingegangen werden kann.

Aufgrund der Erfahrungen mit der Pilotphase und dem Übergang in den Regelbetrieb hat sich gezeigt, dass wir mit der Datensammlung, -auswertung und anschließenden Bewertung ein Instrument des Qualitätsmanagements einführen konnten. Diese Kenntnisse konnten in einer Publikation [1] zusammengefasst werden. Damit soll die Basis für eine vergleichbare Datenerfassung in der präklinische-klinischen Schnittstelle der Schlaganfallversorgung geschaffen werden. Ein weiteres Ziel ist den häufig nicht bekannten PDCA-Zyklus des Qualitätsmanagement in die Versorgungskette einzuführen und damit auch eine Verbesserung der Prozesse zu erreichen. Bisher traten nur vereinzelt Widerstände diesbezüglich auf. Befürchtungen, dass die Beteiligten eine Angst vor Überwachung ihrer Tätigkeit bzw. eine Kontrolle empfinden, traten nicht ein bzw. konnten durch eine initiale ausführliche Schulung, Darlegung der Systemansätze und Aufzeigen von Erfolgen aus der eigenen Region vermieden werden. Vielmehr wird die Initiative in neuen Regionen positiv von allen Seiten bewertet.

Die Erfahrungen der letzten Jahre an mehreren Standorten – verteilt auf vier Bundesländer – haben aber auch gezeigt, dass die bisherigen Strukturen im Gesundheitswesen für solche innovative Kommunikationssysteme nicht ausgelegt sind:

  • Technisch: Für die Integration der Datenkommunikation in die bestehende Rettungsdienst- und Krankenhausinfrastruktur waren zahlreiche Schnittstellenimplementierungen, u.a. zu Medizintechnik im Rettungswagen, zu Leitstellensystemen, zum Krankenhausinformationssystem und zur Rufanlage im Krankenhaus notwendig.
  • Ökonomisch: Problematisch ist auch die Finanzierung der Hard- und Software. Die Investition ist von Rettungsdienst und Klinik gemeinsam zu stemmen, wobei der höhere Anteil beim Rettungsdienst liegt. Dies steht im Widerspruch, dass das System vor allem die Prozesse in der Klinik verbessert und die Prozesse im Rettungsdienst unverändert lässt. Es hat sich gezeigt, dass für den Rettungsdienst die Investition sich erst rentiert, wenn zusätzlich zum Stroke Angel/Cardio Angel auch die mobile Dokumentation mit Anbindung an die Faktura ermöglicht wird. In den bayerischen Standorten war beispielsweise schon die mobile Dokumentation vorhanden, so dass nur eine Aufrüstung notwendig war. An anderen Standorten wurde im Zuge der Einführung von Stroke Angel auch die mobile Dokumentation im Rettungsdienst realisiert. Eine direkte Finanzierung über die Kostenträger ist bislang nicht vorhanden. Deshalb muss bisher an jedem Standort diese Frage mit allen Beteiligten individuell geregelt werden. Eine einheitliche Regelung wäre wünschenswert, aber ist bisher noch nicht in Sicht.

Systemunterstützung der präklinisch-klinischen Schnittstelle ist nach wie vor selten und liegt außer bei Stroke Angel/Cardio Angel sonst nur in einzelnen Pilotprojekten vor. Das Projekt TemRas in Aachen unterstützt telemedizinisch den Notarzt oder Rettungsdienst vor Ort durch einen erfahrenen Notarzt in der Rettungsleitstelle [2]. STEMO (Stroke Einsatz Mobil) in Berlin fährt bei Verdacht auf Schlaganfall mit einem CT und Neurologen im Rettungswagen zum Notfallort und verkürzt somit die präklinische Zeit bis zur Therapieeinleitung [3].

Das Trauma-Netzwerk Nord-West nutzt Mobiltelefone zur Voranmeldung und Bettenkapazitätsabfrage im Raum Münster. So werden über einen zentralen Rechner die polytraumatisierten Patienten entsprechend ihrer notwendigen Versorgungsstufen und den vorhandenen Ressourcen der beteiligten Kliniken am Unfallort zugeordnet, so dass unnötige Sekundärverlegungen weitgehend vermieden werden sollen [4].

Einen ähnlichen Ansatz wie Stroke Angel für den Schlaganfall ist die EKG-Übertragung beim Herzinfarkt [5]. Hierbei soll durch die prähospitale Ableitung eines 12-Kanal-EKG die Diagnose eines ST-Hebungs-Infarkts gesichert werden, so dass die Zuweisung des Herzinfarktpatienten in eine Klinik mit Herzkatheterbereitschaft erfolgt und der Umweg über die Notaufnahme durch Direktverlegung ins Katheterlabor Zeit bis zur Wiedereröffnung des verschlossenen Gefäßes eingespart werden soll. Es werden ebenfalls Patientendaten direkt in die Klinik zur Mitbeurteilung gesendet und somit die klinischen Prozesse vor Erreichen des Patienten in der Klinik angeschoben.

Die zuletzt genannten Beispiele beziehen sich immer wieder auf die wesentlichen drei Treacerdiagnosen im Rettungsdienst (Herzinfarkt, Trauma und Schlaganfall). Ziel müsste nun sein, diese Ansätze zu kombinieren, um möglichst eine hohe Effizienz der präklinisch-klinischen telemedizinischen Kommunikation zu erreichen. Dieser Ansatz wird aktuell durch die Angel-Systeme verfolgt.

6. Fazit

Wir sind auf einem guten Weg: Der Pilotbetrieb konnte erfolgreich in den Regelbetrieb überführt und an mehreren Standorten implementiert werden. Für die Sicherstellung der Effizienz war es notwendig, den Ansatz an allen Standorten zu standardisieren und individuelle Merkmale so weit wie möglich zu reduzieren. Mit jedem weiteren Standort werden weitere Erfahrungen gesammelt und die Standardisierung wird über alle Standorte vorangebracht werden. Die Übertragung auf weitere Krankheitsbilder ist mit dem Cardio-Angel gelungen, weitere Entwicklungen, wie Trauma-Angel und ein Voranmelde-Angel, sind in Planung.

7. Danksagung

Stroke Angel wurde gefördert durch die BMBF-Projekte PerCoMed, Pervasive Computing in der Medizin (Förderkennzeichen 16I1546) sowie Inspire, Improving Service Productivity in Healthcare, Qualität und Produktivität von Gesundheitsdienstleistungen IT-gestützt steigern und gestalten (Fördernummer: 01 FL 100), durch die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe und der Firma Boehringer Ingelheim.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass das Projekt von der Firma Boehringer Ingelheim gefördert wurde.


Literatur

1.
Ziegler V, Rashid A, Schaff M, Kippnich U, Griewing B. Qualitätsmanagement in der akuten Schlaganfallversorgung: Wie kann man die präklinisch-klinische Schnittstelle beim Schlaganfall bewerten und verbessern? Akt Neurol. 2012;39:192-200.
2.
Bergrath S, Rörtgen D, Rossaint R, Beckers SK, Fischermann H, Brokmann JCh, Czaplik M, Felzen M, Schneiders MT, Skorning M. Technical and organisational feasibility of a multifunctional telemedicine system in an emergency medical service - an observational study. J Telemed Telecare. 2011;17:371-7. DOI: 10.1258/jtt.2011.110203 External link
3.
STEMO-Projekt. http://www.schlaganfallforschung.de/projekt.html. Zugriff am 15.05.2012. External link
4.
Spitzer M, Verst H, Juhra C, Ueckert F. Trauma Network North-West – Improving Holistic Care for Trauma Patients by Means of Internet and Mobile Technologies. Stud Health Technol Inform. 2009;150:371-5.
5.
Scholz KH, Hilgers R, Ahlersmann D, Duwald H, Nitsche R, von Knobelsdorff G, Volger B, Möller K, Keating FK. Contact-to-balloon time and door-to-balloon time after initiation of a formalized data feedback in patients with acute ST-elevation myocardial infarction. Am J Cardiol. 2008 Jan 1;101(1):46-52. DOI: 10.1016/j.amjcard.2007.07.078 External link