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Ethische Motive bei der Entscheidungsfindung von Patient*innen im Rahmen einer Beteiligung in Datenregistern. Erste Ergebnisse einer Interviewstudie mit Mitgliedern von Patientenorganisationen
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Published: | September 15, 2023 |
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Einleitung: Patient*innenorganisationen (PO) sind zunehmend an der Entwicklung von digitalen Gesundheitstechnologien beteiligt [1]. So initiieren PO digitale Patient*innenregister, um die immer mehr datengetriebene medizinische Forschung voranzutreiben und mehr Einfluss auf ihre Gestaltung zu nehmen. In der Wissenschaft werden seit längerer Zeit die Rolle von Solidarität, Privatheit, Vertraulichkeit, Informed Consent sowie der Nutzen für die Forschung als wichtige ethischen Motive und Anliegen für Partizipation in Datenregistern oder -banken hervorgehoben (z.B. [2]). Jedoch ist nach wie vor unklar, welche ethischen Motivationen Patient*innen selbst haben, sich für oder gegen die Abgabe ihrer hochsensiblen, medizinischen Daten in digitales Register zu entscheiden.
Methodik: Welche ethischen Motivationen nutzen Patient*innen bei der Entscheidung für oder gegen die Abgabe ihrer medizinischen Daten in ein digitales Datenregister? Auf Basis eines empirisch-ethischen Forschungsansatz wurden 13 semi-strukturierte Telefoninterviews (Länge: 35-70 Minuten) mit Mitgliedern von zwei PO, die eine chronische Krankheit vertreten, durchgeführt, die ein digitales Datenregister führen. Das Material wurde anschließend inhaltsanalytisch ausgewertet [3].
Ergebnisse: Erste vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass Solidarität, verstanden als eine reziproke Haltung mit der Bezugsgruppe, die Hauptmotivation zur Datenabgabe ist. Zudem zeigt sich, dass altruistische Aspekte, etwa das Fehlen einer Erwartung oder Haltung der Reziprozität in der Abgabe der Daten, Teil dieser Motivation sind. Es konnte kein Unterschied im Hinblick auf den Nutzungszweck beobachtet werden: Sowohl die Verbesserung der Versorgung als auch die Gewinnung neuer Forschungserkenntnisse werden von den Teilnehmenden als Grund für Datenabgabe genannt. Des Weiteren ist interessant, dass die Ergebnisse auf eine niedrige Relevanz der Datensicherheit für die Befragten verweisen. Obwohl alle Teilnehmenden diese angesprochen haben, wurde die Datensicherheit des Registers nicht hinterfragt und stellte in der Reflexion kaum ein relevantes Thema dar, ihre Daten im Register abzugeben. Es zeigt sich, dass das Vertrauen in die PO, die das Register verwaltet, sehr hoch ist. Ein tentativer Zusammenhang zwischen diesem Vertrauen und einer Entlassung der eigenen Datensouveränität lässt sich der Bereitschaft zur Datenabgabe verzeichnen.
Diskussion: Die Ergebnisse unserer explorativen Studie geben einen spannenden Einblick in die Motivation von Patient*innen, ihre Daten dem PO Register zu spenden. Altruismus sowie eine niedrige Relevanz bezüglich Datensicherheit sind hervorzuheben. Limitierender Faktor dieser Interviewstudie ist, dass nur Patient*innen einbezogen wurde, deren PO ein eigenes Datenregister betreibt. Hier stellt sich die Frage, wie ob es Unterschiede in der Motivation Akteuren im Gesundheitswesen gibt, die auch über eigene Datenregister verfügen. Außerdem wurde die Interviewstudie mit chronisch-kranken Patienten*innen von PO durchgeführt. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Ergebnisse zur Motivation und einer Datenspende sowie der Vernachlässigung der eigenen Datensouveränität bei anderen Gruppen, z.B. nicht-chronisch Erkrankte, ähnlich ausfallen würden.
Schlussfolgerung: Ein Überblick über die ethischen Motivationen von Patient*innen bei der Weitergabe ihrer medizinischen Daten kann genutzt werden, um den Stellenwert von Datensouveränität und Datensicherheit neu zu reflektieren. Zudem verweisen die Ergebnisse darauf, dass PO eine stärkere Rolle bei der Entwicklung von Forschungsschwerpunkten spielen sowie als wichtiger Partner für medizinische Forschung gesehen werden sollte.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
Literatur
- 1.
- Raz A, Jordan I, Schicktanz S. Exploring the Positions of German and Israeli Patient Organizations in the Bioethical Context of End-of-Life Policies. Health Care Anal. 2014;22: 143-159.
- 2.
- Jungkunz M, Köngeter A, Mehlis K, Spitz M, Wickler EC, Schickhardt C. Haben Patient*innen die moralische Pflicht, ihre klinischen Daten für Forschung bereitzustellen? Eine kritische Prüfung möglicher Gründe. Ethik Med. 2022;34: 195-220.
- 3.
- Kuckartz U, Rädiker S. Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. 5. Aufl. Weinheim, Basel: Beltz Juventa; 2022.