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Im Focus: Der Broad Consent der Medizininformatik-Initiative im wissenschaftlichen Diskurs
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Published: | September 15, 2023 |
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Einleitung: Die Medizininformatik-Initiative (MII) ist das größte und wichtigste Projekt der Medizininformatik in Deutschland. Aus Sicht der Ethik, des Rechts und des Datenschutzes spielt die breite Einwilligung (der MII-Broad Consent – im Folgenden „MII-BC“) eine ganz zentrale Rolle für die Umsetzung und Implementierung des Ziels der MII, Behandlungsdaten von Patienten lokal in Zentren (MeDIcs) zu sammeln und für die vernetzte Forschung zur Verfügung zu stellen. Die MII hat es daher als einen wichtigen Schritt verbucht, als nach einem langwierigen Ausarbeitungsprozess mit umfangreichen Konsentierungsrunden im Jahr 2020 die Datenschutzkonferenz die Datenschutzkonformität des MII-BC (mit dem Biomaterial-Erweiterungsmodul) bestätigt hat [1].
In der wissenschaftlichen Literatur, insbesondere der rechtwissenschaftlichen und ethischen, wurde der MII-BC aufgrund seiner bundesweiten Bedeutung und seiner Bestätigung durch die Datenschutzkonferenz mit großem Interesse wahrgenommen und teilweise rezipiert. Dabei gab es auch kritische Stimmen, z.T. bis hin zur Zurückweisung seiner Datenschutzkonformität.
Das Anliegen unseres Forschungsprojekts und Vortrags ist es, die Wahrnehmungen und Bewertungen des MII-BC im wissenschaftlichen Diskurs sowie die geäußerten Kritiken systematisch zu erfassen und einzuordnen: Wie wurde der MII-BC im wissenschaftlichen Diskurs wahrgenommen und bewertet? Was folgt aus den Kritiken für die Praxis? Bedenkt man, dass der MII-BC seit etwa zwei Jahren zunehmend intensiv und breit an fast allen deutschen Universitätskliniken ausgerollt und implementiert wird, so ist besonders betrachtungswürdig, welche Folgerungen sich für die Verwendung und Implementierung des MII-BC ergeben.
Methodik: Wir führen einen methodischen Literaturreview auf den Gebieten Recht, Datenschutz und Ethik durch, um alle wissenschaftlichen Artikel zu finden, in denen der MII-BC in einem bewertenden Zusammenhang erwähnt wird. Die entsprechenden Passagen mit ihren Einordnungen und Wertungen werden extrahiert und nach Fachgebieten und nach inhaltlichen Punkten geordnet.
Ergebnisse: Es gibt bisher ca. zehn wissenschaftliche Publikationen in Fachzeitschriften, in denen normativ-wertend auf den MII-Broad Consent eingegangen wird. Es überwiegen bisher rechtswissenschaftliche Publikationen. Verschiedene Wertungen werden vorgenommen. Manche sehen den MII-BC zwar nicht als formalrechtliche Einwilligung, aber als eine wichtige Komponente einer Forschung auf Basis einer gesetzlichen Klausel [2]. Andere sprechen dem MII-BC seine Gesetzeskonformität ganz ab [3]. Rechtssicherheit wird nicht attestiert. Aus rechtspolitischer und rechtsethischer Perspektive wird der MII-BC jedoch teils auch als nicht weitgehend genug betrachtet, so dass in Richtung einer gesetzlichen Opt-Out-Lösung argumentiert wird [4].
Diskussion: Die Kritiken und Wertungen werden ihrerseits kurz eingeordnet. Einerseits mit Bezug auf die Rechtfertigung des MII-BC durch die AG Consent der MII, und im Lichte der gegenwärtig geführten MII-internen Debatten um verschieden Praxis-Modelle der Implementierung des MII-BC. Andererseits aber auch anhand eines Ausblicks und Vergleichs mit dem von der EU-Kommission geplanten Europäischer Raum für Gesundheitsdaten (EHDS) [5].
Schlussfolgerung: Der MII-BC hat viel wissenschaftliche Aufmerksamkeit erregt. An ihm kristallisieren sich unterschiedliche rechtliche, ethische und politische Positionen und Haltungen heraus. Für die MII und alle Anwender entstehen somit spezielle Unsicherheiten und Herausforderungen, auf die sie im Rahmen ihrer Ressourcen und Fähigkeiten ethisch, rechtlich, mit Blick auf die Governance und politisch reagieren müssen. Vermehrt wird aber auch auf mögliche neue Gesetzgebung verwiesen.
Die Autoren C. Schickhardt, J. Schweer und E. C. Winkler sind in die Medizininformatik-Initiative (MII) und in die AG Consent der MII involviert und erhalten in diesem Rahmen auch Drittmittel.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.
Literatur
- 1.
- Zenker S, Strech D, Ihrig K, Jahns R, Müller G, Schickhardt C, Schmidt G, Speer R, Winkler EC, Graf von Kielmannsegg S, Drepper J. Data protection-compliant broad consent for secondary use of health care data and human biosamples for (bio)medical research: towards a new German national standard. Journal of Biomedical Informatics. 2022;131:104096.
- 2.
- Spitz M, Cornelius K. Einwilligung und gesetzliche Forschungsklausel als Rechtsgrundlagen für die Sekundärnutzung klinischer Datenzu Forschungszwecken. MedR. 2022;40:191–198.
- 3.
- Fröhlich W, Spiecker I. Die breite Einwilligung (Broad Consent) in die Datenverarbeitung zu medizinischen Forschungszwecken – der aktuelle Irrweg der MII. GesR. 2022;6:346–353.
- 4.
- Hofmann S. Forschungsklausel statt Broad Consent. Datenschutz Datensich. 2022;46:756–761.
- 5.
- Gassner U. Forschung und Innovation im europäischen Gesundheitsdatenraum. Datenschutz Datensich. 2022;46:739–746.