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Administrative Prävalenz und Inzidenz der ADHS – Diagnosedefinition, Validierung und Versorgung
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Published: | August 19, 2022 |
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Einleitung: Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der am häufigsten diagnostizierten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Im Zeitverlauf wurden steigende administrative Prävalenzzahlen für ADHS-Diagnosen aus Abrechnungsdaten für Krankenkassen berichtet, während epidemiologische Studien gleichbleibende, zuletzt sogar sinkende Prävalenzen berichteten. Diese Entwicklungen deuten auf eine mögliche Überdiagnostik hin, welche für betroffene Kinder und Jugendliche von großer Bedeutung sein kann, da mit der ADHS-Diagnose verbundenen Stigmatisierungen im Schul- und Ausbildungsumfeld zu langfristigen Benachteiligungen führen können. Daher ist die zusätzliche Berücksichtigung aussagekräftiger Faktoren wie der Inanspruchnahme ADHS-relevanter therapeutischer Maßnahmen oder dokumentierter Komorbiditäten notwendig, um ein möglichst differenziertes Bild der Epidemiologie der ADHS ableiten zu können.
Methodik: Basierend auf einem Datensatz, der die bundesweiten Abrechnungsdaten aller Versicherten der DAK-Gesundheit im Alter zwischen 3 und 17 Jahren für die Jahre 2018 (n=555.339), 2019 (n=613.111) und 2020 (n=630.574) umfasst, werden die administrative Prävalenz und Inzidenz der ADHS nach unterschiedliche Aufgriffkriterien differenziert nach Alter und Geschlecht ermittelt. Die ADHS-Inzidenz wird abweichend für die Jahre 2019 und 2020 berichtet, da jeweils das vorangegangene Beobachtungsjahr zur Validierung einer inzidenten Diagnose herangezogen wird. Die ADHS-Erstdiagnosen werden über verschiedene Facharztgruppen stratifiziert betrachtet und die Diagnosevalidität anhand von Bestätigungsraten der Erstdiagnosen analysiert. Bei der Untersuchung der Behandlungspfade steht die Analyse der Verbreitung verschiedener Therapieansätze (pharmakotherapeutisch, psychotherapeutisch, multimodal) im Vordergrund. Außerdem sollen potenzielle Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Versorgungsstrukturen untersucht werden. Weiterhin werden die Prävalenzen von komorbiden Störungen bei ADHS analysiert.
Ergebnisse: Analysen auf Basis von Abrechnungsdaten der DAK-Gesundheit zeigen, dass die administrative ADHS-Prävalenz (der Aufgriff erfolgt über mindestens eine dokumentierten Diagnose ICD-10 F.90 (M1Q) im stationären oder ambulanten Sektor im jeweils untersuchten Jahr) bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren im Jahr 2018 bei 4,82% (95%-CI: 4,76% bis 4,87%), im Jahr 2019 bei 4,90% (95%-CI: 4,85% bis 4,96%) und im Folgejahr 2020 bei 4,78% (95%-CI:4,72% bis 4,83%) lag. Die Erstdiagnosestellung im Jahr 2020 erfolgte primär über Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin (60%), Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (28%) und Hausärzte (12%). Insgesamt wurden 46% der Erstdiagnosen durch weitere Diagnosestellungen in Folgequartalen validiert, wobei insbesondere auf Erstdiagnosestellungen von Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (61%) und psychologischen Psychotherapeuten (59%) Folgediagnosen folgten. Die Validierungsraten sind hingegen niedriger für Erstdiagnosen, welche durch Hausärzte (46%) und Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin (41%) gestellt wurden. Für die Prävalenzkohorte war im Jahr 2020 wiederum ein höherer Anteil von Kindern und Jugendlichen zu beobachten, die wenigstens in noch einem weiteren Quartal aufgrund ihrer ADHS-Diagnose behandelt wurden (73%). Weitere Analysen anhand alternativer Aufgriffstrategien (u.a. M2Q ICD-10 F.90) sowie zu den Behandlungspfaden von Kindern und Jugendlichen werden im Rahmen der Posterpräsentation vorgestellt und diskutiert.
Diskussion und Schlussfolgerungen: Die vorliegenden Analysen geben einen Überblick über die aktuelle administrative ADHS Prävalenz und Inzidenz und können als Grundlage für Vergleiche entsprechender Kennzahlen aus anderen Datenquellen wie beispielsweise klinischer Studien dienen. In der Bewertung epidemiologischer Fallzahlen, welche auf Basis administrativer Daten ermittelt werden, sind Unterschiede in Folge verschiedener Falldefinitionen (erfolgt der Aufgriff nur über ICD-10 F.90 oder wird auch die Diagnose ICD-10 F. 98.80 berücksichtigt) und Aufgriffstrategien zu berücksichtigen.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.