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HEC 2016: Health — Exploring Complexity
2016 Joint Conference of GMDS, DGEpi, IEA-EEF, EFMI

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V.
Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie e. V.

28.08. - 02.09.2016, München

„Off-Label“- vs. „On-Label“-Gebrauch und schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen von Tumornekrosefaktor (TNF)-alpha-Inhibitoren: eine GKV-Routinedatenanalyse basierend auf 27.000 Neunutzern

Meeting Abstract

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  • Alexander M. Fassmer - Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH, Bremen, Deutschland
  • Ulrike Haug - Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH, Bremen, Deutschland
  • Niklas Schmedt - Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH, Bremen, Deutschland

HEC 2016: Health – Exploring Complexity. Joint Conference of GMDS, DGEpi, IEA-EEF, EFMI. München, 28.08.-02.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocAbstr. 089

doi: 10.3205/16gmds051, urn:nbn:de:0183-16gmds0517

Published: August 8, 2016

© 2016 Fassmer et al.
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Hintergrund: In der Therapie von Autoimmunerkrankungen zählen die sog. TNF-alpha-Inhibitoren zu den wichtigsten Neuentwicklungen. Zwar haben sie eine relativ große Bandbreite an offiziell zugelassenen Indikationen („On-Label“-Gebrauch), doch ist davon auszugehen, dass sie auch bei anderen Indikationen angewendet werden („Off-Label“-Gebrauch). Bis dato existieren unseres Wissens keine Studien, die das Ausmaß des „Off-Label“-Gebrauchs von TNF-alpha-Inhibitoren sowie damit einhergehende unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) populationsbasiert in Deutschland untersucht haben. Ziel dieser Studie war es daher, den „Off-Label“-Gebrauch von TNF-alpha-Inhibitoren (Adalimumab, Certolizumab, Etanercept, Golimumab und Infliximab) zu beschreiben und das Risiko für schwere UAW mit dem der „On-Label“-Nutzer zu vergleichen.

Methodik: Basierend auf Daten der Jahre 2005 bis 2013 der „German Pharmacoepidemiological Research Database“ (GePaRD) wurde eine retrospektive Kohortenstudie mit Neunutzern von TNF-alpha-Inhibitoren durchgeführt. Der Kohorteneintritt war der Tag der ersten Verschreibung eines TNF-alpha-Inhibitors nach einer verordnungsfreien Versicherungsperiode von mindestens 365 Tagen. Der Kohortenaustritt war das erste der folgenden Ereignisse: Ende der Versicherungsperiode, Therapieabbruch, Ende des Studienzeitraums oder das Auftreten einer schweren UAW (Infektionserkrankungen und Hypersensitivitätsreaktionen) bzw. Tod, im Folgenden als Outcome bezeichnet. Die Kategorisierung in „On-Label“- und „Off-Label“-Nutzer basierte auf den jeweils relevanten Abrechnungsdiagnosen (im Folgenden: Indikationen) in den zwölf Monaten vor Kohorteneintritt. Stratifiziert nach „On“- und „Off-Label“-Nutzern wurden Alter, Geschlecht, Indikation und der Wirkstoff bei Kohorteneintritt (Index-Wirkstoff) beschrieben. Basierend auf der bundesdeutschen Bevölkerung von 2013 wurden alters- und geschlechtsstandardisierte Inzidenzraten (sIR) pro 1.000 Personenjahre (PJ) für das Outcome Tod sowie stationär diagnostizierte Infektionserkrankungen und Hypersensitivitätsreaktionen berechnet. In einer Sensitivitätsanalyse bzgl. des Outcomes Tod wurden Patienten mit einer Krebsdiagnose vor Kohorteneintritt ausgeschlossen.

Ergebnisse: In die Kohorte wurden 27.753 Neunutzer von TNF-alpha-Inhibitoren eingeschlossen. Davon wurden 26.617 Personen (95,9%) der Kategorie „On-Label“-Nutzer und 1.136 Personen (4,1%) der Kategorie „Off-Label“-Nutzer zugeteilt. Bei den „On-Label“-Nutzern betrug der Altersmedian 49 Jahre und 61,6% waren weiblich. Die entsprechenden Werte bei den „Off-Label“-Nutzern waren 46 Jahre und 53,8%. „On-Label“- und „Off-Label“-Nutzer erhielten am häufigsten Adalimumab als Index-Wirkstoff (42,3 bzw. 34,6%). Die häufigsten Indikationen waren bei „On-Label“-Nutzern rheumatoide Arthritis und Psoriasis (55,4 bzw. 24,1%) und bei „Off-Label“-Nutzern das Sjögren-Syndrom und Wegener-Granulomatose (3,3 bzw. 1,7%). Außerdem wurden bei diesen vor dem Kohorteneintritt oft Krebserkrankungen diagnostiziert (16,7%). Die sIR für das Outcome Tod bei „Off-Label“-Nutzern lag bei 111,0 pro 1.000 PJ (95%-KI: 77,9-161,9), wogegen sie bei „On-Label“-Nutzern 11,9 pro 1.000 PJ (8,7-16,3) betrug. Nach Ausschluss von Krebspatienten war die sIR der „Off-Label“-Nutzer immer noch höher, doch der Unterschied zu den „On-Label“-Nutzern verringerte sich (43,4 pro 1.000 PJ, 22,5-84,8 vs. 10,8 pro 1.000 PJ, 7,7-15,2). Die sIR für Infektionserkrankungen und Hypersensitivitätsreaktionen waren bei „Off-Label“-Nutzern auch höher als bei „On-Label“-Nutzern (20,9 pro 1.000 PJ, 10,3-54,9 vs. 7,9 pro 1.000 PJ, 5,6-11,5 sowie 5,1 pro 1.000 PJ, 1,0-35,1 vs. 3,3 pro 1.000 PJ, 2,0-6,0).

Schlussfolgerungen: Der Anteil der „Off-Label“-Nutzer von TNA-alpha-Inhibitoren war im Vergleich zu den „On-Label“-Nutzern zwar gering, doch verdient er aus verschiedenen Gründen Beachtung. Eine „Off-Label“-Therapie ging mit einem erhöhten Risiko für schwere UAW einher. Eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abschätzung erscheint somit notwendig, insbesondere wenn dieses Ergebnis durch Risikostudien mit umfassender Confounder-Kontrolle bestätigt wird. Da TNF-alpha-Inhibitoren hochpreisige Arzneimittel sind, ist ggf. auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis des „Off-Label“-Gebrauchs zu hinterfragen.