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HEC 2016: Health — Exploring Complexity
2016 Joint Conference of GMDS, DGEpi, IEA-EEF, EFMI

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V.
Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie e. V.

28.08. - 02.09.2016, München

RISIKOLOTSE.DE: Wie geht es zur Mammographie 2.0? Individualisiertes Brustkrebsrisiko aus Sicht von ExpertInnen und potentiellen Screening-Teilnehmerinnen

Meeting Abstract

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  • Brigitte Strahwald - IBE, LMU München, München, Deutschland; cognomedic, Erlangen, Deutschland
  • Anne Quante - IBE, LMU München, München, Deutschland; Frauenklinik, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, München, Deutschland

HEC 2016: Health – Exploring Complexity. Joint Conference of GMDS, DGEpi, IEA-EEF, EFMI. München, 28.08.-02.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocAbstr. 702

doi: 10.3205/16gmds045, urn:nbn:de:0183-16gmds0459

Published: August 8, 2016

© 2016 Strahwald et al.
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Hintergrund: In Deutschland werden derzeit Frauen zwischen 50 und 69 Jahren alle zwei Jahre zum Mammographie-Screening eingeladen. Ziel ist es, dadurch eine Brustkrebserkrankung frühzeitig zu erkennen und die Behandlungschancen zu verbessern.

Inzwischen wird das Mammographie-Screening-Programm zunehmend hinterfragt [1], [2], [3]. Zum einen wird kritisiert, dass nur ein Risikofaktor als Teilnahmekriterium berücksichtigt wird, das Alter. Zum anderen hat sich gezeigt, dass viele Frauen das Mammographie-Screening nicht ausreichend verstehen. Der Nutzen wird deutlich überschätzt, während die Risiken weitgehend ignoriert werden [4], [5]. Auch bei Ärztinnen und Ärzte wurden erhebliche Wissensdefizite zum Screening festgestellt [6], [7].

Hier setzt das Projekt RISIKOLOTSE an. Auf der geplanten Online-Plattform RISIKOLOTSE.DE kann mit Hilfe von Risikorechnern das individualisierte Krebsrisiko abgeschätzt werden. Die Rechner beruhen auf statistischen Modellen. Sie berücksichtigen neben dem Alter weitere angeborene und erworbene Faktoren, die das Brustkrebsrisiko beeinflussen [8]. Um das Ergebnis verstehen und interpretieren zu können, werden umfassende Informationen angeboten. Die Nutzer werden je nach Informationsbedarf und Vorwissen durch die Angebote "gelotst". Alle Angebote helfen gleichzeitig den Ärztinnen und Ärzten bei der Information und Aufklärung. In der Praxis soll RISIKOLOTSE.DE für das gemeinsame Gespräch im Sinne eines Shared Decison Making genutzt werden.

Für eine zielgruppen-und bedarfsgerechte Konzeption der Plattform wurden unter anderem Fokusgruppen mit den potenziellen Nutzerinnen und Nutzer durchgeführt.

Methode: Es wurden zwei Fokusgruppen durchgeführt. In Fokusgruppe 1 wurden Ärztinnen und Ärzten, sowie Vertreterinnen und Vertreter aus dem öffentlichem Gesundheitsdienst eingeladen (Fokusgruppe "Experten"). In Fokusgruppe 2 wurden Frauen unterschiedlicher Altersgruppen eingeladen (Fokusgruppe "Frauen"). Einige Teilnehmerinnen hatten bereits eine Einladung zum Mammographie-Screening erhalten, andere aufgrund ihres Alters <50 Jahre noch nicht.

Die moderierten Gruppendiskussionen wurden aufgezeichnet. Die systematische Auswertung erfolgte mit qualitativen Analysemethoden.

Ergebnisse: In der Fokusgruppe "Experten" berichteten die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte einmütig, dass viele Frauen vor einer Teilnahme am Mammographie-Screening-Programm beraten werden möchten. Dieser Bedarf kann derzeit nicht gedeckt werden, da im Programm kein Beratungsgespräch vorgesehen ist. Die Nutzen-Risiko-Bilanz des Mammographie-Screenings wird kritisch beurteilt. Eine individualisierte Risikokalkulation für Brustkrebs mit Hilfe der Risikorechner wird mehrheitlich befürwortet. Wichtige Hemmnisse bei der praktischen Umsetzung sind die fehlende Vergütung für Risikokalkulation und -kommunikation, sowie die Unsicherheit der Ärztinnen und Ärzte beim Umgang mit den Risikorechnern. Die geplante webbasierte Informations-Plattform RISIKOLOTSE.DE wird als sinnvoll erachtet.

In der Fokusgruppe "Frauen" bestätigen alle Teilnehmerinnen, dass sie sich eine ausführliche, ärztliche Beratung vor einem Mammographie-Screening wünschen. Einige Frauen hatten bereits Einladungen zum Screening erhalten, waren mit dem Beratungsangebot aber mehrheitlich unzufrieden. Kritisiert wird das Einladungsschreiben, vor allem die Terminvorschläge werden negativ bewertet. Die beiliegende Informationsbroschüre wurde von keiner Teilnehmerin gelesen. Eine individualisierte Risikokalkulation für Brustkrebs wird von den Teilnehmerinnen befürwortet. Die geplante webbasierte Informations-Plattform RISIKOLOTSE.DE wird als sinnvoll erachtet.

Zusammenfassung: Sowohl die Fokusgruppe "Experten" als auch die Fokusgruppe "Frauen" befürworten ein individualisiertes, risikoadaptiertes "Mammographie-Screening 2.0". Die Frauen wünschen sich eine ausführliche Beratung über das Verfahren und über ihr individuelles Erkrankungsrisiko. Ärztinnen und Ärzte fühlen sich für die individualisierte Risikokalkulation und -kommunikation nicht gut vorbereitet. Die geplante webbasierte Informations-Plattform RISIKOLOTSE.DE wird befürwortet. Sie soll vor allem praktische Hilfe beim gemeinsamen Beratungsgespräch bieten.


Literatur

1.
Independent UK Panel on Breast Cancer Screening. The benefits and harms of breast cancer screening: an independent review. Lancet. 2012;380(9855):1778-86.
2.
Gøtzsche P, Jørgensen K. Screening for breast cancer with mammography (Review). Cochrane Database Syst Rev. 2013;6:CD001877.
3.
Lauby-Secretan B, Scoccianti C, et al. Breast-Cancer Screening–Viewpoint of the IARC Working Group. N Engl J Med. 2015;372:2353-8.
4.
Dreier M, Borutta B, et al. Früherkennung von Brust- und Gebärmutterhalskrebs – ein systematischer Review zu Wissen, Einstellungen und Inanspruchnahmeverhalten der Frauen in Deutschland. Gesundheitswesen. 2012;74(11):722-35.
5.
Dierks M, Schmacke N. Mammografie-Screening und informierte Entscheidung–mehr Fragen als Antworten. Gesundheitsmonitor Newsletter. 2014;1:1-15.
6.
Gigerenzer G, et al. Helping Doctors and Patients Make Sense of Health Statistics. Psychological science in the public interest: a journal of the American Psychological Society. 2007;8(2):53-96.
7.
Wegwarth O, et al. Do physicians understand cancer screening statistics? A national survey of primary care physicians in the United States. Ann Intern Med. 2012;156(5):340-349.
8.
Quante, AS, et al. Breast cancer risk assessment across the risk continuum: genetic and nongenetic risk factors contributing to differential model performance. Breast Cancer Res. 2012; 14(6):R144.