gms | German Medical Science

HEC 2016: Health — Exploring Complexity
2016 Joint Conference of GMDS, DGEpi, IEA-EEF, EFMI

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V.
Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie e. V.

28.08. - 02.09.2016, München

Warum kommt der Notfallpatient? – Pilotauswertung der standardisierten Kodierung von Vorstellungsgründen in der zentralen Notfallaufnahme eines Schwerpunktversorgers

Meeting Abstract

  • Felix Greiner - Universitätsklinik für Unfallchirurgie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland
  • Dominik Brammen - Universitätsklinik für Unfallchirurgie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland
  • Martin Kulla - Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Ulm, Deutschland
  • Felix Walcher - Universitätsklinik für Unfallchirurgie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland
  • Bernadett Erdmann - Zentrale Notfallaufnahme, Klinikum Wolfsburg, Wolfsburg, Deutschland

HEC 2016: Health – Exploring Complexity. Joint Conference of GMDS, DGEpi, IEA-EEF, EFMI. München, 28.08.-02.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocAbstr. 130

doi: 10.3205/16gmds025, urn:nbn:de:0183-16gmds0256

Published: August 8, 2016

© 2016 Greiner et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Jährlich werden über 21 Mio. Notfallpatienten in deutschen Krankenhäusern versorgt. Im Gesundheitswesen und speziell in der Versorgungsforschung gilt die nach ICD kodierte Diagnose als zentrale Klassifizierungsvariable. Der Weg eines Patienten in der Akutmedizin beginnt jedoch mit einem Symptom oder einem Beschwerdekomplex; eine Diagnose wird erst im Lauf der Versorgung nach erfolgter Anamnese und Diagnostik gestellt. Für symptombasierte Auswertungen ist daher die standardisierte Erfassung des Vorstellungsgrundes essentiell. Da eine solche Systematik für die Notfallmedizin in Deutschland bislang nicht existiert, wurde eine deutsche Übersetzung der „Presenting Complaint List“ des Canadian Emergency Department Information Systems (CEDIS) erstellt und in den „Kerndatensatz Notaufnahme“ aufgenommen. Dieser Datensatz ist Dokumentationsgrundlage im Verbundforschungsprojekt zum Aufbau eines nationalen Notaufnahmeregisters (AKTIN).

Methoden: Die 171 Vorstellungsgründe des kanadischen CEDIS wurden in die elektronische Dokumentation der zentralen Notfallaufnahme eines Krankenhauses der Schwerpunktversorgung mit 36.000 Patientenkontakten/Jahr integriert. Während der administrativen Aufnahme eines Patienten wird ein kodierter Vorstellungsgrund zusätzlich zur Freitexterfassung der Symptomatik bzw. der Verdachtsdiagnose gemäß Einweisungsschein dokumentiert. Eine spezielle Schulung erhielten die Mitarbeiter nicht. Nach drei Monaten erfolgte eine explorative Analyse der dokumentierten Vorstellungsgründe in Bezug auf Häufigkeit sowie Assoziationen mit der Behandlungsdringlichkeit gemäß Manchester-Triage-System (MTS) sowie dem Verbleib der Patienten.

Ergebnisse: Von 8.806 behandelten Patienten konnten 8.755 in die Auswertung einbezogen werden; für diese wurden insgesamt 125 der möglichen 171 Vorstellungsgründe genutzt. Nach Ausschluss der als „unbekannt“ kodierten Patienten wurden mit den zehn häufigsten Gründen 60,8% der Fälle erfasst. Zusammengefasst bilden Schmerzen bzw. Verletzungen der Extremitäten die größte Gruppe der Vorstellungsgründe (32,8%), sie werden überwiegend als wenig dringlich eingeschätzt (89,1% mit einer Behandlungsdringlichkeit von ≥90 Minuten gemäß MTS). Die Gründe Brustschmerz (kardial) (5,6%), Schwäche in den Extremitäten/Symptome eines Schlaganfalls oder TIA (3,2%) und Palpitationen/unregelmäßiger Herzschlag (1,7%) dominieren als kardiologische bzw. neurologische Gründe. Sie werden tendenziell als dringlicher eingeschätzt und sind mit einer hohen Aufnahmequote (>40%) in einen stationären Überwachungsbereich assoziiert. Das Symptom Luftnot (4,1%) wird in der Dringlichkeit unterschiedlich eingeschätzt und führt in 17,4% zu einer Aufnahme in einen stationären Überwachungsbereich. Der Anteil der als „unbekannt“ kodierten Fälle sank innerhalb des Beobachtungszeitraums von anfänglich 22,0% auf 13,8% im dritten Monat.

Schlussfolgerung: Mit der deutschen Version der CEDIS Presenting Complaint List wurde eine Möglichkeit geschaffen, um das Versorgungsgeschehen in Notaufnahmen anlass- bzw. symptombasiert zu dokumentieren. In der hier vorliegenden Auswertung zeigen sich erste Muster in Bezug auf die Behandlungsdringlichkeit sowie die Notwendigkeit und die Intensität einer stationären Aufnahme. Mehrere Vorstellungsgründe (z.B. Luftnot, Kopfverletzung) lassen allein dargestellt keine Bewertung der Schwere der Symptomatik zu. Hier bietet sich die kombinierte Erfassung und Auswertung mit einer standardisierten Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit an. Mit 171 Auswahlmöglichkeiten erscheint die Liste ausreichend kompakt, um im Versorgungsalltag einer Notaufnahme auch ohne aufwendige Mitarbeiterschulungen umgesetzt zu werden. Der Anteil der als „unbekannt“ kodierten Vorstellungsgründe sollte weiter gesenkt werden, beispielsweise durch eine vertiefte Analyse dieser Fälle (Zuordnung aus Freitextangaben) und eine daraus zu entwickelnde praxisorientierte Dokumentationsanleitung. Im Projekt AKTIN wird weiterhin untersucht, inwieweit sich die hier vorgestellte Liste im Rahmen eines nationalen Notaufnahmeregisters auch als Grundlage für eine syndrombasierte Surveillance eignet.

(AKTIN, Förderkennzeichen BMBF: 01KX1319A)