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Lehren in der Vorklinik und der Mensch: Psychobiologische Messung der Stressreaktionen in Präsenzunterricht im Vergleich zu passiven und interaktiven Online-Lernumgebungen
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Published: | July 30, 2024 |
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Fragestellung/Zielsetzung: Vor dem Hintergrund kognitionspsychologischer Erkenntnisse über den positiven Einfluss von physiologischem Arousal auf Lern- und Gedächtnisprozesse [1] untersucht diese Studie die Auswirkungen verschiedener Lernumgebungen (traditionelle Face-to-Face und innovative Online-Formate) auf die psychobiologischen Stressreaktionen von Medizinstudierenden und deren Zusammenhang mit Lernerfahrungen und Emotionen im Leistungskontext.
Methoden: In zwei randomisierten experimentellen Feldstudien wurden die Daten von 104 Medizinstudierende in drei unterschiedlichen Lernsettings (traditioneller Face-to-Face-Kurs, passiver Online-Kurs und interaktiver Online-Kurs) in der mikroskopischen Anatomie erhoben. Als physiologische Stressmarker dienten Analysen der Herzratenvariabilität (HRV), Speichelcortisolkonzentrationen sowie Analysen der α-Amylase-Konzentrationen im Speichel der Studierenden. Zusätzlich wurden standardisierte Fragebögen zu emotionalen Erfahrungen und subjektiven Stresswahrnehmungen eingesetzt.
Ergebnisse: Es zeigte sich, dass Face-to-Face-Lernumgebungen im Vergleich zu passiven Online-Formaten höhere Stressreaktionen induzierten, erkennbar an einer reduzierten HRV und erhöhten Cortisolkonzentrationen. Bemerkenswerterweise wiesen interaktive Online-Formate ähnliche Stressreaktionen auf, was auf ein gesteigertes Engagement und eine erhöhte Aufmerksamkeit in diesen interaktiven Online-Lernumgebungen hindeutet. Beispielsweise konnte für die Speichelcortisolkonzentrationen bezüglich des gesamten hormonellen Outputs (AUCg) ein stark signifikanter Effekt hinsichtlich der jeweiligen Lernumgebung festgestellt werden (AUCg; (F(3, 123)=8,91, P<0,001, partielles η2=0,179; siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Die Cortisolkonzentrationen der Teilnehmenden in der interaktiven Online-Lernbedingung waren signifikant erhöht im Vergleich zur Kontrollgruppe (P<0,001), zur passiven Online-Lerngruppe (P<0,001) und im Vergleich zur Präsenz-Lerngruppe (P=0,036). Zusätzlich wurden sowohl ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Lernumgebung und Zeit (F(5,05, 207,24)=2,70, P=0,021, partielles η2=0,025) als auch signifikante zeitabhängige Unterschiede innerhalb der Lernumgebungen festgestellt (F(1,68, 207,24)=31,56, P<0,001, partielles η2=0,090; siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).
Diskussion: Die Ergebnisse betonen die Bedeutung des physiologischen Arousals im Lernkontext sowie die Wirksamkeit interaktiver Online-Formate, die ähnliche physiologische Reaktionen wie Präsenz-Lernumgebungen hervorrufen können. Zentral ist die Erkenntnis, dass physiologisches Arousal, ein bisher wenig beachteter Parameter in der Ausbildungsforschung, wesentlich zur Erklärung des reduzierten Engagements in digitalen Lernumgebungen [2], [3] beiträgt. Die Berücksichtigung des Arousals in der Entwicklung und Bewertung von Online-Lernumgebungen kann das Engagement und die Effektivität des digitalen Lernens steigern und eröffnet neue Forschungsrichtungen.
Literatur
- 1.
- Wingenfeld K, Wolf OT. Stress, memory, and the hippocampus. Front Neurol Neurosci. 2014;34:109-120. DOI: 10.1159/000356423
- 2.
- Lemay DJ, Bazelais P, Doleck T. Transition to online learning during the COVID-19 pandemic. Comput Hum Behav Rep. 2021;4:100130. DOI: 10.1016/j.chbr.2021.100130
- 3.
- Wilhelm J, Mattingly S, Gonzalez VH. Perceptions, satisfactions, and performance of undergraduate students during Covid‐19 emergency remote teaching. Anat Sci Educ. 2022;15(1):42-56. DOI: 10.1002/ase.2161