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Implizites Wissen lehren? Lehren für PIF aus der Psychosomatischen Medizin
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Published: | September 11, 2023 |
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Fragestellung/Zielsetzung: Die Psychosomatische Medizin ist durch ein – im Vergleich zur restlichen Schulmedizin – umfassenderes Menschenbild charakterisiert. Dieses drückt sich implizit und explizit im Handeln und im Wissen des Fachs aus. In der Folge ist die Psychosomatik gesellschaftlich und wissenschaftlich teils latenten Widerständen ausgesetzt. Die Lehre steht hier nicht nur vor der Herausforderung, eine andere und weniger akutmedizinisch ausgerichtete Art des Denkens, sondern auch einen womöglich widerstandsbehafteten Identitätsentwurf zu vermitteln. Wie können diese impliziten Dimensionen sichtbar, verständlich und für PIF nutzbar gemacht werden?
Methoden: Die explorative Studie im parallelen Mixed Methods Design besteht aus Experteninterviews (n=7) und einer quantifizierten Frequenzanalyse von Abstracts des DKPM-Kongresses (n=2133) der Jahre 1974–2019. Das entwickelte Programm „Doing Psychosomatics“ stellt den theoretisch-methodischen Rahmen zur Untersuchung der Produktion spezifischer Wissenskulturen.
Ergebnisse: Die Analyse ergab, dass sich die Eigenschaften des Wissens der Psychosomatischen Medizin in einer ratio von 4:5 für explizite zu impliziten Wissenskategorien aufteilen lässt. Dabei zeigte die theoretische Untersuchung, dass die klassische Konzeption von Polany zu impliziten Wissen bei Weitem nicht ausreicht, um diese Eigenschaftsdimension zu beschreiben. Es lässt sich als Integrationsprodukt aus unterschiedlichen Arten impliziten Wissens verstehen: somatic-tacit (Collins), practical (Sadegh-Zadeh), Socialization-Internalization-based Modi (Nonaka & Takeuchi) und eines fachspezifischen Denkstils (Fleck).
Diskussion: Nicht nur für die Lehre in der Psychosomatischen Medizin, sondern auch generell für PIF ist implizites Wissen von Bedeutung: Der Prozess der Sozialisation sowie das praktische Handeln wirkt durch das Prinzip der Verkörperung (Embodiment). Ein Nutzen und Gestalten dieser Dimension von Wissen setzt jedoch ein ausreichendes theoretisches Verständnis voraus. Dies ermöglicht die Ableitung von Lehrimpulsen, welche Praktiker:innen bei dem für die Lehre nötigen Prozess der Explizierung von verkörperten Wissen unterstützt.
Take Home Messages: Das Wissen der Psychosomatischen Medizin besteht in der Praxis zu einem großen Teil aus implizitem Wissen. Dieses ist vielschichtig und nur unzureichend theoretisch abgedeckt. Implizites Wissen und Lernen ist jedoch eine wesentliche Wirkweise der Professional Identity Formation. Eine theoretische Fundierung ist nötig und dienlich, um diesbezüglich den aktiven Gestaltungsspielraum von PIF in der medizinischen Ausbildung zu vergrößern. Der Ausbildungsforschung stellt sich damit die Aufgabe, sich mit den Bedingungen der Bildung und Explikation von impliziten Wissen zu beschäftigen.