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„VW-Käfer mit Ferrari-Motor“: Psychische Belastungen im Kontext von Digitalisierungsprozessen – eine ethnografische Studie
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Published: | September 10, 2024 |
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Hintergrund: Die Digitalisierung in der Pathologie erfordert das Neuordnen von Arbeitsabläufen sowie die Integration neuer Arbeitsmittel wie Labormanagementsystem und Hochdurchsatzscanner. Ziel ist die zukünftige digitale Befundung von Gewebeproben. Wir haben die Digitalisierung einer Pathologie-Abteilung in einer deutschen Klinik forschend begleitet mit dem Fokus auf wechselseitige Beeinflussungen zwischen Digitalisierung und bestehenden Arbeitsbedingungen.
Zielsetzung: Im Laufe des Forschungsprojekts wurde die Bedeutung psychischer Belastungen deutlich. Aus Perspektive der arbeitsmedizinischen Versorgungsforschung fragen wir in diesem Vortrag: Unter welchen Umständen entstehen in der Digitalisierung psychische Fehlbelastungen? Was trägt dazu bei, diese zu reduzieren?
Methode: Im Rahmen eines ethnografischen Studiendesigns führten wir teilnehmende Beobachtungen, Fokusgruppen, qualitative Interviews und Dokumentenanalysen durch. Beteiligt waren >30 Mitarbeitende und Führungskräfte der Pathologie aus Labor, Befundung, Qualitätsmanagement, Administration und IT. Die Datengenerierung erfolgte in drei Feldphasen zwischen Sommer 2022 und Herbst 2023, welche unterschiedliche Etappen der Digitalisierung abbilden. Die Auswertung erfolgte mithilfe der Reflexive Thematic Analysis nach Braun und Clarke. Ergänzend führten wir Member Checks durch.
Ergebnisse: Die digitale Transformation erfolgt unter Arbeitsbedingungen mit hohen Leistungsanforderungen bei gleichzeitig unzureichenden personellen und technischen Voraussetzungen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Unter solchen Umständen führt die Digitalisierung zu erhöhter psychischer Fehlbelastung. Sie erfolgt neben der Routinearbeit, die von Personal- und Zeitmangel geprägt ist. Erschwerend wirken Logiken des umgebenden Systems wie die Notwendigkeit öffentlicher Ausschreibung, Lieferverzögerungen, Interoperabilitätsprobleme und regulatorische Anforderungen. Dies verlangsamt die Digitalisierung, was über lange Zeit Mehrfachbelastung erzeugt. Die Vision vom besseren Arbeiten erfüllt sich (noch) nicht. Allerdings wirkt die Digitalisierung auf anderer Ebene positiv: Es entstehen neue hierarchieunabhängige, multidisziplinäre Arbeitsbeziehungen. Standardisierte Abläufe erleichtern die Einarbeitung neuer Mitarbeitenden. Trackability reduziert Fehler. Insbesondere die persönlichen Ressourcen der Mitarbeitenden und Führungskräfte beeinflussen das Gelingen der Digitalisierung: Leistungsbereitschaft, Flexibilität, Kompetenzen in Stressbewältigung, kritischer Selbstreflexion und Professionalisierung zum richtigen Zeitpunkt, vorausschauende Entscheidungen treffen bei gleichzeitiger Prozessoffenheit, Verbundenheit miteinander bei kontinuierlichem Erinnern ans gemeinsame Ziel.
Implikation für Forschung und/oder (Versorgungs-)Praxis: Das Gelingen dieser Digitalisierung ist nicht Verdienst der Technologie, sondern der Ressourcen dieser Organisation und deren Mitglieder. Zum Schutz der psychischen Gesundheit sollte digitale Transformation nicht nur auf technischer Ebene gedacht werden, sondern auch auf Ebene der Arbeitsorganisation und der sozialen Beziehungen. Kritisch ist, dass Lösungen fehlen, um Beanspruchungen aufgrund erhöhter Arbeitsintensität zu reduzieren.