gms | German Medical Science

23. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

24.09. - 27.09.2024, Potsdam

„Living Gantt-Chart“ – methodische Reflexion des Wartens und der flexiblen Anpassung an die Praxis in einem ethnografischen Forschungsprozess

Meeting Abstract

  • Christine Preiser - Universitätsklinikum Tübingen, Deutschland
  • Birte Linny Geisler - Universitätsklinikum Tübingen, Deutschland
  • Ourania Amperidou - Universitätsklinikum Tübingen, Deutschland
  • Esther Rind - Universitätsklinikum Tübingen, Deutschland
  • Monika Rieger - Universitätsklinikum Tübingen, Deutschland

23. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Potsdam, 25.-27.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. Doc24dkvf099

doi: 10.3205/24dkvf099, urn:nbn:de:0183-24dkvf0994

Published: September 10, 2024

© 2024 Preiser et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Zeit- und Ressourcenplanung spielen eine wichtige Rolle in Forschungsprozessen und bei der Forschungsförderung. Ein Symbol dafür ist das Gantt-Diagramm, das den Blick in die Zukunft visualisiert und das Versprechen von klar abgrenzbaren, planbaren Phasen vermittelt. In ihm werden Arbeitspakete und Ressourcen zueinander in Bezug gesetzt und so geplante Ressourcen begründet. Auch soll die Darstellung jederzeit Kontrolle dazu ermöglichen, wo der Forschungsprozess im Verhältnis zur ursprünglichen Planung steht.

Zielsetzung: Anhand des Gantt-Diagramms wird die Bedeutung des Wartens und der Anpassung in einem ethnografischen Forschungsprozess zur digitalen Transformation in der histopathologischen Befundung methodisch untersucht. Dabei reflektieren wir die herausfordernden Forschungsbedingungen bei der Begleitung komplexer technologischer Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt.

Methode: Wir begannen die wissenschaftliche Analyse des Digitalisierungsprozesses, als einige Arbeitsschritte bereits digitalisiert waren, aber wesentliche Digitalisierungsschritte noch ausstanden. Wir generierten in drei Phasen (Sommer 2022 bis Herbst 2023) Daten, um über Beobachtungsprotokolle, Interviewtranskripte und Dokumente verschiedene Zeitpunkte und Ebenen des Digitalisierungsprozesses zu verstehen. Die Auswertung erfolgte mithilfe der Reflexive Thematic Analysis. Zusätzlich führten wir Member Checks durch.

Ergebnisse: Die von ausstehenden Digitalisierungsschritten betroffenen Mitarbeitenden und wir Forschenden hatten ein geteiltes Grundinteresse: einen voranschreitenden, in klaren Schritten bearbeitbaren Digitalisierungsprozess. Zunehmend wurde daraus ein geteiltes Grundproblem - wiederkehrende Abweichungen vom ursprünglichen Plan -, von dem beide Gruppen unterschiedlich betroffen waren. In der Pathologie sorgten Lieferengpässe für monatelange Verzögerungen und damit im Praxisalltag erhöhten Anforderungen an die Beschäftigten. Im Forschungsteam konnten wir zu Beginn noch entsprechend der Projektplanung arbeiten. Doch dann begann auch für uns das Warten auf den nächsten Digitalisierungsschritt. Es wurde für uns zunächst in den Adaptionen der Projektplanung spürbar, dann verschoben wir Feldphasen, rearrangierten Gantt-Diagramme und veränderten schließlich Schwerpunktsetzungen für die Analysen. Die ausstehenden Digitalisierungsschritte blieben vermutbar, aber nicht planbar. Das Warten wurde für beide Gruppen zunehmend von der Ressource (Zeit, die anderweitig genutzt werden kann) zum Stressor. Damit verbunden waren Unsicherheiten über Projektverlauf und -kosten und darüber, wann das Projekt eigentlich ‚erfolgreich beendet‘ sei. Der Schlüssel lag für uns Forschende darin, uns angesichts des Wartens auf die Ethnografie selbst zurückzubesinnen, die die Vorstellung eines abgeschlossenen Prozesses zurückweist, und uns so von der Idee einer kontrollierbaren Realität als Forschungsgegenstand zu lösen.

Implikation für Forschung und/oder (Versorgungs-)Praxis: Ein ethnografisches Design ermöglicht, komplexe Versorgungsrealität abzubilden. Versorgungsforschung ist geprägt durch die Realität der beforschten Bereiche, die sie mit eigenen methodischen und ökonomischen Verpflichtungen und engen Zeitplänen in Einklang bringen muss. Forschen unter Alltagsbedingungen erfordert Studiendesigns und auch eine Forschungsförderung, die diese Unwägbarkeiten berücksichtigen.

Förderung: Sonstige Förderung; Institutionelle Förderung