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„Nimm mich ernst oder bilde dich weiter, aber tu es nicht ab.“ Eine qualitative Studie zu regionalen Versorgungserfahrungen von Endometriosepatientinnen in Mittel- und Ostessen
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Published: | September 10, 2024 |
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Hintergrund: Die Notwendigkeit eines regionalen Gesundheitsmonitorings, um Erfahrungen mit der Gesundheitsversorgung auch kleinteilig zu untersuchen, ist international wissenschaftlich anerkannt. Bei Sichtung von Versorgungsforschung in Deutschland ist auffällig, dass im Bereich der Frauengesundheit, insbesondere zu Patientinnen mit der Erkrankung Endometriose, regionale und qualitative Studien zu Erfahrungen der Patientinnen fehlen. Es ist bisher wenig dazu bekannt, wie Endometriosepatientinnen in Deutschland auf regionaler Ebene die Versorgungssituation erleben.
Zielsetzung: Ziel der qualitativen Studie war es deshalb, die regionale Inanspruchnahme und die direkten Erfahrungen der betroffenen Patientinnen mit der Endometrioseversorgung (ambulant und stationär) zu untersuchen.
Methode: Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden qualitative, semistrukturierte Interviews mit Endometriosepatientinnen zu ihren Perspektiven und Erfahrungen in fünf Landkreisen in Mittel- und Osthessen geführt. Eingeschlossen wurden Frauen, die eine laparoskopisch bestätigte Diagnose haben, mindestens sechs Monate in einem der Landkreise wohnen und dort mindestens einen Kontakt mit dem Gesundheitssystem hatten. Die Interviews wurden zwischen Mai und August 2023 geführt, transkribiert und mit dem phänomenologischen Ansatz interpretiert. Dieser eignet sich vor allem bei qualitativen Studien, die die erlebten Erfahrungen von Personen mit demselben Phänomen darstellen wollen. Zur Qualitätskontrolle der Interpretation wurde eine weitere qualitative Forscherin zu Rate gezogen.
Ergebnisse: Insgesamt nahmen n = 21 Patientinnen an den Interviews teil. Die Frauen waren zwischen 23–54 Jahre alt (Median: 32 Jahre) und der Zeitpunkt der Diagnose lag zwischen einem Monat und 38 Jahren (Median: 18 Monate) vor dem Interview. Die Analyse ergab fünf Themen, bei denen sich als gemeinsame Essenz der Erfahrungen das Thema Ambivalenz herauskristallisiert hat. Die Erfahrungen der Frauen mit der Versorgung wurden zum einen von der Rolle der Versorger:innen als Unterstützung oder Hindernis im Behandlungsverlauf geprägt, zum anderen zeigten sich in der Versorger:in-Patientin-Kommunikation viele Hürden, aber auch ein wertschätzender Umgang. Im Gesundheitssystem generell konnten zudem (regionale) Limitationen und Ressourcen für die Endometrioseversorgung erörtert werden. Als wichtiger Faktor wurde von den Patientinnen auch die Enttabuisierung und gesellschaftliche Anerkennung der Endometriose genannt und die Berücksichtigung der biopsychosozialen und finanziellen Auswirkungen der Erkrankung.
Implikation für die Forschung und (Versorgungs-)Praxis: Die Erkenntnisse dienen der Generierung erster Hypothesen zum Ist-Stand der Endometrioseversorgung in den untersuchten Landkreisen. Die ambivalenten Erfahrungen zeigten vor allem eine Abhängigkeit der Versorgung von den Präferenzen, der Kommunikation und dem Fachwissen der Behandler:innen. Dies könnte möglichweise durch mehr Aufklärung und Weiterbildung zu Endometriose verbessert werden. Im Gesundheitssystem sollte z.B. der regionale Zugang zu Fachzentren verbessert und der Erkrankung Endometriose generell mehr Bedeutung zugesprochen werden, insbesondere durch weitere Forschung zur Entstehung und Behandlung. Zudem sollten Patientinnen mit Menstruationsbeschwerden ernster genommen werden und Schmerzen nicht bagatellisiert werden.