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Hausärztliche Versorgung gehörloser Patientinnen und Patienten – ein Scoping Review
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Published: | September 10, 2024 |
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Hintergrund: In Deutschland nutzen ca. 200.000 Menschen die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Sie ist für prälingual ertaubte Menschen die Muttersprache; die gesprochene Sprache ist eine Fremdsprache. Durch die Anerkennung der DGS als rechtlich eigenständige Sprache haben Hörbeeinträchtigte das Recht, bei der Ausführung von Sozialleistungen, und damit auch bei ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen, Gebärdensprache zu verwenden. Angaben der Kassenärztlichen Vereinigungen legen nahe, dass Gebärdensprache im hausärztlichen Bereich als Angebot an gehörlose Patient*innen kaum verfügbar ist.
Zielsetzung: Ausgehend von der Annahme, dass im Rahmen der Arzt-Patient-Interaktion kommunikative Barrieren auftreten, soll untersucht werden, (i) wie diese Barrieren von gehörlosen Patient*innen und den behandelnden Hausärzt*innen wahrgenommen werden, (ii) wie sie sich hinsichtlich des Verständnisses der Patient*innen bezogen auf ihre Erkrankung sowie auf die gegebenenfalls erforderliche Therapie auswirken und (iii) welche Strategien zur Verbesserung der Kommunikation zur Anwendung kommen.
Methode: Die Studie wurde als Scoping Review konzipiert und nach den methodischen Standards von Arksey und O‘Malley (2005) durchgeführt. Die Suche erfolgte am 12.02.2022 in den Datenbanken CINHAL, PubMed und Web of Science und umfasste Studien aller methodischen Designs. In Reviews enthaltene Arbeiten wurden einzeln geprüft. Die Auswahl relevanter Studien erfolgte nach vorab festgelegten Ein- und Ausschlusskriterien. Inhaltliche Schwerpunkte wurden deskriptiv ausgewertet.
Ergebnisse: Insgesamt wurden 1.813 Studien identifiziert, davon 76 als Volltexte geprüft und 8 Arbeiten in das Review eingeschlossen. Sie stammen aus den USA, Großbritannien, Australien, Niederlanden und Deutschland. Es wurden fünf Hauptthemen ermittelt:
- 1.
- Kommunikationsprobleme aus Sicht der gehörlosen Patient*innen,
- 2.
- Kommunikation mit gehörlosen Patient*innen aus Sicht der Ärzt*innen,
- 3.
- Strategien zur Verbesserung der Kommunikation,
- 4.
- Einsatz von Gebärdensprachdolmetschenden und
- 5.
- Folgen der aktuellen Praxis für gehörlose Patient*innen.
Es zeigen sich erhebliche Kommunikationsprobleme zwischen Hausärzt*innen und ihren gehörlosen Patient*innen, welche von den Patient*innen im Vergleich zu den Hausärzt*innen als gravierender eingeschätzt werden. Schriftliche Kommunikation und Lippenlesen sind aus Sicht der gehörlosen Patient*innen nur eingeschränkt hilfreich. Anders als gewünscht, kommen Gebärdensprachdolmetschende in hausärztlichen Konsultationen kaum zum Einsatz. Angehörige als Dolmetschende schränken die Autonomie der Patient*innen und Vertraulichkeit in der Konsultation ein. Die Kommunikationsbarrieren resultieren in Unsicherheit und Unzufriedenheit, führen z.B. zu Anwendungsfehlern in der Medikation oder zur Vermeidung von Vorsorgeuntersuchungen.
Implikation für Forschung und/oder (Versorgungs-)Praxis: Die Analyse der eingeschlossenen Studien weist auf Defizite in der hausärztlichen Versorgung Gehörloser hin. Kommunikative Hilfsmittel wie Lippenlesen und Schriftsprache sind ungeeignet, um Informationen vollständig zu transportieren. Um eine Gesundheitsgefährdung aufgrund Kommunikationsbarrieren auszuschließen, sollten Gebärdensprachdolmetschende in hausärztlichen Konsultationen regelhaft zum Einsatz kommen. Die tatsächliche Inanspruchnahme in Deutschland ist bislang unbekannt.