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Evidenzgraduierung und Unfallchirurgie: Argumente aus der Sicht der klinischen Epidemiologie
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Published: | November 11, 2003 |
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Fragestellung
Mit der Verbreitung des Konzepts der Evidence-Based Medicine (EBM) wird die methodische Qualität klinischer Studien häufig anhand hierarchisch aufgebauter Evidenzstufen (levels of evidence) bewertet. Bei therapeutischen Interventionen stellt die randomisierte Studie den Referenzstandard dar. Da der Anteil randomisierter Studien in der Unfallchirurgie aktuell weniger als 5% beträgt, wurde die Frage gestellt, ob dies auf mangelnder methodischer Kompetenz beruht oder vielmehr Ausdruck spezifischer Bedingungen des Faches ist.
Methoden
Es wurden theoretische Aspekte der klinischen Epidemiologie hinsichtlich ihrer Bedeutung im klinischen Alltag und ihrer Übertragbarkeit auf akademische Aspekte der Unfallchirurgie beurteilt. Wir betrachteten hierbei die Ebenen der Kausalität, der biologischen Plausibilität therapeutischer Interventionen, der a priori Wahrscheinlichkeit und der Dimension von Therapieeffekten.
Ergebnisse
Die Verletzung stellt ein plötzliches, unerwartetes Ereignis dar, hervorgerufen z.B. durch ein direktes Anpralltrauma. Bei geeigneter Krafteinleitung spielen demografische Variablen bei der Frakturentstehung nur eine untergeordnete Rolle. Dieses für die Unfallchirurgie typische Beispiel erfüllt wichtige Kausalitätskriterien (Plausibilität, zeitlicher Zusammenhang, biologischer Gradient, u.a.), die von Hill 1965 vorgeschlagen wurden. Die hohe Plausibilität theoretischer Konstrukte (z.B. Gelenkersatz) bedingt eine hohe a priori Wahrscheinlichkeit für ihre biologische Wirkung. Zugleich können große Therapieeffekte (z.B. Belastungsstabilität nach Marknagel-Osteosynthese) bei hoher Konsistenz der Ergebnisse (Reproduzierbarkeit, Homogenität) beobachtet werden. Demgegenüber finden sich in nicht-operativen Fächern häufig konkurrierende pathophysiologische Prinzipien. In chirurgischen Fächern ist die Ergebnisqualität untrennbar mit operativer Expertise verbunden. Die Dringlichkeit der Versorgung und die Verfügbarkeit von Ärzten, die sowohl die experimentelle als auch die Kontrolltherapie (im Idealfall gleich sicher und ohne persönliche Präferenz) beherrschen, können eine Randomisierung erschweren. Die postulierte, systematische Überschätzung von Therapieeffekten durch nicht-randomisierte Studien konnte durch MacLehose in einer Meta-Analyse widerlegt werden; dies setzt jedoch eine hohe methodische Qualität dieser Studien voraus.
Schlussfolgerungen
Der geringe Anteil randomisierter Studien in der Unfallchirurgie beruht z.T. auf fachspezifischen Besonderheiten. Alternativen zur randomisierten Untersuchung sind hier aus klinisch-epidemiologischer Sicht möglich und sinnvoll.