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Die Tonaudiometrie als Verfahren zur Testung des Gehörs von Menschen mit geistiger Behinderung
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Published: | September 26, 2022 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Menschen mit geistiger Behinderung (gB) leiden häufiger als Menschen ohne Behinderung an Hörstörungen. Diese bleiben oft unentdeckt und un- oder untertherapiert. Daher erscheinen regelmäßige Hörtests für Menschen mit gB sinnvoll, möglichst durchzuführen in ihrem direkten Lebensumfeld. Ziel einer prospektiven Kohortenstudie HEID (Hearing Evaluation for Intellectual Disability) ist daher die Prüfung subjektiver und objektiver audiometrischer Testverfahren auf ihre Eignung für solche Hörtestungen, wovon hier die Bestimmung der Hörschwelle mit verschiedenen tonaudiometrischen Verfahren vergleichend dargestellt wird.
Material und Methoden: In einer anerkannten Werkstätte wurden an 120 Probanden mit gB nach einer Intelligenztestung und Otoskopie folgende audiometrische Tests durchgeführt: Tympanometrie, Reintonaudiometrie (pure tone audiometry, PTA), MAGIC (Multiple Choice Auditory Graphical Interactive Check) und mFAST – zwei adaptive Test mit Tierbildern bzw. -stimmen zur Hörschwellenschätzung – die Registrierung von DPOAE-Wachstumsfunktionen und ASSR (auditory steady state respone).
Ergebnisse: Die mittleren Schwellenwerte für Luftleitung, gemittelt über 0,5, 1, 2, 4 und 8 kHz, lagen bei 23,42 dB HL für PTA und 22,47 dB HL für MAGIC, ohne einen statistischen Unterschied zwischen beiden Verfahren (p>0,05), und bei 28,38 dB HL für mFAST, wobei Unterschiede zu beiden vorgenannten Verfahren über alle (MAGIC) bzw. alle außer 0,5 kHz (PTA) Frequenzen bestanden (p<0,005). Die mittleren Schwellenwerte für ASSR lagen bei 34,69 dB nHL und 29,01 dB HL für die DPOAE-Wachstumsfunktionen.
Diskussion: Von allen Verfahren der Luftleituns-Hörschwellenschätzung lieferten die tonaudiometrischen Verfahren die niedrigsten Schwellenwerte, wobei PTA und MAGIC am geeignetsten erscheinen. mFAST hat, wahrscheinlich durch die Nutzung von Frequenzgemischen der Tierstimmen, weniger schwellennahe Antworten ergeben. Das Setting einer Werkstatt zur objektiven Hörschwellenschätzung mittels DPOAE-Wachtumsfunktionen und ASSR lieferte weniger reliable Ergebnisse.
Fazit: Die Ergebnisse und besonders ihre Reproduzierbarkeit über verschiedene tonaudiometrische Verfahren bestätigen frühere Studien, denen zufolge Letztere auch bei Menschen mit gB wegen des relativ geringen kognitiven Loads verlässliche Ergebnisse liefern. Unsere Studie belegte, dass dies nicht nur für die klassische Tonaudiometrie, sondern auch für das adaptive Selbsttestungsverfahren MAGIC gilt und beide Methoden somit gut für Hörscreenings für Menschen mit gB anwendbar sind.
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Hintergrund
Menschen mit geistiger Behinderung (gB) leiden häufiger als Menschen ohne Behinderung an Gesundheitsproblemen, darunter auch an Hörstörungen. Deren Prävalenz ist gegenüber der Allgemeinbevölkerung mit 17%–38% um ein Vielfaches erhöht [1], [2]. Diese Hörstörungen bleiben oft unentdeckt und un- oder untertherapiert. Dabei können durch eine Hörstörung bestehende Defizite die Kommunikationsfähigkeit weiter herabsetzen und führen so zu einer eingeschränkteren Teilnahme am sozialen Leben und reduzieren die Selbstständigkeit.
Daher erscheinen regelmäßige Hörtests für Menschen mit geistiger Behinderung sinnvoll, möglichst durchgeführt in ihrer Lebensumgebung (z.B. Wohneinrichtungen, Werkstätten, Schulen, Kindereinrichtungen), da sie Hörprobleme selten selbst äußern und organisatorische Probleme ihre Vorstellung in medizinischen Einrichtungen oft erschweren. Im Rahmen der prospektiven Kohortenstudie HEID (Hearing Evaluation for Intellectual Disability) – wurden objektive u. subjektive Hörtests für verschiedene Komponenten des Hörorgans (äußeres/Mittel-/Innenohr, aufsteigende u. zentrale Hörbahn) bezüglich ihrer Eignung für eine Hörtestung im Lebensumfeld von Menschen mit geistiger Behinderung untersucht.
Material und Methoden
In einer anerkannten Werkstätte wurden an 120 Probanden mit geistiger Behinderung nach einer Intelligenztestung und Otoskopie folgende audiometrische Tests durchgeführt: Tympanometrie, Reintonaudiometrie (pure tone audiometry, PTA), MAGIC (Multiple Choice Auditory Graphical Interactive Check [3], [4]) und mFAST (multi-Frequency Animal Sound Test [5]) – zwei adaptive Test mit Tierbildern bzw. -stimmen zur Hörschwellenschätzung – die Registrierung von DPOAE-Wachstumsfunktionen und ASSR (auditory steady state respone).
Ergebnisse
Die mittleren Schwellenwerte für Luftleitung, gemittelt über 0,5, 1, 2, 4 und 8 kHz, lagen bei 23,42 dB HL für PTA und 22,47 dB HL für MAGIC, ohne einen statistischen Unterschied zwischen beiden Verfahren (p>0,05), und bei 28,38 dB HL für mFAST, wobei Unterschiede zu beiden vorgenannten Verfahren über alle (MAGIC) bzw. alle außer 0,5 kHz (PTA) Frequenzen bestanden (p<0,005). Die mittleren Schwellenwerte für ASSR lagen bei 34,69 dB nHL und 29,01 dB HL für die DPOAE-Wachstumsfunktionen.
Diskussion
Von allen Verfahren der Luftleitungs-Hörschwellenschätzung lieferten die tonaudiometrischen Verfahren die niedrigsten Schwellenwerte, wobei PTA und MAGIC am geeignetsten erscheinen. mFAST ergab, wahrscheinlich durch die Nutzung von Frequenzgemischen der Tierstimmen, weniger schwellennahe Antworten. Das Setting einer Werkstatt zur objektiven Hörschwellenschätzung mittels DPOAE-Wachtumsfunktionen und ASSR lieferte weniger reliable Ergebnisse und kann hier nicht als Referenzverfahren dienen.
Fazit
Die Ergebnisse und insbesondere ihre Reproduzierbarkeit über verschiedene tonaudiometrische Verfahren hinweg bestätigen frühere Studien, denen zufolge Letztere auch bei Menschen mit geistiger Behinderung wegen des relativ geringen kognitiven Loads verlässliche Ergebnisse liefern. Unsere Studie belegte, dass dies nicht nur für die klassische Tonaudiometrie (PTA), sondern auch für das adaptive Selbsttestungsverfahren MAGIC gilt und beide Methoden somit gut für Hörscreenings für Menschen mit geistiger Behinderung in ihrem Lebensumfeld anwendbar sind. Gegenwärtig werden die audiometrischen Testergebnisse der Teilnehmer*innen in einem klinischen Setting überprüft.
Literatur
- 1.
- Hild U, Hey C, Baumann U, Montgomery J, Euler HA, Neumann K. High prevalence of hearing disorders at the Special Olympics indicate need to screen persons with intellectual disability. J Intellect Disabil Res. 2008 Jun;52(Pt 6):520-8. DOI: 10.1111/j.1365-2788.2008.01059.x
- 2.
- Neumann K, Dettmer G, Euler HA, Giebel A, Gross M, Herer G, Hoth S, Lattermann C, Montgomery J. Auditory status of persons with intellectual disability at the German Special Olympic Games. Int J Audiol. 2006 Feb;45(2):83-90. DOI: 10.1080/14992020500376891
- 3.
- Becker S, Schirkonyer V, Al-Muzaini H, Schuster M. Selbstgesteuerte Reintonaudiometrie zur Untersuchung von Patienten mit geistiger Behinderung – It’s MAGIC. In: Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Hrsg. 88. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Erfurt, 24.-27.05.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. Doc17hno237. DOI: 10.3205/17hno237
- 4.
- Neumann K, Böttcher P, Higgs R, Oswald H. How to combine a mobile audiology lab with centralized experts' knowledge? 4th Annual Coalition for Global Hearing Health; 2013 May 3-4; Nashville, TN, USA. Book of abstracts. p. 11.
- 5.
- Nolte A, Coninx F, Müller F, Hess M, Wiesner T, Dudek N, Rohlfs AK. Frequency-specific Animal Sound Test (FAST) 4: A valid method for hearing screening. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2016 Feb;81:68-79. DOI: 10.1016/j.ijporl.2015.12.004.