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Psychosoziale Belastungen und Beanspruchungen bei Berufstätigen mit Cochlea-Implantaten
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Published: | November 2, 2020 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Die hier vorgestellte Untersuchung erfasst die psychosozialen Arbeitsbelastungen und -beanspruchungen von berufstätigen Menschen, welche ein- oder beidseitig mit einem Cochlea-Implantat (CI) versorgt sind.
Material und Methoden: Für die anonyme Befragung im Sommer 2019 wurde eine Onlineversion der deutschen Standardversion des Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ) genutzt. Der COPSOQ ist ein validiertes und international anerkanntes Verfahren, welches die Anforderungen an die Messqualität als Screening-Instrument im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach DIN EN ISO 10075-3 erfüllt und im Rahmen der Beurteilung von psychischen Arbeitsbedingungen gemäß Arbeitsschutzgesetz (§5ff, ArbSchG) eingesetzt wird.
Der Fragebogen erhebt in 25 Skalen Daten zu quantitativen und emotionalen beruflichen Anforderungen, Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben, Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten und das Erleben von sozialen Beziehungen und Führung sowie die Folgen dieser Belastungen auf die Arbeitszufriedenheit, die Lebenszufriedenheit, kognitive Stresssymptome und die Gesundheit.
Die Rekrutierung der 69 in die Auswertung einbezogenen Umfrageteilnehmer*innen (m=49,3%/w=50,7%) erfolgte über schriftliche Einladungen von 281 berufstätigen CI-Trägern im Alter von 18 bis 65 Jahren (Mittelwert=42,75 Jahre/SD=15,4), überwiegend aus der Kohorte der CI-Versorgten der Klinik (Rücklaufquote=24,9%).
Die spezifischen Belastungs- und Beanspruchungswerte der CI-Träger wurden mit veröffentlichten Durchschnittswerten deutscher Arbeitnehmer der Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften verglichen. Der Einfluss von Subgruppen von CI-Trägern wurde mittels multivariater Analysen untersucht.
Ergebnisse: Im Vergleich mit anderen Berufstätigen erleben CI-Träger vor allem geringere quantitative und emotionale Anforderungen sowie eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, eine höhere Vorhersagbarkeit ihrer Tätigkeit und ein besseres Feedback bezüglich ihrer Arbeit.
Sie schätzen ihren Entscheidungsspielraum höher ein, fühlen sich aber mit dem Arbeitsplatz weniger verbunden. Bei insgesamt vergleichbaren Belastungsfolgen (Gedanken an Berufsaufgabe, Arbeitszufriedenheit, Gefahr für Burnout, kognitiver Stress und allgemeine Lebenszufriedenheit) schätzen sie ihren Gesundheitszustand geringer ein.
Diskussion: Die insgesamt positive Selbstwahrnehmung der eigenen Arbeitssituation überrascht und erscheint zunächst erfreulich, es sei denn, sie ist Ausdruck einer Selbstbild-Fremdbild-Inkongruenz.
Text
Einleitung
Die hier vorgestellte Untersuchung erfasst die psychischen Arbeitsbelastungen und -beanspruchungen von berufstätigen Menschen, welche ein- oder beidseitig mit einem Cochlea-Implantat (CI) versorgt sind.
Für die anonyme Befragung im Sommer 2019 wurde eine Onlineversion der deutschen Standardversion des Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ) genutzt [1], [2]. Der COPSOQ ist ein validiertes und international anerkanntes Verfahren, welches die Anforderungen an die Messqualität als Screening-Instrument im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach DIN EN ISO 10075-3 erfüllt und im Rahmen der Beurteilung von psychischen Arbeitsbedingungen gemäß Arbeitsschutzgesetz (§5ff, ArbSchG) eingesetzt wird.
Methoden
Der Fragebogen erhebt in 25 Skalen Daten zu quantitativen und emotionalen beruflichen Anforderungen, Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben, Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten und das Erleben von sozialen Beziehungen und Führung sowie die Folgen dieser Belastungen auf die Arbeitszufriedenheit, die Lebenszufriedenheit, kognitive Stresssymptome und die Gesundheit.
Die Rekrutierung der 69 in die Auswertung einbezogenen Umfrageteilnehmer*innen (m=49,3%/w=50,7%) erfolgte über schriftliche Einladungen von 281 berufstätigen CI-Trägern im Alter von 18 bis 65 Jahren (Mittelwert=42,75 Jahre/SD=15,4), überwiegend aus der Kohorte der CI-Versorgten der Klinik (Rücklaufquote=24,9%). 67 der 69 Teilenehmenden haben den Fragebogen bis zur letzten Frage bearbeitet. Ein Erinnerungsschreiben wurde versendet.
Die spezifischen Belastungs- und Beanspruchungswerte der CI-Träger wurden mit veröffentlichten Durchschnittswerten deutscher Arbeitnehmer der Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften verglichen [3]. Der Einfluss von Geschlecht (m/w), Familienstand (ledig vs. in einer Partnerschaft) und Elternschaft (Kinder vs. keine Kinder in der Familie), Alter (<45 Jahre vs. ≥45 Jahre) und CI-Tragedauer von CI-Trägern (<8 Jahre vs. ≥8 Jahre) auf die einzelnen Skalen wurde mittels multivariater Analysen untersucht.
Ergebnisse
Im Vergleich mit anderen Berufstätigen erleben CI-Träger vor allem geringere quantitative und emotionale Anforderungen sowie eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Sie sind weniger gezwungen, ihre Gefühle zu verbergen und nehmen eine höhere Vorhersagbarkeit ihrer Tätigkeit und ein besseres Feedback bezüglich ihrer Arbeit wahr. Sie erleben weniger Rollenkonflikte und beurteilen die Führungsqualität ihrer Vorgesetzten besser. Sie schätzen ihren Entscheidungsspielraum höher ein, fühlen sich aber mit dem Arbeitsplatz weniger verbunden. Bei insgesamt vergleichbaren Belastungsfolgen (Gedanken an Berufsaufgabe, Arbeitszufriedenheit, Gefahr für Burnout, kognitiver Stress und allgemeine Lebenszufriedenheit) schätzen sie ihren Gesundheitszustand geringer ein.
Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die Ergebnisse im Überblick.
Die mehrfaktorielle Varianzanalyse zeigt signifikante Unterschiede in Bezug auf die verschiedenen Subgruppen und Skalen, jedoch ist die Bedeutsamkeit dieser Unterschiede mit Effektstärken bis Eta=0,32 schwach bis mittelgroß (Tabelle 2 [Tab. 2]).
Vorsichtig interpretiert ist davon auszugehen, dass die Interaktion zwischen dem Familienstand und dem Gesundheitszustand bedeutsam ist. Ledige nehmen sich gesünder als in einer Partnerschaft lebende CI-Träger wahr. Jüngere erleben tendenziell größere Entwicklungsmöglichkeiten als ältere Berufstätige.
Diskussion
Die insgesamt positive Selbstwahrnehmung der eigenen Arbeitssituation überrascht, da sie nicht dem erlebten Fremdbild der Autor*innen dieser Personengruppe gegenüber entspricht.
Diese scheinbare Inkongruenz zwischen dem Selbstbild, welches sich in der Regel stark an Ideal- oder Wunschbildern orientiert, und dem Fremdbild, den Wahrnehmungen und Gefühlen, die andere Personen haben, könnte eine sich aus dieser Studie ergebende interessante Fragestellung sein. Denn starke Selbstbild-Fremdbild-Inkongruenzen können zu vermehrten Problemen, Konflikten und Missverständnissen (auch) im Arbeitsleben führen.
Eine andere mögliche Erklärung könnte in einer im Vergleich zur Referenzgruppe vermuteten homogeneren Verteilung der ausgeübten Tätigkeiten mit vergleichsweise weniger körperlichen Tätigkeiten liegen. Ein Vergleich der Referenzwerte der Gesamtgruppe der deutschen Arbeitnehmer mit denen von spezifischen Berufsgruppen zeigt, dass einzelne Skalenwerte in den unterschiedlichen Berufsgruppen durchaus deutlich variieren.
Literatur
- 1.
- Nübling M, Stößel U, Hasselhorn HM, Michaelis M, Hofmann F. Methoden zur Erfassung psychischer Belastungen – Erprobung eines Messinstrumentes (COPSOQ). Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW; 2005. (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin; Fb 1058). Verfügbar unter: http://www.copsoq.de
- 2.
- LimeSurvey GmbH. LimeSurvey: An Open Source survey tool. Hamburg: LimeSurvey GmbH; 2017. Verfügbar unter: http://www.limesurvey.org
- 3.
- Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften GmbH (FFAW). Bericht zur Auswertung des COPSOQ Fragebogens, UKGM, Folien zur Betriebsversammlung in Marburg am Mittwoch den 27.04.2016.