gms | German Medical Science

Phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2020

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

26.09.2020, digital

Aphagie bei Pharynxnekrose als Spätfolge nach Radiochemotherapie eines Carcinoms der Pharynxhinterwand

Meeting Abstract

  • corresponding author presenting/speaker Sophia Lodes - Universitätsklinik für Hör-, Stimm-, und Sprachstörungen der Universitätskliniken Innsbruck, Innsbruck, Österreich
  • Theresa Steinbichler - Universitätsklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde der Universitätskliniken Innsbruck, Innsbruck, Österreich
  • Eva-Maria Gassner - Universitätsklinik für Radiologie der Universitätskliniken Innsbruck, Innsbruck, Österreich
  • Patrick Zorowka - Universitätsklinik für Hör-, Stimm-, und Sprachstörungen der Universitätskliniken Innsbruck, Innsbruck, Österreich
  • author Oliver Galvan - Universitätsklinik für Hör-, Stimm-, und Sprachstörungen der Universitätskliniken Innsbruck, Innsbruck, Österreich

Phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2020. sine loco [digital], 26.-26.09.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc13

doi: 10.3205/20dgpp13, urn:nbn:de:0183-20dgpp136

Published: November 2, 2020

© 2020 Lodes et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Schluckstörungen sind häufige und z.T. schwerwiegende Folgen einer onkologischen Behandlung im Kopf-Hals-Bereich und stellen einen Risikofaktor für Malnutrition dar. Insbesondere Tumore der Mundhöhle und des Oropharynx sind assoziiert mit einer schlechteren Schluckfunktion. 12–20% der pharyngealen Plattenepithelcarcinome sind an der Rachenhinterwand lokalisiert und werden an dieser Lokalisation häufig erst in fortgeschrittenen Tumorstadien diagnostiziert. Nach Radiochemotherapie von fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren bestehen häufig noch Jahre nach der Therapie schwere Schluckstörungen.

Material und Methoden: Wir berichten über einen 61-jährigen Patient mit der Erstdiagnose eines cT4b cN0 cM0 Plattenepithelcarcinoms der Rachenhinterwand und lateralen Pharynxwand rechts (G2, p16 negativ) im Februar 2017. Bei Ummauerung der Arteria carotis erfolgte die Entscheidung zur primären Radiochemotherapie. In der ersten Kontrollpanendoskopie unmittelbar nach Radiatio wurde ein Ulkus im oberen Oropharynx diagnostiziert. Eine logopädische Therapie der Dysphagie erfolgte im Rahmen einer stationären Rehabilitation im Juni 2018. Hier bestand bereits eine ausgeprägte zervikale Mobilitätseinschränkung. Aufgrund einer progredienten Schmerzsymptomatik wurde der Patient unmittelbar nach der Rehabilitation 2018 notfallmäßig in der HNO-Klinik vorstellig, worauf ein Restaging mit einer Panendoskopie und CT des Halses erfolgte. Hierbei wurde eine Progredienz des Ulkus festgestellt mit freiliegendem vorderen Längsband, bzw. der Vorderfläche der Halswirbelkörper. Bei schwerer Dysphagie mit Kachexie wurde 08/18 eine perkutane endoskopische Gastrostomie durchgeführt.

Im März 2019 wurde bildgebend eine postradiogene Osteonekrose der Massa lateralis des Atlas rechts und des vorderen Atlasbogens mit ischämischer Fraktur diagnostiziert, welche durch eine dorsale Fusion vom Occiput bis C4 versorgt wurde.

Eine phoniatrische Vorstellung einschließlich FEES erfolgte im Herbst 2019. Eine ambulante Physiotherapie und Inhalationen mit Solelösung erbrachten eine leichte Linderung der Beschwerden.

Ergebnisse: Die o.g. Pharynxnekrose und zervikale Fibrose führten zu einer irreversiblen Aphagie.

Diskussion: Die Lebensqualität wird durch die Abhängigkeit von einer PEG-Sonde und einer fehlenden oralen Ernährung nachhaltig beeinträchtigt. In unserer Klinik wurde ein Dysphagiescreening für alle Kopf-Hals-Tumorpatienten implementiert, um eine Dysphagie frühzeitig festzustellen und zu behandeln, und damit sowohl die Prognose als auch die Lebensqualität zu verbessern.

Fazit: Aufgrund der häufigen Schluckstörungen unter und nach der Therapie von Kopf-Hals-Tumoren ist eine interdisziplinäre Betreuung von herausragender Bedeutung für die Lebensqualität des Patienten. Diese sollte bereits vor Therapie beginnen und regelmäßige interdisziplinäre Kontrollen gewährleisten, um frühestmöglich einen Interventionsbedarf bei Funktionsbeeinträchtigungen aufzudecken.


Text

Hintergrund

Schluckstörungen sind häufige und z.T. schwerwiegende Folgen einer onkologischen Behandlung im Kopf-Hals-Bereich und stellen einen Risikofaktor für Malnutrition dar. Insbesondere Tumore der Mundhöhle und des Oropharynx sind assoziiert mit einer schlechteren Schluckfunktion. 12–20% der pharyngealen Plattenepithelcarcinome sind an der Rachenhinterwand lokalisiert und werden an dieser Lokalisation häufig erst in fortgeschrittenen Tumorstadien diagnostiziert. Nach Radiochemotherapie von fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren bestehen häufig noch Jahre nach der Therapie schwere Schluckstörungen.

Fallbericht

Wir berichten über einen 61-jährigen Patient mit der Erstdiagnose eines cT4b cN0 cM0 Plattenepithelcarcinoms der Rachenhinterwand und lateralen Pharynxwand rechts (G2, p16 negativ) im Februar 2017. Bei Ummauerung der Arteria carotis erfolgte die Entscheidung zur primären Radiochemotherapie. In der ersten Kontrollpanendoskopie unmittelbar nach Radiatio wurde ein Ulkus im oberen Oropharynx diagnostiziert. Eine logopädische Therapie der Dysphagie erfolgte im Rahmen einer stationären Rehabilitation im Juni 2018. Hier bestand bereits eine ausgeprägte zervikale Mobilitätseinschränkung. Aufgrund einer progredienten Schmerzsymptomatik wurde der Patient unmittelbar nach der Rehabilitation 2018 notfallmäßig in der HNO-Klinik vorstellig, worauf ein Restaging mit einer Panendoskopie und CT des Halses erfolgte. Hierbei wurde eine Progredienz des Ulkus festgestellt mit freiliegendem vorderen Längsband, bzw. der Vorderfläche der Halswirbelkörper. Bei schwerer Dysphagie mit Kachexie wurde 08/18 eine perkutane endoskopische Gastrostomie durchgeführt.

Im März 2019 wurde bildgebend eine postradiogene Osteonekrose der Massa lateralis des Atlas rechts und des vorderen Atlasbogens mit ischämischer Fraktur diagnostiziert, welche durch eine dorsale Fusion vom Occiput bis C4 versorgt wurde.

Eine phoniatrische Vorstellung einschließlich FEES erfolgte im Herbst 2019. Endoskopisch zeigten sich neben ausgeprägten Borken im Naso- und Oropharynx schaumige Speichelresiduen im Oro- und Hypopharynx. Beim Schlucken ist keinerlei Kontraktion der Pharynxrückwand zu verzeichnen, nur des Zungengrundes und Mundbodens mit stark eingeschränkter hyolaryngealer Elevation. Bei Schluckversuchen kleiner Boli von IDDSI 0-2 verbleibt nahezu der gesamte Bolus im Oro- und Hypopharynx und lässt sich nur partiell herunterschlucken nach wiederholten Schluckversuchen. Ein Teil penetriert in den Aditus laryngis und kann durch kräftiges Husten ausgeworfen werden. Eine ambulante Physiotherapie und Inhalationen mit Solelösung erbrachten eine leichte Linderung der Beschwerden. Jedoch konnte bis heute keine deutliche Verbesserung der Aphagie trotz täglicher Schluckversuche mit Wasser erreicht werden. Die o.g. Pharynxnekrose und zervikale Fibrose führten zu einer irreversiblen Aphagie.

Diskussion

Die Lebensqualität wird durch die Abhängigkeit von einer PEG-Sonde und einer fehlenden oralen Ernährung nachhaltig beeinträchtigt. In unserer Klinik wurde ein Dysphagiescreening für alle Kopf-Hals-Tumorpatienten implementiert, um eine Dysphagie frühzeitig festzustellen und zu behandeln, und damit sowohl die Prognose als auch die Lebensqualität zu verbessern.

Fazit/Schlussfolgerung

Aufgrund der häufigen Schluckstörungen unter und nach der Therapie von Kopf-Hals-Tumoren ist eine interdisziplinäre Betreuung von herausragender Bedeutung für die Lebensqualität des Patienten. Diese sollte bereits vor der Therapie beginnen und regelmäßige interdisziplinäre Kontrollen gewährleisten, um frühestmöglich einen Interventionsbedarf bei Funktionsbeeinträchtigungen aufzudecken.

Abbildung 1 [Abb. 1], Abbildung 2 [Abb. 2], Abbildung 3 [Abb. 3], Abbildung 4 [Abb. 4], Abbildung 5 [Abb. 5]


Literatur

1.
De Virgilio A, et al. A systematic review of different treatment strategies for the squamous cell carcinoma of the posterior pharyngeal wall. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2020 May 2. DOI: 10.1007/s00405-020-05990-0 External link
2.
Crowder SL, et al. Nutrition impact symptoms and associated outcomes in post-chemoradiotherapy head and neck cancer survivors: a systematic review. J Cancer Surviv. 2018 Aug;12(4):479-94.
3.
Kraaijenga SA, et al. Evaluation of long term (10-years+) dysphagia and trismus in patients treated with concurrent chemo-radiotherapy for advanced head and neck cancer. Oral Oncol. 2015;51(8):787-94.